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Author Topic: Noch mehr Rinderdung von Norbert Maurer  (Read 189 times)

Ayumi

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Noch mehr Rinderdung von Norbert Maurer
« on: April 03, 2022, 03:28:41 PM »

Noch mehr Rinderdung von Norbert Maurer:

https://pdfcoffee.com/qdownload/saeurenbasen-pdf-free.html

Ein ganzes Buch! Kann man runterladen. Bezahlt vom Staat?


Den Rinderdung gibt es als Klartext (ohne die albernen Bilder) auch im Web Archive:

https://archive.org/stream/SaeurenBasen/SaeurenBasen_djvu.txt

[*quote*]
Full text of "Saeuren Basen"
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Wolfgang Marktl
Bettina Reiter
Cem Ekmekcioglu (Hrsg)

Sauren - Basen - Schlacken

Pro und Contra -
eine wissenschaftliche Diskussion



Springer WienNew York



ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Marktl
ao. Univ.-Prof. Dr. Cem Ekmekcioglu
Institut fur Physiologie, Zentrum fur Physiologie und Pathophysiologie
Medizinische Universitat Wien, Osterreich

Dr. Bettina Reiter
Wiener Internationale Akademie fur Ganzheitsmedizin
Otto Wagner Spital, Wien, Osterreich

Gedruckt mit Unterstiitzung des Bundesministeriums
fur Bildung, Wissenschaft und Kultur in Wien

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Mit 53 Abbildungen und 13 Tabellen
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet fiber
http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-211-29133-7 SpringerWienNewYork



Vorwort



Die Konzentration freier Wasserstoffionen in den verschiedenen Fliissigkeits-
raumen des menschlichen Organismus gehort zu jenen Grofien die in einem
relativ engen Bereich konstant gehalten werden. Dies wird durch verschiedene
Regulationssysteme ermoglicht. Der Regulationsbedarf ergibt sich dabei beson-
ders dadurch, dass durch die Nahrung und den Stoffwechsel standig wechselnde
Mengen an Sauren und Basen anfallen, wodurch eine Beeinflussung der Kon-
zentration freier Wasserstoffionen erfolgt. Beim Saure-Basen-Haushalt handelt
es sich allerdings auch um eine Problematik, die von den Vertretern der natur-
wissenschaftlichen Medizin aus einem anderen Blickwinkel betrachtet wird, als
von den Proponenten bestimmter komplementar- oder alternativmedizinischer
Verfahren. Diese unterschiedlichen Auffassungen beziehen sich einerseits auf die
Ursachen von Storungen der Saure-Basen-Haushaltsregulation, andererseits auf
deren gesundheitliche Folgen. So wird etwa in der Komplementarmedizin den
Ernahrungsgewohnheiten ein wesentlich bedeutenderer Einfluss auf den Saure-
Basen-Haushalt zugeschrieben, als dies in der so genannten Schulmedizin der
Fall ist. In der klinischen Medizin finden naturgemafi die klinisch manifesten
und relevanten Storungen des Saure-Basen-Haushaltes Interesse, wahrend in der
Komplementarmedizin der Begriff der Ubersauerung des Interstitiums und die
sich daraus moglicherweise ergebenden Konsequenzen diskutiert werden.

Im vorliegenden Buch, welches auf der Grundlage der Referate eines von der
Wiener Internationalen Akademie organisierten internationalen Symposiums mit
dem Titel „Saure-Basen-Schlacken" beruht, wird der Versuch unternommen, die
unterschiedlichen Gesichtspunkte dar- und einander gegeniiber zu stellen. Dabei
wird keine Wertung vorgenommen, sondern die Beurteilung der Wertigkeit der
einzelnen unterschiedlichen Standpunkte dem Leser iiberlassen. Eine solche Be-
urteilung sollte jedoch auf der Basis von Sachkenntnissen erfolgen. Solche Kennt-
nisse prajudizieren keineswegs eine positive Beurteilung, sie ermoglichen aber eine
Auseinandersetzung auf einer sachlich fundierten Basis. Eine Hilfestellung dafiir
ist die Intention der Herausgaber des vorliegenden Buches.

Die Herausgeber



Inhaltsverzeichnis



Kapitel 1

Marktl: Physiologische Grundlagen des Saure-Basen-Haushaltes 1

Kapitel 2

Goldenberg: Chemische Grundlagen des Saure-Basenhaushalts 9

Kapitel 3

Dellmour: Der Schlackenbegriff als medizinische Metapher 17

Kapitel 4

Vormann: Saure-Basen-Haushalt: latente Azidose als Ursache chronischer
Erkrankungen 25

Kapitel 5

Stossier: Die intestinale Regulation des Saure-Basen-Haushalts 39

Kapitel 6

Heine: Die extrazellulare Matrix als Attraktor fur Verschlackungs-
phanomene 51

Kapitel 7

Herold: Kann Ubersauerung laborchemisch gemessen werden? 57

Kapitel 8

van Limburg Stirum: Die Saurebasen-Analyse nach Jorgensen und Stirum. 63
Kapitel 9

Ionecu: Klinische Relevanz der Redox und Chemoluminiszenzbe-
stimmungen bei Allergien, Haut- und Umwelterkrankungen 73

Kapitel 10

Heinrich: Die komplexe Serum— Redoxdifferenz— Provokationsanalyse 83

Kapitel 11

Maurer: Saure-Basenhaushalt und Antioxidantien 97

Kapitel 12

Maurer: Energetische Therapien bei Schwingungsverschlackung 101



VIII



Kapitel 13

Schiller: Pflanzen mit ausleitender und antirheumatischer Wirkung — ein



weifier Fleck auf der Landkarte der Grundsubstanzforschung 107

Kapitel 14

Friedl: Ausleitung in der Traditionellen Chinesischen Medizin 113

Kapitel 15

Krenner: Ausleitung in der Ayurvedischen Medizin 119

Kapitel 16

Wilhelmer: Ausleitungsverfahren in der Homoopathie 129

Kapitel 17

Kleef: Hyperthermic und Entgiftung 133

Kapitel 18

Prinz: Fluidum und Materie 145

Kapitel 19

Kirkamm: Zoeliakie/ Sprue - Glutenunvertraglichkeit 1 57

Autorenverzeichnis 1 67



Kapitel 1

Physiologische Grundlagen des Saure-Basen-Haushaltes

Wolfgang Marktl



Zusammenfassung

Im vorliegenden Kapitel wurde der Versuch unternommen physiologische
Grundlagen im Sinne einer praktischen Anwendung zu interpretieren. Fur die
Beurteilung, ob eine alimentar ausgeloste Ubersauerung moglich ist, erscheint
die Beriicksichtigung der physiologischen Regulationsmechanismen des Sau-
re-Basen-Haushaltes, ihrer Charakteristika und Kapazitaten unabdingbar. Da-
bei ist die renale Regulation von besonderer Bedeutung. Eine Erhohung der
Saureelimination durch die Niere ist aus physiologischer Sicht durchaus als
eine adaquate Beanspruchung einer physiologischen Kompensationsleistung
aufzufassen und sollte nicht unbedingt als Basis fur die Annahme einer Uber-
sauerung gewertet werden. Die vorliegende Darstellung der physiologischen
Grundlagen des Saure-Basen-Haushaltes stellt keine dogmatische Manifesta-
tion dar, sondern soil eine Denkgrundlage und Hilfe fur die Erarbeitung einer
eigenen fundierten Meinung zu dieser Problematik bieten.



Einleitung

Die Konstanthaltung eines pH-Werts in einem bestimmten Bereich hat eine er-
hebliche Bedeutung fur eine grofie Zahl physiologischer und biochemischer Vor-
gange im Organismus. Dies betrifft vor allem die intrazellularen Verhaltnisse. Ei-
nen Uberblick iiber pH-abhangige intrazellulare Funktionen gibt die Tabelle 1 .

Die regulatorische Problematik fur den Organismus besteht darin, dass die
Konzentration freier H + -Ionen in den Korperfliissigkeiten in einem bestimm-
ten Bereich gehalten werden muss, obwohl standig Sauren und Basen aus ver-
schiedenen Quellen anfallen und dadurch die pH-Konstanz bedroht wird. Die
erwahnten Sauren und Basen konnen nach verschiedenen Kriterien eingeteilt
werden. Eine fur physiologisch-medizinische Zwecke gut brauchbare Einteilung



2



Wolfgang Marktl



ist jene von Cogan (M.G.Cogan, 1991) die in derTabelle 2 dargestellt ist. Werden
die drei angefiihrten Gruppen von Sauren und Basen aus dem Blickwinkel der
Regulation betrachtet, so ergibt sich folgendes Bild. Der Bestand an Kohlensaure
wird iiber dementsprechende Variationen der Abatmung von C0 2 iiber die Lunge
geregelt. So lange diese pulmonale Regulation funktioniert, belastet die Kohlen-
saure, die im Organismus in Form ihres Anhydrids CO, in Erscheinung tritt, die
anderen Regulationssysteme und damit die H + -Konzentration in den Korperfliis-
sigkeiten nicht.



Physiologische Bedeutung des intrazellularen pH-Wertes

• Beinflussung von Enzym-Aktivitaten

• DNA-Synthese und Zellproliferation

• Offnungswahrscheinlichkeit von K + -Kanalen

• Ca ++ -Influx

• Beeinflussung der Weite von Arteriolen

• Leitfahigkeit von Gap-Junctions

• Einfluss auf die Bindungsfahigkeit von 0 2 an Hamoglobin

• Beeinflussung der Dissoziation der Plasmaproteine

^ Auswirkung auf die Ca ++ -Konzentration im Plasma



Tab. 1: Beispiele fur pH-abhangige physiologische Funktionen. Nach: F. Lang (1996)

Bei den metabolisierbaren Sauren und Basen handelt es um solche, die dem
Organismus sowohl durch die Nahrung zugefuhrt werden als um solche die im
Stoffwechsel gebildet werden, deren Konzentrationen in den Korperfliissigkeiten
aber unter metabolischer Kontrolle stehen. Dies bedeutet, dass im stoffwechsel-
gesunden Organismus jene Mengen an Sauren und Basen die zugefuhrt oder ge-
bildet werden, auch durch Abbau im Stoffwechsel eliminiert werden. Demgemafi
sind Azidosen oder Alkalosen die durch diese Gruppe von Sauren oder Basen
verursacht werden, immer die Folge definierter Stoffwechselstorungen. Eine iiber-
mafiige Nahrungszufuhr von metabolisierbaren Sauren oder Basen als Ursache
einer Storung im Saure-Basen-Haushalt ohne gleichzeitiges Vorliegen einer Stoff-
wechselstorung erscheint sehr unwahrscheinlich und wird bisher durch wissen-
schaftliche Daten nicht unterstiitzt. Bei den nicht-metabolisierbaren Sauren oder
Basen handelt es sich ebenfalls um solche die aus der Nahrungszufuhr oder aus
dem Stoffwechsel stammen, die aber durch Abbau im Stoffwechsel nicht elimi-
niert werden konnen. Sie unterliegen daher der renalen Kontrolle.



Einteilung von Sauren und Basen im Organismus

1 . Kohlensaure

2. metabolisierbare Sauren / Basen

3. nicht-metabolisierbare Sauren / Basen



Tab. 2: Nach Angaben von Cogan (1991)



Physiologische Grundlagen des Saure-Basen-Haushaltes



3



H + -Bilanz

Eine Hilfestellung bei der Beurteilung der Problematik einer moglichen alimentar
induzierten Ubersauerung liefert die Betrachtung der taglichen H + -Bilanz. Bei
dieser H + -Bilanz werden die anfallenden Mengen an H + den eliminierten Mengen
gegeniibergestellt. Einen Uberblick dazu gibt die Abbildung 1 . Aus dieser Abbil-
dung geht hervor, dass H + -Ionen zum grofieren Teil die Regulationsmechanismen
im Plasma beanspruchen und zu einem kleineren Anteil direkt im intrazellularen
Metabolismus entstehen. Die angefiihrten Zahlen beziehen sich auf durchschnitt-
liche Lebens- und Ernahrungsbedingungen und unterliegen daher naturgemafi
gewissen Schwankungen.

Eine weitere Information die der Abb. 1 entnommen werden kann betrifft die
Tatsache, dass die Ernahrung direkt nur ungefahr ein Drittel der taglich anfal-
lenden H + -Ionen liefert. Die durch den HC0 3 ~-Verlust im Stuhl und durch die
direkte metabolische Produktion anfallenden H + -Ionen hangen nur wenig mit der
Nahrungszufuhr zusammen. Diese physiologischen Faktoren negieren die Bedeu-
tung der Ernahrung auf den Saure-Basen-Haushalt nicht, relativieren jedoch die
Starke des Einflusses der Ernahrung auf das Saure-Basen-Gleichgewicht.



H*-Zufuhr
durch die Nahrung

20 - 30 mmol/d




3 Z



Intrazellulares
Compartment



Extrazellulares
Compartment





Basenverlust ii




H*-Nettoausscheidung
uber die Niere

60 - 90 mm/d



titrierbare Aziditat



r



1

NH/



ca. 42 % der renal
eliminierten H'-lonen



ca. 58 % der renal
eliminierten H*-lonen



Abb. 1



4



Wolfgang Marktl



Regulationsmechanismen des Saure-Basen-Haushaltes

Die Auswirkungen von Belastungen der H + -Bilanz konnen wohl nur dann ob-
jektiv beurteilt werden, wenn in diese Beurteilung die Mechanismen und Kapa-
zitaten der physiologischen Regulationsvorgange einbezogen werden. Besondere
Bedeutung kommt dabei den Pujfersysteme und der renalen Regulation zu.

Die Physiologischen Puffersysteme

Dem menschlichen Organismus stehen bekanntlich vier Puffersysteme zur Ver-
fiigung:

• der HCCV-Puffer

• der Proteinat-Puffer

• Hamoglobin

• der Phosphat-Puffer

Beim erstgenannten Puffersystem handelt es sich um ein so genanntes „offenes
System", weil das chemische Gleichgewicht in der diesem System zu Grunde lie-
genden Formel:

H + + HCCV 5 H 2 C0 3 U H 2 0 + C0 2
durch die Abatmung von C0 2 verandert werden kann.

Die drei anderen Puffersysteme sind „geschlossene Systeme".

Die vier Puffersysteme unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Konzentrati-
onen in den verschiedenen Compartments, durch ihre funktionelle Bedeutung
und durch ihre Kapazitaten.

Beziiglich der Gehalte der einzelnen Puffer in den drei Compartments — intra-
zellular, interstitiell, Plasma — konnen folgende Feststellungen getroffen werden,
die im nachfolgenden Schema iibersichtsartig zusammengefasst sind: Dabei wer-
den nur relative Angaben gemacht und genaue Zahlenwerte nicht angefuhrt.



Puffersystem


intrazellular


interstitiell


Plasma


Hydrogencarbonat-
Puffer


in alien drei Compartments vergleichbar
hohe Gehalte


Proteinat-Puffer


hoher Gehalt


vernachlassigbar
geringer Gehalt


relativ hoher
Gehalt


Hamoglobin-Puffer


nur in den Erythro-
zyten enthalten






Phosphat-Puffer


relativ hoherer Gehalt


niedriger
Gehalt


niedriger
Gehalt



Physiologische Grundlagen des Saure-Basen-Haushaltes



5



Insgesamt stehen im Vollblut 150 mmol an Puffern zur Verfiigung. Von diesen
Puffern entfallen ca. je die Halfte auf HC0 3 und Hamoglobin, ca. 4 mmol auf
die Plasmaproteine.

Hamoglobin hat an sich eine hohe Pufferkapazitat die allerdings zum Teil
durch die beim C0 2 -Transport im venosen Blut entstehenden H + -Ionen bean-
sprucht wird. Eine Verminderung der Hamoglobinkonzentration kann jedenfalls
eine Beeintrachtigung der Pufferkapazitat des Vollblutes mit sich bringen.

Die Pufferkapazitat der Gewebe, vor allem der Muskel, ist ungefahr 5 mal
so grofi wie jene des Blutes. Insgesamt sind in der Intrazellularfliissigkeit mehr
Puffer enthalten als in der extrazellularen Fliissigkeit. Besonders ausgepragt ist die
Pufferkapazitat des Knochens der einen ca. 50 mal hoheren Gehalt an Carbonaten
aufweist, als die Extra- und Intrazellularfliissigkeit zusammen. Das Knochencar-
bonat ist der wichtigste Lieferant an Basen, die zur Neutralisierung fixer Sauren
eingesetzt werden, wenn diese im Ubermafi vorhanden sind.

In der interstitiellen Fliissigkeit betragt die HC0 3 -Konzentration 27 mmol/1.
Angesichts des im Vergleich zum Plasma wesentlich grofieren Fliissigkeitsvolu-
mens der interstitiellen Fliissigkeit, steht dem Interstitium auch eine deutlich ho-
here Gesamtpufferkapazitat zur Verfiigung als dies im Blut der Fall ist.

Diese Angaben miissen mit der weiter oben angefiihrten taglichen H + -Zu-
fuhr in der angefiihrten Grofienordnung von 60—90 mmol in Beziehung gesetzt
werden. Dieser Vergleich zeigt, dass die in der Extrazellularfliissigkeit vorhande-
ne Pufferkapazitat deutlich iiber jenen Quantitaten an H + -Ionen liegt, die iibli-
cherweise pro Tag anfallen. Dieser Vergleich fallt noch deutlicher zu Gunsten der
Pufferkapazitaten aus, wenn nur jene H + -Belastung herangezogen wird die direkt
aus der Nahrungszufuhr resultiert. Modifiziert wird diese Relation auch noch da-
durch, dass die alimentar zugefiihrten Sauren (und Basen) die Regulationsmecha-
nismen nicht akut sondern entsprechend der Zeitdauer fur die Nahrstoffresorp-
tion protrahiert beanspruchen. Dies ermoglicht den Puffersystemen eine gewisse
Regeneration, wobei auch die Elimination von sauren Valenzen durch die Niere
eine Rolle spielt.



Renale Regulation des Saure-Basen-Haushaltes



Die Niere kann zweifelsohne als das wichtigste Organ bei der Regualtion des Sau-
re-Basen-Haushaltes angesprochen werden. Diese Aussage wird vor allem durch



Renale H + - Elimination




freie
H + -lonen



titrierbare
Sauren



Ammoniak-
Mechanismus



Abb. 2: Arten der renalen H*-Ausscheidung



6



Wolfgang Marktl



die Fahigkeit der Niere zur Elimination so genannter fixer Sauren begriindet. In
dieser Hinsicht besteht auch eine Kooperation zwischen der Niere und der Leber.
Grundsatzlich konnen die Vorgange in der Niere welche der Regulation des Sau-
re-Basen-Haushaltes dienen in zwei Gruppen unterteilt werden:

• die HC0 3 -Riickresorption

• die Ausscheidung fixer Sauren

HC0 3 -Riickresorption

Bei normaler HC0 3 -Plasmakonzentration erfolgt bekanntlich bereits im pro-
ximalen Tubulus der Niere eine vollstandige HC0 3 '-Ruckresorption. Allerdings
existiert fiir HCO 3 eine renale Schwelle die bei einer Plasmakonzentration von 28
mmol/1 und somit nur geringfugig iiber der physiologischen Plasmakonzentration
von HC0 3 liegt. Bei Uberschreiten dieser renalen Schwelle ist die Kapazitat des
Nephrons zur HCO, -Riickresorption iiberfordert und HC0 3 ~ tritt im Endharn
mit der Konsequenz eines alkalischen Harns auf. Eine gesundheitliche Bewertung
eines alkalischen Harns erscheint angesichts dieses physiologischen Hintergrundes
fragwiirdig.

Renale Elimination fixer Sauren

Die Ausscheidung von H + -Ionen durch die Niere erfolgt an sich auf drei verschie-
dene Arten, wie dies in der Abbildung 2 dargestellt ist.

Diese drei Arten der renalen H + -Elimanation miissen sehr unterschiedlich be-
urteilt werden. Die weitaus geringsten Quantitaten an H + -Ionen werden in frei-
er Form ausgeschieden. Diese Art der H + -Elimination betrifft maximal 1% der
gesamten eliminierten Menge. Die freien H + -Ionen determinieren bekanntlich
den pH-Wert des Harns. Der pH-Wert des Harns kann zwischen etwa 4,5 bis
8 schwanken. Dieses Schwankungsausmafi ist daher wesentlich ausgepragter als
jenes fiir den pH-Wert des Plasmas. Die Beurteilung des Vorhandenseins einer
„Ubersauerung" des Organismus auf der Basis der Messung des Harn-pH-Wertes
erscheint aus zwei Griinden fragwiirdig:

• Durch die Messung des Harn-pH-Wertes werden nur die freien H + -Ionen er-
fasst und somit nur der quantitativ unbedeutendste Anteil der renalen Saure-
elimination

• Zwischen den pH-Werten im Plasma und jenen im Harn kann keine direkte
und unmittelbare Beziehung hergestellt werden

Die zweite Art der renalen Saureelimination ist jene durch die titrierbaren
Sauren. Dabei handelt es sich um eine quantitativ durchaus bedeutsame Art der
Saureausscheidung. Bei den titrierbaren Sauren handelt es sich um eine bestimmte
Zahl von chemischen Verbindungen die H + -Ionen binden und auf diese Weise
zur Ausscheidung bringen konnen. Die quantitativ bedeutendste dieser Verbin-
dungen ist das sekundare Phosphat, welches sich nach Bindung eines H + -Ions in
primares Phoshat umwandelt und in dieser Form im Harn erscheint. Die auf
diese Weise eliminierten H + -Mengen liegen in der Grofienordnung von 40—45%



Physiologische Grundlagen des Saure-Basen-Haushaltes



7



der gesamten eliminierten H + -Menge. Die daraus resultierende Kapazitat der re-
nalen H + -Menge ist aber durch die vorhandenen Mengen an jenen Verbindungen
determiniert, die fur die Bindung der H + -Ionen zur Verfugung stehen. Eine An-
passung dieser Quantitaten an die moglicherweise rasch alternierenden alimen-
taren Zufuhrraten von Sauren ist nicht moglich. Eine solche Anpassung kann nur
durch die Ausscheidung von Ammonium im Harn erfolgen, die auch schon unter
Basisbedingungen die quantitativ wichtigste Fraktion der Saureelimination dar-
stellt. Die im Endharn enthaltene Menge an NH 4 + -Ionen hangt mit der Menge
an NH 3 zusammen, die aus den Tubuluszellen sezerniert. Die Menge an NH 3 in
der Tubuluszelle hangt mit dem Glutaminmetabolismus in der Leber zusammen.
Bei einer Abnahme des Plasma pH-Wertes wird der Glutaminabbau von der Leber
zu Niere verschoben, wodurch in der Niere mehr an NH 4 + - zur Ausscheidung zur
Verfugung steht. Gleichzeitig geht dies mit einem geringeren HC0 3 -Verbrauch
fur die Harnstoffsynthese einher, wodurch im Organismus mehr HC0 3 ~ fur die
Pufferung zur Verfugung steht. Bei einer starkeren Saurebelastung kann dieser
Mechanismus binnen 1—2 Tagen um ein Mehrfaches gesteigert werden. Dadurch
ist der Organismus in der Lage auch bei einer hoheren Saurezufuhr das Stoffwech-
selgleichgewicht im Saure-Basen-Haushalt aufrechtzuerhalten. Es besteht heute
die Vorstellung, dass die Effektivitat des Ammoniakmechanismus nicht so sehr in
der Elimination von H + -Ionen sondern in der Einsparung an HCO, besteht.

Literatur

Lang F (1996) Acid-base metabolism. In: Greger R, Windhorst U (Hg), Comprehensive
Human Physiology. From Cellular Mechanisms to Integration, 1571-1585, Springer,
Berlin-Heidelberg-New York.

Cogan MG (1991) Fluid and Electrolytes. Physiology and Pathophysiology, Appleton and
Lange.



Kapitel2

Chemische Grundlagen des Saure-Basenhaushalts

Hans Goldenberg



Zusammenfassung

Die Regulation des Saure-Basenhaushalts ist eine der wesentlichen Aufgaben
der Homoostase. Der wichtigste Parameter dieser Regelung ist der pH-Wert
des Blutes, der durch Puffer zwischen den Werten 7,36 und 7,44 konstant
gehalten werden muss.

In den Zellen wird die Aufgabe der Pufferung des pH-Werts grofitenteils
von Proteinen iibernommen, zum Teil auch von Phosphationen. Zur Auf-
rechterhaltung einer konstanten Pufferkapazitat muss der Uberschuss an
Protonen an die extrazellulare Fliissigkeit abgegeben werden. Mit Hilfe der
Blutpuffer kann dieser Saureiiberschuss kompensiert werden. Diese sind in
erster Linie das Pufferpaar Hydrogencarbonat/Kohlendioxid sowie der rote
Blutfarbstoff Hamoglobin in den Erythrozyten.

Die im Stoffwechsel erzeugten Protonen bilden mit den Hydrogencarbo-
nationen Kohlensaure. Diese zerfallt zu Wasser und Kohlendioxid, das aus-
geatmet wird. Weitere iiberschiissige Saureaquivalente konnen als Phosphat
iiber die Niere ausgeschieden werden. Der Abbau schwefelhaltiger Aminosau-
ren fiihrt zu einer gewissen Uberproduktion von Sauren, deren Kompensation
den Saure-Basenhaushalt beeintrachtigen konnte.



Historische En twiddling

Die Frage der Funktion von Sauren und Basen im Stoffwechsel beschaftigt die
Medizin seit Jahrhunderten. Wie viele andere Aspekte der Medizin, so hat auch
dieser die Entwicklung der Chemie als moderne Wissenschaft vorangetrieben, da
die Nutzanwendung evident war.

Natiirlich hatte man etwa im 16. oder 17. Jahrhundert Vorstellungen von
der Struktur der heute als Elektrolyte bezeichneten Verbindungen und ihrer Lo-
sungen, die vom heutigen Wissen weit entfernt liegen, wie diese Abbildung von
Johannes van Helmont zeigt (Abb. 1, Kassirer, 1982), der als einer der Prioniere



10



Hans Goldenberg




Abb.l: Ein „Salz" nach den Vorstellungen von Johann Baptist van Helmont (1577—1644)
(Kassirer, 1982)

der Medizinischen Chemie nach Paracelsus gilt. Helmont konnte immerhin als
erster nachweisen, dass Magensaft und Urin sauer sind. Aufschlussreich ist den-
noch die Tatsache, dass viele Mediziner dem Versuch, die Balance der Sauren und
Basen als alleinige Ursache von Krankheit und Gesundheit zu sehen, sehr kritisch
gegeniiberstanden (Abb. 2, Greenberg, 2000).

Hundert Jahre spater entdeckte der Medizinstudent Joseph Black das Koh-
lendioxid und leistete damit natiirlich einen ganz wesentlichen Beitrag zum Ver-
standnis des Stoffwechsels, aber auch des Saure-Basenhaushalts und legte eine
wesentliche Basis fur unser heutiges Verstandnis.

Chemische Grundlagen

Wir verwenden heute fur die Beschreibung des Verhaltens von Sauren und Basen
das Massenwirkungsgesetz, und wir richten uns fur mehr oder weniger verdiinnte




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Abb. 2: Diskussion der Bedeutung von Sauren und Basen in der Medizin, durch Thomas
Ernes (1699) (Greenberg, 2000)



Chemische Grundlagen des Saure-Basenhaushalts



11



wassrige Losungen nach der Bronstedschen Theorie. Nach dieser sind Sauren
Stoffe, die in Losung Protonen abgeben, Basen hingegen nehmen sie auf. Die Pro-
tonenabgabe wird auch oft als Sauredissoziation bezeichnet, obwohl dieser Begriff
inkorrekt ist. Denn die Protonen miissen von einem anderen Molekiil gebunden
werden, damit eine Saure sie abgeben kann, freie Protonen sind nicht stabil. Der
einfachste Fall ist die Abgabe der Protonen an Wasser, die dabei entstehenden
Oxoniumionen werden der Einfachheit halber als Protonen bezeichnet. Das ist
genau genommen inkorrekt, aber in diesem Kontext akzeptiert und gebrauch-
lich,

z.B. im Fall der Essigsaure

CH 3 COOH + H 2 0 U H 3 0* + CH 3 COCT

Basen konnen aus dem Wasser Protonen aufnehmen, sie hydrolysieren. Da-
durch entstehen Hydroxylionen,

z.B. im Fall Ammoniak

NH, + H,0 5 NH 4 * + OH"

Prinzipiell erfordert jede beliebige Saure-Basenreaktion im Wasser die An-
wesenheit sowohl einer Base als auch einer Saure, wobei diese ein Proton aus-
tauschen, weshalb man heute auch von Protonentransferreaktionen spricht. Der
Begriff Protolyse fur die Abgabe von Protonen hingegen ist wieder aus der Mode
gekommen. Aus der urspunglichen Saure entsteht somit die konjugierte Base, aus
der urspriinglichen Base die konjugierte Saure:

Saurecharakter des Ammoniumions:

NH 4 * + H 2 0 ±5 H 3 0 + + NH,

Basencharakter des Acetations:

CH3COO" + H 2 0 U CH3COOH + OH"

Jeweils eine der beiden kann auch Wasser sein, und die Starke der Sauren und
Basen wird auf die Lage des Gleichgewichts einer Protonentransferreaktion einer
Saure oder Base mit Wasser bezogen.

Aufgrund des sehr geringen Saure- und Basencharakters des Wassers selbst
ergibt sich, dass die Mitte zwischen sauer und basisch, also der Neutralpunkt,
dann erreicht ist, wenn die Konzentration der Protonen und die der Hydroxyl-
ionen gleich grofi ist, und dies ist der Fall, wenn beide l(T 7 mol/l betragen. Ge-
nau genommen gilt das fur eine Temperatur von 25° C, bei der physiologischen
Temperatur von 37° C sind die Konzentrationen etwas hoher, aber wenn wie iib-
licherweise bei Raumtemperatur ex vivo gemessen wird, ist dies nicht von Bedeu-
tung.



12



Hans Goldenberg



Der pH-Wert

Man verwendet die negativ dekadischen Logarithmen fur die Definitionen der
relevanten GroBen, d.h. die Saurestarke wird als pKs-Wert definiert, die Konzen-
tration der Protonen mit dem pH-Wert. Aus den Eigenschaften des Wassers ergibt
sich, dass bei einem pH-Wert von 7 die Konzentration der Protonen und der Hy-
droxylionen gleich grofi ist. Das entspricht einer Konzentration von 100 nmol/1.
Eine solche Losung wird als neutral bezeichnet, niedrigere pH-Werte charakteri-
sieren saure, hoher pH-Werte basische Losungen.

Entstehung von Sauren und Basen im Stoffwechsel

Der Stoffwechsel erzeugt grofie Mengen an Saure, vor allem Kohlendioxid, das als
Kohlensaure sauer wirkt. Wie allgemein bekannt ist, wird die Konzentration des
Kohlendioxids iiber die Atmung konstant gehalten, dadurch erzeugt es keine Net-
tobelastung des Stoffwechsels. Weitere Saurequellen sind bei normaler Stoffwech-
sellage vor allem die schwefelhaltigen Aminosauren und organische Phosphate,
wahrend sich die anderen Quellen von Sauren und Basen aus dem Stoffwechsel
etwa die Waage halten. Die so enstehenden Saureaquivalente werden durch die
Niere ausgeschieden.

Blutpufferung

Der pH-Wert des Blutes muss in engen Grenzen rund um den Zentralwert 7,4
konstant gehalten werden, der 40 nmol/1 entspricht. Abweichungen bis zu 0,4
bzw. 0,6 pH-Weinheiten, d.s. 16 bis 160 nmol/1, sind zwar noch mit dem Leben
vereinbar, stellen aber klar pathologische Abweichungen dar.

Die Mechanismen zur Konstanthaltung des pH-Werts im Blut sind bekannt,
die erste quantitative Behandlung des Problems, das heute „echte Chemie" gilt,
verdanken wir einem Mediziner, namlich dem Amerikaner Lawrence Henderson,
der sie 1908 im American Journal of Physiology veroffentlichte, ein Jahr, bevor
das Wort „Puffer" in die deutsche Nomenklatur der Sauren und Basen Eingang
fand (Abb. 3. Henderson, 1908).

Zu dieser Zeit war das Massenwirkungsgesetz noch keineswegs allgemein ak-
zeptiertes chemisches Lehrbuchwissen, die Aufstellung der Puffergleichung war
also zunachst eine Hypothese und ein Versuch, das Phanomen der Konstanz des
Sauregehalts des Blutes mathematisch zu beschreiben. Kurt Hasselbalch formte
diese Hendersonsche Gleichung dann 1916 in die logarithmische Version um,

1 _ 1 [A-]
[H + ] K [HA]

Abb. 3: Urspriingliche Form der Gleichung fur die Saurekonzentration in einem Saure-Ba-
sengemisch (Henderson, 1908)



Chemische Grundlagen des Saure-Basenhaushalts



13



pH = oK + log-^-J-
[HA]

Abb. 4: Puffergleichung nach Hasselbalch (1916)

die alien Medizinstudenten als Henderson-Hasselbalch-Gleichung seither wohl-
bekannt ist (Abb. 4, Hasselbalch, 1916).

Nicht jede Base oder Saure ist zur Abpufferung einer sauren oder basischen
Losung geeignet, nur schwache Basen und Sauren sind dazu in der Lage. Voraus-
setzung fur die Pufferwirkung ist, dass auch im zu erhaltenden pH-Bereich, das
ist physiologisch der Neutralbereich, die Saure immer noch Protonen gebunden
hat und damit an die Losung abgeben kann, die Base hingegen die Fahigkeit
zur Aufnahme von Protonen noch nicht verloren hat. Bei starken Sauren und
Basen wie etwa Salzsaure oder Natronlauge ware das aber nicht der Fall, sie sind
daher als Puffersubstanzen ungeeignet. Der pH-Bereich, fur den eine bestimmte
Puffermischung geeignet ist, lasst sich an der Pufferkurve ablesen. Die geringste
Anderung des pH-Werts bei Zufuhr von Saure oder Base tritt ein, wenn saure
und basische Komponente des Puffers die gleiche Konzentration aufweisen, dort
ist die Pufferkapazitat am grofiten. Allerdings ist das physiologisch nicht immer
das Optimum.



Der Kohlensaure-Bicarbonatpuffer

Die wichtigste, weil am hochsten konzentrierte und flexibelste Puffersubstanz des
Extrazellularraums ist das Hydrogencarbonation, im allgemeinen Sprachgebrauch
Bicarbonat genannt. Die zugehorige Saure ist das Kohlendioxid selbst, so dass wir
in der Physiologie im allgemeinen zur Beschreibung des Saure-Basenzustands das
Verhaltnis der Konzentration der Protonen, der Bicarbonationen und des Partial-
drucks des Kohlendioxids in Form der Puffergleichung anwenden (Abb. 5).

Aus dieser folgen dann die bekannten Normogramme wie das Siggard-Ander-
son-Diagramm, wie sie jedem Mediziner vertraut sind. Die anderen Blutpuffer
hangen natiirlich mit dem Bicarbonatpuffer zusammen, aber dieser ist der be-
stimmende.

pH = pK + \og — -

a x pC0 2

Abb. 5: Gleichung fur den KohlensaurepufFer des Blutes. a ist die Loslichkeit des Koh-
lendioxids in Plasma (der Bunsensche Absorptionskoeffizient). Sie betragt 0,226
(mmol/l)/kPa. Die Konzentration des Kohlendioxids im Plasma betragt daher beim
normalen Partialdruck von 5,3 kPa (40 mm Hg) 1,2 mmol/1. Die Konzentration des
Hydrogencarbonats ist 24 mmol/1, der pKs-Wert des C0 2 ist 6,1. Daraus ergibt sich
ein normaler pH-Wert von 7,4 (siehe auch Abb. 6)



14



Hans Goldenberg



pH



6,1 + log



24



= 7,4



0,226*5,3



pH



6,1 + log



19



6,6



0,226*27,3



pH



6,1 + log



19



7,3



0,226*5,3



Abb. 6: Berechnung des pH-Werts fiir den gesunden Normalfall (1. Zeile), eine Belastung
mit 5 mmol Saure im geschlossenen (2. Zeile) bzw. im offenen System (3. Zeile)



Beim Kohlensaure-Bicarbonatpuffer liegt das Verhaltnis Base zu Saure ziem-
lich weit entfernt vom Wert 1 bei 20. Das ist in diesem Fall giinstiger, da die saure
Komponente Kohlendioxid iiber die Atmung konstant gehalten werden kann.

Ware das nicht der Fall, ware der Blutpuffer also kein offenes Puffersystem,
wiirde schon bei einer an sich relativ harmlosen milden Acidose die Saure-Basen-
regulation auf fatale Weise zusammenbrechen (Abb. 6).

Exakte Berechnungsmethoden

Exakt ist die Berechnung nach der Puffergleichung nicht, daher ist auch die Mes-
sung des pH-Werts potentiell mir Fehlern behaftet.

Tatsachlich handelt es sich bei der Puffergleichung um eine Naherungsglei-
chung, die davon ausgeht, dass in einem Puffergemisch weder die Saure noch die
Base des Puffers noch aktive Protonendonatoren bzw. -akzeptoren sind. Richtiger-
weise miisste man das Verhalten eines Gemischs aus einer schwachen Saure und
einer schwachen Base mit vier Gleichungen beschreiben, aus denen sich dann eine
fiir die Konzentration der Protonen ableiten lasst (Po und Semozan, 2001).

Vernachlassigung kleiner Summanden ergibt dann nach Logarithmierung die
bekannte Puffergleichung. Der Fehler, den diese Naherung hervorruft, hangt von
mehreren Faktoren ab: von der Konzentration des Puffers, vom Verhaltnis Saure
zu Base sowie vom pK-Wert der Saure.

Je naher dieser bei 7 liegt, desto kleiner ist der Fehler, ebenso sinkt seine Grofie
mit der Gesamtkonzentration des Puffers und der Nahe des Verhaltnisses Puffer-
saure zu Pufferbase zum Wert 1 . Das Problem ist nicht trivial, bei Nichtbeachtung
der Korrekturen konnten sich Fehler von iiber 5% ergeben, was bei einem pH an
der Grenze der Norm bereits zu nicht erkennbaren pathologischen Situationen
fiihren konnte.



Chemische Grundlagen des Saure-Basenhaushalts



15



Die Konzentration des Bicarbonats im Blut liegt bei etwa 24 mmol/1, der pH-
Wert ist 7,4 und das Verhaltnis Base zu Saure ist ca. 95:5. Das bedeutet, dass bei
Erhalt der Gesamtkonzentration an Puffer der Messfehler fur die Protonenkon-
zentration unter 5% liegt. Wenn der pH bereits an der Untergrenze der Norm
liegt, ist dieser Fehler keineswegs trivial, er entspricht einer Verschiebung um ca.
0,02 pH-Einheiten, also z.B. von 7,36 auf 7,34.

Der pK-Wert der Kohlensaure ist etwa 6, so dass der Fehler in alien Kon-
zentrationsbereichen klein ist. Das ist der Vorteil eines Puffergemischs, das zum
iiberwiegenden Anteil aus der Pufferbase besteht.

Wirkliche pH-Verschiebungen und Instabilitaten werden sich erst ergeben,
wenn die Storfaktoren wie etwa organische Sauren oder mangelhaft abgeatmetes
Kohlendioxid die Grofienordnung der Konzentration der Pufferbase Bicarbonat
erreichen, also einige mmol/1 betragen. Das ist natiirlich bei einer Lactacidose oder
einer Ketoacidose der Fall. Sauren, deren Konzentration im Stoffwechsel auch bei
aufiergewohnlich hoher Produktionsrate deutlich unter diesem Wert liegen, sind
fur den Saure-Basenhaushalt nicht von Bedeutung. Das gilt z.B. fur die in diesem
Zusammenhang gerne erwahnte Harnsaure, die bereits bei einer Konzentration
von 500 umol/1 pathologische Symptome hervorrufen kann, die in der Saure-Ba-
senrechnung aber nicht wirklich nennenswert zu Buche schlagt.

Literatur

Greenberg A (2000) A chemical history tour. S 97, Wiley-Interscience, New York.

Hasselbalch KA (1916) Die Berechnung der Wasserstoffzahl des Blutes aus der freien und
gebundenen Kohlensaure desselben und die Sauerstoffbindung des Blutes als Funktion
der Wasserstoffzahl. Biochem Z 78: 112-144.

Henderson LJ (1908) Concerning the relationship between the strength of acids and their
capacity to preserve neutrality. Am J Physiol 21: 427-448.

Kassirer P (1982) Historical perspective. In: Cohen JJ, Kassirer P (eds) Acid/Base. Little,
Brown and Co, Boston, 449-464.

Po HN, Senozan NM (2001)The Henderson-Hasselbalch equation: its history and limita-
tions. J Chem Education 78: 1499-1503.



Kapitel3

Der Schlackenbegriff als medizinische Metapher

Friedrich Dellmour



Zusammenfassung

Der aus der Metallurgie stammende BegrifF „Schlacke" bezeichnet ein Ab-
fallprodukt, das Verunreinigungen abscheidet. Aus der Verbrennung sind
„Schlacken" als Riickstande bekannt, die zur Wiederherstellung der Funktion
entfernt werden miissen. Davon leitet sich der medizinische Gebrauch der
Begriffe ab: in der Medizin sind mit „Schlacken" pathologische Zustande ge-
meint, die durch therapeutische Verfahren behoben werden, die zu Ausschei-
dung und Leistungssteigerung fuhren. Die Wirkungen dieser Anwendungen
werden als „Entschlacken", „Endastung" und „Reinigung" empfunden.

Der medizinische SchlackenbegrifF stellt daher eine sekundare Metapher
dar, die an die primare Metapher „Entschlacken" gebunden ist. Die urspriing-
liche Bedeutung von „Entschlacken" meinte korperliche, psychische und
spirituelle „Reinigung", was im Englischen und der deutschen Sprache des
18. Jahrhunderts zu erkennen ist.



Allgemeines

Metaphern im Alltag

„Die Sprache benutzt viele Metaphern, da sich komplexe Gegenstande, Sachver-
halte oder Wahrnehmungen allgemein verstandlich oder sogar ausschliefilich als
Metaphern ausdriicken lassen. Viele Metaphern wurden daher als unbewusste not-
wendige Metaphern (Brockhaus, 1991) wie „Gliihbirne" oder „Atomkern" in die
Alltagssprache iibernommen, da sich Abstraktes am besten durch Vergleich mit
alltaglichen Dingen ausdriicken lasst.

In alien Sprachbereichen finden sich Metaphern: im Alltag (Stuhlbein, Tisch-
bein, Flaschenbals, Fingerhut, Pfeifenkopf, Drahtesel, Filmsterncben), in der Geo-



18



Friedrich Dellmour



graphie (Flussarm, Talsohle) und in der Wissenschaft (Zellkerne, Zellwdnde) und
Technik (Icons, Datenautobahn). Besonders reich an Metaphern ist der zwischen-
menschliche Bereich: um etwas zu begreifen, zu erfassen, zu sagen, dass man sauer
ist, einem etwas aufdie Nerven geht oder jemand die Fliege bzw. sich aus dem Staub
macht, Krokodilstrdnen weint, kein unbeschriebenes Blatt ist oder verheizt und ge-
feuert wird.

Viele Metaphern sind fixer Bestandteil der Sprache geworden. Die Metapher
driickt komplexe Sachen auf einfachste Weise so aus, dass diese allgemein ver-
standlich werden.

Definition der Metapher

Das Wort „Metapher" stammt aus dem Griechischen. Metapherein bedeutet
„iibertragen", „anderswohin tragen". Die Definitionen lassen sich wie folgt zu-
sammenfassen:

• Eine Metapher ist ein bildhafter Ausdruck fur einen Gegenstand oder ab-
strakten BegrifF, der durch Verkniipfung mit einem zweiten Vorstellungsbe-
reich durch eine niederkomplexe, bekannte Sache ausgedriickt wird und auf
einer Ahnlichkeitsbeziehung beruht (nach Microsoft Encarta 99 Enzyklopa-
die).

• Metaphern werden eingesetzt, um Neues, nicht Greifbares, Komplexes oder
Ganzheitliches zu kommunizieren (nachT. Sulzbach).

« Last Edit: April 03, 2022, 03:35:09 PM by Ayumi »
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Ayumi

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Wirkung von Metaphern

Metaphern sind allgemein verstandlich und sehr wirkungsvoll. Sie werden da-
her zur Kommunikation komplexer Zusammenhange in Alltag, Technik, Wis-
senschaft und Medizin vielfach genutzt. Eine besondere Bedeutung haben Meta-
phern in der Psychologie, um die Vorgange des psychischen, sozialen und geistigen
Bereiches auszudriicken. Die Psychotherapie nutzt Metaphern als beschreibende
Sprache („Bilder malen"), um traumatische, affektive oder kognitive Erfahrungen
zu verbalisieren. Dadurch ist Bewusstwerdung, Konfrontation, Verarbeitung,
Selbstentfaltung und Entwicklung moglich. Die tiefe und unbewusste Wirkung
von Metaphern kann positive und negative Wirkungen haben. Ein Beispiel dafiir
ist die Bewegung als Metapher. Spiel, Sport, Tanz und Theater eint Menschen und
transportiert dabei auch unausgesprochene Inhalte. Bewegung wird von Tai Chi,
dynamischen Meditationsformen, NLP und Yoga zur Vertiefung von Botschaften
genutzt. Auch bei militarischen Paraden, Gleichschritt, Exerzieren und Kampf-
techniken steht die Bewegung als Metapher fur Inhalte.

In Medien und Offentlichkeit sind Metaphern von grofier Bedeutung. Meta-
phern sagen viel aus und werden rasch verstanden. Dies wird mit der Korperspra-
che und in der Werbung genutzt. Da Metaphern zu intuitivem Erkennen unter
Umgehung des Verstandes fiihren, konnen Rollenbilder {Manner, Fraueri), Feind-
bilder (Juden, Zigeuner, Auslander) u.a. Stigmata (Arbeitslose, Kranke, psychisch
Kranke, Drogensiichtige, HIV-Positive) weit reichende Auswirkungen haben.



Der Schlackenbegriff als medizinische Metapher



19



Metaphern in der Medizin

Audi in der Medizin werden viele Metaphern verwendet. Das gilt fur popularme-
dizinische Ausdriicke {aufden Magen schlagen, Ubersauerung, Entschlackung, Ent-
giftung, Ausleitung) und physiologische Prozesse {Verbrennung, Zellatmung), aber
auch fur Gesundheit, Krankheit und bestimmte Krankheiten {Krebs, Aids), die als
Metaphern unterschiedliche kulturelle Bedeutung haben.

Auch „Krafte" und „Energien" sind Metaphern. Die „Lebenskraft" der Chi-
nesischen Medizin und Homoopathie bezeichnet physiologische Funktionen des
Organismus und ist mit der wissenschaftlich anerkannten „Selbstheilungskraft"
(Autoregulation) weitgehend ident (Dellmour, 1999).

Ebenso ist es bei „Energien", „energetischer" Therapie und Feng Shui. Dabei
werden meist keine Energien zugefiihrt oder wahrgenommen. „Energie" steht als
Metapher fur physische oder psychische Funktions- und Leistungssteigerung, psy-
chosoziale oder spirituelle Gefuhlseindriicke oder Entspannungseffekte.

Schlacken im Internet

In der Popularmedizin ist die Ansicht verbreitet, dass Schlacken durch falsche
Ernahrung, Genussmittel, Umweltschadstoffe, chemische Nahrungsmittelzusat-
ze und Bewegungsmangel entstehen und bei Uberlastung der Ausscheidung im
Bindegewebe abgelagert werden. Ziel der Entschlackung ist daher die Anregung
der Ausscheidungsorgane, um die „wahrend der Winterzeit abgelagerten Schla-
cken und Gifte auszuscheiden" (Internet, 14.2.2005). Dem entgegen steht die
Meinung, dass es „keine Schlacken" gibt und „Entschlacken eine Fastenliige" sei
(UNIQA - GesundheitsWeb), da alle Abbauprodukte des Stoffwechsels riick-
standslos ausgeschieden werden.

Mit Ausnahme von Stoffwechsel- und Speicherkrankheiten und der schwie-
rig zu untersuchenden „Mesenchymverschlackung" des Grundregulationssystems
wurden bisher keine „Schlacken" gefunden. Auch im Internet finden sich keine
medizinischen Schlacken. Unter den Stichworten „Schlacke" bzw. „Schlacken"
fanden sich im Internet 54.000 Eintrage zur Miillverbrennung bzw. 61.000 Tref-
fer zur Chemie und Verwertung von Verbrennungsschlacken, aber ebenso wie in
MEDLINE keine einzige medizinische Verwendung dieser Begriffe.

Entschlacken im Internet

Anders sieht es fur das „Entschlacken" aus: im Internet fanden sich 130.000 Tref-
fer zu verschiedenen Therapieangeboten! MEDLINE verzeichnete zu „Entschla-
cken", „Entschlackung" bzw. „Verschlackung" keine Eintrage, was darauf zuriick
zu fiihren ist, das die deutschen Begriffe nicht in englischen Publikationen auf-
scheinen. „Purge" (Schlacken, entschlacken) bzw. „purgation" (Entschlackung,
Reinigung) haben jedoch 800 bzw. 98 Eintrage in MEDLINE. Damit sind
Darmentleerung (Parasiten, Coloskopie, Laxantien, TCM, Ayurveda, Anorexie,



20



Friedrich Dellmour



Detoxikation), Reinigungsverfahren (Hamodialyse, Biologie, Umwelt, Chemie,
Labor) und soziologische SauberungsmaBnahmen gemeint.

Es ist auffallend, dass es im Internet keine medizinischen Schlacken gibt, aber
„Entschlacken" vielfaltig angeboten wird. Dies weist darauf hin, dass der Begriff
„Schlacke" nicht aus sich selbst, sondern nur iiber das „Entschlacken" erklart
werden kann! Auch dabei hilft das Internet: „Entschlacken" wird durch Sauna,
Bodywrap, Kneipp- und Saftkuren, Lowenzahn, Krautertee, Fasten, Entsauerung,
Basenfasten, Hydro-Kolon-Therapie, richtige Ernahrung, Ayurveda und Yoga
erreicht. „Entschlackt" werden das Bindegewebe, Haut, Korper und die Seele,
wodurch Regeneration, Gewichtsabnabme, Verdnderung, Wellness, Woklfuhlen und
Lebensfreude bewirkt werden.

Medizinische Wirkungen des Entschlackens

Das Entschlacken umfasst physikalische Anwendungen (Hitze, Kalte, Bewegung,
Massage), Didt (Fasten, Ernahrung), Ausleitung (Laxantien, Kolon-Hydro-Thera-
pie), Elektrolyte (Saure-Basenregulation), Pbytotberapie (Krauter, Tee, Safte) und
autoregulative Therapie (Homoopathie). Die Verfahren regen die Herz-, Kreislauf-,
Leber-, Darm-, Nieren- und Lungenfunktion und die Autoregulation (Selbsthei-
lung) an. Sie steigern die Perfusion, Oxygenierung, Transpiration, Lymphfluss
und andere Ausscheidungsfunktionen und fiihren zu Gewichtsreduktion und
Entspannung. Entschlackende Mafinahmen regen somit alle Organsysteme an
und aktivieren den StofFwechsel, die Ausscheidung und die Selbstheilung. Ent-
schlacken hat daher vielfaltige Wirkungen auf den Korper und die Psyche.

Definition von Schlacken und Entschlacken

Wahrend „Entschlacken" medizinische und psychische Wirkungen hat, wurden
„Schlacken" als Stoffwechselruckstande bisher nicht gefunden bzw. sind Gegen-
stand wissenschaftlicher Untersuchungen. Der Schlackenbegriff kann daher nur
iiber das „Entschlacken" erklart werden.

Mit „Entschlacken" sind Wirkungen gemeint, die zu Regeneration, Stdrkung,
Steigerung der Lebenskraft und Energie, Befreiung, Entlastung, Erneuerung, Erho-
lung, Freude und Motivation und der Empfindung „Es geht mir wieder gut" fiih-
ren.

Mit „Schlacken" sind Zustande gemeint, die zu Schwdche, Kraft- und Ener-
gielosigkeit, Belastung, Uberlastung, ausgebrannt und ausgepowert sein, Lustlosig-
keit, Antriebslosigkeit, depressiver Verstimmung und der Empfindung „Es geht mir
schlecht" fiihren.

„Schlacken" meinen daher pathologische, d.h. krankhafte Zustande, wah-
rend „Entschlacken" gesundheitserhaltende Funktionen anregt. Davon ausge-
hend konnen folgende Definitionen erarbeitet werden:

• „Schlacken" ist eine Metapher fur pathophysiologische, pathologische
oder psychopathologische Zustande, die aufgrund einer verringerten oder
gestorten physischen oder psychischen Funktions- und/oder Leistungs-



Der Schlackenbegriff als medizinische Metapher



21



fahigkeit die Gesundheit und Vitalitat beeintrachtigen, als Befindlich-
keitsstorung oder Krankheit wahrgenommen und durch „Entschlacken"
gebessert oder geheilt werden.
• „Entschlacken" ist eine Metapher fur die gesundheitsfordernden Wir-
kungen physikalischer, pharmakologischer, phytotherapeutischer, auto-
regulativer, diatetischer und ausleitender Verfahren, die zur Steigerung
der physischen oder psychischen Funktions- und/oder Leistungsfahigkeit
fiihren, die Gesundheit und Vitalitat bessern oder wieder herstellen und
als Ausleitung, Reinigung, Befreiung, Entlastung oder Heilung wahrge-
nommen werden.

Herkunft des Schlackenbegriffes

Die mit „Schlacken" und „Entschlacken" gemeinten Empfindungen werden
sensorisch, psychisch oder spirituell wahrgenommen. Es handelt sich dabei um
neurophysiologische Sinnes- oder Gefuhlseindrucke von Zustanden oder Wir-
kungen.

„Schlacken" meinen krankhafte, pathologische Zustande, bei denen nach
humoraler bzw pathogenetischer Ansicht etwas „Krankhaftes" oder „Schlechtes"
entfernt werden muss. Dass sich dabei entschlackende Methoden bewahrt haben,
spricht nicht fur die Existenz von „Schlacken". Dies ware ein Zirkelschluss und
eine falsche Verwendung der Metapher, da Metaphern bildhafte Beschreibungen
und keine Definitionen sind (Sponsel, 2002). Aus der Wirksamkeit des „Entschla-
ckens" kann daher nicht auf die Existenz von „Schlacken" geschlossen werden!

Diese indirekte Beweisfuhrung ware auch wissenschaftlich nicht moglich, da
beide Begriffe aus unterschiedlichen Denkrahmen stammen. „Schlacken" sind auf
die Krankheit (Pathogenese) und „Entschlacken" auf die physiologischen Funk-
tionen der Gesundheitserhaltung (Salutogenese) bezogen (Melchart et al, 2002).
Dies ist ein Indiz dafiir, dass „Schlacken" nicht der urspriingliche Begriff ist. Denn
die ganzheitlichen Wirkungen des Entschlackens passen nicht zu der mechani-
stischen Vorstellung von „Schlacken"!

Der Schlackenbegriff ist erstmals in der Alchimie zu finden. Alle Stoffe im
menschlichen Organismus, die aufgrund pathologischer Veranderungen aus dem
Leben „herausgefallen" sind und sich als „Schlacken" abgelagert haben, wurden
als „Tartarus" bezeichnet. Die Spagyrik verwendete aufgrund von Ahnlichkeits-
denken den aus Wein ausfallenden Weinstein („Tartarus") als schlackenlosende
Arznei. Vermutlich haben Alchimisten, die die „Lauterung im Feuer" sowohl aus
den Schriften des Alten Testaments als auch von der Metallherstellung in ihren
Ofen und Schmelztiegeln kannten, den urspriinglich gemeinten Begriff der „Rei-
nigung" durch den Begriff „Entschlacken" ersetzt.

Entschlacken als Reinigung

Die englischen Begriffe fur „Schlacken" und „Entschlacken" purge, to purge,
purging und purgation stammen wie pure, purity und purification und die deut-



22



Friedrich Dellmour



schen Worte Purgation und purgieren vom lateinischen purgare fur „reinigen"
ab.

In der Medizin des Hippokrates, Galen, Avicenna, Sydenham und Hufeland
war die „Reinigung" ein zentrales Prinzip der Medizin: „Qui bene purgat, bene
curat". Mit diesem „Purgieren nach unten oder oben" waren meist Abfuhrmit-
tel, Brechmittel oder Schropfen gemeint (Aschner, 1994). Die pharmazeutischen
BegrifFe „Purgativa" und „Purgantien" fur Laxantien erinnern an diese Zeit. Da-
bei sollte nicht vergessen werden, dass die beriihmtesten Arzte und Schulen der
friiheren Zeit mit diesen Therapien zuweilen bemerkenswerte Heilungen erzielt
haben. Die Erklarung dafiir ist einfach: alle natiirlichen Heilungsprozesse nutzen
die Ausleitung durch Fieber, Anregung von Kreislauf und Ausscheidung, Schweifi,
Sekreten, Erbrechen, Durchfall und Eiterung. Diese physiologischen Reini-
gungsprozesse stehen durch das Autoregulationssystem mit alien Organen und
dem ZNS und der Psyche in Verbindung und ermoglichen dadurch ganzheitliche
Wirkungen. Ausleitende Verfahren konnen daher korperliche, psychosomatische,
psychosoziale und spirituelle Wirkungen haben.

Psychosoziale Reinigung

Psychische und geistige Lauterung konnen im „Feuer" einer Krise die Reinigung
von „Unreinem" bewirken. Der Begriff „Reinigung" wird daher auch fur psy-
chosoziale Reinigungsprozesse verwendet. In MEDLINE findet sich zum Stich-
wort „purge" ein Bericht des National Institute of Health iiber die Beendigung
fragwiirdiger finanzieller Praktiken (Greenberg, 2004). „SauberungsmaKnahmen"
sind auch von Parteiausschliissen, diktatorischen Regimes und der Exkommuni-
kation bekannt. Auch die soziologische Reinigung ist von Ausscheidung beglei-
tet: Storendes, Schuldhaftes oder Krankhaftes (Krankheit als Metapher!) wird aus
dem Organismus „Gesellschaft" ausgeschieden.

Im Deutschen waren die Begriffe „Purgation" und „purgieren" fiir die Rei-
nigung von Schuld bis um 1700 iiblich (Deutsches Rechtsworterbuch). Im Falle
einer offentlich gewordenen Anschuldigung konnte sich der betroffene „Purgant"
in seiner „Purgationssache" vor einem „Purgationsgericht" mit einem „Purgati-
onseid" „purgieren", um sich von der behaupteten Schuld zu reinigen.

Spirituelle Reinigung

Schuld und Siihne sind Themen der spirituellen Reinigung. Wie alle Einfliisse
kann die reinigende „Kraft" aus natiirlichen, magischen und gottlichen Quellen
stammen:

Rituelle Reinigung ist in alien Kulturen zu finden. Zeremonielle Reinigungs-
riten werden von soziologischen, magischen und spirituellen Reinigungsprozessen
genutzt. „To purge" bezeichnet „Siihnen" von Verbrechen z.B. durch ein „Gottes-
urteil". Wesentlich dabei ist, dass die Zeremonie bei der rituellen Reinigung nur
als Symbol dient und durch Glauben wirksam wird.



Der Schlackenbegriff als medizinische Metapher



23



Magische Reinigung nutzt die okkulten Krafte der Zauberei und Magie. Im

Internet wird „Purgationszauber" angeboten. Die Grenzen von „Spiritualitat" und
Zauberei sind haufig verwischt und fur Unwissende nicht erkennbar. Der Kontakt
mit jenseitigen Machten ist so alt wie die Menschheit und stent im klaren Wider-
spruch zur geistlichen Reinigung.

Geistliche Reinigung ist eine auf Gott ausgerichtete Erneuerung. Wahrend
die rituelle Reinigung Selbsterlosung sucht und magische Reinigung die Betrof-
fenen an jenseitige Machte bindet, setzt geistliche Reinigung personliche Schuld-
erkenntnis gegeniiber Gott und den Willen zur Umkehr („Bufie") voraus. Im Ge-
gensatz zu rituellen und magischen Verfahren ist die geistliche Reinigung keine
menschliche Erfindung, sondern ein Angebot Gottes an die Menschen.

Das Alte Testament kiindigt eine „spirituelle Priifung und Reinigung" der
gesamten Menschheit an, die durch die Metapher „Schmelzen und Lautern wie
Gold" ausgedriickt wird (Daniel, Jesaja, Jeremia, Maleachi, Sacharja). Die friihe
Kirche hat daraus das „Fegefeuer" (engl. purgatory) und eine „Reinigung durch
Feuer" am Scheiterhaufen gemacht, was jedoch nicht der Bibel entspricht. Das
Neue Testament bietet die Erlosung von Schuld und Tod durch Jesus Christus an.
Der aus der Schopfungsordnung gefallene Mensch wird dadurch wieder fahig,
mit Gott in Beziehung zu leben. Dieser Neubeginn wird durch das Wasser der
Taufe symbolisiert. Die Reinigung erfolgt durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Der Mensch wird zur „neuen Schopfung" und erkennt Jesus Christus als Herrn
an, was als „Wiedergeburt im Geist" bezeichnet wird. Dies ist der Beginn einer
spirituellen Erneuerung der gesamten Erde, die Jesaja vorausgesagt hat: „Denn
siehe, ich willeinen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen
nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.' 1

Zusammenfassung

„Schlacken" und „Entschlacken" sind Metaphern und keine medizinischen Defi-
nitionen. Mit „Schlacken" sind pathologische Zustande und Befindlichkeitssto-
rungen gemeint, die durch therapeutische Anwendungen gebessert oder geheilt
werden. Diese werden als „Entschlacken" bezeichnet, da sie zu Ausscheidung,
Entlastung und Reinigung fiihren.

Der urspriingliche BegrifF meinte korperliche, psychosoziale und spirituelle
Reinigung von Belastung und Unreinheit. Dies ist im Englischen erkennbar und
wurde im Deutschen durch „Entschlacken" ersetzt. Dennoch beschreiben die me-
chanistischen Begriffe „Schlacken" und „Entschlacken" ganzheitliche Zustande
und Wirkungen, die durch Laborwerte nicht erfasst werden. Diese Bereiche sind
fur die Ganzheitsmedizin von wesentlicher Bedeutung, da korperliche, psychische
und spirituelle Belastungen einen Einfluss auf die Gesundheit, Krankheit und
Heilung des Menschen haben.



24



Friedrich Dellmour



Literatur

Aschner B (1994) Lehrbuch der Konstitutionsmedizin. 9 Aufl, S 4, 396, Hippokrates,
Stuttgart.

Brockhaus Enzyklopadie in vierundzwanzig Banden (1991) 14. Band, 19. Aufl, S 521, F A

Brockhaus, Mannheim.
Dellmour F (1999) Pharmakologische Grundlagen der Homoopathie. Deutsche Zeit-

schrift fiir Klinische Forschung Jg 3, Heft 6, Dezember 1999: 27-32.
Die Bibel. Nach der Ubersetzung Martin Luthers. Revidierte Fassung 1984, Deutsche Bi-

belgesellschaft, Stuttgart, Daniel 11.3, 12.10, Jeremia 9.6, Jesaja 48.10, 65.17, Male-

achi 3.2, Sacharja 13.9.
Greenberg D (2004) NIH names panel to probe conflict-of-interest charges. Zerhouni

promises to purge the organisation of financial impropriety, whether real or perceived.

Lancet 363 (9406): 380.
Melchart D, Brenke R, Dobos G, Gaisbauer M, Sailer R (2002) Naturheilverfahren. Leit-

faden fiir die arztliche Aus-, Fort- und Weiterbildung, S 41-2, Schattauer, Stuttgart.
Sponsel R, Definition und Definieren. Internet Erstausgabe 17.5.2002, Erlangen.



Kapitel 4



Saure-Basen-Haushalt: latente Azidose als Ursache chronischer
Erkrankungen

Jiirgen Vormann



Zusammenfassung

Die Regulation des pH-Wertes innerhalb und aufierhalb der Zellen ist eine
wesentliche Voraussetzung fur die Funktion der enzymatisch gesteuerten
Stoffwechselvorgange unseres Organismus. Das Verhaltnis von Sauren zu Ba-
sen ist aber nicht nur fur einen gesunden Stoffwechsel von Bedeutung, son-
dern entscheidet auch iiber die Struktur und Funktion von Proteinen, die
Permeabilitat von Zellmembranen, die Verteilung von Elektrolyten sowie die
Funktion des Bindegewebes. Langfristige Storungen des natiirlichen Saure-
Basen-Gleichgewichts finden aufgrund des gegenwartigen wissenschaftlichen
Erkenntnisstandes als Risikofaktor fiir die Pathogenese chronischer Erkran-
kungen wie z. B. der Osteoporose zunehmend Beachtung - besonders deshalb,
da in der Vergangenheit die pH-Regulation als selbstverstandlich angesehen
wurde und die hierfiir benotigte Pufferkapazitat des Organismus als nahezu
unerschopflich gait. Heute hingegen riickt die latente Azidose als Folge der
hauptsachlich durch Ernahrungseinflusse bedingten, allmahlichen Abnahme
der Pufferreserven zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses.



Physiologische Regulation des Saure-Basen-Gleichgewichts

Beim gesunden Menschen hat das Blut einen pH-Wert von 7,4. Schon geringe Ab-
weichungen fiihren zu massiven Storungen im Stoffwechsel, die unter Umstanden
lebensbedrohlich sind. Daher wird der Blut-pH durch umfangreiche Puffersyste-
me innerhalb sehr enger Grenzen zwischen 7,37 und 7,43 nahezu konstant gehal-
ten. Neben den Puffereigenschaften des Blutes sowie der extra- und intrazellularen
Kompartimente, sind der Gasaustausch in den Lungen und die Ausscheidungs-
mechanismen der Nieren wesentliche Bestandteile dieses Regulationssystems, die
alle miteinander in einem funktionellen Gleichgewicht stehen. Wenngleich iiber
die Kohlendioxid-Abatmung eine akute Azidose in der Regel vermieden werden



26



Jiirgen Vormann



kann, so dienen primar die PufFersysteme der Nieren zur Netto-Ausscheidung der
beim Abbau verschiedener Sauren freigesetzten H + -Ionen.

Diese Ausscheidung ist notwendig, da die Entstehung von Protonen z. B. bei
der Verstoffwechslung schwefelhaltiger Aminosauren aus EiweiB, die Aufnahme
von basisch wirksamen Substanzen beim Verzehr einer iiblichen Mischkost iiber-
schreitet. In der heutigen Ernahrung tragt gegeniiber basenlieferndem Obst und
Gemiise hauptsachlich der Eiweifi- und Getreideproduktverzehr zur taglichen
Saurebelastung des Korpers bei.

Fasten (d. h. Gewichtsreduktion durch Nahrungskarenz) erhoht durch die
gesteigerte Bildung von Ketosauren aus dem Fettsaureabbau die Saurebelastung
des Korpers ebenso wie die unter anaeroben Bedingungen im Sport gesteigerte
Milchsaureproduktion als Endprodukt der Glykolyse.

Die Fahigkeit zur Saureausscheidung iiber die Niere nimmt mit steigendem
Lebensalter immer mehr ab [Frassetto et al., 1996; Frassetto und Sebastian, 1996].
Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, sinkt mit zunehmendem Alter der Blut-pH in-
nerhalb des Normbereichs, gleichzeitig nimmt aber auch die Konzentration des
Bikarbonat-Puffers ab. Dies wiederum zieht nicht nur einen erhohten Verbrauch
von puffernden Mineralstoffen aus dem Knochenreservoir nach sich, sondern hat
auch nachteilige Auswirkungen auf unterschiedliche Stoffwechselfunktionen wie



Blutp

7,36

7,37
7,38
7,39
7,40 1


H






























i


i y*












l








I ■












7,41

Plasn

26
24
22
20

2
















ia [HC0 3 "] [mEq/l]








I ■








0
























l


■ \




0 30 40 50 60 70 80 9
Alter [Jahren]



Abb 1: Zusammenhang zwischen Blut-pH bzw. Plasma-Bikarbonatkonzentration und Alter.
Modifiziert nach [Frassetto et al., 1996] und [Frassetto und Sebastian, 1996].



Saure-Basen-Haushalt: latente Azidose als Ursache chronischer Erkrankungen



27











Urin

1 TNH +1 t /

2. [h 2 po 4 ] y

3. [Ca 2+ ] T \

4. [H + ] T \

5. [Citrat 3 ] I


/ Niere

1 . NH 4 + -Bildung t /

2. H + -Sekretion T /

3. Citrat-Reabsorp. t \
v4. Ca 2+ -Reabsorption 4.


/ Blut

pH A^/
V [HC0 3 -]i


/ Knochen

< 1. Ca 2+ /P0 4 3 -
Freisetzung T

2. Osteoblasten-
aktivitat 4.

\ 3. Osteoklasten-
\ aktivitat t








Muskel





Abb 2: Kompensationsmechanismen der latenten Azidose. Modifiziert nach [Alpern und Sak-
haee, 1997].



z.B. den im Alter haufig zu beobachtenden verstarkten Muskelabbau [Frassetto
und Sebastian, 1996].

Kompensationsmechanismen der latenten Azidose

Eine wesentliche Rolle beim Ausgleich einer ernahrungsbedingten latenten Azi-
dose spielen die Adaptationsmechanismen der Niere, die in Abbildung 2 schema-
tisch dargestellt sind [Alpern und Sakhaee, 1997].

Erhdbte Ausscheidung von Ammonium-Ionen (NH/)

Ammoniak (NH 3 ), der in den Tubuluszellen der Nieren hergestellt wird und frei
durch Membranen diffundieren kann, verbindet sich im Primarharn mit H + -Io-
nen zu Ammonium (NH 4 + ), das kaum zuriick diffundiert und mit dem Urin
ausgeschieden wird. Bei einer Azidose ist die Aktivitat der Glutamin-abbauenden
und NH 3 -bereitstellenden Enzyme (Glutaminase, Glutamin-Dehydrogenase etc.)
erhoht.



Erhdbte H*-Ionen-Sekretion in den Nierentubuli

Bereits durch eine leichte Azidose wird die Menge und Aktivitat des Na7H + -Io-
nenaustauschers in der Niere erhoht, wodurch es zu einer vermehrten Ausschei-
dung von H + -Ionen bei gleichzeitiger Na + -Riickresorption kommt.



28



Jiirgen Vormann



Abnahme der Citratausscheidung im Urin

Die relative Riickresorption von Citrat 3 ~ aus dem Primarharn ist bei einer Azi-
dose erhoht. Als Folge sinkt die Konzentration von Citrat im Primarharn (siehe
Abbildung 2), wodurch die Ca 2+ -Komplexierung vermindert und das Risiko fur
Nierensteine erhoht wird.



Vermebrte Freisetzung von Mineralstoffen aus den Knochen

Die leichte Azidose fuhrt einerseits physikalisch zu einer Ablosung von Mineral-
stoffen von der Knochenmatrix, andererseits wird durch die Azidose die Aktivi-
tat der Osteoklasten erhoht und die Aktivitat der Osteoblasten gehemmt. Ins-
gesamt kommt es zu einer vermehrten Ausscheidung von Ca 2+ -Ionen iiber die
Niere.



Knochendichte [g/m ]



890



880



870



860




Oberschenkelhals
Oberschenkel Ward Dreieck



o.



Quartilen der endogenen Netto-Saureproduktion

[mEq/Tag 8.29 MJ ']



Abb 3: Mittlere (± SEM) Knochendichte pra- und perimenopausaler Frauen in Abhangigkeit
von den Quartilen der endogenen Netto-Saurebildung ohne Kohlensaure (NEAP).
** Signifikanter Unterschied zu Quartile 4, p<0,04. Modifiziert nach [New et aL,
2004].



Saure-Basen-Haushalt: latente Azidose als Ursache chronischer Erkrankungen



29



Knochendichte [g/cm 2 ]
1,2

Quartile 1
Quartile 2
1=1 Quartile 3
I I Quartile 4

U



T



x



1,0



T



Oberschenkel Lendenwirbel
Quartilen der Energie-bereinigten Kaliumzufuhr



Abb 4: Mittlere (± SEM) Knochendichte an Oberschenkelhals und Wirbelsaule prameno-
pausaler Frauen (n=336) bei steigenden Quartilen Energie-bereinigter Kaliumzufuhr.
Modifizierr nach [Macdonald et al., 2005].



Auswirkungen der latenten Azidose auf den Calcium- und Knochenstoff-
wechsel

Bei pramenopausalen Frauen wurde ein Zusammenhang zwischen der Zufuhr
von basischen Nahrungsmitteln und der Knochendichte beschrieben [New et
al., 1997]. Die Zufuhr basisch wirkender Lebensmittelinhaltsstoffe, insbesondere
Kalium und Magnesium, und ein hoher Verzehr von Obst und Gemiise korre-
lierten in einer Studie mit alteren Probanden zwar mit einer hoheren Knochen-
dichte, nicht jedoch der Calciumgehalt der verzehrten Lebensmittel [Tucker et
al, 1999].

Epidemiologische Daten zum Einfluss der Ernahrung auf den Knochenverlust
wahrend der Wechseljahren zeigen, dass mit abnehmender endogener Saurebil-
dung die Knochendichte am Oberschenkel bei pra- und perimenopausalen Frauen
signifikant zunimmt [New et al., 2004], siehe Abbildung 3. Diese Erkenntnisse
werden durch das Ergebnis einer Studie bestatigt, die den Zusammenhang zwi-
schen Kalium- und Proteinzufuhr, endogener Netto-Saurebildung, potentieller
renaler Saurebelastung und von Knochenstoffwechselmarkern untersucht hat.
Demnach sind eine niedrige Kaliumzufuhr und eine hohe ernahrungsbedingte
endogene Netto-Saurebelastung mit einer geringeren Knochendichte am Ober-



30



Jiirgen Vormann



Renale Calciumausscheidung [mg/Tag]
200



100



Renale Saureausscheidung [mEq/Tag]




Calcium



80



60



40



20




NH.



Gesamt -Netto-Saure
Titrierbare Sauren



18



42 g
Protein



102 g
Protein



102 g %
Protein —



Abb 5: Renale Saure- und Calciumausscheidung bei unterschiedlicher Proteinzufuhr (g/Tag)
mit und ohne Natriumbikarbonat-Subsritution (70 meq/Tag). Modifiziert nach [Lutz,
1984].



schenkelhals und an den Wirbelsaule bei pramenopausalen Frauen (Abbildung
4) und einer Zunahme der Knochenresorptionsmarker bei postmenopausalen
Frauen assoziiert [Macdonald et al., 2005].

Insgesamt weisen die epidemiologischen Daten deutlich auf einen Zusam-
menhang zwischen den bei der Osteoporose zu beobachtenden Auswirkungen auf
den Calcium- und KnochenstofFwechsel und einer geringen Menge der iiber Jahre
verzehrten basisch wirksamen Substanzen aus Obst und Gemiise und hin.

Interventionsstudien bestatigen weitgehend die physiologischen Auswirkungen
der latenten Azidose. Abbildung 5 zeigt die Ergebnisse einer Untersuchung [Lutz,
1984], bei der durch eine gesteigerte Eiweifizufuhr eine Saurebelastung kiinst-
lich hervorgerufen wurde. Zunachst war erwartungsgemaB ein Anstieg der Sau-
re- (Summe von Ammonium und titrierbaren Sauren) und Calciumausscheidung
iiber die Niere zu beobachten. Durch die gleichzeitige Zufuhr von Natriumbi-
karbonat als Basenlieferant konnte jedoch der zusatzliche Calciumverlust verhin-
dert werden. Die positiven Effekte einer hohen Basenzufuhr liefien sich auch bei
Frauen nach der Menopause durch Interventionsstudien belegen: Die erhohte
Basenzufuhr fiihrte sowohl zu einer Verminderung des Knochenabbaus als auch
zu einem Anstieg der Knochenneubildung [Sebastian et al., 1994].



Saure-Basen-Haushalt: latente Azidose als Ursache chronischer Erkrankungen



31



Der Effekt einer Kaliumcitrat-Supplementierung auf den Knochenstoffwech-
sel wurde bei 46 postmenopauslaen Frauen untersucht, die alle eine verminderte
Knochendichte aufwiesen. Die Auswertung der Parameter des Elektrolyt- und
Saure-Basen-Haushalts ergab nur unter der Supplementierung mit Kaliumcitrat
eine signifikante Abnahme der Netto-Saureausscheidung. Ferner sank die Aus-
scheidung von Knochenresorptionsmarkern mit dem Urin als Hinweis auf die
positiven Effekte, die eine Citratzufuhr auf die Knochengesundheit ausiibt [Ma-
rangella et al., 2004]. Der aquimolare Austausch von Natrium- bzw. Kaliumchlo-
rid gegen Natrium- bzw. Kaliumbikarbonat fiihrte nicht nur zu einer signifikant
verminderten Calciumretention und verminderter Ausscheidung von Knochen-
markern mit dem Urin, sondern auch zu einer Abnahme der mittleren Corti-
sol-Konzentration im Plasma und der Tetrahydrocortisol-Ausscheidung im Urin
[Maurer et al., 2003]. Andere fur den Knochen relevante endokrine Faktoren wie
Parathormon oder Vitamin D wurden nicht verandert.

Beim Abnehmen und Fasten treten entscheidende Veranderungen im Saure-
Basen-Haushalt auf. Allein durch gezielte Basenzufuhr konnte die Calciumfrei-
setzung aus dem Knochen bei jungen Frauen, die durch Fasten eine Ketoazidose
entwickelten, verhindert werden [Grinspoon et al., 1995]. Diaten mit niedrigem
Kohlenhydrat- und hohem Proteingehalt (Atkin's) induzieren eine Azidose mit
erheblichen negativen Auswirkungen auf die Calciumbilanz und verminderter
Knochenneubildung [Reddy et al., 2002].



Netto-Calciumflux [nmol/Knochen/3 Std.]
120
100
80
60
40
20
0
-20

-40 i 1 1 1 1 1

7,1 7,2 7,3 7,4 7,5 7,6
Medium pH



Abb 6: Auswirkungen des Medium-pH auf den Netto-Calciumfluss in isoliertem Knochenge-
webe. Ein positiver Wert zeigt einen Netto-Calciumausstrom aus den Knochenzellen
ins umgebende Medium an, ein negativer Wert einen Netto-Calciumeinstrom. Modi-
fiziert nach [Bushinsky und Frick, 2000] .




32



Jiirgen Vormann




Altere Frauen mit hohem Verzehr von tierischem Eiweiss wiesen einen schnel-
leren Knochendichteverlust und ein hoheres Hiiftfrakturrisiko auf als Frauen mit
niedrigem Verzehr [Sellmeyer et al., 2001]. In der Gruppemit niedrigem tierischem
Proteinanteil erlitten deutlich weniger Frauen im Beobachtungszeitraum von 7
Jahren eine Hiiftfraktur. Tierische Nahrungsmittel enthalten vorwiegend Saure-
bildner wohingegen Protein in pflanzlichen Nahrungsmitteln zusammen mit Ba-
senbildnern vorkommt. Allerdings weisen u. a. die neuesten Studien mit Kindern
darauf hin, dass der Verzehr von Eiweifi nicht generell Fur die Knochengesundheit
schadlich ist: Bei Kindern hat die Langzeitaufnahme von NahrungseiweiB anabole
Effekte auf die diaphysale Knochenstarke. Dieser positive Effekt wird allerdings
teilweise aufgehoben, wenn die ernahrungsbedingte Saurebelastung hoch ist, d.h.
wenn die Basenzufuhr mit Obst und Gemiise niedrig ist. Kinder mit einer ernah-
rungsbedingt hoheren potenziellen renalen Saurebelastung (PRAL) hatten einen
signifikant niedrigeren Knochenmineralgehalt [Alexy et al., 2005].

Mehrere in-vitro Untersuchungen mit Knochengewebe bestatigen deren Ei-
genschaften als potenten Siiurepuffer [Bushinsky und Frick, 2000]. Abbildung 6
zeigt die Abhangigkeit des Netto-Calciumflusses von isoliertem Knochengewebe
vom pH-Wert des umgebenden Mediums. Bei einem pH-Wert unterhalb von 7,4
stromt Calcium aus den Knochenzellen ins Medium hinaus, wohingegen eine
Netto-Aufnahme von Calcium nur bei einem pH-Wert oberhalb von 7,4 nach-
weisbar war.

Das Wachstum und die Reifung der Osteoklasten hangt vom Zusammen-
spiel verschiedener Faktoren ab. Eine intrazellulare Azidose in den Osteoblasten



Saure-Basen-Haushalt: latente Azidose als Ursache chronischer Erkrankungen



33



fiihrt zur Bildung des „Rezeptor-aktivierten NFkB-Liganden" (RANKL) und von
TNFa (Abbildung 7). Beide Substanzen aktivieren Osteoklasten und verschieben
das Gleichgewicht zwischen Knochenauf- und -abbau hin zum Knochenabbau.
[Frick und Bushinsky, 2003, Frick et al. 2005].

Durch eine ernahrungsbedingte latente Azidose werden aufgrund der Kom-
pensationsmechanismen letztlich zwar keine signifikanten Anderungen des Blut-
pH hervorrufen, dennoch fiihrt die Kompensation zwangslaufig zum Verbrauch
korpereigener PufFerreserven. Bleibt der iibermafiige Verzehr von tierischem Pro-
tein bei gleichzeitig mangelnder Basenzufuhr fur langere Zeit bestehen, so hat dies
negative Auswirkungen auf die Knochenmasse. Der unbestritten positive Einfluss
einer obst- und gemiisereichen Ernahrung lasst sich deshalb nicht nur mit einer
hohen Zufuhr von Mikronahrstoffen und sekundaren Pflanzeninhaltsstoffen er-
klaren, sondern auch mit den positiven Effekten einer angemessenen Basenzu-
fuhr.



Eine latente Azidose bewirkt auch Anderungen in der Struktur und Funktion
des Bindegewebes

Proteoglykane, die stark verzweigten EiweiB-Zucker-Bausteine, aus denen das
Bindegewebe aufgebaut ist, andern ihre physikalisch-chemischen Eigenschaften
bereits bei leichten Anderungen des umgebenden pH. Die negativen Ladungen
der Proteoglykane ermoglichen die Anlagerung von Wassermolekiilen, die fur die
Elastizitat und Flexibilitat des Bindegewebes notwendig sind. Kommt es bei einer
latenten Azidose zu einer Neutralisierung negativer Ladungen, nimmt die Wasser-
bindungskapazitat ab und die Elastizitat und Flexibilitat des Bindegewebes wird
vermindert. Auch im Knorpel bilden Proteoglykane zusammen mit gebundenen
Hyaluronsauremolekiilen einen hochmolekularen polyanionischen Komplex, der
aufgrund seiner hohen Wasserbindungskapazitat den wichtigen kompressierbaren
Anteil dieses Gewebes darstellt. Eine Azidose der Synovialfliissigkeit vermindert
die Elastizitat des Knorpels. Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis ist der pH
der Kniegelenksfliissigkeit signifikant unterhalb des Normbereichs (pH 7,4—7,8)
[Farret al., 1985].

Es konnte gezeigt werden, dass eine Basensubstitution bei Patienten mit seit
mindestens 2 Jahren bestehender rheumatoider Arthritis einen giinstigen Effekt
hatte. Am Ende der 12-wochigen Untersuchung war der der Index fur die Akti-
vitat der Erkrankung (DAS-28) und das Schmerzempfinden, gemessen an einer
visuellen Analogskala (VAS), nur in der Gruppe signifikant niedriger, die tag-
lich 30 g einer basischen Nahrungserganzung (Basica® Vital) im Vergleich zur
Kontrollgruppe erhalten hatte. Dariiber hinaus konnte die Einnahme von nicht-
steroidalen Antirheumatika bzw Steroiden durch die Basensupplementierung
reduziert werden, wohingegen in der Kontrollgruppe keine Reduktion der Me-
dikation in Betracht kam [Cseuz et al., 2005]. Auch Patienten mit chronischen
Riickenschmerzen ohne Beteiligung der Wirbelsaule profitierten von einer 4-wo-
chigen Therapie mit basischen Mineralstoffen als Nahrungserganzung: Sowohl die
Schmerzempfindung als auch die korperliche Beweglichkeit verbesserten sich si-



34



Jiirgen Vormann



gnifikant, und der Verb rauch von nicht-steroidalen, entziindungshemmenden An-
tirheumatika (NSAR) konnte deutlich gesenkt werden [Vormann et al., 2001].

Bei fast alien Beschwerdebildern den Magen-Darm-Trakt, den Bewegungsap-
parat, das Herz-Kreislaufsystem, die Erschopfungsneigung und die Haut betref-
fend liefi sich in einer placebo-kontrollierten Untersuchung unter der Therapie
mit basischen Mineralstoffen im Vergleich zur Placebogruppe eine erhebliche
Verbesserung der Symptomatik verzeichnen [Witasek et al., 1996]. Auch Labor-
parameter (z. B. Saureausscheidung, Serum-Cholesterin etc.) wurden durch die
Basentherapie signifikant vermindert.

Der Einfluss der Ernahrung auf die endogene Saureproduktion

Das Zufuhrverhaltnis von Sauren und Basen iiber die Ernahrung ist einer der
wichtigsten Faktoren bei der Regulation des Saure-Basen-Gleichgewichts. Die
Bestimmung der durchschnittlichen intestinalen Absorptionsquoten spezifischer
Nahrstoffe und die Beriicksichtigung ihrer Verstoffwechslung erlaubt eine verlas-
sliche Vorhersage der saure- bzw. basenbildenden Eigenschaften — dargestellt als
renale Netto-Saureausscheidung (NAE) — von Lebensmitteln. Die auf der Bestim-
mung der NAE beruhende PRAL-Methode (Potenzielle Renale Saurebelastung)
ist in der Lage, den Einfluss einzelner Nahrungsmittel oder kompletter Diaten auf
die Netto-Saureausscheidung im Urin vorherzusagen und hat sich mittlerweile
als anerkannte Methode in der Ernahrungswissenschaft weltweit etabliert [Remer
und Manz, 1995; Remer et al., 2003].

Der Saure-Basen-Haushalt unter evolutionaren Aspekten

Man wird sich zunehmend dariiber bewusst, dass die tiefgreifenden Veranderun-
gen der Umwelt, der Ernahrung und anderer Lebensbedingungen, die vor etwa
10.000 Jahren mit Land- und Viehwirtschaft Einzug hielten, aus evolutionarer
Sicht viel zu kurzfristig sind als dass das menschliche Genom sind daran hatte
anpassen konnen. Viele der sogenannten Zivilisationskrankheiten entwickelten
sich mangels Ubereinstimmung der genetisch determinierten Biologie unserer
Vorfahren mit den Ernahrungs-, Kultur- und Bewegungsmustern der heutigen
westlichen Bevolkerung. Zusatzlich zu der glykamischen Last, der Zusammen-
setzung der Fettsauren und der Makronahrstoffe, der Mikronahrstoffdichte, dem
Natrium-Kalium-Verhaltnis und dem Ballaststoffgehalt traten im Saure-Basen-
Gleichgewicht betrachtliche Veranderungen auf. Ein Vergleich der endogenen
Netto-Saureproduktion (NEAP) von 159 retrospektiv analysierten pra-agrikul-
turellen Ernahrungsformen zeigt, dass 87% davon zu einer endogenen Netto-Ba-
senproduktion mit einem mittleren NEAP-Wert von —88 ± 82 meq/Tag fiihrten
[Sebastian et al., 2002]. Die durchschnittliche gegenwartige Ernahrung liefet ei-
nen Saureiiberschuss von 48 meq/Tag und weist ein Ungleichgewicht von Saure-
und Basen-liefernden Nahrstoffen auf, wodurch eine lebenslange, geringgradige
aber pathogenetisch signifikante metabolische Azidose hervorgerufen wird. Der
historische Wandel von negativen zu positiven NEAP-Werten ist zuriickzufiihren



Saure-Basen-Haushalt: latente Azidose als Ursache chronischer Erkrankungen



35



auf die Verdrangung von pflanzlichen Lebensmitteln mit hohem Basenanteil in
der Ernahrung unserer Vorfahren durch Zerealien und Lebensmittel mit hoher
Energie- und niedriger Nahrstoffdichte in unserer heutigen Ernahrung — wobei
keins von beiden netto-basenbildend ist [Cordain et al., 2005].



Fazit

Inwieweit die Ernahrung auf den Saure-Basen-Haushalt Einfluss nehmen kann,
wird seit vielen Jahren kontrovers diskutiert. Akute Azidosen oder Alkalosen las-
sen sich durch den Verzehr bestimmter Nahrungsmittel nicht erzeugen. Allerdings
sind die pathobiochemischen Effekte einer latenten Azidose bei eingeschrankter
Nierenfunktion, Diabetes mellitus, Hyperuricamie oder Gicht unbestritten. Auf
Grund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse lassen sich die bisher in der Natur-
heilkunde meist empirisch festgestellten positiven Effekte eines ausgeglichenen
Saure-Basen-Haushaltes nunmehr auch kausal belegen. Eine ernahrungsbedingte
latente Azidose wird aufgrund der Kompensationsmechanismen der Niere zwar
keine massiven Anderungen des Blut-pH hervorrufen, dennoch fiihrt die Kom-
pensation zwangslaufig zum Verbrauch korpereigener Pufferreserven und damit
vorwiegend zum Verlust von Knochensubstanz, wenn die Saurebelastung durch
einen Uberschuss an tierischem Protein und Getreideprodukten bei gleichzei-
tigem Mangel an Basen in der Ernahrung langfristig bestehen bleibt. Eine Be-
eintrachtigung des Muskelproteinstoffwechsels sowie der Struktur und Funktion
des Bindegewebes sind weitere negative Folgen der korpereigenen Kompensation,
wodurch auch chronischen Schmerzsymptomen wie z. B. bei der rheumatoiden
Arthritis Vorschub geleistet wird.

Unsere Vorfahren in der Steinzeit verzehrten eine Kost, die trotz hoher Anteile
an tierischem Eiweifi durch einen Baseniiberschuss charakterisiert war. Im Gegen-
satz dazu ist die Ernahrung heute in den modernen westlichen Industrienationen
durch einen hohen Anteil saurebildender Nahrstoffe gepragt. Ein hoher Anteil an
von Obst und Gemiise tragt hingegen zur Bildung eines Baseniiberschusses im
Korper bei.



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Kapitel 5

Die intestinale Regulation des Saure-Basen-Haushalts

Harald Stossier



Zusammenfassung

Der Saure-Basen-Haushalt ist ein grundsatzlicher Regulator des Stoffwech-
sels. Das Zentrum dieser Regulation ist in Verdauungsapparat, wo wesentliche
Mengen an sauren und alkalischen Valenzen entstehen und verteilt werden.
Fur die ganzheitliche Betrachtung ist es wichtig, die Bedeutung der alka-
lischen Seite zu erkennen. Im Stofrwechsel hat namlich Natriumbicarbonat
wichtigere Aufgaben als die Salzsaure des Magens. Hierzu zahlt vor allem die
„Entsauerung der Grundsubstanz".

Ein Uberblick in der Regulation kann durch verschiedene Messverfah-
ren gewonnen werden. Dabei ist die intrazellulare Basenreserve ein besonders
wichtiger Parameter, die auch durch die therapeutische Gabe von Natriumbi-
carbonat verbessert wird.

In der Therapie von Saure-Basen-Storungen ist ein ganzheitlicher Ansatz
ebenso wichtig, um nachhaltige Veranderungen zu bewirken. Lebensstilande-
rung ist die Basis, die Orthomolekulare Substitution heute ein nahezu unver-
zichtbarer Bestandteil derselben.



Die zentrale Bedeutung des Magens

Die grundsatzliche Bedeutung des Saure-Basen-Haushalts als allgemeines Regula-
tionsprinzip des Stoffwechsels ist unumstritten. Die wesentlichen Aspekte dieser
Regulation sind im Verdauungsapparat zu finden. Eine besondere Rolle nimmt
hier der Magen ein.

Wie in Abbildung 1 gezeigt, ist der Magen jenes Organ, welches mengenma-
fiig relevant Sauren und Basen bilden kann. Dies erfolgt nach der Summenformel
H 2 0 + C0 2 + NaCl HC1 + NaHCO,. Dieser Prozess wird durch die Carboan-
hydrase, einem zinkabhangigen Enzym, katalysiert. Hier lassen sich bereits erste
Querverbindungen zur orthomolekularen Medizin erkennen.



40



Harald Stossier



Speisen



H ; 0 + CO; + NaCI




NaHCQ 3



Mundspelchel-
druse



Bindegewebe



Laktierende
Mamma



H 2 0 + C0 2 +NaCI

Waucr * KohlcnUurc * Kochutz



Abb 1: Saure-Basen-Ubersicht aus Stossier, Praxishandbuch der modernen Mayr-Medizin
Haug Verlag, 2003



Der wesentliche Reiz fiir die Aktivierung des Saure-Basen-Haushalts stellt die
Nahrungsaufnahme dar. Um namlich die Verdauung starten zu konnen (speziell
die Eiweifiverdauung), ist ein saures Milieu im Magen notwendig. Nahrungszu-
fuhr fiihrt also in der Belegzelle des Magens zur Produktion von HC1, welche in
den Magen selbst abgegeben wird. In aquimolaren Mengen wird auch Natrium-
bicarbonat gebildet und an das Blutsystem abgegeben.

Die herkommliche Betrachtungsweise sieht nur die Saure als fiir die Verdau-
ung notwendig. Sie ist zweifelsohne wichtig, aber fiir die eigentliche Verdauung,
sowie fiir die Regulation des Gesamtorganismus in Bezug auf Siiuren und Basen
ist das Natriumbicarbonat wesentlich wichtiger.

Nachdem die eigentliche Verdauung bei einem pH-Optimum der Enzyme
von iiber 8 ablauft, ist es notwendig, dass die grofien Verdauungsdriisen ein basen-
reiches Sekret produzieren. Dies betrifft die Speicheldriisen (Mund und Bauch),
die Leber und vor allem den Diinndarm selbst. Nur dadurch ist eine vollstandige
und zeitgerechte Verdauung moglich. Gelingt es nicht, im oberen Diinndarm
ein alkalisches Milieu zu erzeugen, sind bakterielle Fehlverdauungsprozesse wie
Garung und Faulnis die Folge. Die Bedeutung der Verdauungsdriisen wird auch
dadurch unterstrichen, dass durch den enormen Baseneinstrom in das Blutsystem
zu Beginn der Mahlzeit wir sofort eine bedrohliche Alkalose entwickeln wiirden,



Die intestinale Regulation des Saure-Basen-Haushalts



41



wenn nicht die „basophilen Organe" die alkalischen Valenzen aus dem Blut ent-
nehmen wiirden. Hinzu kommt ein weiterer wichtiger Aspekt. Bedenkt man die
anatomische Situation, dass Blutgefafie zwar die Grundsubstanz durchziehen, je-
doch nicht unmittelbar in der Zelle miinden, so wird auch die Bedeutung der
Grundsubstanz in dieser Regulation verstandlich. Vom Kapillarbereich zur Zelle
durchwandert Natriumbicarbonat die Grundsubstanz. Diese ist aber auch der
Speicherort von ausscheidungspflichtigen Metaboliten. Im Wesentlichen handelt
es sich hierbei um Sauren, welche in ihrer Gesamtheit unspezifisch als „Schlacken"
bezeichnet werden. Natriumbicarbonat reinigt also die Grundsubstanz, bindet
und mobilisiert Sauren und ermoglicht deren Abtransport aus der Grundsub-
stanz. In Bezug zur gesamten Regulation des Saure-Basen-Haushaltes ist dies eine
der wesentlichen Aufgaben von Natriumbicarbonat. Dieses „Basenfluten" durch
den Organismus und die Grundsubstanz im speziellen kann auch durch geeignete
Messverfahren nach Sander gezeigt werden.

pH-abhangige Regulation im Magen

Nachdem Sauren und im speziellen die Salzsaure sehr aggressive Substanzen sind,
benotigt der Organismus auch Schutzmechanismen gegen diese Substanzen.
Der Magen ist wohl jenes Organ, der dies beziiglich bestens untersucht ist. Eine
Schleimschicht schiitzt das Gewebe vor „Selbstverdauung" durch HC1. Aber auch
hier sind gewisse Grenzen einzuhalten.

Um eine hohe Konzentration der Saure im Magen zu verhindern wird bei
Hyperaciditat die weitere Produktion gedrosselt bzw. gestoppt. Man kann da-
von ausgehen, dass bei einem pH-Wert von 1-2 keine weitere Saureproduktion
stattfindet. Wenden wir in so einer Situation aber den Blick auf den gesamten
Stoffwechsel bzw. das Natriumbicarbonat im speziellen, so bedeutet dies auch ein
Einstellen der Natriumbicarbonatproduktion. Besteht aber nach wie vor ein Be-
darf an basischen Valenzen, so ist eine Bereitstellung derselben nicht moglich. Erst
ein „Abarbeiten" der sauren Valenzen im Magen ermoglicht wieder eine Regula-
tion. Dies kann durch Essen erfolgen, oder aber einfach durch orale Zufuhr von
Natriumbicarbonat. Damit steigt der pH im Magen und ermoglicht das neuer-
liche „Zwischenlagern" der HC1 im Magen. Man muss fur das Erkennen dieses
Mechanismus also den Standpunkt der Betrachtung wechseln. Nicht die Saure ist
das wichtige, sondern die Base. Die Saure ist nur das Nebenprodukt der Basen-
produktion.

Nun wurde dies auch richtig beobachtet, aber leider oft falsch interpretiert.
Die Gabe von Natriumbicarbonat bei Hyperaciditat fiihrt kurzfristig zu einem
pH-Anstieg, der von einer erneuten Produktion von HC1 gefolgt wird. Saurelo-
ckung nennt man dies. Das ist vollig richtig. Durch das relative Basendefizit im
Gewebe versucht der Korper, dies durch vermehrte Produktion im Magen auszu-
gleichen. Die Saure verursacht zwar lokale Probleme (Gastritis, Niichternschmerz,
Ulcus), dies ist aber in der Gesamtschau verstandlich und offensichtlich das ge-
ringer Ubel. Konsequenterweise sollte also so lange Natriumbicarbonat zugefiihrt
werden, bis die Gewebsspeicher und Puffersysteme wieder aufgefiillt sind. Dann



42



Harald Stossier



lost sich der „Saureeinstrom durch Natriumbicarbonat" von selbst. Diese theore-
tischen Uberlegungen werden durch viele praktische Erfahrungen untermauert.

Wir kennen aber noch eine Besonderheit dieses Stoffwechsels. Verwenden wir in
der oralen Therapie Natriumbicarbonat, so ist dessen sofortige Neutralisation im
sauren Magenmilieu die Folge. NaHC0 3 + HC1 -> H 2 0 + C0 2 + NaCl. Koh-
lensaure wird meist erleichternd nach oben abgegeben, Wasser und Kochsalz sind
unproblematische Substanzen. In demselben Mafi jedoch wird dem Stofrwech-
sel Natriumbicarbonat, welches zuvor equimolar mit Salzsaure gebildet wurde,
frei verfugbar. Der nun aus dem Magen kommende Inhalt muss nicht mehr im
selben Ausmafi neutralisiert werden, sondern nur mehr um den, durch die Natri-
umbicarbonatzufuhr reduzierten Anteil. Damit kann das „freigewordene Natri-
umbicarbonat" in der Grundsubstanz wirken und tatsachliche Sauremobilisation
betreiben.

So steht die regulatorische Wirkung von Natriumbicarbonat im deutlichen
Gegensatz zu den weit verbreiteten Protonenpumpenhemmern (PPH). Diese ver-
hindern sowohl die Bildung der Saure, als auch der Base. Der kurzfristige Erfolg
ist zwar gegeben, jedoch kommt es zu einem „Aushungern der Basenpuffer". Da-
riiber hinaus konnte gezeigt werden, dass die dreimonatige Einnahme von PPH
zu einem Anstieg von spezifischen Allergien um 25% fuhrt. All eine diese Tatsache
sollte uns zu denken geben (fur die Arbeit, durchgefuhrt von der Med Uni Wien,
wurde der Allergologiepreis verliehen).



Einfluss von Lebensmitteln auf den Saure-Basen-Haushalt

Bereits an dieser Stelle wird der Einfluss von Lebensmittel auf die Saure-Basen-
Verhaltnisse klar. Durch Lebensmittel werden ebenfalls saure oder basische Va-
lenzen in den Organismus eingebracht. Zusatzlich konnen durch die Art und
Weise der Verstoffwechselung Sauren entstehen (zB durch Garung oder Faulnis).
Daher lassen sich folgende Lebensmittelgruppen unterscheiden:



Saurespendende Lebensmittel

Dies sind Lebensmittel, die aufgrund der Inhaltsstoffe vorwiegend saure Valenzen
zufiihren. Dazu zahlen alle Arten von Eiweifi, vor allem tierisches Eiweifi in Form
von Fleisch, Fisch, Kase, aber auch Getreide, Hiilsenfriichte und die sauren Siid-
friichte. Industriekost bzw -getranke zahlen ebenso dazu wie Genussmittel.



Sdurewirkung durch Basenentzug

Hier entstehen die Sauren erst im Stoffwechsel. Es sind vor allem die rafflnierten,
zuckerhaltigen Lebensmittel, die hierzu gezahlt werden. Fabrikszucker, Auszugs-
mehle und deren Produkte.



Die intestinale Regulation des Saure-Basen-Haushalts



43



Basenspendende Lebensmittel

Diese fiihren alkalische Valenzen in Form von Mineralstoffen wie Calcium, Kali-
um, Magnesium, Zink udgl. zu. Es sind dies vor allem Gemiise, reifes heimisches
Obst und die kaltgepressten Pflanzenole.

Fehlverdauung

Bei mangelhafter enzymatischer Verdauung werden Lebensmittel durch die intes-
tinale Flora abgebaut. Allerdings entwickeln sich Garungs- und Faulnisprozesse,
die ein stark sauerndes Milieu im Organismus verursachen. So hat auch die Ess-
kultur ihre Bedeutung fur die Saure-Basen-Regulation. Siehe hierzu auch Tabel-
le 1 - Saure und Basische Lebensmittel.

Zusammenfassend lasst sich festhalten, dass basische Lebensmittel helfen, Na-
triumbicarbonat im Stoffwechsel einzusparen bzw. in der Grundsubstanz besser
verwenden zu konnen. Saure Lebensmittel hingegen fiihren zu einer Basenmobi-
lisation aus den Speichern und verstarken eine saure Stoffwechselsituation. Ein-
drucksvoll konnte dies durch eine Arbeit gezeigt werden: Bei eiweifireicher



Sauer


Basisch


Fleisch, Fisch


Gemiise, Kartoffel


Kase


Milch, Schlagsahne


Hiilsenfruchte


Gewiirzkrauter


Siidfriichte


Reifes heimisches Obst


Raffinierte Ole und tierische Fette


Kaltgepresste Pflanzenole


Industriekost und -getranke




Alkoholika





Tab. 1: Saure und Basische Lebensmittel



Ernahrung (vorwiegend tierisches Eiweifi) ist die Calciumausscheidung im Harn
um 74% hoher als bei basenreicher Kost. Und dies bereits nach 4 Tagen! Wer also
heute noch meint, Ernahrung hatte keinen Einfluss auf Saure-Basen-Haushalt
und Osteoporose, der irrt gewaltig.

Moglichkeiten zur Messung des Saure-Basen-Haushalts

Die Messung des Saure-Basen-Haushalts erscheint deshalb wichtig und sinnvoll,
um obige Regulationsphanomene auch beurteilen zu konnen. Es haben sich im
Wesentlichen vier Methoden durchgesetzt, welche unterschiedliche Beurteilungen
ermoglichen.



44



Harald Stossier



100

80

60

40

20
0

20

40

60

80
100

6 9 12 15 18

Abb. 2: Saure-Basentitration nach Sander

Die mittlere Kurve zeigt ein idealisiertes Bild von Saure und Basenfluten iiber den Tag
verteilt.

Die obere Kurve zeigr eine „Saurestarre", dh es kommt zu keiner Tageszeir zu einem
basischen Milieu, Basenfluten ist vollig aufgehoben.

Die untere Kurve zeigt das Bild einer Alkalose mit eingeschranktem, aber nicht ganz
aufgehoben Saure und Basenfluten, theoretisches Bild.

Astrup-Messung

Hier werden entsprechend der Henderson-Hasselbalch-Gleichung die mafigeb-
lichen Faktoren gemessen. Letzdich ist eine gute Beurteilung der pulmonalen
Kompensation moglich, ebenso eine Einteilung in respiratorische und metabo-
lische Alkalose und Acidose.

Sander-Messung

Sander war einer der ersten, der sich intensiv mit der Saure-Basen-Regulation be-
schaftigte. Seine Messmethode bestimmt mittels Titration die gebundenen Sauren
und Basen im Harn. Die Messung erfolgt mehrmals taglich, so dass sich eine gute
Verlaufsbeobachtung ergibt. Die Messung nach Sander bestatigt das, aus der oben
beschriebenen Regulation zu erwartende Basenfluten nach bzw. durch die Mahl-
zeit. Das Sander-Tagesprofil gibt also Auskunft iiber eine vorhandene oder einge-
schrankte Basen- und Saurefunktion im Tagesverlauf. Siehe auch Abbildung 2.

Jorgensen-Messung

Hier wird eine Titration des Blutes mit 0,1 normaler HC1 durchgefiihrt. Aus dem
Verhaltnis Vollblut zu Serum ergibt sich die „intrazellulare Basenreserve". Diese
ist eine wichtige Kenngrofie fur die Moglichkeit des Organismus, auf Saurebelas-
tungen zu reagieren.




Die intestinale Regulation des Saure-Basen-Haushalts



45



Messung nach Vincent

Hier werden in Blut, Speichel und Urin die pH-Werte im Verhaltnis zu den Re-
duktionsaquivalenten gemessen. Diese, etwas aufwendigere Messung erlaubt eine
Beurteilung von verschiedene Krankheitstendenzen.

Diese Messverfahren sind nicht als entweder/oder zusehen, keine Methode
hat mehr Recht, als die andere. Es sind vielmehr die unterschiedlichen Ansatze
in den verschiedenen Medien, die Saure-Basen-Regulation beurteilen zu konnen.
Insofern erganzen sie sich auch sinnvoll und werden je nach Fragestellung zur
Beurteilung herangezogen. In der Praxis bewahrt sich vor allem die Messung nach
Jorgensen. Sie kann in jeder Praxis rasch und einfach durchgefuhrt werden und
gibt Aufschluss iiber die so wichtige Basenreserve.

Einteilung der Azidosen nach Sander

Entsprechend seinen Messergebnissen hat Sander die Azidose in folgende Stadien
eingeteilt:

• Akute Azidose

akute Erkrankung, mit dem Versuch der Saureelimination

• Latente Azidose

kompensierte Verminderung der Pufferbasen bei konstantem pH-Wert

• Chronische Azidose

hier finden sich bereits klinische Beschwerden sowie eine Reduktion der Basen-
reserve

• Lokale Azidose

lokale Gewebsschadigung durch Saure (Herzinfarkt)

• Sauretod

Absterben von lebendigem Gewebe durch Saure. Der Tod als finaler Saureanstieg

Diese Einteilung lasst ebenfalls wieder die unterschiedliche Beeinflussung der
Regulation erkennen. Fur wesentlich ist zu erachten, dass entsprechend dieser
Einteilung und den erhobenen Messbefunden alle chronischen Erkrankungen,
die meisten unser Zivilisationserkrankungen sowie die wesentlichen ernahrungs-
bedingten Stoftwechselbelastungen den Saureerkrankungen zuzuordnen sind.
Daher gilt das Augenmerk in der Therapie eine latente bzw chronische Acidose
regulatorisch zu beeinflussen.

Saureelimination

Die rascheste Ausscheidung durch Sauren erfolgt durch das Abatmen von C0 2
iiber die Lungen. Natiirlich werden auch andere fliichtige Sauren (zB aus Ga-
rungs- oder Faulnisprozessen) iiber die Lungen abgeatmet. Dies ergibt die zum
Teil aufierst unangenehmen, aber typischen Geriiche.

Die wesentliche Leistung in der Saureausscheidung erbringt jedoch die Nie-
re. Sie verfugt iiber vier Puffersysteme mit unterschiedlicher Kapazitat. Den we-



46



Harald Stossier



sentlichen Anteil hat der Phosphatpuffer. Allerdings muss dieser Puffer immer
wieder regeneriert werden. Dies erfolgt durch Mobilisation von Calciumphos-
phat aus dem Knochengewebe. Als Folge daraus ergibt sich - wie bereits oben er-
wahnt — ein Calciumverlust bei chronischer Ubersauerung. Damit wird nochmals
verdeutlicht, dass Osteoporose mehr mit dem Saure-Basen-Haushalt zu tun hat,
als mit einem Hormonmangel. Weiters verfugt die Niere iiber die Moglichkeit der
Natriumriickresorption sowie iiber einen Ammoniakpuffer. Nur ein kleiner Teil
(ungefahr 1%) wird als freie Sauren ausgeschieden.

Letztlich sollte auch die Leber bei der Saureelimination nicht vergessen wer-
den. Ihre Fahigkeit, iiber Ammoniak Saure abzugeben, ist aktiv steigerbar.

Basentherapie

Um die verschiedenen Kompartimente, in denen sich eine Ubersauerung abspielt,
therapieren zu konnen, ist eine sinnvolle Basentherapie auch auf mehreren Ebe-
nen durchzufuhren. Entsprechend den biochemischen Zusammenhangen lassen
sich folgende Bereiche unterscheiden:

Bewegung

Durch eine sinnvolle Bewegung im aeroben Bereich kommt es zu einer Elimina-
tion von C0 2 und fliichtigen Sauren iiber die Lunge. Dass Nikotinabusus und
andere pulmonale Erkrankungen dies behindern ist selbstverstandlich. Eine Ba-
sentherapie beginnt aber mit der Motivation und Beratung zu einem Mindestmafi
an korperlicher Betatigung.

Fliissigkeitszufuhr

Ohne ausreichende Fliissigkeit kann eine Elimination von Sauren nicht statt-
finden. Wasser ist das universelle Losungsmittel im Organismus. Gerade in die-
sem Bereich ist es jedoch besonders wichtig, dass das „Richtige" getrunken wird.
Wasser (am besten frisches Quellwasser) , stilles Mineralwasser, Krautertee oder
Gemiisebriihe sind zu bevorzugen. Fruchtsafte, Gemiisesafte, Milch, Alkoholika
oder Industriegetranke sind keine frei verfugbaren Fliissigkeiten und daher nicht
geeignet.

Basenbetonte Ernahrung

Entsprechend der Henderson-Hasselbalch-Gleichung ist ein Verhaltnis von Sau-
ren : Basen von 20 : 1 notwendig, um einen pH-Wert von 7,4 sicherzustellen.
Dieses Verhaltnis ist in der Ernahrung weder notwendig noch realistisch. Sinn-
voll erscheint eine langfristige basenbetonte Ernahrung im Verhaltnis von Basen :
Saure von 2:1. Dies ergibt sich auch aus der Tatsache, dass saure Lebensmittel


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Die intestinale Regulation des Saure-Basen-Haushalts



47



wesentlich konzentrierter sind und daher ein mengenmafiiger Ausgleich nur die
erhohte Zufuhr basischer Lebensmittel erfolgen kann. Tabelle 2 und 3 zeigen ent-
sprechende Kombinationen. Wichtig ist, dass dies nicht fanatisch kleinlich be-
trachtet wird. Ein Ausgleich je Mahlzeit ist wichug, ebenso aber im Tagesverlauf,
im Wochenrhythmus oder Jahresrhythmus. Wir haben grundsatzliche Moglich-
keiten der Kompensation und sterben nicht den Sauretod nach einer „Schlacht
am kalten Buffet". Es sind aber entsprechende Erholungs- und Kompensations-
phasen notwendig.



Sauer

Fleischgerichte
Fischgerichte
Hiilsenfriichte
Kase



Sauer

Reis, Knodel, Spatzle
Teigwaren
Siidfriichte
Tierisches Fett



Tab. 2: Lebensmittelkombinationen mit Saureiiberschu



Sauer

Fleischgerichte

Fischgerichte

Hiilsenfriichte

Kase

Eier



Basisch

Gemiisebriihe/-suppe
Gemiisesauce
Kartoffel/Krauter
Reifes heimisches Obst
Kaltgepresste Pflanzenole



Tab. 3: Lebensmittelkombinationen im Saure-Basengleichgewicht



Orthomolekulare Therapie

Die Substitution basischer Substanzen im Sinne der orthomolekularen Medizin
wird heute immer wichtiger. Allen voran ist hier Natriumbicarbonat zu nennen.
Dies war schon lange im alltaglichen Gebrauch. As Speisesoda ist es heute noch
in vielen Kiichen zu finden.

Giinstiger erscheint heute die Gabe von Basenpulver. Hier ist Natriumbicar-
bonat nach wie vor Hauptbestandteil, aber auch andere, an der Saure-Basen-Regu-
lation wichtige Substanzen werden beriicksichtigt. Hier ist vor allem das Kalium
zu nennen. Als intrazellulares Mineral ist es gemeinsam mit dem extrazellularen
Natrium fur das Membranpotential verantwortlich. Bei einer Hyperkalamie wird
Kalium von Intra- nach Extrazellular verschoben. Zur Aufrechterhaltung des
Membranpotentials wird in der Folge H + nach intrazellular wandern. Dies fiihrt
zu einer intrazellularen Acidose, welche sich weitgehend der Regulation entzieht.
Daher ist die Substitution von Kalium, zB gemeinsam mit Natriumbicarbonat im
Basenpulver, sinnvoll. In Abbildung 3 ist die Zusammensetzung einer Basenpul-
vermischung ersichtlich.



48



Harald Stossier



Na 2 HP0 4 10,0
NaHC0 3 80,0
CaC0 3 90,0
K-citrat 20,0
M.d.s. Basenpulver

1T1 in Vi 1 Wasser zwischen den Mahlzeiten
Abb. 3: Basenpulver nach Dr. Stossier



Auch Zink gehort zu den im Saure-Basen-Haushalt wichtigen Substanzen.
Zink ist aktives Zentrum der Carboanhydrase, jenes Schliisselenzyms fiir die Bil-
dung von HC1 und Natriumbicarbonat. Sein Mangel reduziert die Aktivitat der
Carboanhydrase.

Calcium ist fiir die Regeneration der Mineralspeicher bei latenter Acidose un-
umganglich. Zur Vermeidung einer ossaren Entmineralisierung sollte es friihzeitig
zugefiihrt werden.

Die allgemeine Vorgangsweise bei orthomolekularer Substitution ist die ora-
le Therapie. Die entsprechenden Richtlinien sind dabei zu beriicksichtigen. Vor
allem wird Basenpulver ausschliefilich zwischen den Mahlzeiten verabreicht. Zu
den Mahlzeiten gegeben reduziert es die fiir die Verdauung notwendige Saure und
ist daher kontraproduktiv.

Je nach klinischer Notwendigkeit konnen obige Mafinahmen bei entspre-
chender Indikationsstellung aber auch als Infusionstherapie durchgefiihrt wer-
den.



Zusatzmafinahmen

Im naturheilkundlichen Bereich gibt es noch eine Reihe von sinnvollen Mafinah-
men. Diese dienen im Wesentlichen der Entsauerung und unterstiitzen die ent-
sprechenden Organe in ihrer Funktion. Hierzu zahlen so genannte Auslauge- oder
Basenbader, wo die Haut als Ausscheidungsorgan geniitzt wird. Diese konnen als
Teilbader (Fufi, Rumpf ) oder Vollbader eingesetzt werden. Auch die Sauna, Infra-
rot oder gar Hyperthermic wirken in diese Richtung.

AbschlieEend sei festgehalten, dass die Regulation des Saure-Basen-Haushalts
eine vitale Bedeutung hat. Die langfristigen Auswirkungen einer Fehlregulation
sind im Wesentlichen Auswirkungen unseres Lebensstils inklusive unserer Ernah-
rungssituation. Die einfachen Mafinahmen zur Gegensteuerung zeigen, dass es
ein leichtes ware, langfristig einen aktiven Beitrag zur Gesunderhaltung zu leisten.
Sauer macht nicht nur lustig, sondern vor allem krank.



Die intestinale Regulation des Saure-Basen-Haushalts



49



Literatur

Buclin T, Cosma M, Appenzeller M et al (2001) Diet Acids and Alkalis Influence Calcium

Retention in Bone. Osteoporos Int, 12: 493-499.
Glaesel KO (1989) Heilung ohne Wunder und Nebenwirkungen, Labor Glaesel Verlag

Konstanz.

Jorgensen HH, Das Kaliummifiverstandnis, Vortrag im Rahmen der medizinischen Woche

Baden-Baden am 2.1 1.1995.
Sander F (1985) Der Saure-Basen-Haushalt des menschlichen Organismus, 2. Auflage,

Hippokrates Verlag.
Stossier H (2003) Praxishandbuch der modernen Mayr Medizin, Haug Verlag.
Untersmayr E, Jensen-Jarolim E et al, Antacid Medication Inhibits Digestion of Dietary

Proteins and Causes Food Allergy: A Fish Allergy Model in Balb/c mice", Journal of

Allergy and Clinical Immunology 2003, 112: 616-23.
Worlitschek M, Mayr P (2001) Der Saure-Basen-Einkaufsfiihrer, Haug Verlag.
Worlitschek M (2000) Der Saure-Basen-Haushalt, 3. Auflage, Haug Verlag.
Worlitschek M (1993) Praxis des Saure-Basen-Haushaltes, 2. Auflage, Haug Verlag.



Kapitel 6

Die extrazellulare Matrix als Attraktor fiir Verschlackungs-
phanomene

Hartmut Heine



Zusammenfassung

Zirkadianrhythmisches Saure-Basen Fluten in der Extrazellularen Matrix stent
miteinander in Riickkopplung als physiologische Basis des Zellstoffwechsels.
Die Extrazellulare Matrix (ECM) ist dabei iiber den Kochsalzkreislauf der
PufFer verbunden, der die Verhaltnisse so aufeinander einstellt, dass der le-
bensnotwendige Leberrhythmus erhalten bleibt. Abweichungen von diesen
Riickkopplungen sind als Ausgangspunkt der Verschlackung der ECM immer
mit einer latenten Azidose verbunden. Messbar ist dies an einem chronisch
saurem pH des Harns. Therapeutisch stent daher exogene Basenzufuhr im
Mittelpunkt.



Bau und Funktion der extrazellularen Matrix

Die extrazellulare Matrix (ECM; Grundsubstanz) ist ein jeder Zelle vorgeschal-
tetes Molekularsieb aus Proteoglykanen/Glykosaminoglykanen (PG/GAGs),
Strukturglykoproteinen (Kollagen, Elastin) und Vernetzungsglykoproteinen (u. a.
Fibronektin, Laminin). Die PG/GAGs sind das strukturelle Grundelement der
ECM. Aufgrund ihrer Negativladungen sind sie zur Wasserbindung und Ionen-
austausch befahigt. Die ECM ist iiber Kapillaren und vegetative Nervenfasern an
das Hormon- und zentrale Nervensystem angeschlossen. Jedes somato-psychische
und psycho-somatische Ereignis spiegelt sich daher in der Organisation der ECM
wieder. Die ECM wird peripher durch Fibroblasten, zentral durch Astrozyten
gebildet. PG/GAGs strukturieren ein poroses Polysaccharidgel mit enormer
Oberflache, wodurch sich aufierordentlich vielfaltige Moglichkeiten zur Bildung
chemischer Verbindungen ergeben. PGs durchsetzen auch die Zellmembran und
kontaktieren dadurch das Zellskelett mit Auswirkung auf das gesamte Zellverhal-
ten. Sie interagieren nicht-kovalent iiber ihre Zuckerseitenketten, wobei ein PG-
Paar in der Lage ist das Gewicht von ca. 1600 Zellen zu halten. Zusammen bilden



52



Hartmut Heine



ECM und Zellen ein viskoelastisches System, das sich bei Einwirkung aufierer
Krafte selbststabilisierend in Ordnung halt („Tensegritat"). Die ECM stellt daher
fur alle extern und intern wirkende Krafte einen Attraktor nach Art gekoppelter
Federn dar wodurch kleine Ursachen sehr grofie Wirkung haben konnen (Heine,
2004).

Durch die Bindung von Kieselsaure (Si) an die PG/GAGs erhalt die ECM
die Funktion einer „Nanokompositenmembran". Dadurch bekommen kleine wie
grofie Molekiile die gleichen Diffusionsmoglichkeiten. Si hat Halbleitereigen-
schaften, die hochgeeignet sind zum Abfangen von Radikalen unter Aussendung
von Photonen. Dadurch werden wiederum alle Zellfunktionen beeinflusst. Die
PG/GAGs - Si Komplexe stellen redoxaktive Makromolekiile dar, die aufieror-
dentlich empfindlich gegen Verunreinigungen sind, wie z. B. Schwermetallionen
aus der Umwelt. Sie werden von einem monomolekular „gespannten" Wasser-
film iiberzogen („stretched water"), dessen Energiestatus viele Katalysen bewirken
kann (Heine, 2004).

Leben bedeutet in individuellen Zeitraumen „Stress" (Beruf, Psyche, Umwelt,
Ernahrung, Altera u. a. m.). Dies fiihrt u. a. zu einem erhohten Katecholamin-
spiegel mit reaktiver qualitativer und quantitativer Veranderung der ECM Kom-
ponenten. Es werden dann u. a. vermehrt Matrix-Komponenten durch aktivierte
proteolytische und hydrolytische Enzyme abgebaut; andererseits PGs syntheti-
siert, die vermehrt Lipide abfangen konnen (z. B. Dermatansulfatprotein) (Heine,
2004). Die Zellen reagieren auf Stress u. a. mit erhohter Bildung von Sauerstoffra-
dikalen (ROS). Dadurch entsteht eine proinflammatorische Situation, die mit Er-
hohung von Akut-Phase Proteinen einhergeht und zu vermehrter Produktion von
Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-a) aus Monozyten/Makrophagen fiihrt. Dies
fiihrt zu Glukoseverwertungsstorungen („Insulinresistenz"), erhohter Labilitat des
Gerinnungssystems, Hyperlipidamie und Neigung zu chronischen Entziindungen
(„metabolisches Syndrom"). Glukoseiiberschuss hat nichtenzymatische Glykosi-
lierungen aller Zuckerkomponenten in der ECM zur Folge (advanced glycation
endproducts, AGEs). Durch ROS werden die AGEs unter Einschluss von Lipiden
zu grofien unloslichen Molekiilen polymerisiert. Dieser als „Verschlackung" der
ECM zu bezeichnende Vorgang miindet in eine positive Riickkopplung mit der
Gefahr der Entwicklung chronischer Krankheiten undTumoren (Heine, 2004).

Ver- und Entschlackung als physiologische Prozesse

Der Begriff „Verschlackung" hat grofie Bedeutung in der Ganzheitsmedizin je-
doch aus Unkenntnis der Grundregulation nicht in der Schulmedizin. Reversible
Ver- und Entschlackung sind jedoch notwendige Teilprozesse des ernahrungs-
und zirkadianrhythmisch bedingten die Homoostase erhaltenden Saure-Basen-
flutens im Organismus (Sander, 1985; Zanderl993; Worlitschek, 2003). Zentrale
Bedeutung kommt dabei dem Kochsalz(NaCl)kreislauf zwischen Magen, Duode-
num, Pankreas, Leber und ECM zu [Abbildung 1 (Sander, 1985; Zanderl993;
Worlitschek, 2003)]. Er ist an die untereinander riickkoppelnden zirkadianrhyth-
misch eingestellten Zeitgeber im Hypothalamus (Nucleus suprachiasmaticus als
„Master Clock") und den dort gelegenen Appetitkontrollzentren (Nucleus arcua-



Die extrazellulare Matrix als Attraktor fur Verschlackungsphanomene



53




latente Azidose
HHN-Achse Hypothalamus-
Hypophysen-
Nebennieren-Achse



Abb. 1: Zentrale Bedeutung des Kochsalzkreislaufes im zirkadianrhythmischen Saure-Basen
Fluten des Korpers



tus) gebunden (Schwartz, 2005). Diese stehen in Verbindung mit der Zirbeldriise
(zirkadiane Melatoninbildung, Schlaf-Wachrhythmus), dem Sattigungszentrum
(parasympathischer Nucleus solitarius) und dem sympathischen Nucleus coeru-
leus („Wunsch nach Wiederholung"). Aus der Peripherie erreichen afferente Va-
gusfasern der Magenwand dem Nucl. solitarius und regen bei leeren Magen das
Hungergefuhl an (Abb. 1) (Sander, 1985; Schwartz, 2005; Zilles, 1993). Auf hu-
moralem Weg wird bei leerem Magen von den Salzsaure-bildenden Belegzellen
(Parietalzellen) der Magenschleimhaut das orexigene (Hunger auslosende) Peptid
Ghrelin gebildet, das aktivierend auf das Appetitzentrum im Nucleus arcuatus
wirkt (Korner, 2003).

Die bei Nahrungsaufnahme aus den Belegzellen der Magendriisen in das Lu-
men freigesetzte Salzsaure (HC1) fuhrt gleichzeitig im basolateralen Driisenzell-
bereich zur Freisetzung einer aquivalenten Menge an basischen Natriumhydro-
genkarbonat (NaHCO,). Es gelangt in die unterlagernden Kapillaren und iiber



54



Hartmut Heine



den Blutweg in die basenabhangigen Darm- und Darmanhangsdriisen (Brunner-
sche- und Lieberkiihnsche Driisen im Duodenum sowie Pankreas und Leber).
Dort wird das NaHC0 3 durch HC1 neutralisiert und gelangt als resynthetisiertes
Kochsalz in den Blutkreislauf zuriick. Darauf stent es erneut den Belegzellen zur
Verfugung (Sander, 1985).

Obwohl Nahrung prinzipiell willkiirlich aufgenommen werden kann, gilt fur
den Menschen, dass er seine Hauptmahlzeit gegen Ende der Tagesmitte (ca. 13
Uhr) einnimmt. Der tiefere Sinn liegt darin, weil synchron mit einsetzender ho-
lier HCL Bildung im Antiport eine maximale „Basenflut" entsteht und diese mit
der endogen bedingten tageszeitlichen „sekretorischen" Phase (etwa 8 bis 19 Uhr)
des zirkadianen Leberrhythmus zusammenfallt. Dabei werden die in der Leber
enzymatisch harnpflichtig gemachten Substanzen, Glukose und synthetisierte
Galle in die Blutbahn bzw. Duodenum abgegeben. Umgekehrt tritt „Basenebbe"
in den Geweben wahrend der „Assimilationszeit" der Leber ein (iiberwiegend 22
bis 6 Uhr), d. h. in der Zeit der Glykogen- und Proteinspeicherung (Heine, 2004;
Sander, 1985; Zander, 1993). Friihstiick und Abendessen unterstiitzen das Basen-
fluten wahrend des Tages, wobei zwischen den Mahlzeiten kurze (ca. 2 Stunden)
Basenebben auftreten.

Der Leberrhythmus ist somit an der Steuerung des Hungergefuhls beteiligt
und wird selbst von der hypothalamischen Master Clock, dem Nucleus suprachi-
asmaticus kontrolliert. Er verfiigt wie alle anderen Zellen auch iiber nichtvisuelle,
Photonen-perzipierende „Uhrproteine", die mit den Uhrproteinen der Leberzel-
len riickkoppeln. Uber die Master Clock werden Veranderungen der Umwelt, vor
allem Lichtverhaltnisse aber auch Temperatur, Verhalten und Ernahrung mit den
Korperzellen synchronisiert (Schwartz, 2005). „Der Leberrhythmus stellt eine „Si-
nuswelle per 24 Stunden" dar, auf der die alimentaren Einwirkungen hochstens
„Obert6ne" verursachen; er kann wie eine Uhr vor- und nachgehen, wie es auch
Morgen- und Abendmenschen gibt" (Sander, 1985). Bei langerem Aufenthalt in
Breiten mit z. B. entgegengesetzten Lichtverhaltnissen wird der Zirkadianrhyth-
mus allmahlich darauf eingestellt (Sander, 1985).

Rhythmisches Basenfluten ist notwendig, weil das dabei im Uberschuss auf-
tretende NaHC0 3 die in der ECM vor allem an Kollagenfasern haftenden sauren
Zellstoffwechselprodukte (Schlacken) wieder losen und neutralisieren kann, un-
terstiitzt von den in den Wasserdomanen der PG/GAGs gelosten Puffersystemen.
Die Schlacken werden in den Kreislauf gebracht, von der Leber „assimiliert",
harnpflichtig umgebaut und iiber die Nieren unter Riickgewinnung von Natri-
umionen ausgeschieden. Dabei wird iiberschiissiges Natrium der Basenflut mit
ausgeschieden wodurch der Harn basisch mindest jedoch neutral wird (Sander,
1985; Zander, 1993; Worlitscheck, 2003).

Die Basenebbe wahrend der nachtlichen assimilatorischen Leberphase fiihrt da-
gegen bei gleichzeitiger Glykogenspeicherung zum „Austreiben" zellularer Abbau-
produkte in die ECM, wo sie von den dort vorratigen Puffern neutralisiert werden
und nach Abgabe in das Blut direkt iiber die Niere unter maximaler Natrium-
riickgewinnung (zur Regeneration der Puffer) ausgeschieden werden. Dadurch
wird der Nachtharn im Unterschied zum Tagharn sauer (Sander, 1985; Zander,
1993; Worlitscheck 2003). Eine Saureflut gibt es daher nur im Harn, im Orga-
nismus entspricht ihr eine Basenebbe (Sander, 1985). Saurer Harn reprasentiert



Die extrazellulare Matrix als Attraktor fur Verschlackungsphanomene



55



eine verminderte Alkalireserve in der ECM der Gewebe aber keine freien Sauren.
Praktisch lassen sich Basenfluten und Basenebben am besten aus dem Harn-pH
messen (Sander, 1985).

Verschlackung der ECM

Viele Lebensumstande z. B. basenarme Ernahrung („fast und junk food") wie
auch Krankheiten, speziell chronische, fuhren zu einer erhohten Sympathikusak-
tivitat mit vermehrter Entziindungsbereitschaft und latenter Azidose. Die dabei
aus Makrophagen und Granulozyten freigesetzten Entziindungsmediatoren, vor
all em die Zytokine TNF-alpha, IL-1 und IL-6 fuhren zu einer erhohten Aktivitat
proteolytischer und hydrolytischer Enzyme in der ECM, unterstiitzt von Seiten
der Leber u. a. durch erhohte Produktion von Akut-Phase Proteinen, die wieder-
um die proinflammatorische Reaktion verstarken (Sander, 1985; Heine, 2003;
Berg, 2005). Die vermehrt anfallenden sauren Stoffwechselprodukte schopfen
zunehmend die Pufferreserven aus, sodass sie selbst bei Basenfluten nicht aus-
reichend regenerieren konnen. Die unter diesen Bedingungen notwendige nahe-
zu vollstandige Riickresorption von Basenaquivalenten durch die Nieren lassen
im Harn kein Saure-Basenfiuten mehr erkennen, der Harn bleibt sauer (Sander,
1985; Zander, 1993; Worlitscheck 2003). Fur die ECM bedeutet dies, dass die
zirkadianrhythmische Aufnahme, Speicherung und Abgabe von Stoffwechselpro-
dukten gestort wird. Denn das Ablosen der an Kollagen und PG/GAGs gebun-
denen vermehrt anfallenden sauren Molekiile und ihre Neutralisierung durch
Alkalipuffer kann nicht mehr ausreichend erfolgen. Die ECM beginnt nun unter
dem Bild einer latenten Azidose zu verschlacken. Letztlich werden die nicht mehr
von den ECM Komponenten bindbaren und auch nicht ausreichend pufferbaren
Sauren ins Blut verschoben (z. B. Ketosauren beim Diabetiker), wo sie dann die
Pufferkapazitaten des Blutes belasten (Sander, 1985).

Die Tensegritat der ECM wird dadurch ebenfalls verschlechtert, wodurch
spannungssensitive Gene der Bindegewebszellen aktiviert werden, die u. a. Ma-
krophagen zu weiterer Bildung proinflammatorischer Zytokine und Fibroblasten
zur Synthese inadaquater ECM Komponenten wie zu stark saurebindendes Kol-
lagen und schlecht vernetzte PG/GAGs anregen. Inadaquat heifit „situationsge-
recht" da die ECM Synthese ohne Unterscheidung von „Gut und Bose" erfolgt
(Heine, 2004). Damit verschlechtert sich die Funktion der ECM als Molekular-
sieb und eigentlicher Regulator des Zellstoffwechsels. In der Folge entwickeln sich
eine Vielfalt vegetativer, funktioneller und psychischer Symptome ohne eindeu-
tige Hinweise auf deren Ursachen (Sander, 1985; Berg, 2005).

Therapeutische Moglichkeiten

Das Krankheitsbild der „latenten Azidose" stimmt auffallig mit Syndromen iiber-
ein, die stark von individuellen Gegebenheiten gepragt und nicht kausal fassbar
sind, wie das chronische Miidigkeitssyndrom, depressive Verstimmung, viszerale
Hyperalgie, Fibromyalgie, multiple Chemikaliensensivitat, Dysmenorrhoe, post-



56



Hartmut Heine



traumatisches Syndrom und Zwangsstorungen (Sander, 1985; Berg, 2005). Die-
se Patienten stellen fur den praktischen Arzt eine erhebliche vor allem zeidiche
Herausforderung dar, insbesondere weil er sich nicht auf zuverlassige diagnosti-
sche Kriterien stiitzen kann. Prinzipiell werden aber auch alle ursachlich fassbaren
chronischen Krankheiten von einer latenten Azidose begleitet („Begleitazidose")
(Sander 1985; Heine, 2004).

Ursachen einer latenten Azidose sind pathologische Saurebildung im Organis-
mus und/oder Basen-Mangelversorgung (Sander, 1985). Auf latente Azidose zu
priifen ist meist nicht bekannt oder wird vernachlassigt, obwohl z. B. bereits ein
einfacherTest des Harn-pH mittels pH-Papier wichtige Hinweise geben kann (zur
Praxis der Priifung auf latente Azidose s. Sander (1985), Worlitschek (2003)).

Wenn auch die Behandlung der Grundkrankheit im Mittelpunkt steht, darf
keinesfalls vergessen werden eine antazidotische Behandlung mit einzubeziehen
(Korner, 2003, Heine, 2004). Denn keine Therapie erzeugt per se basische Va-
lenzen, sie miissen exogen durch fixe Basen (NaHC0 3 ) direkt und/oder Voll-
wertkost zugefiihrt werden. Dazu gehort auch korperliche Bewegung um die
aus NaHC0 3 und HC1 entstehende Kohlendioxyd besser abatmen zu konnen
(Korner, 2003). Stressabbau ist ebenfalls zum Abbau der proinflammatorischen
Situation im Organismus notwendig (Heine, 2004; Berg, 2005). Je starker eine
Azidose ist und je langer sie bereits besteht umso weniger disponible Basen sind
noch vorhanden, entsprechend hoher muss die Basenzufuhr sein. Ob eine „Um-
stimmung" erfolgt, kann wiederum leicht aus dem pH-Tagesprofil des Harns er-
sehen werden.



Literatur

Berg PA (2005) Neuroimmunologische Aspekte funktioneller somatischer Syndrome.

Dtsch Med Wochenschr 130: 107-113.
Heine H (2004) Grundregulation — eine Synthese medizinischen Denkens. Dt Ztschr f

Akup 47: 7-19.

Korner J, Leibel RL (2003) To eat or not eat - how the gut talks to the brain. N Engl J
Med 349: 926-928.

Sander FF (1985) Der Saure-Basenhaushalt des menschlichen Organismus. 2. Aufl. Hip-

pokrates Verlag, Stuttgart.
Schwartz MW, Porte DJr (2005) Diabetes, obesity, and the brain. Science 307: 375-389.
Worlitschek M (2003) Die Praxis des Saure-Basen-Haushaltes. 5. Aufl. Haug, Stuttgart.
Zander R (1993) Physiologie und Klinik des extrazellularen Bikarbonat- Pools: Pladoyer

fur einen bewussten Umgang mit HCO v Infusionstherapie, Transfusionsmedizin; 20:

217-235.



Kapitel 7

Kann Ubersauerung laborchemisch gemessen werden?

Manfred Herold



Zusammenfassung

Ubersauerung ist in der ganzheitsmedizinischen Beurteilung von Personen ein
haufig verwendeter Begriff und dient der Erklarung verschiedener Mifiemp-
findungen und Krankheitssymptome. Eine genaue BegrifFsbestimmung fehlt,
ebenso wie eine genaue Definition, in welcher Korpersubstanz eine Ubersau-
erung gemessen werden konnte.

Die Bestimmung des Sauregehalts in einer Fliissigkeit ist mefkechnisch
einfach. Die Sinnhaftigkeit einer physikalisch-chemischen Bestimmung des
Sauregehalts in Korperfliissigkeiten zur Beurteilung einer Ubersauerung im
ganzheitsmedizinischen Sinn ist fraglich, da PufFersysteme den Sauregehalt in
alien Korperfliissigkeiten in einem mit dem Leben vereinbaren Bereich kon-
stant halten. Schwankungen innerhalb dieses Bereichs entsprechen physio-
logischen, meist tageszeitlich bedingten Anderungen die grofier sind als jene
Verschiebungen, wie sie durch eine angenommene Ubersauerung des Korpers
erfolgen konnten.



Ubersauerung ist in der Ganzheitsmedizin ein haufig verwendeter BegrifF zur Be-
schreibung von Missempfindungen und Fehlreaktionen des Korpers, wobei eine
genaue BegrifFsbestimmung Fur den Ausdruck Ubersauerung bisher noch nicht
vorliegt. Bei Suche in der am meisten verwendeten elektronischen Suchmaschi-
ne Google (Februar 2005) wurden innerhalb von 0,106 Sekunden circa 85.700
Zitate geFunden, die den BegrifF Ubersauerung enthalten. Bei neuerlicher Suche
nach einer Definition Fur Ubersauerung wurde ein einziges Zitat angezeigt, das
Ubersauerung als deutsche Ubersetzung fur den pathophysiologischen Ausdruck
Azidose angibt.

Aus chemischer Sicht bedeutet Ubersauerung einen Uberschuss an Saure. Fur
den BegrifF der Saure gibt es mehrere chemische Formulierungen, wobei die ein-
fachste Definition zuriickgeht auf Svante August Arrhenius, schwedischer Physi-
ker und Nobelpreistrager fur Chemie 1903, und Sauren als Substanzen bezeich-



58



Manfred Herold



net werden, die in wassriger Losungen H + -Ionen freisetzen (Herold und Welzl
1987).

Wasser ist das wesentliche Element fur Leben und der Hauptbestandteil des
menschlichen Korpers. Wasser in der chemischen Formel H 2 0 spaltet sich in sehr
geringem Ausmass in H + - und OFTTonen. Im neutralen Zustand liegen gleich
viel H + wie OFT-Ionen vor (Abbildung 1). Um umstandliche Schreibweisen mit
negativen Hochzahlen und komplizierten Konzentrationsangaben zu vermeiden,
hat man sich auf die einfache Schreibweise in Form des pH-Wertes geeinigt. Der
pH-Wert ist der negative dekadische Logarithmus der Wasserstoffionenkonzen-
tration und damit ein Mai? fur die sauren oder basischen Reaktion einer Losung.
Der Begriff pH leitet sich von pondus Hydrogenii oder potentia Hydrogenii (la-
teinisch pondus = Gewicht; potentia = Kraft; hydrogenium = WasserstofF) ab (En-
zyklopadie Wikipedia 2005).

Im wassrigen Medium bewegt sich die pH-Skala zwischen Werten von 0 bis
14. Rein rechnerisch kann der pH-Wert einer Losung den definierten Bereich
selbstverstandlich unter als auch iiberschreiten. Eine hochkonzentrierte starke
Saure wie zum Beispiel konzentrierte Salzsaure hat theoretisch berechnet einen
negativen pH-Wert (Tabelle 1). Praktisch werden aber Werte aufierhalb des Be-
reichs von 0 bis 14 nicht angegeben, da bei solchen Konzentrationen die Bedin-
gungen nicht mehr gegeben sind, die das Vorliegen einzelner Ionen ermoglichen
und damit die Basis bilden zur pH-Berechnung.

pH Messen ist aufierst einfach und kann zum Beispiel mit Hilfe von Farbstof-
fen erfolgen, die auf eine Anderung des pH-Werts durch Farbumschlag reagieren.
Das bekannteste Beispiel ist die Substanz Lackmus. Andere pH Indikatoren sind
zum Beispiel Methylorange, Kongorot oder Phenolphtalein. Im taglichen Leben
machen wir haufig die Erfahrung einer einfachen pH Indikation. Wenn man in
eine Tasse mit schwarzen Tee einen Tropfen Zitrone eintropft beobachtet man
rasch eine Hellverfarbung des vormals dunklen Tees. Die Ursache ist nicht der
Verdiinnungseffekt durch den Tropfen Zitronensaure, sondern die Farbanderung
des Schwarztees durch die pH-Anderung derTeelosung. Andere praktisch einfach
durchzufiihrende Messungen zur Ermittlung des pH-Werts niitzen die Anderung
einer elektrochemischen Spannung durch pH-Anderung der Mefilosung aus.

Korperfliissigkeiten und andere Fliissigkeiten, die als Nahrungsmittel aufge-
nommen werden, bewegen sich in einem relativen schmalen pH-Bereich (Tabel-

H 2 0 ~ FT + OFT

[PT] = [OH-] = 10- 7 mol/l
pH =pOH = 7

H 2 0 hat pH = 7

Abb. 1: Dissoziation des Wassers in H + und OH" Ionen. Die Konzentration der H* und OH~
Ionen ist in neutralem Wasser gleich und betragt bei Zimmertemperatur 1(T 7 mol/1.
Zur einfachen Schreibweise wurden die Bezeichnungen pH und pOH eingefiihrt, de-
ren Wert sich aus dem negativen dekadischen Logarithmus der zugehorigen Konzent-
rationen ergibt.



Kann Ubersauerung laborchemisch gemessen werden?



59



Losung


pH


Losung


pH


Salzsaure 35%


-1


reines Wasser


7


Salzsaure 3,5%


0


Blut


7,4


Salzsaure 0,35%


1


Galle


8


Magensaft


2


Diinndarmsekret


8


Speisessig


3


Waschmittellosung


10


Wein


4


Ammoniak konzentriert


12


Kaffee


5


Natronlauge 3%


14


Speichel


6


Natronlauge 30%


15



Tab. 1: Beispiele fur pH-Werte in verschiedenen bekannten Fliissigkeiten



le 1). Als Beispiel fur ein aufierst saures Milieu ist Magensaure mit einem pH von
ungefahr 2, im Gegensatz dazu hat Darmsaft ein alkalisches Milieu mit einem
pH-Wert von ungefahr 8. In der pH-Wertskala ist der Sprung zwischen Ma-
gensaure und Magendarmsaft 6 Einheiten, rechnerisch gesehen in mmol/1 aus-
gedriickt liegt aber die H + Ionenkonzentration im Magensaft um 1.000.000 mal
hoher als im Darmsaft.

In biologischen Fliissigkeiten (Wissenschaftliche Tabellen Geigy 1977) wird
der pH-Wert in einem aufierordentlich schmalen Bereich konstant gehalten (Ta-
belle 2). Fur einen konstanten pH-Wert in den unterschiedlichen Korperfliissig-
keiten sorgen Puffersysteme. Chemische Puffersysteme sind Kombinationen von
schwachen Sauren oder schwachen Laugen mit deren Salzen, die einen Uber-
schuss von H + oder OFT-Ionen abfangen und dadurch den pH-Wert konstant
halten konnen. Die effizientesten Puffersysteme im Blut sind der Kohlensaure-
Bikarbonatpuffer, das Hamoglobin in den Erythrozyten, die Plasmaproteine im
Serum und der Phosphatpuffer.

Neben den Puffersystemen sorgen die inneren Organe ebenfalls fiir eine Kon-
stanthaltung des pH-Wertes. Die Lunge hat neben der Sauerstoffaufnahme als



Blut arteriell


7,37 - 7,45


Intrazellulare Fliissigkeiten


6,9 - 7,2


Harn


4,5- 8,2


Speichel


5,8- 7,1


Galle


6,5- 8,6


Pankreassaft


7,0- 8,8


Fazes


5,9 - 9,4


Tranenfliissigkeit


7,2- 8,2


Synovialfliissigkeit


7,3- 7,6



Tab. 2: Beispiele fiir pH-Werte in verschiedenen Korperfliissigkeiten



60



Manfred Herold



Hauptfunktion die Abatmung der fliichtigen Saure C0 2 . Ein Ansteigen von C0 2
in wassriger Losung, wie es zum Beispiel das Blutserum ist, fiihrt zur Bildung
von Kohlensaure (H 2 C0 3 ) und damit zu einem Abfall des pH-Wertes. Umge-
kehrt wiirde eine Verminderung des C0 2 Gehalts zu einer Verminderung der
Kohlensauregehalts und damit zu einem Anstieg des pH-Werts in den alkalischen
Bereich fiihren. Anderungen des pH-Wertes werden iiber Chemorezeptoren im
Bereich des Glomus caroticum des zentralen Nervensystems registriert und mit
einer Anderung der Atemfrequenz ausgeglichen. Ein Abfall des pH-Werts fiihrt
zu einer Steigerung der Atmung, ein Anstieg des pH-Wertes in den alkalischen
Bereich verlangsamt die Atemfrequenz. Die nichtfliichtigen Sauren werden in der
Hauptsache iiber die Nieren geregelt, wo renal tubulare Mechanismen die Pro-
tonenausscheidung in den Urin beeinflussen. Die Ausscheidung erfolgt entwe-
der nach chemischer Bindung von H + -Ionen an Ammoniak (ca. 50 mmol/Tag),
durch Ausscheidung mit Hilfe von Phosphationen (ca. 20 mmol/Tag) oder durch
direkte Exkretion von Protonen (ca. 0,1 mmol/Tag). Im Bedarfsfall kann die
Nierenexkretion von Sauren bis zum 6-fachen gesteigert werden. Auch die Leber
tragt zur pH-Stabilisierung im Blut bei. Aus HC0 3 ~ und NH 4 + wird in der Leber
Harnstoff synthetisiert, der iiber den Urin ausgeschieden wird. Eine Abnahme der
Harnstoffsynthese fiihrt zu einer Einsparung von HC0 3 ~. Daher wird bei Azido-
sen die Harnstoffsynthese gehemmt, bei Alkalosen gesteigert. Aufierdem werden
Protonen bei der Bildung von Glukose aus Laktat verwertet. Aus 2 Laktationen
wird unter Verbrauch von 2 H + -Ionen ein Molekiil Glukose gebildet.

Falls die Ubersauerung des Korpers im eigentlichen Sinne auch eine Ansamm-
lung von H + -Ionen im Korper bedeutet, so sollte es rein technisch sehr einfach
sein, diesen Saureiiberschuss zu messen. Die Frage ist allerdings, in welchen Me-
dium der UberschuB an H + -Ionen gemessen werden sollte. Im Serum wird der
pH-Wert auf engsten Raum konstant gehalten, grobere Abweichungen sind mit
dem Leben nicht vereinbar. Eine Ubersauerung kann sich nicht im Serum wie-
derspiegeln.

Sieht man nochmals nach in der Suchmaschine Google, in welchen Medien
Ubersauerung gemessen wird, so steht als haufigste Anmerkung die Bestimmung
des Sauregehaltes im Harn. Eine pH-Wert Messung im Harn ist messtechnisch
aufierst einfach. Normalerweise schwankt der pH-Wert im Harn zwischen 4,5
und 8,0 (Thomas 1998). Genaue Messungen zeigen deutlich, dass der pH-Wert
im Harn einer tageszeitlichen Schwankung unterliegt. Diese hangt sowohl von der
Nahrungsaufnahme als auch von korperlichen Aktivitaten ab. Die Bestimmung
der H + -Ionenkonzentration im Harn gibt einzig und allein Auskunft iiber die H + -
Ionenausscheidung seit dem letzten Urinieren, aber keinerlei Auskunft iiber den
Sauregehalt des Korpers und lasst aus chemischer Sicht keinen Riickschluss zu im
Bezug auf mogliche Uber- oder Untersiiuerung des Korpers. Alternativ steht oft
die Uberlegung, dass eine Ubersauerung durch Bestimmung des pH-Werts im
24 Stunden Sammelharn durchgefiihrt werden sollte. Abgesehen von der miih-
seligen Harnsammlung, ist die pH-Wertmessung in 24 Stunden ebenso einfach
wie im Spontanharn. Der Vorteil liegt in der langeren Sammelperiode und damit
sicherlich in einer integrativeren und iiber den Tag verteilten Durchschnittsaus-
scheidung von Saure, durch die einzelne Spontanschwankungen nicht zur Gel-
tung kommen. Es muss allerdings bedacht werden, dass wassrige Losungen bei



Kann Ubersauerung laborchemisch gemessen werden?



61



langerem Stehen im Raum den pH-Wert immer in Richtung niedrigerer pH-Wer-
te verandern. Die Ursache liegt in der Absorption von C0 2 aus der umgebenden
Raumluft. Dadurch wird der Vorteil der langeren Sammelperiode durch die nicht
zu verhindernde Veranderung des pH-Werts durch das Stehen lassen wieder aus-
geglichen. Die Messung des pH-Werts sowohl im Spontan- als auch im 24-Stun-
denharn kann daher nicht ein Mafi fur die Ubersauerung im Korper sein.
Es bleibt daher die Frage, ob Ubersauerung laborchemisch iiberhaupt bestimmt
werden kann. In der ganzheitsmedizinischen Betrachtungsweise ist der Begriff
Ubersauerung eher ein funktionell deskriptiver Begriff ohne strenge Definition.
Somit liegen weder Typisierungen vor, in welchem Medium der pH-Wert erfasst
werden sollte, noch Normwerte aus deren Bezugnahme eine Uber- oder Unter-
sauerung definiert werden konnte. Somit muss aus laborchemischer Sicht eindeu-
tig der Schluss gezogen werden, dass eine objektive Messung einer Ubersauerung
nicht moglich ist.

Literatur

Herold M, Welzl E (1987) Grundriss der allgemeinen und organischen Chemie. Verlag
Dieter Goschl Wien.

Thomas L (1988) Labor und Diagnose, 5. Auflage. TH-Books Verlagsgesellschaft mbH,

Frankfurt/Main, Deutschland.
Wikipedia Enzyklopadie (2006) http://de.wikipedia.org/wiki

Wissenschaftliche Tabellen Geigy (1977) Teilband Korperfliissigkeiten, 8. Auflage. Ciba-
Geigy AG Basel, Schweiz.



Kapitel 8

Die Saurebasen-Analyse nach Jorgensen und Stirum

John van Limburg Stirum



Zusammenfassung

Immer wieder wird man in der Praxis mit der Problematik des Saurebasen-
haushaltes konfrontiert. Es sind vor allem Patienten mit chronischen Krank-
heiten, Befindlichkeitsstorungen, oder aber auch Gesundheitsbewusste, die
sich mit diesem Thema sowohl diagnostisch wie auch therapeutisch ausein-
andersetzen. Hier sind wir als Arzte und Therapeuten gefordert, eine sichere
Evaluation und Beratung anzubieten. Bei tausenden von Patienten hat sich
als zuverlassigstes diagnostisches Instrument die Bluttitration nach Jorgensen
und Stirum erwiesen. Dadurch lasst sich nicht nur den Saurebasenstatus dif-
ferenziert analysieren und kontrollieren, sondern es lassen sich zudem sowohl
Hinweise gewinnen iiber den Sauerstoff-StofFwechsel wie auch iiber die Not-
wendigkeit diverser orthomolekularer Supplemente.



Diverse Verfahren haben sich eingebiirgert, um eine Ubersauerung zu diagnosti-
zieren. Weitaus am haufigsten ist die Urin-pH-Messung anzutrefFen. Kenner der
Saurebasen-Biochemie wissen nur zu gut, dass diese Methode keine zuverlassige
Aussage bieten kann, da die normale Nierenfunktion gerade darin besteht, Sau-
ren auszuscheiden. Entsprechend werden die „Saure-Angste" nur unverhaltnismassig
geschurt, statt den Saurebasenhaushalt (SBH) objektiv zu erfassen. Eine pH-Bestim-
mung alleine sagt auch deshalb sehr wenig iiber den SBH aus, weil damit nur
freie Protonen gemessen werden, die viel grossere Gruppe der gebundenen Sauren
jedoch nicht. Dazu eignet sich hingegen die Urintitration nach Sanders und Gla-
sel. Zwar kann damit auf eine metabolische Azidose hingewiesen werden, aber bei
Alkalosen und vorbestehenden Nierenkrankheiten wird die Methode unzuver-
lassig. Kein Wunder musste sich in den Spitalern die arterielle Blutgasanalyse als
Analysenstandard etablieren, bei der der Saurebasenhaushalt aus dem pH-Wert
und dem Kohlensaurepartialdruck des Vollblutes untersucht wird. Eine Standar-
disierung erfolgt durch die Verwendung von arterialisiertem Blut, sowie durch
die Umrechnung auf einem pC0 2 von 40mmHg bei 37° Celsius. Zudem messen



64



John van Limburg Stirum



die modernen Geraten automatisch. Auf diese weise ist das Resultat unabhangig
von der Bedienung. Andererseits ist nicht unproblematisch, immer eine Arterie
punktieren zu miissen, zudem bleibt dieses Verfahren grosseren Zentren vorbe-
halten. Die Ergebnisse sind auch nicht immer eindeutig zu interpretieren. Das
wichtige Bicarbonat wird nicht direkt gemessen sondern aus dem pH und dem
pC0 2 berechnet und verbirgt damit eine doppelte Fehlerquelle. Zudem vertritt
das Bicarbonat lediglich ca. 50% aller Plasmabasen.

Die Kontrollierte Saurebasentherapie (KST)

Es ist dem Forscher Hans Heinrich Jorgensen zu verdanken, dass wir heute auch
fur die tagliche Praxis eine Methode zur Verfugung haben, um den Saureba-
senhaushalt zu erfassen. Nach einer venosen Blutentnahme morgens niichtern,
titrierte er Vollblut und Plasma mit Salzsaure bis zum pKs 6.1, dem pKs der
Kohlensaure herunter. Nun nach eigener iiber lOjahriger intensiven Forschung,
Weiterentwicklung und Praxiserprobung hat sich die Auswertung als wesentlich
komplexer herausgestellt als urspriinglich angenommen. Inzwischen sind jedoch
diese Erkenntnisse in die Methode mit eingeflossen, womit sie zu einer unver-
zichtbaren Analyse fur jeden geworden ist, der sich um eine seriose Evaluation
und Behandlung des SBH bemiiht (Kontrollierte Saurebasen-Therapie).

Erfolgt die Titration manuell, was heute noch am haufigsten anzutreffen ist,
wird menschliches Geschick abverlangt, sie wird aber von den Laborantinnen mit
Freude und Begeisterung durchgefiihrt. Eine automatische Titration ist inzwi-
schen ebenfalls erhaltlich, jedoch wegen den hoheren Anschaffungskosten eher
den Kliniken und grosseren Zentren vorbehalten. Inspirierend sind neben der
guten Reproduzierbarkeit sowohl die wichtigen therapeutischen Hinweise wie
auch die Patientencompliance, die durch das iiberzeugende und verstandliche
Analysenergebnis beachtlich gefordert wird. Der Laboraufwand ist verhaltnis-
massig gering und die Anschaffungskosten der manuellen Titration erstaunlich
niedrig, verglichen mit dem Nutzen fur die Praxis und die Patienten. Eine Mes-
sung dauert ca. 15-20 Minuten. Dank dem Computerprogramm Buffy 18 (Fa.
www.komstar.ch) liegen die Ergebnisse der fertigen Analyse mit alien Berech-
nungen und Therapieempfehlungen innert Kiirze per Knopfdruck in Papierform
vor.



Die Titration

Zuerst werden 2ml Vollblut und anschliessend 2ml Plasma in Schritten von 0,2N
HC1 auf einen Wert unter pH 6.1 titriert. Weil sich das Blut bei verschiedenen
Temperaturen anders verhalt, muss die Messung thermostatisiert in einem Was-
serbad bei 37° Celsius erfolgen. Die Messpunkte werden entweder in einem Ko-
ordinatensystem von Hand aufgezeichnet oder per Computerprogramm (mit au-
tomatischer Regressionsanalyse) erfasst. Jorgensen definierte die Pufferkapazitat
Vollblut und Plasma als die Schnittpunkte mit der horizontalen x-Achse durch
den pH-Wert von 6.1.



Die Saureb as en-Analyse nach Jorgensen und Stirum



65



Der PlasmapufFer

Die x-Koordinate, dort, wo sich die Plasma-Titrationskurve mit der pH-Achse
6.1 schneidet, ergibt den Wert fiir den PlasmapufFer. Dieser ist abhangig von der
Menge an Phosphat, Bicarbonat und Proteinen. Organische und anorganische
Sauren wie Milchsaure, Ketosauren, Sulfate oder Chloride werden mit ihren nied-
rigen pKs-Werten unter 4 mittels Titration zwar nicht erreicht, aber auf Grund
des Gesetzes der Elektroneutralitat eine Konzentrationsanderung der messbaren
Anionen hervorrufen.

Der Vollblutpuffer

Die Titration des Vollblutes erfasst neben den Plasmakomponenten noch zu-
satzlich den Hamoglobinpuffer sowie das intraerythrozytare Phosphat und das
Bicarbonat.

Der Intraerythrozytiirpuffer

Unter Einbezug des Hamatokritwertes wird aus der Differenz der Schnittpunkte
des VollblutpufFers mit dem PlasmapufFer die intraerythrozytare Pufferkapazi-
tat berechnet. Wird zusatzlich auf einen theoretischen Hamatokrit von 100%
(«IEP100%Hk») extrapoliert, erhalten wir eine hamatokritunabhangige Stan-
dardisierung, die auch Verlaufskontrollen wie auch statistische Vergleiche ermog-
licht. Die IEP100%Hk hat sich zudem als Mass fiir den Bohr-Haldane-Effekt
(physiologische Verschiebung der Sauerstoffdissoziationskurve) herausgestellt.
Eine niedrige Pufferkapazitat bedeutet, dass der Sauerstoff des Hamoglobins be-
reits weitgehend durch Protonen ausgetauscht wurde. Gleichzeitig wird zudem
intraerythrozytares Bicarbonat durch Plasma-Chloridionen ersetzt. Hohe Puffer-
kapazitaten weisen sinngemass auf das Gegenteil hin, namlich auf eine noch gute
Sauerstoffsattigung. Damit wird erstmals mit einer Routineuntersuchung auf die
Lage der Sauerstoffdissoziationskurve hingewiesen.

Die Sauerstoffabgabe an das Gewebe

Ein gesunder Stoffwechsel mit einem hohen Wirkungsgrad erbringt ein Maxi-
mum an Leistung bei einem Minimum an ausscheidungspflichtigen Substanzen.
Dieser Anspruch wird durch die aerobe Energiegewinnung optimal erfiillt, ver-
gleicht man die pro Glukosemolekiil gewonnenen 38 ATP mit den 2 ATP unter
anaeroben Bedingungen. Meistens steht jedoch ausreichend Sauerstoff zur Verfii-
gung, steigt mit dem Hamoglobin die Transportfahigkeit des Blutes auf gewaltige
200ml Sauerstoff pro Liter. Wurde das Hamoglobin sein gefahrliches und im Plas-
ma kaum losliches Gut unkontrolliert «abstossen», waren todliche Luftembolien
unabwendbar. Aus diesem Grund muss der Hamoglobin-Sauerstoff vom Gewebe
bedarfsgerecht «geholt» werden. Eine wichtige Voraussetzung dazu ist die kon-



66



John van Limburg Stirum



trollierte Lageanderung der SauerstofFdissoziationskurve (SDK). Sie wird durch
lokale Gewebe-Ansauerung, steigende Temperatur und hohe pC0 2 nach rechts in
die „Sauerstoffabgabeposition" verschoben. In der Lunge, wo das Milieu basischer
ist, wird das Verhalten entgegengesetzt sein. Es kommt zu einer Linksverschie-
bung, bei der der Sauerstoff an Hamoglobin stark gebunden wird. Iatrogen kann
ein ahnlicher Zustand auch im Gewebe eintreten, falls traditionelle Entsauerungs-
rituale unkontrolliert praktiziert wiirden. Die Folge: Mehr Garung und weniger
Energie. Das entstehende Laktat wird aber meistens in der Lage sein, die erzeugte
Alkalose regulatorisch wieder auszugleichen.

Der Sauerstoff- Utilisations-Index (SUI) nach Stirum

Bei einem aeroben Stoffwechsel sauert das freigesetzte und zu Kohlensaure hydra-
tisierte Kohlendioxyd die Erythrozyten an. Das entstehende Bicarbonat wird mit
Hilfe eines Antiportsytems durch Chlorid im Plasma ausgetauscht. Das heisst,
dass wahrend die Erythrozyten angesauert werden, gleichzeitig das Plasma alkali-
siert wird. In einer eigene Studie, in der Plasmapuffer (PP) und der standardisierte
Intraerythrozytarpuffer (IEP100%) sowohl arteriell wie auch venos miteinander
verglichen wurden, konnte dieser Tatbestand ausnahmslos bestatigt werden. Bei
anaerobem StofFwechsel treffen wir umgekehrte Verhaltnisse an. Dies ermoglicht
uns einen spannenden Einblick in die allgemeine Sauerstoffverwertung. Der Para-
meter dafur ist der Sauerstoff-Utilisations-Index, SUI, und entspricht dem Quo-
tienten: PP / IEP100%. Je hoher umso niedriger sind die Sauerstoffreserven bzw
umso mehr Sauerstoff wurde tendenziell verbraucht. Das wird auch bei systemisch
entziindlichen und oxidativen Prozessen angetroffen. Ein niedriger SUI bedeutet
hingegen hohe Sauerstoffreserven bzw. einen tiefen allgemeinen Sauerstoffver-
brauch und wird nicht nur bei gut trainierten Sportlern beobachtet sondern auch
bei allgemein degenerativen und stoffwechsel-verlangsamenden Prozessen bis hin
zu fortgeschrittenenTumorerkrankungen. Unter diesem Blickwinkel hilft der SUI
damit auch bei der Entscheidung, ob bei einem Patienten antioxidative oder pro-
oxidative Therapiemassnahmen gewahlt werden sollen.

Saurebasen-Lage

Fur die primare Beurteilung des Saurebasenhaushaltes liefert uns die Analyse
den Ausgangs-pH-Wert des Vollblutes sowie den Plasmapuffer. Diese werden in
einem Koordinatensystem eingebettet, um die Saurebasenlage optisch darzustellen
(s. Patientenbeispiele). Liegt das kleine Quadrat im mittleren weissen Feld, ist der
Saurebasenhaushalt optimal kompensiert, was aber nicht gleichbedeutend ist mit
normalen Pufferreserven oder normalen SUI. Dafur ist zusatzlich die Balkengra-
phik (vor allem Base Excess) zu konsultieren.

Grundsatzlich konnen folgende Saurebasen-Szenarien unterschieden werden:

• Normaler Blut-pH und PP = optimale Kompensation

• Tiefer Blut-pH und tiefe PP = metabolische Azidose



Die Saureb as en-Analyse nach Jorgensen und Stirum



67



Tiefer Blut-pH und hohe PP = respiratorische Azidose
Hoher Blut-pH und tiefe PP = respiratorische Alkalose
Hoher Blut-pH und hohe PP = metabolische Alkalose



H 2 C0 3

Aus dem PP lasst sich das „erwartete H 2 C0 3 " bei Kompensation abschatzen. Ent-
spricht dies dem gemessenen Wert, konnen wir eine zusatzliche respiratorische
Beeintrachtigung ausschliessen.
Vollblut-pH hoch und

• H 2 C0 3 hoch: Metabolische Alkalose und respiratorische Azidose

• H 2 C0 3 tief: Kombinierte Alkalose

Vollblut-pH niedrig und

• H 2 C0 3 hoch: Kombinierte Azidose

• H 2 C0 3 tief: Metabolische Azidose mit respiratorischer Alkalose



Patientenbeispiele

V.B., Jg.1946
Brechdurchfall, Noravirus

Deutliche metabolische Alkalose, hoher SUI als Zeichen der Entziindung




Abb. 1: Der griine Saurebasen-Lagepunkt weist auf eine dekompensierte metabolische Alkalo-
se hin. Der geringe Ausschlag der Atmungsgraphik lasst vermuten, dass keine wesent-
liche respiratorische Komponente vorliegt. (Salzsaurezugabe in mmol/L)



68



John van Limburg Stirum



INITIALE

POLY- LINKS- SUI DEKOMP. BASE SAURE

GLOBULIE VERSCHIEBUNG AEROB ALKALOSE EXCESS RESISTENZ




Abb. 2: Balken nach oben haben alkalischen, nach unten sauren Charakter.



2 Wochen spater, keine spezifische Behandlung




0 10 20 30 40 SO 60

Salzsjture-Zugabe



Abb. 3: Der Saurebasenhaushalt hat sich nach zwei Wochen spontan weitgehend normalisiert.
(Salzsaurezugabe in mmol/L)



Die Saureb as en-Analyse nach Jorgensen und Stirum



69



1



POLY - LINKS - SUI

GLOBULIE VERSCHIEBUNG AEROB



INITIALE

DEKOMP. BASE SAURE

ALKALOSE EXCESS RESISTENZ



I



I I




ANAMIE RECHTS- SUI DEKOMP.

VERSCHIEBUNG ANAEROB AZIDOSE



BPpH6.9 19.13

(19 ±1)



Abb. 4: Entsprechend sind die Ausschlage im Saulendiagramm wieder riicklaufig.



K.S. Jg.1956

Seit Jahren bestehender chronischer Schnupfen, Pruritus am Gaumen und an den
Ohren. Antihistaminika ohne nachhaltige Besserung.

Dekompensierte metabolische und respiratorische Azidose (kombinierte Azidose).











RESPIRATORISCHE
ALKALOSE


METABOLISCHE
ALKALOSE








KOMPENSATION


HO

,„


METABOLISCHE
fZIDOSE


RESPIRATORISCHE
AZIDOSE


I


to a


7 347



H.CO,




Salis au re -Zuga be



Abb. 5: Dekompensierte metabolische Azidose, mogiicherweise kombiniert mit einer respira-
torischen Azidose (holier Ausschlag im H 2 C0 3 -Diagramm).
(Salzsaurezugabe in mmol/L)



70



John van Limburg Stirum



INITIALE

POLY - LINKS - SUI DEKOMP. BASE SAURE

GLOBULIE VERSCHIEBUN6 AEROB ALKALOSE EXCESS RESISTENZ




Abb. 6: Die abwartsgerichteten Saulen weisen auf azidotisches Verhalten hin. Offenbar ist der
Sauerstoffumsatz nicht wesentlich gestdrt.




Abb. 7: Der Saurebasenhaushalt hat sich nach der Therapie normalisiert. (Salzsaurezugabe in
mmol/L)



Die Saureb as en-Analyse nach Jorgensen und Stirum



71



POLY - LINKS - SUI

GLOBULIE VERSCHIEBUNG AEROB



INITIALS

DEKOMP. BASE SAURE

ALKALOSE EXCESS RESISTENZ




ANAMIE RECHTS - SUI

VERSCHIEBUNG ANAEROB



DEKOMP.
AZIDOSE



5



PpH6.9 19.25



(19 ±1)



Abb. 8: Die Saurebasen-Parameter sind wieder in Mittellage.



Fazit

Die moderne Saurebasenbehandlung ist differenziert. Die bisherige Ansicht, wir
waren «alle iibersauert», ist a priori abzulehnen. Auch eine Alkalose kann - und
zwar haufiger als man denkt - nachgewiesen werden! Heute lassen sich die Saure-
basenverhaltnisse mittels Bluttitration einfach, zuverlassig und kostengiinstig
in der Praxis analysieren, was eine Kontrollierte Saurebasen-Therapie (KST) er-
moglicht. Sie liefert nicht nur Informationen zum Basen- oder Sauren(!)-Bedarf,
sondern auch zu nutriologischen sowie pro- bzw. antioxidativen Massnahmen.
Hingewiesen wird ebenso auf allfallige Begleitmassnahmen wie Aderlasse oder
Atemtherapie bspw. bei der nervosen Hyperventilation mit tiefen H 2 CO,. Die
weitaus beste Entsauerung bleibt die Unterstiitzung des aeroben Stoffwechsels,
was mittels Orthomolekularmedizin und durchblutungsfordernden Massnahmen
zu erfolgen hat.



Literatur



van Limburg Stirum J (2005) Neue Konzepte in der Saurebasen-Medizin Biologische
Medizin/Heft 3/September 2005: 124-128.



Kapitel 9



Klinische Relevanz der Redox und Chemoluminiszenz-
bestimmungen bei Allergien, Haut- und Umwelterkrankungen

John G. Ionescu



Zusammenfassung

Die Auswahl geeigneter oxidativer und/oder antioxidativer Therapien stellt
in der taglichen klinischen Praxis eine standige Herausforderung fur den Arzt
dar.

Im Rahmen einer Anwendungsstudie wurde die klinische Relevanz der
Redoxpotentiometrie bei der Messung basaler Eh-Werte in Blut, Serum und
Plasma bei verschiedenen klinischen Indikationen untersucht.

In 121 Seren von niichternen Patienten mit atopischer Dermatitis, Psori-
asis, Multiple Chemical Sensitivity (MCS) und Krebs wurde eine signifikante
metabolische Oxidose (Werte hoher als —70 mV) registriert. Im Vergleich
wurden bei 22 gesunden Kontrollpersonen Eh-Werte zwischen —80 mV und
—100 mV gemessen. Im Gegensatz dazu zeigten die Redoxwerte im Vollblut
in 63 Fallen eine zellulare Redose, die anderen Werte befanden sich im Norm-
bereich (—100 mV bis —120 mV). Die Ergebnisse erlauben die Auswahl und
Kontrolle verschiedener Therapieansatze in Bezug auf die individuelle antioxi-
dative Reserve und/oder oxidativen Status des Patienten.

Gleichzeitig wurde die Bildung Freier Radikale (ROS) in venosem Blut
und Serumproben unter basalen Bedingungen und nach Lichtexposition
ebenso wie die Antioxidative Aktivitat (AOA) der Serumproben derselben
atopischen, psoriatischen, MCS- oder Krebspatienten sowie bei 22 gesunden
Kontrollpersonen mit Hilfe einer ultra-empfindlichen Chemiluminiszenz
(CL)-Methode untersucht.

Signifikant erhohte Photonenzahlen (> 14 000/600 Sek.) in venosem Blut
wurden in den Basal- und Lichtexpositionstests bei alien Patientengruppen
im Vergleich zu den 22 Kontrollpersonen gemessen (p < 0.001), was auf er-
hohte Mengen aktivierter Leukozyten bzw. lichtempfindlicher Komponenten
hinweist.



74



John G. Ionescu



Die antioxidative Aktivitat von Patientenseren und anderen biologischen
Proben wie Tees, Fruchtsafte, Plasma, Ascorbat, GSH, etc. wurde ebenfalls in
einem standardisierten AOA-Testsystem untersucht und die klinische Rele-
vanz der Ergebnisse diskutiert.

Da eine Untersuchung des inneren biologischen Terrain eine wichtige Vor-
aussetzung fur eine erfolgreiche Therapie ist, gewinnt die Messung des Red-
oxstatus und der Reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) in Blut und Serum bei
verschiedenen klinischen Indikationen eine besondere Bedeutung.



Messung der Redoxpotentiale im Blut

Reduktions- und Oxidations- (Redox) prozesse sind laufende Elektronentransfer-
reaktionen in chemischen und biologischen Systemen.

Die Messung der Redoxpotentiale (Eh) verschiedener Redoxpaare kann arith-
metisch mit Hilfe der Nernst'schen Gleichung oder potentiometrisch mit Hilfe
von geeigneten Arbeits- und Referenzelektroden durchgefiihrt werden.

Die zweite Methode ist schneller, kostengiinstiger und mifit die Summe aller Red-
oxpaare im vorhandenen biologischen Material (Blut, Serum, Urin, Milch, Frucht-
saft, etc.), ist jedoch abhangig von verschiedenen Faktoren wie z.B. Temperatur, p0 2 ,
pH, Typ der Elektroden und der Oxidations-/Reduktionsrate in der Probe.

Friihere Studien aus unserem Labor zeigten die Niitzlichkeit der Redoxpotenti-
ometrie bei der Messung basaler Eh-Werte in Patientenblut und -serum sowie ihre
Veranderungen nach verschiedenen oxidativen bzw. antioxidativen Therapien.

Methode

Zur Erfassung der respiratorischen und metabolischen Oxidose- bzw. Redose-
zustande sowie des Normbereiches in Vollblut und Serum wurde in Mitarbeit
mit dem Institut fur Elektrochemie der Universitat Erlangen der Prototyp einer
temperierten Redoxzelle (37° C) fur kleine biologische Proben (1-3 ml) unter
N 2 -Atmosphare entwickelt. Die Eichung der ausgewahlten Arbeits- und Refe-
renzelektroden (Graphit- bzw. Platin-/Iridium- vs. Ag/AgCl-Elektroden) erfolgte
mit einer Redox-Pufferlosung der Fa. Mettler Toledo, Deutschland. Durch Ver-
bindung der Redox-Elektroden mit einem Potentiometer mit hohem Widerstand
konnten die Potentiale (E h in mV) gemessen werden. Fur die kontinuierliche
Darstellung der Potential/Zeit-Kurven wurde das Potentiometer mit Hilfe eines
Adapters mit einem PC verbunden. Die Stabilisierung der Redox-Kurven erfolgte
nach ca. 6-8 Minuten. Gleichzeitig erfolgten pH-, p0 2 - und pC0 2 -Messungen
mit einem AVL-Blutgasanalysator.

Ergebnisse

Die Serum-E h -Werte von Neurodermitis-, Psoriasis- und MCS-Patienten zeigten
eine deutliche Tendenz zur metabolischen Oxidose im Vergleich zu den Eh-Wer-



Klinische Relevanz der Redox und Chemoluminiszenzbestimmungen



75



ten der Kontrollgruppe (-75 + 15 mV, -65 + 17 mVund-62 +10 mVgegeniiber
—92 + 7 mV bei gesunden Kontrollpersonen, p < 0,005). In anderen Fallen mit
Steroid- oder antioxidativer Behandlung wurden eine maftige Oxidose oder nor-
male Redoxwerte beobachtet.

Nicht therapierte Krebspatienten mit massiven Tumoren und Metastasen wei-
sen in der Regel eine schwere Oxidose im Serum auf (Eh < —60 mV), jedoch na-
hezu Normalwerte nach Operation, Bestrahlung, Zytostatika- oder antioxidativer
Behandlung.

Ahnliche Ergebnisse wurden auch in venosem Blut festgestellt, aber mehrere
Patienten zeigten hier normale (—100 bis —120 mV) oder Redosewerte, meist auf-
grund der antioxidativen kompensatorischen Aktivitat der Gewebe- und Blutzel-
len, so dass letztendlich kein einheitlicher Trend registriert werden konnte.

Die Regulation des Redox-Ungleichgewichtes wurde mit Hilfe ausgewahlter
individueller oxidativer und antioxidativer Formulierungen erreicht, bezugneh-
mend auf die Ergebnisse der vorherigen ex in vivo-Tests in einer frischen 2,5 ml
Blutprobe derselben Patienten.

Oxidative Ansatze wie z.B. Sport (Jogging), H 2 0 2 0,03 % i.v., NaC10 2 (Di-
oxychlor) i.v. und Hyperthermic (90° C Sauna) erzeugten wiederholt einen kurz-
fristigen Oxidosestatus (Abb. 1), gefolgt von einer kompensatorische Mobilisati-
on der reduzierenden zellularen Aquivalenten und Verschiebung zur Redose. Die
Lange dieser Verschiebung (0.5—24 Stunden) hangt sowohl von den verfugbaren




Abb. 1: Hyperthermie-Effekt (Sauna) auf das Redox-Potential von venosem Blut (Neuroder-
mitispatient, 38 mannlich)



76



John G. Ionescu



antioxidativen Reserven ab als auch von der Intensitat des eingesetzten oxidativen
Stress.

Im Gegensatz dazu zeigte sich bei i.v.-Infusion verschiedener antioxidativer
Substanzen wie z.B. reduziertes Glutathion (GSH), N-Acetylcystein, Na-ascorbat
oder DMPS eine sofortige Verschiebung zur Redose (Abb. 2), deren Lange vom
Grad der vorherigen Oxidose und der Eliminierungs-/Abbaurate der getesteten
Substanz abhing.

Eine Untersuchung des Medikamenten- oder Nahrungsmitteleinflusses auf
die Redoxwerte des Blutes vor der Therapie erlaubt weiterhin eine klare Unter-
scheidung zwischen Ansatzen mit oxidativer oder antioxidativer Wirkung. Dies
ermoglicht die Auswahl redoxaktiver Erganzungsmittel und deren wiederholte
Anwendung zum Erreichen eines optimalen Kompensationseffektes auf den Sta-
tus des Redoxpotentiales in vivo. Durch diese Methode kann ebenfalls die gestorte
antioxidative Reserve bei Alterungsprozessen individuell moduliert werden.

Chemoluminiszenzuntersuchungen fiir Freie Radikale

Die Entstehung Freier Radikale in aktivierten Zellen oder zellfreien Systemen
ist ein gelaufiger biochemischer Prozess. Lichtemission ist ein weiteres bekann-
tes Phanomen in der Biologie, Chemie und Physik. Eine ultraschwache Photo-




basal -62 mV
5 h nach Infusion -77 mV



90 mm nscn Infusion -103 mV



15 mn nacn Infusion -127 mV



mV ) 0 0 0 0 0 0

0:00 00:01 00 00:02:00 00:03:00 00:04:00 00:05:00 00:06:00

("opvrishi 65 lonrtcu John (>.



Abb. 2: Redox Potential in Serum vor und nach 8,5 g Vitamin C Infusion, (H.V., MCS Pati-
ent, 42 Jahre)



Klinische Relevanz der Redox und Chemoluminiszenzbestimmungen



77



nenemission von Lichtspektren im Bereich von 180—800 nm existiert in alien
lebenden Organismen und dieser Prozess ist eng verbunden mit dem oxidativen
Stoffwechsel, der Erzeugung Freier Radikale, Zellteilung, Zelltod, Photosynthese,
vorzeitigem Altera, Karzinogenese und Wachstumsregulation.

Unter bestimmten Bedingungen, welche die Phagozytose und die Aktivierung
der NADPH-Oxidase polymorphonuklearer Leukozyten (PMN) stimulieren,
treten Lichtphotonen aus, die im Szintillationszahler gemessen werden konnen.
Besonders die Abgabe von 0 2 Metaboliten aus PMN scheint eine besondere Be-
deutung fiir Entziindungen, bakterielle Aktivitat und Gewebeverletzungen zu
spielen.

Die wichtigsten 0 2 ~, Chlorid- und N 2 ~ Metaboliten aus PMN und Endothe-
lialzellen sind das Superoxidanion (*0 2 ~), Hydroxylradikal (*OH), Singlet Sauer-
stoff (A'Oj), Hypochlorit-Anion (OCL), Wasserstoffperoxid (H 2 0 2 ), Stickstoff-
monoxid (NO*) und Peroxinitrit (ONOO*).

Reaktive SauerstofFspezies (ROS) werden auch in zellfreien Systemen erzeugt,
die 0 2 , H 2 0 2 , Transitionsmetalle wie Fe 2 7Fe 3+ , Cu 1+ /Cu 2+ , Thiole, Ascorbat, Xan-
thin/Xanthinoxidase, ChelatstofFe oder Xenobiotika enthalten. Exogene Quellen
Freier Radikale sind z.B. ionisierende Bestrahlung, Tabakrauch, Schwermetalle,
organische Losemittel, Pestizide und andere Umweltschadstoffe.

Freie Radikale sind in der Regen instabil und hoch reaktiv durch ihre Fahig-
keit, aus den umliegenden Fett-, Eiweifi- oder DNA-Molekiilen Elektronen abzu-
ziehen, was Zellschaden hervorruft. Solche Reaktionen sind stark beteiligt an der
Entstehung chronischer Krankheiten wie Atherosklerose, Diabetes, rheumatische
Arthritis und Krebs.

In Ubereinstimmung mit der Freie Radikale- Theorie des Alterns gibt es nun
beachtliche Beweise aus Experimenten und Beobachtungen, dass der Alterungs-
prozess direkt abhangig ist von der Summe aller Freie-Radikal-Reaktionen im Ge-
webe bzw. in den Zellen.

Daher wurden in den letzten Dekaden verschiedene Methoden zur Messung
der Antioxidativen Aktivitat (AOA) von biologischen Fliissigkeiten und Bestand-
teilen entwickelt. Einige benutzen eine Quelle zur Erzeugung Freier Radikale, ein
Chemoluminiszenz (CL) Substrat (z.B. Luminol, Lucigenin), ein starkes Oxida-
tionsmittel (z.B. Perborat), katalytische Enzyme wie Peroxidase, Xanthinoxidase
und Verstarker wie Para-Iodophenol.

Wahrend der Oxidation geben Luminol und Lucigenin Lichtenergie ab, wenn
die Elektronen in angeregtem Zustand zuriick in den Grundzustand fallen. Die
kontinuierliche Lichtabgabe spiegelt die Produktion der ROS wider und reagiert
empfindlich auf Unterbrechungen durch Radikalfanger. Diese Tests sind jedoch
ziemlich teuer und zeitaufwandig.

Methode und Ergebnisse

Die Untersuchung der AOA und der ROS-Produktion in Serum und venosem
Blut von Haut-, Chemisch Sensitiven (MCS) und Krebspatienten vor und nach
verschiedenen Therapieansatzen mit Hilfe einer vereinfachten CL-Methode war
das Ziel unserer Forschung wahrend der letzten 7 Jahre.



78



John G. Ionescu



Wie friiher berichtet, gaben 121 Neurodermitis-, Psoriasis-, Chemisch Sensi-
tive und Krebspatienten ihr Einverstandnis zur Teilnahme an einer klinischen Be-
obachtungsstudie. Die 3-Stufen-CL-Methode bestand darin, zu einer konstanten
Menge von gepufFertem Lucigenin (bzw. einer ROS erzeugenden Mischung beim
AOA-Test) eine konstante Menge von Blut oder Serum zu geben, gefolgt von ei-
ner kurzen Prainkubation und Messung der Photonenzahlen iiber einen Zeitraum
von 600 Sek. bei Raumtemperatur (22° C).

Signifikant erhohte Photonenzahlen (> 14 000/600 Sek.) in venosem Blut
wurden in den Basal- und Lichtexpositionstests bei alien Patientengruppen im
Vergleich zu 22 gesunden Kontrollpersonen gemessen (p < 0.001), was erhohte
Mengen aktivierten Leukozyten bzw. lichtempfindlicher Komponenten vermuten
lasst (Abb. 3, Abb. 4). Dagegen zeigten die meisten Patientenseren bei alien drei
CL-Test eine starke Hemmung der Photonenemission (p < 0.005), was auf eine
adaptive antioxidative Antwort auf oxidative Stressfaktoren schliefien lasst.

Auch die antioxidative Aktivitat von biologischen Stoffen wie Tees, Frucht-
safte, Plasma, Ascorbat, GSH, etc. wurde im 5-miniiten standardisierten AOA-
Test untersucht (Abb. 5).

Die Zugabe von Plasma induzierte eine ahnliche CL-Abbaukurve wie bereits
im Serum. Die Polyphenole im Griintee hemmten die ROS-Erzeugerquelle stark,
aber 10 ul Ascorbat 0.1 M zeigten keinen hemmenden Effekt. Im Gegensatz dazu



Fig. 3 ('hemoluminiszcn/-Aktivilaten in venosen
Hlutprohen von Patienten und gesunden
Kontrnllpct




Fig. 4 <hcmoluminis/en/-.\ktivitaten in vendsen

Hlutprohen von Patienten und gesunden Kontroll-
personen nach l.iehtetpositionstest

Photon •miMton

(coonWMO Ht]

140000




AD: Atopische Dermatitis MCS: Multiple Chemikalien-Sensitivitat
PSO: Paorlaala CA: Ktebs

t'opyrijtht CO lonncii John i'..



Abb. 3: Chemoluminiszenz-Aktivitaten in
venosen Blutproben von Patienten
und gesunden Kontrollpersonen



Abb. 4: Chemoluminiszenz-Aktivitaten in
venosen Blutproben von Patienten
und gesunden Kontrollpersonen
nach Lichtexpositionstest



Klinische Relevanz der Redox und Chemoluminiszenzbestimmungen



79



Fig. 5 Antioxidative Aktivitat (AOA) von Tees, naturlichen Saftcn und
Weinen im standardisierten 5 Min. Chemoluminizenztest bei 36.5 °C

KlncWaft Ho<w.ln
100 ul Wetftwein frocken
Hoidelbeonuft trockon 100 |i< 100 ul




Moan values 4.201 439 2 210 637 530.619 231.660 23 648 21 919 20.483 21.386 19 96?
|counKf300 ».) Ooyrioht G loiwscu JoHn 0.



Fig. 5: Antioxidative Aktivitat (AOA) von Tees, naturlichen Saften und Weinen im standardi-
sierten 5 Min. Chemoluminizenztest bei 36,5° C



resultierte die Zugabe von 30 ul Ascorbat 0. 1 M in einer 95% igen Hemmung der
Chemoluminiszenz (Abb. 6).

Systemische Hyperthermic und Vitamin C i.v. erhohten die Photonen bzw.
ROS-Erzeugung in Serum und Blut deutlich (Abb. 7, Abb. 8), wohingegen die
UVC-Photooxidation, Chelatstoffe wie EDTA und ausgewahlte Fruchtsafte
(Abb. 9, Abb. 10) einen gegenteiligen Effekt bei den „in vitro" und „in vivo"
Experimenten zeigten.

Die o.g. Redox- und CL-Daten weisen darauf hin, dass die gleichzeitige, ge-
mischte Anwendung von oxidativen und antioxidativen Substanzen zu vermeiden
ist und durch eine intermittierende Therapie ersetzt werden sollte. Da Krebszel-
len bekanntlich grofie Menge reduktiv wirkender Aquivalente (GSH, NADH,
NADPH) und gleichzeitig eine niedrige Aktivitat antioxidativer Enzyme (SOD,
CAT, GPx) besitzen, sollte ein synergistischer oxidativer Ansatz fur die Therapie
ernsthaft in Betracht gezogen werden.

Da die meisten Arzte die Redox- und Freie Radikalaktivitat in Blut und Serum
nicht erfassen, bemerken sie gelegentlich, dass die iiblichen antioxidativen bzw.
oxidativen Therapie wie GSH, Ascorbat, EDTA oder H 2 0 2 mit unerwarteten Ne-
benwirkungen und einer Verschlechterung des klinischen Zustandes (Herpesin-
fektionen, Tachykardie, heftige Kopfschmerzen, Hauterscheinungen, allergische
/asthmatische Anfalle, Gelenkschmerzen, etc.) einhergehen konnen. Der Grund
fur diese paradoxen Reaktionen liegt im individuellen immunbiologischen Re-
dox- und Freie Radikal-Status jedes einzelnen Patienten und in der Zusammen-
setzung der verabreichten Medikamentemischung.



80



John G. Ionescu



In dieser Hinsicht hat sich gezeigt, dass der individuelle Redoxstatus von
Transitionsmetallen, Ascorbat und Thiolproteinen eng verbunden ist mit dem
Erfolg der vorher beschriebenen Therapien. Pra- and posttherapeutische Untersu-
chungen des Redoxstatus im Serum und der Aktivitat Freier Radikale zusammen
mit Oxidationstests mit Thiol/Ascorbat sind daher eine wertvolle Hilfe bei der
Auswahl der individuellen Therapie.

Schlussfolgerungen

Die beschriebenen Redox- und CL-Tests sind einfach, gut reproduzierbar und er-
lauben eine schnelle Untersuchung des Redox-Status, der ROS-Erzeugung sowie
der antioxidativen Aktivitat in biologischen Proben bei geringen Kostenaufwand.
Die Auswertung der CL-Aktivitat von Vollblut und Plasma erlaubt weiterhin eine
effiziente „ex in vivo" Beobachtung wahrend klinischer Studien sowie kompen-
satorischer Therapieansatze bei durch Freie Radikale verursachten Erkrankungen
bzw. vorzeitigem Altera.

Eine entsprechende Modulierung der Redoxpotentiale, verbunden mit der
Wiederherstellung eines normalen antioxidativen Status, 0 2 -Verwertung im Ge-
webe und zellularer Energie-(ATP) Werte kann zu einer deutlichen Verbesserung
der Symptome und einer deutlichen Verkiirzung der Therapiedauer bei verschie-
denen chronischer Erkrankungen fuhren.

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Kapitel 10

Die komplexe Serum-Redoxdifferenz-Provokationsanalyse

Hermann Heinrich



Zusammenfassung

Jedes Leben in Sauerstoffatmosphare ist durch Sauerstoff-Radikale oder Radi-
kal-Kettenreaktionen verursachte Schaden gefahrdet.

In 70 Lebensjahren muss sich ein Mensch im Schnitt gegen ca. 1000 kg
dieser Radikale schiitzend wehren, da sie im Stoffwechsel nicht auf enzyma-
tisch geregeltem Wege entgiftet werden.

Alle regulativen Storungen in lebenden Systemen (bzw. auch in okolo-
gischen Systemen) bis zu deren krankhaften Veranderungen beeinflussen die
fiir das Leben und den Stoffwechsel so wichtigen Eiweifistrukturen als En-
zyme oder Transport- und Struktureiweifie in ihrer Regulationsfahigkeit zur
Aktivierung/Inaktivierung. Die biologische Ordnung wird gestort. Durch
radikalische Einfliisse verandern sich die Redox-Eigenschaften in den Gewe-
ben/Organen sowie als naturgesetzliche Folge auch die pH- und Saure-Basen-
Verhaltnisse! und als Konsequenz die zellularen Transport-Prozesse, die zellu-
laren Permeabilitatsfunktionen und die Enzymaktivitaten werden labilisiert
bzw. gestort.

Viele Studien und Forschungsergebnisse belegen:

Diese Entwicklung ist aufzuhalten, namlich durch eine preventive tagliche
Aufnahme an antiradikalischen Schutzstoffen.

Bisher fehlte das Nachweisverfahren zur Feststellung eines Mangels oder
sogar des erhohten Bedarfs, welches mit der Komplexen Serum-Redox-Diffe-
renz-Provokationsanalyse nunmehr zur Verfugung steht.



Das biophysikalisch-biochemisch begriindete redoxanalysierende Diagnoseverfah-
ren „Komplexe Serum-Redoxdifferenz-Provokationsanalyse" wurde 1984 erstmals
in die Klinik eingefiihrt, nach Abschlufi einiger Studien zunachst im Fachgebiet
Onkologie.



84



Hermann Heinrich



Bisher sind iiber 62.000 Anwendungen bei Patienten auf vier Kontinenten
nachgewiesen, allein in Osterreich iiber 3.000. In Deutschland arbeiten bisher
zwolf Einrichtungen selbstandig mit diesem Verfahren.

Wieso sind die Redox- Bedingungen in den Kompartimenten so wichtig fur
die Regulation der Lebensfunktionen?

Oder: Wieso kann aus veranderten Redox- Verhaltnissen auf Anderungen der
Regulation von Lebensfunktionen bzw. auf Erkrankungen geschlossen werden?

Diese Frage soil durch die nachfolgenden Betrachtungen beantwortet werden.
Abb. 1 zeigt das Energieprofil der Reaktionsfolge einer Enzymreaktion am Bei-
spiel der Wirkung von Pepsin auf Ovalbumin. (Bull, 1951)

Der Funktions-Rhythmus von Aktivierung, Substratspaltung und Reaktivie-
rung entspricht dabei der Substrat-Wechselzahl/der Michaelis-Konstante. Das
rhythmisch wiederkehrende Aktions-Signal besteht aus vier Teilprozessen und
setzt sich wie folgt zusammen:

1. Substratbindung an die Keto- Struktur: Die Reaktion ist endergon (-10 bis
-15 kcal/Mol)

2. Bildung des Enzym-Substrat-Komplexes (die Konfiguration der Peptidkette
des Enzymproteins wechselt partiell zur Enolstruktur).

Die Reaktion ist exergon (+40 kcal/Mol).

3. Substratspaltung

Die Peptidkette ist vorwiegend als Enolstruktur konfiguriert (Freisetzung von
Bindungsenergie) z.T. exergon und notwendig fur

4. Enzym-Rekonstitution

Ruckfiihrung der Enol- in die Keto-Struktur -A kcal, endergon).
Der Konfigurationswechsel der Peptid-Kette ist die grundlegende bindungs-
energetische Vorbedingung fur den Ablauf von Enzym-Reaktionen.




Abb. 1: Energieprofil der Reaktionsfolge einer Enzymreaktion am Beispiel der Wirkung von
Pepsin auf Ovalbumin (Bull, 1951)



Die komplexe Serum-Redoxdifferenz-Provokations analyse



85



Die beiden Konfigurationen diirfen aus bindungsenergetischen Aktivierungs-
/Inaktivierungsgriinden das Verhaltnis 75% Keto- und 25% Enolstruktur nicht
iiber- bzw. unterschreiten!

Eine mehr als 25%ige Ketolisierung („Aufoxidation") fiihrt zunehmend zur
Aktivitatshemmung als Enzym.

Die Ketokonfiguration wird bei saurem pH bzw. im oxidierten/oxidierenden
Milieu begiinstigt, der reduzierte (Enol-) Zustand der Peptidbindung dagegen im
leicht alkalischen Milieu bzw. im reduzierenden Milieu begiinstigt.

Die Ubergange von Keto- zur Enol- Konfiguration stellen im Pdiythmus der
enzymatischen Aktivierung/Inaktivierung die wesentlichen Reaktionen dar: In
zwei Schritten werden radikalische Elektronen-Liicken verlagert. Diese Reaktio-
nen diirfen nicht ausufern, da sie als ungeregelte radikalische (Ketten-)-Reaktio-
nen zur 100%igen Enolisierung bzw. Ketolisierung fiihren (konnen) und damit
zur Blockierung von enzymatischen Funktionen!

Eine hochgradige Feinregulation des pH-rH-Zustandes in den Kompartimen-
ten ist daher fur geregelte Enzymfunktionen unabdingbar.

Krankheitsbedingte Abweichungen in der pH/rH-Regulation wirken sich da-
her auf metabole Funktionen bzw. Funktionen der Signaliibertragung und -um-
setzung in beachtlichem Mafie storend aus!

Veranderte Redox-Werte sind dabei ein Mafi fiir die (gesundheitlichen)
Storung(en).

Einen weiteren relevanten Storfaktor fiir die Regulation des inneren pH-/rH-
und Ionenstarke-Milieus stellt die permanent ablaufende radikalische Aktivierung
des Sauerstoffs der Atmungsluft dar. Tabelle 1 fafit die Schritte zusammen, die bei
Sauerstoff-veratmenden Organismen ablaufen (Tabelle 1, siehe auch: Halliwell,
Gutteridge, 1985)



Leben in Sauerstoffatmosphare



Sauerstojfaktivierung:
7t7'S g 0 2 ground state
'A g 0 2 singulett
0 2 ~superoxid/0 2 2 peroxid



geordnet,
enzymatisch gesteuert



„Biologische Ordnung
Gesundheit



^ Stoffwechsel, Energiegewinn, Immunsystem optimal



^ ausreichender Schutz gegen fehlgerichtete Radikalreaktionen
(= Oxidation existenzbedingender Zellstrukturen)



^ Schutz: Antioxidantien in ausreichender Menge,
zur richtigen Zeit, am richtigen Ort.



Tab. 1



Der Atmungs-Sauerstoff stellt zwar per se ein Biradikal (die aufieren zwei Or-
bitale der Bindungselektronen sind mit je einem Elektron besetzt) dar: Die Bin-
dungs-Elektronen besitzen jedoch parallelen Spin.

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86



Hermann Heinrich




Abb. 2: Elektronendichte- Modell der fi-Kette des humanen Haemoglobins: links reduziertes,
rechts oxidiertes Haemoglobin (Muirhead, Perutz, 1963)




Abb. 3: Funktionelle Abhangigkeit von immunrelevanten Zellen (Macrophage) von den Red-
oxbedingungen: links reduzierter, rechts oxidierter Zustand (Cotter, 1994)

Nach dem „Spin-Verbot" (auch „Pauli-Verbot") sind Reaktionen des Sauer-
stofFs mit den organischen Stoffen aus der Nahrung jedoch allein dann moglich,
wenn die Bindungselektronen antiparallelen Spin besitzen.

Somit findet eine andauernd ablaufende Spinumkehrung in einem Bindungs-
orbital der Sauerstoffatome statt. Damit entstehen jedoch auch ununterbrochen
Sauerstoff-Radikale und davon abhangig iiber Kettenreaktionen eine Vielzahl ra-
dikalischer, potenzieller Stor- Reaktionen! Diese belasten die pH-/rH- Homoosta-
se ebenfalls.

Bei nicht ausreichendem quantitativ-qualitativem Schutz beeinflussen die in
der Folge veranderten Redox- Verhaltnisse bis zu pathologischen Schadigungen
metabole und Signal-Transduktions- bzw. Signal-Rezeptor- und Umsetzungs-
funktionen.



Die komplexe Serum-Redoxdifferenz— Provokations analyse



87



Sowohl alle makromolekularen Strukturen (Abb. 2) als auch komplizierteste
funktionelle Strukturen wie vitale Immunzellen bzw. Zellkomplexe etc. (Abb. 3)
reagieren strukturverandert und funktionsgeandert auf Redox- Anderungen.

Je positiver das Redoxpotential zwischen wechselwirkenden zellularen Kom-
partimenten oder Reaktionspartnern ist,

• Um so wahrscheinlicher ist die Fixierung der Proteine in der Ketoform

• Um so hoher ist der Oxidationsgrad der funktionellen SH-Gruppen

• Um so geringer ist die noch leistbare chemische Arbeit (im Stoffabbau zum
Energiegewinn

• Um so grosser ist der Grad der biologischen Unordnung

Allen krankhaften Storungen ist die zunachst einschleichende reversible und
von der Permanenz der Einflufinahme zunehmend starker werdende, schliefilich
irreversible Schadigung durch Radikale und damit kompartimentierte Storung
der pH-/rH-Verhaltnisse eigen.

Die Symptome sind von der Topographie der Schadigung(en) und von der
genetischen Individualist abhangig.

Die lebende Zelle/der Organismus als thermodynamisch ofFenes System be-
waltigt in weiten Grenzen der Regulation bei der Permanenz von Storungen die
adaquate Einstellung einer kompartimentierten pH- Redox- Ionenstarke- Ho-
moostase iiber ein Netzwerk von Regelkreisen der Redox- PufFerung.

Diese Aufrechterhaltung physiologischer Wertebereiche Rir pH, rH und Io-
nenstarke ist die Grundbedingung fur:

1. die funktionelle sterische Entfaltung (= optionale Struktur fur die geregelte
Aktivierung/Inaktivierung) von Proteinen

2. die Aufrechterhaltung der limitierten Keto-Enol-tautomeren ri-Elektronen-
iibergange bei Enzymen und anderen funktionellen Proteinen als Schutz vor
einer 100%igen Ketolisierung und damit funktionellen Inaktivierung.

Das unterschiedliche Verhaltnis von Keto- zu Enolanteil ist bei unterschied-
lichen Redoxpotentialen eine wesentliche Ursache fur krankhafte Storungen
(= kompartimentierte Storungen von enzymatischen und Signal-Transport- wie
Effektor-Funktionen) .

Die Protein-Aktivierung (-Inaktivierung) oder deren Storungen sind redox-
messbar.

Der lebende Organismus reguliert seine Ordnung:

1. iiber Redox- Systeme als das selbstgeregelte Chaos einer statistisch grofien
Vielzahl einzelner Prozesse

2. iiber Allosterie-Effektoren (second und third messenger).

Will man ein Verfahren zur Ermittlung regulativer Storungen im Krankheits-
fall (oder in von der gesunden Regulation abweichenden Zustanden) entwickeln,
so ergibt sich zwangslaufig die Frage nach dem Substrat bzw. dem Kompartiment,
worin derartige strukturfunktionelle Storungen plausibel routinemafiig gestestet
werden konnen.



88



Hermann Heinrich



Komplexe Serum-Redoxanalyse




Blutabnahmc



Kuhlschrank
1 Std. 4° C



Zentrifugation
Serum



Tiefluihlung-22°C
bis zu 2-3 Wochen



Cemesscnc Werte:
Lcerwert

PBC,, PBC 2 , PBC 3
(Kinetik dcr antioxidativen
Entgiftung)



Biochcmische/allosterische
Analytik

GTP/Coff+ ATP/ ATP/FAD
(qualitative* Kcdoxniveau)



Redox-Kolorimetrie
Antioxidantien Titer
EntgiftungskapaziiiSt
Extinktiun



Abb. 4: Komplexe Serum- Untersuchung als Komplexer Redoxdifferenz-Provokationstest



Schritte der Redox-Analyse


1. Schritt:

Physiko-chemischer Test
(vier Werte)

(Kinetik der Freisetzung antiradika-
lischer Entgiftungsaquivalente im
Blut/Serum

- Oxidierte/oxidierende Metabolite

- Redox-Pufferung)

a) Leerpotential

b) 10 ug PBC

c) 20 ug PBC

d) 30 ug PBC


2. Schritt:

Biochemisch-thermodynamische
Analytik (vier Werte)

(Allosterische Struktur-Funktions-Re-
gulation, physikochemische Stabilitat
komplexer Eiweifi-Strukturen/Bio-
membranen; Permeabilitatsfunkti-
onen; Stoffumsatz-Charakteristik,
Mitose- und Apoptose-Regulation)

a) ATP

b) ATP + Coffein

c) GTP

d) FAD


3. Schritt:

Abgeleitete BezugsgroCen
(10 Werte)

a) Apoptose- bzw. Mitoserate

b) Apoptose- bzw.
Mitoseregulation

c) DifFerentialwerte
(Stoffwechselcharakteristik,
Entziindungs-Typen)


4. Schritt:
Kolorimetrie

a) Antioxidantien- Titer

b) Glutathion-Aquivalente

c) Entgiftungskapaziat gegen
freie Radikale in jig/ml x sek.



Tab. 2



Die komplexe Serum-Redoxdifferenz— Provokations analyse



89



Im vitalen Vollserum entfallen 60-70% der gesamten reduktiven Kapazitat
auf die SH- und anderen reduzierenden Gruppen der Eiweifikorper. (Miller, Rod-
gers and Cohen, 1986).

Das kommunizierende System bestehend aus Interstitium - interstitielle Fliis-
sigkeit, lymphatische Fliissigkeit, Blut (Serum/Plasma) stellt ein geschlossenes
humorales Kompartiment dar als biophysikalisch-biochemisches Kontinuum des
gesamten Korpers.

Was biophysikalisch-biochemisch intra-, intra- extra und extra- intra- zellular
sowie intercellular reguliert wird oder gestort ist, spiegelt sich physikochemisch
ex- vivo/in-vitro auch im Verhalten der Serum-gebundenen makromolekularen
Strukturen wider.

Zur Bestimmung des Grades der Schadigung der Regulations-Ordnung des
Organismus wurde daher die Serum- Analytik als physiko- und biochemisches
Mehrschrittverfahren eingefuhrt.

Aus dem venosen Blut (20 ml) wird das Serum durch Zentrifugation abge-
trennt und bei -22° C bis zur Aufarbeitung (bis zu 14 Tagen) aufbewahrt.

Die Analytik als „Komplexe Serum-Redoxdifferenz-Provokationsanalyse" wird
in vier Untersuchungskomplexe aufgegliedert.

Im Ergebnis der Messungen werden:

• eine Messdaten-Auswertung

• eine Messdaten-Beurteilung

• ein Befund
erstellt.

Aus den erhaltenen Messwerten wird iiber ein von uns entwickeltes Dosie-
rungs-Programm der individuelle Dosierungs-Bedarf quanti- und qualitativ auf
35 verschiedene Komponenten bezogen zur Therapie-Empfehlung errechnet.

Diese errechneten Quantitaten sind letztlich entscheidend fur die Regenerati-
on des gestorten Inneren Milieus, der gestorten Regulation der Redox- und pH-
Bedingungen in verschiedenen Kompartimenten als Ursache gestorter Zell- bzw
Organfunktionen bei Erkrankungen.

In Abb. 5 werden die Anderungen von ausgewahlten Redox-Messwerten in
der Provokationsanalyse bei 400 gesunden Vergleichspersonen und bei 400 Tu-
morpatienten gegeniiber gestellt.

Die Moglichkeiten zu prazisen diagnostischen Schlussfolgerungen belegen die
Cluster- Auswertungen der Reaktionswerte bei Gesunden- und Tumorpatienten
(Abb. 6) oder auch bei Gesunden und Psoriatikern. (Abb. 7)
Das Bestimmtheitsmafi R 2 ist eine statistische Grofie zur Bewertung von gesuchten
Korrelationen zwischen Messwerten und zugehorigen Prozessen.

Dabei ergibt ein Wert von R s 0,8 aus der Trendlinien- Analyse solcher Mess-
werte einen signifikant hohen Grad der Korrelierbarkeit.

In Abb. 8 werden die Quotienten von GTP und ATP auf den jeweiligen Leer-
wert bezogen fur 100 Gesunde, 100 Patienten mit malignen Erkrankungen und
9 1 Patienten mit Multipler Sklerose als Messwerte-Cluster dargestellt.

Aus der Ermittlung der Funktionen fur die Trendlinien liefien sich folgende

Bestimmtheitsmafie errechnen:



90



Hermann Heinrich




Anderung des Redoxpotentials in % des
Leerwertes nach Zusatz von ATP, Coff., GTP
und FAD im Serum von gesunden Blutspendern
(n = 400)



Anderung des Redoxpotentials in % des
Leerwertes nach Zusatz von ATP, Coff., und
FAD im Serum von Tumorpatienten (n = 400)



Abb. 5: Anderungen von Redox-Messwerten in der Provokationsanalyse bei Gesunden und
Tumorpatienten



Gesunde: R 2 = 0,628

Tumor-Patienten: R 2 = 0,6514

MS-Patienten: R 2 = 0,7929.

Somit sind die jeweiligen GroBenordnungen fur R = 0,79 bzw. 0,81 und
0,89.

Es besteht ein hochsignifikanter Zusammenhang zwischen den Redox-
Messwerten und den zugehorigen Erkrankungen.

Gent man davon aus, daS die gestorte bzw. dysregulierte Redox-pH-Ionen-
starke-Homoostase zur akkumulierten Fehlregulation von Biofunktionen fiihrt
bzw. bei Erkrankungen fur die typischen Storungen verantwordich ist, so ist eine
therapeutisch-ursachliche Einflussnahme ebenfalls von den gestorten Messwerte-
Relationen ableitbar.

Vor dem Hintergrund der verfiigbaren iiber 1,2 Millionen Patienten-Daten
seit Einfiihrung der Redox-Analyse in die Klinik wurde ein Dosierungs-Rechen-
programm entwickelt.

Fur die einzelnen antioxidativen bzw. Mineralstoff-Komponenten konnten
durchgangig polynomische Abhangigkeiten von den Redox-Messwerten gefun-
den werden:

Es handelt sich um Polynome vierten bis neunten Grades. Zur Ermittlung der
Dosierungs-Empfehlung werden die mathematisch-funktionellen Abhangigkeiten
durch jeweils vier Funktionsgleichungen mathematisch angenahert beschrieben.
Der Funktionswert Y wird ermittelt und als Dosierungsgrofie empfohlen.



Die komplexe Serum-Redoxdifferenz— Provokations analyse



91




20



40



60



80 100 120
Leerwert [mV]



140



160



180



200



ATP - Werte in Abhangigkeit vom Leerwert



ATP t
• ATP g




0 -1 1 1 1 I 1 1 1 1 ■ 1

0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200

Leerwert [mV]

Abb. 6: Clusterdarstellung der Reaktionswerte Gesunder (schwarz •) und von Tumorpatienten
(grau a)

Das Rechnerprogramm wird permanent aktualisiert als selbstlernendes Pro-
gramm, bezogen auf den Stand der klinisch erfolgreichen therapeutischen An-
wendung. (Abb. 9)



92



Hermann Heinrich



5"
E



Vergleich der GTP - Werte (Gesund/Psoriasis)



300
25C
200
15C
IOC

50



I 1 1 1 —

-200 -150 -100 -50



• GTPg
GTPps




50 100 150 200 250



-50
-100



-150 -

Leerwerte [mV]



f

s

S



Vergleich der ATP - Werte (Gesund/Psoriasis)



250



200



150




• ATPg
ATPps



-200 -150 -100 -50



50 100 150 200 250



Leerwert [mV]



Abb. 7: Clusterdarstellung der Reaktionswerte GTP und ATP bei Gesunden (schwarz •) und
Psoriatikern (grau a)



Die komplexe Serum-Redoxdifferenz— Provokations analyse



93



Quotient von GTP una ATP normiert auf don Leerwert (GTP/ATP'L)



























R/ ■ 0,66











0 8292* * 4 5471
ff ■ 0,628







1^


A,








» 1


'








A






r-<u

R


D611 • 15,756
= 0.7929







Lttrwart JmV]



Abb. 8: Quotient von GTP und ATP normiert auf den Leerwert: Trendlinien-Analyse



0,5
0



Lipophile Phase




LI
I ..'

I 3

- AslynomJsch (E2)

- FWynorrisch (E3)

- Rjtynorrisch (E1)



o o o o O © *- «- *-



Abb. 9: Dosierung von Co Q10, Flavonoiden und Tocopherol als Funktionen des Quotienten
GTP/ATP-Regulation



94



Hermann Heinrich



Abhangigkeit der Dosierung von Co Q10, Flavanoiden und Tocopherol vom
Quotienten GTP/ATP

El=Co Q10
E2=Flavonoide

E3=a-Tocopherol/Cholin/L-Carnitin/B15



100,0



50,0



-100,0 1



-Leer(mVl -•— GTP[%) COFF[%] -X— ATPl%] — *— FAD|%] — •— Wfog rmt-1s-1]





< -X







CO M



O N> IO

CI G> IO 4

V> > 2 \> / O



o / rs>



8 ■



ro
w


p




M'Z


Nov


QJ




CD


3



Abb. 10: Enrwicklung biochemischer Regulationsparameter nach individuell berechneter Vital-
stoff-Supplementation zur Prevention (mannlich, 68 Jahre)



In Abb. 10 werden die biochemischen Regulationsparameter bei andauernder
und wertebezogen berechneter individueller Vitalstoff-Supplementation zur Pra-
vention („anti-aging") dargestellt.

Erst nach der Einnahme der dosisberechneten Vitalstoffe iiber drei Jahre
konnte eine regelmaSige Rhythmik annahernd euregulierter Messwerte nachge-
wiesen werden.

Bei dem Erkrankungsbild einer bereits seit acht Jahren bestehenden progressi-
ven Multiplen Sklerose ist nach zwei Jahren konsequenter hochdosierter Einnah-
me eine stabilisierte Regulation der Messwerte nachweisbar. Parallel wurde durch
den behandelnden Neurologen das Persistieren der Erkrankung bestatigt.



Die komplexe Serum-Redoxdifferenz— Provokations analyse



95




Abb. 11: Gegeniiberstellung der biochemischen Grundparameter bei Multipler Sklerose (weib-
lich, 35 Jahre)



Die vorliegende grofie Anzahl von Befunden und Verlaufskontrollen eriaubt
den folgenden Ausblick:



Ausblick

• Das Verfahren der Komplexen Serum- Redox- Differenz-Provokationsanalyse
stellt kein Dogma dar; es ist often fur jede Anderung bzw. Erweiterung.

• Die Redoxanalyse eriaubt ein breites diagnostisches Aussagen-Spektrum.

• Das Verfahren kann auch zur Therapie- Erfolgskontrolle herangezogen wer-
den.

• Vor dem Hintergrund gestorter Homoostase- Bedingungen des Inneren Mi-
lieus erlauben die Messwerte Aussagen zum Fehlen von Antioxidantien und
damit zu therapeutischen Empfehlungen.



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Kalaidijew A (1977) Biophysikalische Aspekte der Struktur, Dynamik und Biosynthese

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Clarendon Press, Oxford.
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mik und Biosynthese der Eiweifimolekiile, EB Georg Thieme, Leipzig.
Miller MG, Rodgers A, Cohen GM (1986) Biochem Pharmacol 35, 1 177-1 184.



Kapitel 11

Saure-Basenhaushalt und Antioxidantien

Norbert Maurer



Zusammenfassung

Siiure-Basenhaushalt und Antioxidantien sind zwei medizinische Thematiken,
die nicht unmittelbar einsichtig miteinander zusammenhangen. Schon bei
latenter Azidose verbrauchen biophysikalische Reaktionen Elektronen, um
iiberschiissige H + -Ionen zu neutralisieren. Freie Elektronen werden allerdings
auch benotigt, um radikalische Oxidationsprozesse zu bremsen. Die Folge der
Azidose ist also vermehrte Oxidation mit alien vermutlichen negativen Folgen
wie gesteigerte Arteriosklerose, Immunschwache und vorzeitige Alterung. Bei
MaBnahmen zur Entsauerung sinkt der Bedarf an Antioxidantien.



Sauerstoff wird im menschlichen Organismus zur Energiegewinnung verwendet.
Dieser Vorgang geschieht im Rahmen der Oxidation in den Mitrochondrien im
Rahmen der biochemischen Prozesse der Atemkette. Etwa 7% der Sauerstoffver-
bindungen werden aus diesen Zellorganellen freigesetzt und konnen, sofern nicht
antioxidative Prozesse diese neutralisieren, zu betrachtlichen Schaden an Zellorga-
nellen, im Zytoplasma und an Zellmembranen fuhren.

Oxidationsprozesse in unserer Umwelt lassen Plastik sprode, Gummi morsch,
Butter ranzig und Eisen rostig werden.

Im menschlichen Organismus werden in 7 Liter Blut 1 bis 2 x 10 21 Sauerstoff-
radikale pro Minute entgiftet. Das sind pro Zelle 10 4 oxidative DNA-Schaden
pro Tag. Fur einen Menschen bedeutet dies taglich 10 1<s — 10 18 radikalische Scha-
digungen. Eine einzige Zigarette setzt 10 14 Sauerstoffradikale frei. Somit werden
insgesamt hohe Leistungsanforderungen an Reparatur und Schutzmechanismen
gestellt.

Freie Radikale sind Molekiile mit Elektronendefizit. Wenn diese ROS (radical
oxygen species) nicht durch antioxidative Prozesse neutralisiert werden, entsteht
im Organismus Oxidation- unter Umstanden im Rahmen von sogenannten Ket-
tenreaktionen mit „Flachenbrandwirkung".



98



Norbert Maurer



Freie Radikale konnen prinzipiell auf zwei Arten aktiviert werden:

Einerseits die physikalische Aktivierung durch Ultraviolett-, Infrarotlicht, Ront-
gen-, Kobaltbestrahlung und Gammastrahlen andererseits chemische Aktivierung
im Rahmen von Enzymprozessen wie z.B. Peroxydasen, Oxydasen und Super-
oxyddismutasen oder die Aktivierung vom Fentontyp.

Hochreaktive Molekiile, die die Bildung freier Radikale begiinstigen, sind
Singulettsauerstoff, StickstofFmonoxid, StickstofFdioxid, Wasserstoffperoxid und
Hydroperoxyd.

As freie Radikale gelten Superoxyd-Anion, Hydroxylradikal, Peroxylradikal,
Perhydroxylradikal, Alkoxylradikal, Nitritoxyradikal und Peroxynitrit.

Je kiirzer die Halbwertzeit einzelner Radikale ist, desto reaktionsfreudiger und
somit schadigender konnen solche SauerstofFradikale sein.



Die Halbwertszeiten einzelner Radikale sind:



Hydroxylradikal:
Alkoxylradikal:
Nitroxiradikal:
Peroxylradikal:



1 0 9 Sekunden
10 6 Sekunden
1-10 Sekunden
7 Sekunden



Die ROS-Aktivitat fiihrt im Einzelnen zu respiratory burst und somit zu
Bakteriocidie, zu DNA-Schaden und somit zu malignen Erkrankungen, zu Zell-
membranschaden und somit zu Schaden von Zellen, zur Inaktivierung von Stick-
stofFmonoxid und somit zu mikrozirkulatorischen Schaden und Hypertonic zur
LDL-Oxidation und somit zu Arteriosklerose und zur Zelladhasion und somit zu
entziindlichen Prozessen. Sauerstoffradikale haben — wie alles im Leben — auch
positive Aspekte!

Sauerstoffradikale sind prinzipiell lebensnotwendig!

Radikalische Stufen regulieren vitale Prozesse wie Phagozytose, Zellteilung,
Apoptose, enzymatische Funktionen, vasculare Funktionen, neuronale Funktio-
nen, die Gewebshormonsynthese und vieles mehr. Radikalische Stufen wirken
also als Signalmolekiile und sind somit als second messenger anzusehen.

Quantitativ bedeutsame Quellen fur ROS sind die mitochondriale Atemkette
und die physiologische Gewinnung von Energie aus Sauerstoff, der Purinabbau
mit der Umwandlung von Hypoxanthin zu Xanthin und zu Harnsaure, die Ka-
techolaminoxidation, die Autooxidation von Oxy-Hamoglobin, der Stoffwechsel
von Thiolen und anderer reduzierter Verbindungen, die Xenobiotika-Entgiftung
mit alien Reaktionen des Cytochrom-P450-Systems, die Tatigkeit neutrophiler
Granulozyten im Rahmen entziindlicher Prozesse, der Arachidonsauremetabolis-
mus und die Einwirkung von UV-Strahlung und radioaktiver Strahlung.

Wie entstehen nun Sauerstoffradikale?

Radical oxygen species entstehen durch eine Reihe von physikalischen und
(bio)chemischen Prozessen.

Physikalische Ursachen sind Feldeinwirkungen von UV-Strahlung, ionisieren-
der Strahlung, Radioaktivitat, Handy-, Bildschirm-, Monitor-Abstrahlung etc.



Saure-Basenhaushalt und Antioxidantien



99



Chemische Ursachen sind Tabakrauch und andere Carcinogene, Alkohol,
Pestizide, Herbizide, Industrie- und Verkehrsabgase Chemieprodukte, gegrilltes
Fleisch etc.

Physiologischer- und auch unphysiologischerweise entstehen Sauerstoffradi-
kale durch Stressbelastung oder starke korperliche Belastung.

Akuter oxidativer Stress findet sich bei einer Reihe von pathologischen Pro-
zessen. Es sind dies vor allem Schockzustande wie bei grofiflachiger Combustio,
Arzneimittelreaktionen, entziindlichen Prozessen, Myocardinfarkt, cerebralem
Infarkt etc.

Auch bei sportliche Aktivitat, vor allem hoherer Intensitat und falschem Trai-
ning im Rahmen von zu vielen anaeroben Belastungseinheiten entsteht akuter
oxidativer Stress.

Chronischer oxidativer Stress findet sich bei chronisch verlaufenden Krank-
heitsbildern wie vascularen Prozessen (KHK, cerebrovascularer Insuffizienz),
pulmonalen Erkrankungen (COPD), Hepatopathie, Autoimmun-Erkrankungen
(PCP), bei der Carcinogenese, Katarakt, Psoriasis und Erkrankungen des allergi-
schen Formenkreises.

Zur Neutralisation von SauerstofFradikalen benotigt der menschliche Orga-
nismus elektronenreiche Molekiile, wie dies Antioxidantien darstellen.

Prinzipiell werden enzymatische und nicht enzymatische Antioxidantien un-
terschieden. Nichtenzymatische Antioxidantien werden noch nach der Molekiil-
grofie unterschieden.

1 . Enzymatische Scavenger sind das Glutathion- System (mit GSH-Synthetasen,
-Reduktasen, -Transferasen), Enzyme, die Reduktionsaquivalente erzeugen
(wie G1-6-P-DH, 6-Phosphoglukonat-DH), Peroxidasen, die selenabhangige
Glutathionperoxidase, die selenabhangige Phospholipid-Hydroperoxyd-Glut-
athionperoxidase, Superoxyddismutasen in Mitochondrien, Katalasen im Cy-
toplasma und im Peroxisom von eukaryoten Zellen usw.

2. A) Nieder- und Mittelmolekulare Nichtenzymatische Scavenger sind z.B.

a) Vitamine wie Vit. A, Beta-Carotin und Carotinderivate, Vit. E und Toko-
pherolderivate, Vit. C und lipidlosliches Vit. C

b) Phytochemicals (sekundare Pflanzeinhaltsstoffe) wie z.B. Flavonoide, An-
thozyane, Phenolsauren und Phenolester

c) Bioorganische Molekiile des menschlichen Organismus wie z.B. Harn-
saure, Taurin, L-Cystein, Selenocystein, L-Methionin, Selenmethionin,
Alpha-Liponsaure, Coenzym Q 10, reduziertes Glutathion (GSH) und
Glutathion-Derivate

d) Synthetika — Arzneimittel wie z.B. Heterozyklen (Ethoxyquin, Barbiturate,
Carbazole, Phenothiazine, Levamisol, Nafazatrom, Naloxon, Tinoridin)

2. B) Grofimolekulare, Nicht-Enzymatische Scavenger sind z.B. Laktoferrin,
Fe-freies Transferrin, Haptoglobin, Hamopexin (Ham-Hb-Komplex)

Saure-Basenhaushalt und Oxidoreduktion

Sowohl der Saure-Basenhaushalt als auch die Oxidation haben als gemeinsamen
Wirkmechanismus den Elektronenbedarf.



100



Norbert Maurer



Bei Azidose werden zur Neutralisation der H + -, respektive H 3 0-Ionen Elek-
tronen benotigt. Bei Oxidation werden zur Neutralisation der Sauerstoffradikale
ebenfalls Elektronen benotigt. Dies hat zur Folge, dass bei Azidose die Oxidation
ansteigt, bei Basenzufuhr die Oxidation im Gewebe abnimmt. Ebenso fuhrt ver-
mehrte Oxidation zu Azidose und reduktive Prozesse alkalinisieren.

Aktivierte Proteinformen sind Enolformen. Diese liegen allerdings bei Azidose
und Oxidation vermehrt als inaktive Ketoformen vor. Ubermafiige intrazellula-
re Oxidation inaktiviert somit gleichzeitig Proteine, die als intrazellularer Puffer
wirksam sein soil ten. Daher besteht bei vermehrter intrazellularer Oxidation auch
die verstarkte Moglichkeit einer intrazellularen Azidose.

Anaerober bzw. partiell anaerober Stoffwechsel bei Sport fiihrt iiber die Lakta-
tazidose zu einem erhohten Redoxpotential und somit auch zur Oxidation. Spor-
tausiibung, besonders im anaeroben Bereich hat daher einen deutlich erhohten
Bedarf an Antioxidantien.

Cum grano salis kann gesagt werden, dass bei Entsauerung des Organismus
durch Neutralisation von H + -, respektive H 3 0-Ionen die reduktive Kapazitat an-
steigt und somit auch der Antioxidantienbedarf sinkt.

Weiterfiihrende Literatur

Loffler G, Petrides PE (1998) Biochemie und Pathobiochemie, 6. Auflage, Springer Ver-
lag.

Ohlenschlager G (2000) Freie Radikale, Oxidativer Stress und Antioxidantien, 2. Auflage,

RalfReglinVerlag, Koln.
Watzl B, Leitzmann C (2005) Bioaktive Substanzen in Lebensmitteln, 2. Auflage. Hippo-

kratesverlag.

Werbach MR (1999) Nutriologische Medizin, Hadeckeverlag.



Kapitel 12

Energetische Therapien bei Schwingungsverschlackung

Norbert Maurer



Zusammenfassung

In der vorliegenden Hypothese werden Akupunkturmeridiane als Leiter fur
physiologische Inforrnationen in Wellenform betrachtet. Jede Substanz, die
in den Blutkreislauf gelangt und nicht rasch verstofFwechselt wird, wird durch
Verdiinnung und Schiittelung „hom6opathisch" potenziert. Diese im Serum
aber in der Folge auch im Bindegewebswasser vorliegenden Verdiinnungsrei-
hen storen den im Akupunktursystem postulierten Transport von Inforrna-
tionen als Lichtphotonen, anderen elektromagnetischen Wellen oder Schall-
wellen.

Natiirliche Heilverfahren mit mehrheitlichen Schwingungseigenschaften
interferieren solche pathologischen Wellenmuster und ermoglichen einen ver-
besserten Informationstransport im Meridian.



Akupunkturmeridiane werden in dieser Hypothese als Leiter von Inforrnationen
in Schwingungsform angesehen. Pathologische Storungen im Informationstrans-
port konnen sowohl durch materielle, als auch Schwingungsaspekte erfolgen.
Naturheilverfahren mit iiberwiegender Schwingungswirkung konnen storende
Schwingungsinformationen im Meridianbereich interferieren und den Informa-
tionstransport verbessern.

Inforrnationen mit iiberwiegendem Schwingungsaspekt, lassen sich in ihrer
Wirksamkeit mit Hilfe der Quantenphysik erklaren.

Die Quantenhypothese wurde 1900 von Max Planck aufgestellt:

Ein strahlendes System kann nur das ganzzahlige Vielfache der Elementarla-
dung hu abstrahlen.

Quanten sind eine makroskopisch kontinuierlich erscheinende physikalische
Grofie, die nur in einer bestimmten, nicht weiter unterteilbaren Menge auftritt.

Quanten sind:
• portionsweise Energie



102



Norbert Maurer



• versehen mit wellen- und partikelartigen Eigenschaften, sind jedoch weder
Welle noch Partikel

• „ein Stiick Aktion"

Als Quantenbeispiele seien Photonen, Phononen, Plasmonen und Magnonen
angefiihrt.

Daraus folgt, dass alle Molekiile von einem typischen perimolekularen elek-
tromagnetischen Feld umgeben sind. Wir sind heute in der Lage, bei Molekiil-
gruppen bis zu 60 Molekiilen (sog. Fullerene) Interferenzen (im Sinne von Welle-
neigenschaften) nachzuweisen. Aus den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts sei
noch die Aussage des Physikers De Broglie zitiert: „Jedem materiellen Objekt ist
eine Welle mit wohldefinierter Wellenlange zuzuordnen".

Ubertragen auf die Medizin bedeutet dies, dass jede medikamentose Therapie,
z.B. Aspirin, Teilchen-, aber auch Wellenaspekte hat. Wissenschaftliche Unter-
suchungen der Wellenaspekte von Pharmakotherapien stehen bis zum heutigen
Tage aus.

Homoopathische Mittel jenseits der Dilution 24 beinhalten nach statistischen
Uberlegungen kein einziges Molekiil der Urtinktur.

Nach Uberlegungen der Quantenphysik scheint es so zu sein, dass ein fliefien-
der Ubergang vom Uberwiegen der Teilcheneigenschaften bis etwa von Dilution
8 bis zum Uberwiegen der Schwingungseigenschaften etwa bis zu Dilution 30
stattfindet.

Fur die Medizin lasst sich eine Therapiesystematik auf Basis der Quantenphy-
sik aufstellen:

1 . Therapien mit iiberwiegendem Teilchenmechanismus
Naturheilverfahren mit iiberwiegend materieller Wirkung sind Vitalstoffthe-
rapien, Phytotherapie, Ernahrungsmedizin usw. Auch die klassisch medizi-
nische Pharmakotherapie fallt in diese Kategorie.

2. Therapien mit iiberwiegendem Schwingungsmechanismus
Naturheilverfahren mit iiberwiegender Schwingungswirkung sind Homoopa-
thie, Nosoden (in hoheren Potenzen), Bachsche Bliiten, Akupunktur, Laser,
Bioresonanztherapie, Matrix- Regenerationstherapie, Warmetherapie, Elek-
trotherapie, Magnetfeld, usw.

Therapiereaktionen des menschlichen Organismus auf Therapien mit iiber-
wiegend materiellen Aspekt geschehen mit materiellen Strukturen (Stoffwechsel),
auf Therapien mit iiberwiegendem Schwingungsmechanismus mit schwingungs-
verarbeitenden Systemen. Eine ganze Reihe von Schwingungsemissionen des
Menschen sind bekannt (EEG, EKG, Warmestrahlung, Biophotonen).

Schwingungsaspekte von Therapien konnen nur dann vom menschlichen Or-
ganismus akzeptiert werden, wenn diese auch Informationen enthalten, die vom
Organismus verstanden werden. An dieser Stelle sei der Wiener Physiker Zeilinger
zitiert, der davon spricht, dass „das elementarste Quantensystem einem Bit an
Information entspricht". (Zeilinger 2003)

Informationskriterien fur biologische Systeme sind

• die Informationsqualitat

• die Quantitat

• Informationsverarbeitung



Energetische Therapien bei Schwingungsverschlackung



103



Damit Informationen im menschlichen Organismus zu Reaktionen fuhren
konnen, benotigen sie hohe Koharenz und somit in der Folge geringe Ubertra-
gungsenergie. Koharenz bedeutet die Fahigkeit zu Interferenz , also „schon" regel-
mafiig schwingende Wellen, die in fester Beziehung zueinander stehen.

Koharenz bedeutet physikalisch gesehen Schwingungen mit gleicher Frequenz,
gleicher Wellenlange, gleicher Amplitude, gleicher Phasenverschiebung, gleicher
Wellenform und somit bei Licht auch Monochromasie,

Fur den menschlichen Organismus bedeutet nach Ludwig eine zu hohe Ko-
harenz starre Ordnungseffekte und somit Erkrankungen im Sinne chronischer
Erkrankungen wie Autoimmunerkrankungen, Karzinome, usw.

Eine zu geringe Koharenz bedeutet Chaos und ist ebenfalls in Richtung von
Krankheit im Sinne von Allergien, Entziindungen zu deuten.

Ludwig hat diesen Zustand die so genannte Laserschwelle an der Grenze zwi-
schen Chaos und starrer Ordnung mit dem Gleichgewicht von aktivierten und
nicht-aktivierten Elektronen definiert. An der Laserschwelle ist der Organismus
am Besten im Stande, Reize zu verarbeiten.

Theoretisch konnten folgende Schwingungsqualitaten im Akupunkturmeri-
dian geleitet werden:

• Elektromagnetische Wellen

• Lichtwellen

• Schallwellen

Informationsquantitat

Zu niedrige Intensitaten der Information (zu niedrige Amplitude) sind in-
effektiv und fuhren zu keinen Therapieneffekten. Zu starke Intensitat (zu hohe
Amplitude) schadet dem Patienten und fiihrt unter Umstanden zu irreversiblen
Noxen.

Fur biologische Systeme existieren allerdings wohldefinierte Reizstarken („adey
window"), die zu biologischen, wissenschaftlich untersuchbaren Effekten fuhren.
Ein Therapiereiz darf also weder zu stark, noch zu schwach sein, um in einem
biologischen System wirksam werden zu konnen.

Informationsverarbeitung

Das „Informationssystem Mensch" kann nach Art der Informationstheorie
betrachtet werden. Demnach miissen folgende Strukturen fur die Wirksamkeit
eines Reizes vorhanden sein:

• Rezeptoren

• Leiter

• Transformatoren, Schnittstellen

• Speicher

• Sender



104



Norbert Maurer



Systeme zur Informationsverarbeitung sind seit Alters her bekannt und noti-
gen Respekt zu alten Traditionen ab. Es sind dies aus der traditionellen, chinesi-
schen Medizin das Akupunktursystem, aus der indisch tibetischen Medizin die
Energiezentren oder Chakren und sowohl in der wesdichen als auch der ostlichen
Tradition die Energiekorper.

Alle diese zusammenhangenden Systeme konnten als Quanten- bzw. Schwin-
gungsleitsystem betrachtet werden.

Pathologie der schwingungsverarbeitenden Systeme:

Schwingungsverschlackung bedeutet nun nach dieser Hypothese eine Storung des
Schwingungstransportes im Meridianverlauf durch im Gewebewasser gespeicher-
te Schwingungseigenschaften.

Jede Substanz (Chemie, Medikation, Krankheitserreger usw.) wird durch die
Aktivitat des cardiovascularen Systems und somit des Blutkreislaufes verdiinnt und
geschiittelt und in einer Reihe von „homoopathischen" Verdiinnungen vorliegen.
Diese konnen auch in das Bindegewebswasser abdriften. Nach der Hypothese
von Conte-Lasne („black and white holes") wiirden sich erhebliche Storungen
im Schwingungstransport eines Meridians ergeben. Sowohl die Lichtbrechungs-
eigenschaften, der elektrische Widerstand und die Dampfungseigenschaften von
Bindegewebswasser waren deutlich verandert. Auf dieser Basis entstiinden Veran-
derung des Informationscharakters der im Meridian geleitenden Schwingungsei-
genschaften, die im Extremfall zu Krankheiten fuhren konnen.

Naturheilverfahren mit iiberwiegender Schwingungswirkung interferieren
solche pathologischen Schwingungsmuster im Bindegewebswasser und somit im
Verlauf des Akupunkturmeridians. Im Akupunkturmeridian zirkulierende Infor-
mationen auf Schwingungsbasis werden dadurch weniger verfalscht. Dies sollte in
der Folge zu einer verbesserten Reaktionsfahigkeit des Organismus und zu einer
geringeren Krankheitsanfalligkeit fuhren.

Weiterfuhrende Literatur

Bischof M, Biophotonen (1995) Das Licht in unseren Zellen, Verlag Zweitausendeins.

Conte RR, Berliocchi H, Lasne Y, Vernot G (1996) Theory of high dilutions and experi-
mental aspects, Polytechnica.

Endler PC, Schulte J (1998) Fundamental Research in Ultra High Dilution and Homoe-
pathy, Kluwer Academic Puplishers.

Endler PC, Schulte J (1994) Ultra High Dilution - Physiology and Physics, Kluwer Aca-
demic Publishers.

Endler PC, Schulte J (1996) Homoopathie-Bioresonanztherapie, Verlag Maudrich, Wien-
Munchen-Bern.

Endler PC (1998) Expedition Homoopathieforschung - Ein altes System wird plausibel ,

Verlag Wilhelm Maudrich, Wien.
Klima H, Lipp B, Lahrmann H, BachtikM (1998) Elektromagnetische Bioinformation im

Frequenzbereich von 100 Hz bis 100 kHz? Forsch Komplementarmed, 5: 230-235.



Energetische Therapien bei Schwingungsverschlackung



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Klima H, Roschger P, Uber die Wirkung von Lasertherapien aus der Sicht der Lichtemissi-
on wahrend der Im-munabwehr durch Phagozyten, Vortrag am 2. Deutschen Kongress
fur konservative Lasertherapie 31.10. — 2.11. 1986, Congress Center Niirnberg.

Ludwig W (1999) Informative Medizin - Krankheits-Ursachen/Behandlung ohne Che-
mie, Leipziger Messe Verlag und Vertriebsgesellschaft mbH.

Pischinger A ( 1 975) Das System der Grundregulation — Grundlagen fur eine ganzheitsbio-
logische Theorie der Medizin, Karl F Haug Verlag, Heidelberg.

Popp FA, Li KH (1993) Hyperbolic relaxation as a sufficient condition of a fully coherent
ergodic field. International Journal of Theoretical Physics, Vol 32, No 9

Popp FA (1983) Neue Horizonte in der Medizin, Haug Verlag.

Strube J, Stolz P (1999) Elektromagnetische Strukturabbilder (EMSA) als ein Wirkprin-
zip der Informationsiibertragung bei der Potenzierung von Arzneien, Biol Med; 28:
294-303.



Kapitel 13



Pflanzen mit ausleitender und antirheumatischer
Wirkung - ein weifier Fleck auf der Landkarte
der Grundsubstanzforschung

Heinz Schiller



Zusammenfassung

Heilkrauter werden schon seit Jahrhunderten zur Entschlackung eingesetzt,
wobei sich einige Klassiker herausgebildet haben. Drei davon, Brennnessel,
Lowenzahn und Wacholder, werden besprochen. Die moderne Heilpflanzen-
forschung konnte einige Wirkmechanismen der Entschlackung, aber auch ein
faszinierendes Zusammenspiel von allgemeiner und lokaler Wirkung nachwei-
sen. Zwei Pflanzen, Goldrute und Weihrauch, bei denen diese Forschungen
besonders interessante Ergebnisse gebracht haben, werden vorgestellt. Die
unterschiedliche Wirkung mit dem Gesamtziel der Harmonisierung der
verschiedenen Kompartments unseres Korpers lasst die Wahl des Ausdrucks
„Antidyskratika" fiir diese Heilpflanzen sinnvoll erscheinen. Leider fehlt
noch die gezielte Forschung iiber die Beeinflussung des Bindegewebes bei
Gabe dieser Krauter.



Antidyskratika

Schon seit Jahrhunderten verwendet man Heilkrauter zur Stimulierung der Kor-
perausscheidung, wobei man unter „Ausscheidung" ganz allgemein die Tatigkeit
von Niere, Leber, Gedarmen, aber auch das Schwitzen verstanden hat, eben al-
les, was der Korper „von sich gibt". Grund fiir diese Stimulierungsversuche war
wohl die prinzipielle Annahme, dass ein Ungleichgewicht der Korpersafte primar
krankheitsverursachend wirkt. Dieses Ungleichgewicht bezeichnete man als Dys-
krasie, die dagegen wirkenden, ausscheidungsstimulierenden Krauter als Antidys-
kratika.

Heutzutage nimmt man in der modernen Grundsubstanzforschung an, dass
eine fehlerhafte Zusammensetzung der Grundsubstanz in den verschiedenen
Kompartments als Storfaktor wirkt — so gesehen erscheint die alte Lehre vom Un-



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Heinz Schiller



gleichgewicht der Safte gar nicht mehr so antiquiert und daneben, und der Begriff
der Antidyskratika hat, durchaus logisch, seine Berechtigung.

Die meisten Pflanzen wirken iiber mehrere Mechanismen, und der Versuch,
die Heilpflanzen-Wirkung auf einen einzigen Stoff zuriickzufiihren, ist fast im-
mer gescheitert; erst das Zusammenspiel mehrerer Faktoren kann den Effekt
der ganzen Pflanze beschreiben. Es gibt lokale Auswirkungen oder solche, die
auf den ganzen Organismus zielen, und sie erganzen einander oder schwachen
Nebenwirkungen ab. Im Rahmen dieser Arbeit konnen, schon aus Platzgriinden,
unmoglich alle in der Indikation „Antidyskratika" wirkenden Heilkrauter vorge-
stellt werden. Daher kommen die bekanntesten zum Zug, aufierdem noch Heil-
pflanzen, an denen die Forschung der letzten Jahre dieses Zusammenspiel lokaler
und universeller Wirkung gut darstellen konnte.

Praktische Anwendung

Nicht von Ungefahr hat man schon immer Heilpflanzen miteinander kombiniert,
um die Wirkung zu optimieren — es ist ja durchaus verniinftig, mehrere Angriffs-
punkte zu haben und auszuniitzen. So kann zum Beispiel, je nach Befindlichkeit
des Patienten, zu den antidyskratischen Krautern anfangs etwa kurzfristig ein Ab-
fiihrtee oder ein Karminativum zur besseren Vertraglichkeit verabreicht werden.

Antidyskratika sollten, und das ist der zweite Punkt, moglichst nicht als Dau-
ertherapie angewendet, sondern kurmaKig eingesetzt werden. Auf sechs bis acht
Wochen Behandlung soil auf jeden Fall eine Pause von ca. vier Wochen folgen.

Die bekanntesten Krauter fur diese Entschlackungskuren sind Brennnessel,
Lowenzahn und Wacholder.



Die Brennnessel

Von der Brennnessel sind hauptsachlich zwei Arten von Belang: die Kleine Brenn-
nessel mit dem lateinischen Namen Urtica urens, und die Grofie Brennnessel, Ur-
tica dioica. Verwenden kann man die gesamte Pflanze: die krautigen Bestandteile
(Herba Urticae), die Wurzel (Radix Urticae) und die Friichte (Fructus Urticae),
wobei unterschiedliche Wirkungen erzielt werden konnen, je nachdem, welchen
Pflanzenteil man anwendet. Die Erklarung dafiir liegt in der verschieden hohen
Anreicherung der einzelnen Inhaltsstoffe: im Kraut dominieren die Flavonoide,
dazu Ameisensaure und Eisen, aufierdem gibt es reichlich Mineralstoffe und Spu-
renelemente, wie zum Beispiel Kalium, Calcium, Kupfer, Mangan, Aluminium,
Kobalt und Zink; speziell die Blatter sind reich an dem biogenen Amin Cholin,
die Brennhaare liefern Ameisensaure, Histamin, Acetylcholin und Serotonin. Die
Wurzel wiederum enthalt besonders viel fi-Sitosterol, 3-fi-Sitosterin, Scopoletin,
Sterole, Triterpene, Lignane, Cumarine, Polysaccharide und Isolektine.

Meist werden die krautigen Teile der Pflanze verwendet und als Antidysk-
ratikum eingesetzt. Die Wirkung ist diuretisch, mit einem deutlichen Ansteigen
der Ausscheidungsmenge der Nieren und einer Senkung des Harnsaurespiegels.
Interessant ist der Antagonismus zu Interleukin 1 und dem Tumornekrosefaktor



Pflanzen mit ausleitender und antirheumauscher Wirkung



109



Alpha, dadurch kommt es zu einer Hemmung der Prostaglandinsynthese und
in der Folge des Knorpelabbaus. Lokal in den Gelenken werden die Zytokine ge-
hemmt, das ergibt ebenfalls einen knorpelprotektiven EfFekt. Die Hyperamisierung
und lokale Reizung bei aufierlicher Anwendung ist wohl allgemein bekannt. Die
Indikationen leiten sich aus den beschriebenen Wirkungen her: Friihjahrskuren
zur Entschlackung, unterstiitzende Behandlung bei rheumatischen Beschwerden,
adjuvant bei Arthrosen, bei Gicht, aufierlich als Einreibung bei neuralgischen und
rheumatischen Schmerzen, als Haarwuchsmittel — diese Indikation findet man
allerdings vor allem in der Volksmedizin.

Brennnessel wird zum Beispiel als Tee verabreicht, und diesen Tee bereitet
man folgendermafien zu: ein Loffel Kraut wird mit einer Tasse Wasser iiberbriiht.
Den Aufguss lasst man erst einmal 1 0 Minuten ziehen, dann trinkt man drei Mai
taglich eine Tasse. Die letzte Portion sollte nicht zu spat am Abend genommen
werden, weil sonst die Harnflut in der Nacht einsetzt - gestorte Nachtruhe in-
klusive.

Wem die Teebereitung zu umstandlich ist, der kann Brennnessel auch als
Pflanzenpresssaft oder Fertigpraparat zu sich nehmen.

Wie bei alien wirksamen Arzneien gibt es auch hier Kontraindikationen: bei
Menschen mit eingeschrankter Herz- und Nierentatigkeit soil Brennnessel nicht
verwendet werden. Als Nebenwirkungen konnen Allergien und Magenreizungen
auftreten.

Die Brennnesselwurzel mochte ich nur der Vollstandigkeit halber erwahnen:
Rezeptiert als Wurzel, Radix Urticae, hat sie einen positiven Effekt auf die Pro-
stata, die Miktionsfrequenz und das Restharnvolumen sinken, sie wirkt bei Nykt-
urie und Pollakisurie, weiters noch antiphlogistisch und immunmodulierend. Die
Indikation sind Prostataadenome der Gruppe I - II. Zubereitet wird die Droge,
indem man 1,5 g in ca. 1/8 1 kaltes Wasser gibt, aufkocht, eine Minute kocheln
und dann 10 Minuten ziehen lasst.

Eine ganz andere Wirkung haben die Brennnesselfruchte, Fructus Urticae.
Sie enthalten 25-30% fette Ole, und zwar 74-83% cis-Linolsaure,l% Linolen-
saure, 0,01% Tocopherol, Mineralstoffe, Eiweifi, Chlorophyll, 3-8% Carotinoi-
de. Man wendet sie bei Schwachezustanden an, bei denen sie roborierend wirken
sollen. Im Mittelalter wurden sie in Wein gelost und als Aphrodisiakum verwen-
det, sozusagen als das Viagra des Mittelalters.

Ubrigens: das Wort „Nessel" hat primar nichts mit Hautreizungen zu tun.
„Nezzila" bezeichnete im Althochdeutschen ein leichtes Gewebe aus Lein(en)-
Fasern und dem Bast der Grofien Brennnessel — in der Tat war diese Pflanze kein
Un-, sondern im Gegenteil ein aufierst niitzliches Kraut.

Lowenzahn

Der bekannte, im Mai gelb leuchtende Lowenzahn, Taraxacum officinale, ist
schon eine sehr alte Heilpflanze. Bereits in dem vom arabischen Arzt Avicen-
na im 11. Jahrhundert verfassten „Canon medicinae" wird er erwahnt, und sein
Name konnte auf das arabische „tarak sahha" zuriickgehen, das iibersetzt soviel
wie „pissen lassen" bedeutet — eine anschauliche Wirkungsbeschreibung. Verwen-



110



Heinz Schiller



det wird damals wie heute die Wurzel mit dem Kraut, Radix Taraxaci cum Her-
ba. An Inhaltsstoffen findet man Bitterstoffe (Bitterstoffwert 600), Triterpenoide,
Phytosterine, und, wie bei der Brennnessel, wiederum relativ viele Mineralstoffe
und Spurenelemente, z. B. Kalium, Kupfer, Mangan, Selen und Zink. Lowen-
zahn wirkt cholagog, appetitanregend und diuretisch, aber auch eine direkte Wir-
kung auf das Bindegewebe wird beschrieben. Dementsprechend sind neben den
Fruhjahrskuren die wichtigsten Einsatzgebiete Appetitlosigkeit mit dyspeptischen
Beschwerden, chronische Gallenbeschwerden und Steinprophylaxe, aufierdem
PJieuma, Gicht und Arthrosen. Wie immer sind aber auch Kontraindikationen
zu beachten: bei hyperacider Gastritis, Gallenwegsverschluss und Gallenblasen-
empyem darf der Lowenzahn nicht angewendet werden. Als Nebenwirkung kann
es zu Magenbeschwerden kommen.

Der Tee wird folgendermafien zubereitet: Ein Teeloffel mit einer Tasse kalten
Wassers ansetzen, kurz aufkochen und 10 Minuten ziehen lassen, zwei Mai tag-
lich eine Tasse trinken. Bei Fruhjahrskuren macht man das sechs Wochen lang.
Lowenzahn gibt es auch als Presssaft.

Wacholder

Wacholder ist die dritte klassische Entschlackungspflanze. Man verwendet nur
die Beeren, Fructus juniperi. Diese Beeren enthalten atherische Ole und Diter-
pene, wirken krampflosend, diuretisch und sind bei entziindlichen Erkrankungen
der ableitenden Harnwege, aufierdem bei Gicht und PJieuma einsetzbar. In der
Schwangerschaft darf Wacholder nicht verwendet werden, und auch entziindliche
Nierenerkrankungen gelten als Kontraindikation — letzteres ist allerdings nicht
zweifelsfrei bewiesen. Als Nebenwirkung konnen gastrointestinale Storungen auf-
treten.

Fur Wacholder sind zwei Anwendungsmoglichkeiten iiblich: einerseits macht
man Tee aus den Beeren, wobei ein Teeloffel gequetschte Droge mit einer Tas-
se heissen Wassers aufgegossen wird. Das Gebrau lasst man dann fiinf Minuten
ziehen. Zwei Tassen pro Tag sollte man davon trinken. Die fast noch bekanntere
Methode ist das Kauen der Wacholderbeeren, die sogenannte „Wacholderkur
nach Kneipp". Bei dieser Kur werden die getrockneten Beeren gekaut, und zwar
am ersten Tag 4 Beeren, am zweiten 5 u.s.w., bis man am 12. Tag bei 15 Beeren
angelangt ist, dann zahlt man wieder riickwarts 14, 13, 12 u.s.w. bis wieder auf
5 Beeren. Dann muss die Kur beendet werden, bei zu langer Anwendung kann es
zu Nierenreizungen kommen.

Goldrute

Die echte Goldrute, Solidago virgaurea L, ist eine sehr interessante Pflanze, bei der
das Zusammenwirken von lokalen und allgemeinen Wirkungsmechanismen gut
erforscht ist. Verwendet wird das Kraut, Herba Virgaureae bzw. Herba Solidaginis.
Als Inhaltsstoffe hat man atherische Ole, Flavonoide, Saponine und Phenolgly-
coside gefunden. Die Flavonoide beziehen ihre diuretische Wirkung aus einer



Pflanzen mit ausleitender und antirheumauscher Wirkung



111



Hemmung des Abbaus des atrialen natriuretischen Peptids (ANP) und folgender
ACE-Hemmung. Zur Entziindungshemmung kommt es durch die Flavonoide
und Estersaponine, und zwar durch folgenden Mechanismus: Die leukozytaren
(neutrophilen) Enzyme Cathepsin und Elastase sind Mediatoren der Entziin-
dung. Sie fuhren zu einem Abbau von Typ IV Procollagen und bewirken dadurch
eine Auflockerung der Basalmembranen und in der Folge des Bindegewebes. Es
konnte bewiesen werden, dass die Flavonoide Rutin, Quercetin und die 3,5-Di-
coffeylchinasaure diese Elastase hemmen. Aufierdem sind sie auch wirksame Ra-
dikalfanger (Sauerstoffradikale). Estersaponine aus Solidago wiederum fuhren in
geringer Konzentration zur ACTH-Ausschiittung aus der Hypophyse und in der
Folge zu einer Cortisonausschiittung und damit ebenfalls zu einer Beeinflussung
der Entziindungsvorgange.

Wie diese auEerst komplexen Vorgange beweisen, konnen in einer Pflanze
sehr verschiedene Wirkmechanismen, bei Solidago eben sowohl lokale als auch
humorale, zusammenspielen und dadurch den gewiinschten Effekt auslosen. In
der Summe der Eigenschaften finden wir bei dieser Pflanze sowohl eine Aktivie-
rung der Entschlackung, einen direkten Einfluss auf das Bindegewebe als auch
einen allgemein humoralen Effekt.

Die Indikationen der Goldrute sind dementsprechend entziindliche Krank-
heiten der ableitenden Harnwege, Harnwegssteine und -griefi, aber auch Venener-
krankungen. In der Volksmedizin verwendet man die Goldrute bei Gicht, dem
rheumatischen Formenkreis und gegen Hautunreinheiten.

Verabreicht wird Solidago als Krauterteezubereitung: zwei Teeloffel Droge auf
eine Tasse heifien Wassers, zehn Minuten Ziehen lassen, mehrmals taglich eine
Tasse trinken.



Weihrauch

Der Weihrauch ist keine bei uns heimische Pflanze, trotzdem kennt sie jedes
Kind — schon die legendaren drei Weisen aus dem Morgenland hatten Weihrauch
als Geschenk in ihrem Reisegepack.

Verwendet wird der indische Weihrauch, Boswellia serrata, oder der afri-
kanische Weihrauch, Boswellia carterii. Er ist einerseits durch die vielseitigen
Angriffspunkte der Therapie, andererseits aber auch durch die entgegengesetz-
te Wirkung je nach Dosierung sehr interessant. Wirksame Bestandteile sind die
Harzstoffe (Boswelliasauren), atherisches Ol, Schleime und Proteine. In niedriger
Konzentration (2,5-10 (J.g/ml) kommt es zu einer unerwiinschten Steigerung der
Leukotriensynthese, erst in hoher Konzentration (> 20 (J.g/ml) fiihrt eine Hem-
mung der 5 -Lipoxygenase zu einer Reduzierung der Leukotriensynthese in der
Arachidonsaurekaskade und damit zu einer Abschwachung rheumatischer Reak-
tionen. Auch eine direkte Beeinflussung des interstitiellen Bindegewebes hat man
nachgewiesen, und zwar durch eine Hemmung der Elastase. Zusatzlich werden
noch tumorzytostatische Effekte beschrieben (> 30 (J.g/ml), da es zu einer Bin-
dung von Boswelliasauren an die Topoisomerase kommt und deren Wirkung ge-
hemmt wird.



112



Heinz Schiller



Die Indikationen sind unter anderem chronisch entziindliche Krankheiten,
besonders des Dickdarms (Colitis ulcerosa, M Crohn) und der rheumatische For-
menkreis; in der Tumortherapie wird Weihrauch erganzend angewendet.

Die wirksamen Bestandteile der Pflanze sind, wie schon erwahnt, Harze, da-
her muss man natiirlich Zubereitungen wahlen, die garantieren, dass diese Harze
auch aufgenommen werden - Weihrauch zu zerreiben und Kapseln damit zu fiil-
len ist entschieden zu wenig. Als Anwendungsformen sind daher nur Fertigprape-
rate sinnvoll.

Betrachtet man die Krauter, die in Entschlackungskuren angewendet werden
oder jene Pflanzen, die als Wirkungsziel das interstitielle Bindegewebe haben,
dann fallt einem vor allem auf, das es meist sehr alte Heilpflanzen sind, teilweise
schon in der persischen Medizin bekannt und in den noch heute gebrauchlichen
Indikationen verwendet. Die moderne Heilpflanzenforschung konnte in vielen
Fallen Wirkungen nachweisen bzw Wirkmechanismen abklaren. Dabei zeigt sich
aber, dass Entschlackung nicht auf EINE Wirkung zuriickgefiihrt werden kann,
sondern dass verschiedene Mechanismen und Zielorte kombiniert angegangen
werden. So denke ich, dass die Reduktion auf einen Teil des Stoffwechsels nicht
schliissig ist, auch wenn da so manches messbar ist wie z. B. der Saure-Basen-
Haushalt. Die Natur ist vielfaltiger, und es gilt der Grundsatz des Hippokrates,
dass das Ziel der Behandlung eine harmonische Grundordnung im Fliefigleich-
gewicht der Natur sein sollte. Der alte Begriff der Dyskrasie und eine Zusam-
menfassung dieser Heilpflanzen als Antidyskratika macht Sinn. Leider aber gibt
es praktisch keine Forschung, wie weit es unter diesen Pflanzen wirklich zu einer
Veranderung im Bereich der Grundsubstanz kommt — zur Zeit also ein weifier
Fleck in der Forschung, aber mit sehr viel Potential fur die Zukunft.

Literatur

Appel K (1999) Kausal vorgehen gegen Rheuma. Zeitschrift fiir Phytotherapie 5/99, Hip-
pokrates Verlag GmbH, Stuttgart.

Hiller K, Bader G (1996) Goldruten-Kraut. Die Gattung Solidago - eine pharmazeutische
Bewertung, Portrait einer Heilpflanze. Zeitschrift fiir Phytotherapie 17: 123-130.

Linger R, Kubelka W (2001) Phytokodex, pflanzliche Arzneispezialitaten in Osterreich, 2.
Auflage, OAK Verlag Wien.

Linger R, Schiller H (2004) Gesundheit aus der Naturapotheke. Springer Verlag Wien -
New York.

Martinetz D (1992) Der indische Weihrauch - neue Aspekte eines alten Harzes. Zeitschrift

fiir Phytotherapie 13: 121-125.
Melzig M F, Loser B, Bader G Papsdorf G (2000): Echtes Goldrutenkraut als entziindungs-

hemmende Droge. Zeitschrift fiir Phytotherapie 21: 67-70.
Schilcher H, Heil B M (1994) Nierentoxizitat von Wacholderzubereitungen. Eine kritische

Literaturauswertung von 1844 bis 1993. Zeitschrift fiir Phytotherapie 15: 205-213.
Zirbel R, Fernando RC, Tuschen-Burger E, Sahinbas H (2004) Afrikanischer Weihrauch -

Boswellia carterii. EHK 53: 356-363.



Kapitel 14

Ausleitung in der Traditionellen Chinesischen Medizin

Fritz Friedl



Zusammenfassung

Die traditionelle chinesische Medizin (TCM) verfiigt iiber ein eigenes Ver-
standnis fur Physiologie und Pathophysiologic, das die Grundlage der dia-
gnostischen und therapeutischen Bemiihungen darstellt. Zu diesem Verstand-
nis gehort seit jeher die Kenntnis iiber die Bedeutung der Fliefieigenschaften
des Blutes. Uberlegungen zur Qualitat des Blutes und des dazu gehorenden
Blutstoffwechsels stellen dabei eine Notwendigkeit dar und erlauben Paral-
lelen zu anderen naturheilkundlichen Systemen.

Der Blutflufi kann sowohl in dynamischer als auch in stofflicher Hinsicht
gestort sein. Die Auswirkungen gehen weit iiber „Durchblutungsst6rungen"
hinaus; Reinigungsstrategien spielen deshalb bei sehr vielen Krankheitsbildern
eine wesendiche Rolle. An Beispielen wird die Bedeutung von Ausleitungsthe-
rapien fur Krankheitsbilder der Haut, des Darms, der Leber, ebenso wie fur
Tumoren, Infarkte dargestellt.



Der moderne Begriff der „Mikrozirkulation" beinhaltet die fiir die westliche
Wissenschaft relativ neue Erkenntis, dafi Durchblutungsvorgange nicht nur vom
Status der Blutgefafie abhangen, sondern auch von den Fliefieigenschaften des
Blutes. Diese Erkenntnis ist fiir die chinesische Medizin uralt und banal. Gedan-
ken iiber die Blutqualitat gehoren zum Riistzeug der chinesischen Medizin, - wie
im iibrigen auch vieler anderer naturheilkundlicher Systeme - da ein zu „zahes",
von Schlacken und „triiben Elementen" belastetes Blut die Versorgungsfunkti-
onen schlechter erfiillen kann als ein reines, leicht bewegliches.

Das qi bewegt das Blut

Nach der Vorstellung der TCM sind qi und xue (= Blut) die tragenden Begriffe fiir
die Verteilung von Lebenskraften im Organismus (Tabelle 1). Der Begriff „Yang"



114



Fritz Friedl



Qi


Xue


Dynamik


Stabilitat


Schnelligkeit


Bestandigkeit


Yang = Aktivitat


Yin = Struktivitat


Denken


Verstehen


Handeln


Fiihlen


Steuern


Wachsen



Tab. 1: Qui und Xue



stent fur alle aktiven Krafte, die der Organismus in Interessen und Handlungswei-
sen umsetzen kann. Dem qi kommt dabei die Rolle der strategischen Steuerung
zu. Das qi ist schnell und dynamisch und bestimmt das Denken, Handeln und
Steuern. Der Begriff „Yhi" bedarf einer Ubertragung, die Porkert in dem Aus-
druck „Struktivitat" gewahlt hat. Yin bedeutet die Fahigkeit, sich unter Wahrung
der eigenen Bestandigkeit und Stabilitat verandern zu lassen; z.B. im Verstehen,
im Fiihlen oder im Wachsen. Diese nach innen gerichtete Form der Aktivitat, die
sich in der Struktur des Geistes, der Seek und des Korpers niederschlagt, wird
durch das Blut („xue") materialisiert. Struktivitat ist der Gegenspieler zur Aktivi-
tat; nur im Zusammenspiel der beiden Krafte Yin und Yang gibt es Gesundheit,
Stabilitat und Wachstum.

Das Zusammenspiel von Yin und Yang lafit sich am Beispiel des Autofahrens
verdeutlichen: Die mentale Prasenz des Autofahrers erlaubt es ihm, den Moment
der Reaktionsanderung zu erfassen. Diese Yang-Fahigkeit fiihrt zur qi-Aktivierung
der Muskeln mit dem entsprechenden Bewegungseinflufi auf das Gaspedal. Die
Ubertragung auf den Motor entspricht dem „xue", die Belastbarkeit des Autos
dem „Yin". Es steuert somit der gedankliche Impuls das tonnenschwere Automo-
bil, also das immaterielle qi die materialisierte Struktur. Das Dynamische ist dem
Materiellen iiberlegen, wie das Wasser dem Stein, sagt Laotse.

In diesem Sinne ist „xue" mehr als Blut, also nicht nur Warenlager fur Zellen
und Organe, sondern auch Konzept fur das Wachstum und innere Ordnungs-
struktur. „Durchblutung" ist damit auch mehr als Verteilung von Blutzellen,
sondern vielmehr steckt in den Blutzellen quasi das intelligente Bemiihen, den
Organismus zu erhalten und zu substantifizieren. Hierzu verfiigt das Blut iiber
eigene Krafte, die mit dem Begriff „Blutflu8" beschrieben werden, und die ihm
diese eigene aktiv-struktive Rolle bescheinigen.

Auf diesem Boden fallt es leichter, Durchblutungsstorungen nicht einfach als
Folge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu begreifen. Auch bei intaktem Gefafi-
system kann es zu Viskositatsproblemen und zu Storungen im Blutflufi kommen.
Dabei lafit sich das Thema „Blutflufist6rung" in drei verschiedene Kapitel unter-
teilen, die in ganz unterschiedliche klinischen Bildern miinden (Tabelle 2). Das
Thema „Bluthitze" entspricht einer fehlgesteuerten Uberaktivitat der auf das Blut
gerichteten qi-Bewegung. Diese wird typischerweise im Rahmen von Immun-
konflikten erworben. Halsschmerzen stellen im Rahmen von Infekterkrankungen



Ausleitung in der Traditionellen Chinesischen Medizin



115



Bluthitze


Stagnation


Triibes Blut


Hals


Muskel


Psyche


Thrombose


Hamatome


Miidigkeit


Lymphe


Zyklus


Stoffwechsel


Knochen


Unterleib


Leber


Destruktivitat


Schmerz


„Vergiftung"



Tab. 2: Mikrozirkulation wird beeinflusst durch



ein kritisches Symptom dar. Dosiert der Organismus seine Immunkrafte falsch,
so konnen destruktive Entziindungen daraus resultieren. Chronifizierte Entwick-
lungen fuhren zu Thrombosen, Belastungen des Lymphsystems, Knochenabbau
etc. Somit sind Erkrankungen mit Schleimhautlasionen, Gewebsdestruktionen
bis hin zu ossaren Metastasen vom Mechanismus der „Bluthitze" gepragt.

Das Phanomen der „Blutstagnation" steht fur die pathologische Beweglich-
keit des Blutes. Es fehlt der kontinuierliche, bedarfsgerechte Flufi, der zu einer
ausreichenden Blutversorgung im Gewebe erforderlich ist. Der Muskel als kurz-
fristig zu versorgendes Organ meldet die Blutstagnation als Schmerz oder Verlet-
zungsanfalligkeit. Hamatomneigung und Zyklusstorungen sind weitere typische
Zeichen fur dieses Storungsmuster. Nach chinesischer Lehre sitzt die Steuerung
fur den qi-Flufi im Unterbauch, daher sind Unterbauchschmerzen pathognomo-
nisch.

Das Thema „Trubes Blut" steht Rir Schlacken, die den Blutstoffwechsel bela-
sten. Sie entstammen meist falschen Lebens- und Ernahrungsgewohnheiten. Ihr
Auftreten ist begleitet von klebriger Miidigkeit, aber auch von seelischer Schwe-
re - „triibe Safte machen triibe Gedanken", - von angstlichem Griibeln, Entschei-
dungsunfahigkeit und nachtlichem Sorgen. Die Uberlastung des Stoffwechsels
fiihrt zu einer „Vergiftung", die in mitteleuropaischen Naturheilkunde-Systemen
den Gedanken der „Blutreinigung" hat aufkommen lassen.

Klinisches Beispiel ist das in meiner Klinik haufig vertretene Krankheitsbild
des „Postoperativen Syndroms" (Tabelle 3). Wahrend sich manche Menschen
auch von ausgedehnten Operationen sehr rasch erholen, leiden andere unter ga-
strointestinalen Beschwerden wie z.B. anhaltender Verstopfung bis hin zur Darm-
lahmung, plotzlichem Stuhldrang oder schmerzhafter Entleerungsstorung neigen
zu Magenschmerzen, Ubelkeit oder Appetitstorungen. Sie leiden dann meist auch
unter (Durch-)Schlafstorungen, unter Stimmungsschwankungen, unter Schmer-
zen und Schmerzempfindlichkeit. Bei dieser Patientengruppe haufen sich Kompli-
kationen, es treten Wundheilungsstorungen und Sekundarinfektionen auf, ferner
gehauft Allergien und Unvertraglichkeitsstorungen. Aus westlich-medizinischer
Sicht handelt es sich um diffuse Symptome, deren Entstehung nur rudimentar zu
erklaren sind, und die einzeln und symptomatisch behandelt werden. Aus Sicht
der chinesischen Medizin blicken wir auf ein echtes Syndrom, auf eine Ansamm-
lung voneinander abhangiger Symptome, die zusammen auf eine Uberlastung
der Ausscheidungsfunktionen zuriickzufiihren sind. Die Wiederherstellung von



116



Fritz Friedl



Durchschlafstorungen, nachtliche Panik

Darmstorungen (Verstopfung, plotzlicher Stuhldrang, Ileus)

Stimmungsschwankungen, Depression, Gereiztheit

Schmerzen, Schmerzempfindlichkeit

Mifiempfindungen (Geschmacksverlust, Parasthesien)

Wundheilungsstorungen

Sekundarinfektionen

Allergien und Unvertraglichkeitsreaktionen
Ubelkeit, Appetitstorung



Tab. 3: Postoperatives Syndrom

Ausscheidungsfunktionen durch chinesische Phytotherapie verbessert das Ge-
samtbild: in dem Mafie, in dem der Darm reguliert wird, verbessern sich Schlaf,
Appetit und psychisches Allgemeinbefinden, die Schmerzen lassen nach und es
ergibt sich eine signifikante Verbesserung von Wundheilung und allgemeiner Re-
aktionsfahigkeit. In unserer Klinik haben mittlerweile mehr als 1000 Menschen
diese postoperative Nachbehandlung erfahren.

„Ausleitung" lafit sich in der chinesischen Medizin auf vier Aspekte aufteilen
(Tabelle 4). Zunachst steht die Entfernung von Altlasten im Vordergrund. Der
Organismus versteht es, Schlacken an den verschiedensten Stellen des Organismus
zu verstecken oder in Depots zu vergraben. Solche Depots (wie z.B. Ubergewicht,
Konkremente, Tumore) miissen beim Verfahren der „Blutreinigung" zuganglich
gemacht werden. Das Verfugbarmachen von Altlasten wird dann fortgefiihrt
durch die Aktivierung von Ausscheidungs- und Ventilfunktionen. Neben den
Hauptausscheidern, dem Stuhl und dem Urin, sind verschiedene Ventile denk-
bar, z.B. Schleimhaute (Bronchien, Nase, Scheide), die zur Ausscheidung angeregt
werden konnen, oder auch die aufiere Haut. Ausgeschieden werden kann jedoch
nur, was vom Korper als Ballast angesehen wird. Je verschlackter der Organismus,
umso mehr kommt das gemeinsame Ver- und Entsorgungssystem des Blutes in
Schwierigkeiten. Die Klarung der Filteranlage, eine dezentrale Aufgabe, die nach
Auffassung der chinesischen Medizin im xue stattfindet, ist deshalb Vorausset-
zung fur die Wiederherstellung einer Stoffwechselsteuerung. Daran anschliefiend
miissen diejenigen Schutzfunktionen wieder gewonnen werden, die das System in



„Blutreinigung" — Altlasten entfernen
Ausscheidungs- und Ventilfunktionen
Reinigung der Filteranlage
Aufbau von Schutzfunktionen



Tab. 4: Ausleitung



Ausleitung in der Traditionellen Chinesischen Medizin



117



Klarheit halten konnen, wie z.B. das Ersetzen von Heifihunger auf Siifies durch
eine intakte Appetitsteuerung oder das Empfinden fur Schutz vor Uberlastungen
jeglicher Art.

Wegen des umfassenden Charakters von Blutstoffwechselstorungen sind eine
Reihe von Mafinahmen zur Therapie moglich (Tabelle 5). Im Mittelpunkt der
langfristigen Steuerung stent die Diatetik. Zur akuten Reinigung stehen blutige
Akupunktur und Schropfmassage zur Verfiigung. Die umfangreichsten Moglich-
keiten bietet die Phytotherapie, die sowohl direkte StofFwechselentlastung, aber
auch immunologische Reaktivierungen (z.B. Schleimlosung iiber Ventile) erlaubt.
Langfristig geht es wiederum um die „Mitte", um die Selbststeuerung des Stoff-
wechsels, der durch geeignete Pflanzen aufgebaut werden kann.

Die Palette der Erkrankungen, die mit Blutstoffwechselstorungen in Verbin-
dung gebracht werden kann, ist viel groEer, als der westlich ausgebildete Medi-



Diatetik (cave: Funktion der Mitte)
Schropfmassage
Blutige Akupunktur
Phytotherapie

Diatetik (cave: Funktion der Mitte)

— Immunologische Reaktivierungen

- Stoffwechselentlastung
Mitte



Tab. 5: Ausleitungsmethoden der TCM



Haut

— Ekzem

- Herpes Zoster


Schmerz

- Rheuma

— Fibromyalgie

— Migrane

- Polyneuropathie


Schilddriise

- Hyperthyreose


Allergie

— MCS-Syndrom


Stoffwechsel

- Ubergewicht

- Diabetes

- Hypertonus

- Blutfette (ohne Cholesterin)

- Harnsaure


Sucht




Tumorerkrankungen



Tab. 6: Krankheitsbilder



118



Fritz Friedl



ziner dies fur moglich halt. Tabelle 6 zeigt einen Ausschnitt, der beileibe noch
keinen Anspruch auf Vollstandigkeit erhebt. Sowohl bei Hauterkrankungen, bei
Allergien, in der Schmerzbehandlung, bei Stoffwechselstorungen, wie auch in der
Suchtbehandlung stellen Ausleitungstherapien wichtige Bausteine in der (stoffli-
chen) Bewaltigung der Erkrankung dar. Die Auswirkungen sind fur den Patienten
unmittelbar nachvollziehbar, da in dem Mafie, in dem der Organismus entlastet
wird, die entsprechenden Krankheiten entscharft und bereinigt werden.

Auch oder gerade die moderne Medizin, die ihre Fortschritte auf der Ent-
wicklung eines Reparatursystems gebaut hat, profitiert von der komplementaren
Medizin. Sie kann bei komplexen Fragestellungen den Organismus entlasten und
Heilungskrafte entfalten. Reinigungstherapien spielen dabei auch im 21. Jahr-
hundert eine entscheidende Rolle.



Kapitel 15



Ausleitung in der Ayurvedischen Medizin

Grundlagen der Verdauungsprozesse aus der Sicht der Maharishi Vedischen
Medizin

Lothar Krenner



Zusammenfassung

Maharishi Vedische Medizin wird als die „Mutter der Heilkunde" bezeichnet;
ihr im Westen bekanntester Teilaspekt ist Ayurveda. Die Renaissance der Ay-
urveda Medizin begann vor ca. 30 Jahren. Verschiedene Schulen und Rich-
tungen haben sich auch im Westen etabliert; man unterscheidet „Wellness-
Ayurveda", Ayurveda der sich in ayurvedischen Arztefamilien tradiert hat,
universitarer Ayurveda und Maharishi Vedische Medizin. Sie verbindet das
streng traditionelle Wissen (— das von Vedischen Sehern — Rishis — geschaut
wird) mit wissenschaftlichen Konzepten und westlichem medizinischem Stan-
dard. Maharishi Vedische Medizin ist Ganzheitsmedizin im eigentlichen
Sinn, die sich auf 4 Hauptsaulen stiitzt: a) Maharishi Yoga (Transzendentale
Meditation), b) Vedische Astrologie (Maharishi Jyotish), c) Vedische Archi-
tektur (Maharishi Sthapatya-Veda) und d) Maharishi Ayurveda. Ayurvedische
Medizin definiert jeden Lebensprozess durch drei Grundprinzipien (3 Dos-
has): Bewegung - Vata, Transformation - Pitta und Stabilitat - Kapha. Aus
der individuellen Zusammensetzung der 3 Doshas leitet sich die ayurvedische
Konstitutionslehre ab, die die Basis einer individuell abgestimmten Thera-
pie bildet. Storungen und Ungleichgewichte von Vata, Pitta und/oder Kapha
manifestieren sich auch im Verdauungssystem. Wenn wahrend der Transfor-
mationsschritte auf der grundlegenden, abstrakten, unmanifesten Ebene die
ganzheitliche Intelligenz des Organismus (Veda) nicht voll wach ist (nicht
vollstandig zur Verfiigung steht), werden diese Prozesse auf den manifesten
Ebenen des Geistes und des Korpers nur unvollstandig ablaufen - es wird
„Unverdautes" (Ama) geistig und korperlich entstehen (unverdaute Gefiihle,
unverdaute Gedanken, unverdaute Sinneseindriicke, unverdaute Nahrung).



120



Lothar Krenner



Schlackenbildung (Ama) wird im Maharishi Ayurveda als ein Nebenpro-
dukt eines nicht im Gleichgewicht befindlichen Verdauungssystems definiert.
Alle Reinigungsprozesse der Maharishi Ayurveda Medizin haben daher fol-
gende Ziele: Belebung der inneren Intelligenz des Organismus - des Veda,
Wiederherstellung des individuellen Gleichgewichts der 3 Doshas (Vikriti/
Dehaprakriti/Prakriti), Starkung der Verdauungskraft Agni, Ausleitung der
Schlackenstoffe (Ama). Folgende Therapiekonzepte stehen dafiir in der Ma-
harishi Vedischen Medizin zur Verfugung: Transzendentale Meditation/Yoga,
individuell angepasste Ernahrungsempfehlungen — ayurvedische Diat (Aha-
ra), tages- und jahreszeitlich angepasste Mafinahmen der Gesundheitsroutine
(Dinacharya und Ritucharya), Vedische Urklangtherapie, Vedische Vibrati-
onstechnik, Musiktherapie (Maharishi Gandharva-Veda), Aromatherapie,
Farbtherapie, Ayurvedische Nahrungserganzungen auf pflanzlicher und mi-
neralischer Basis (traditionell zubereitete spezielle Krautermischungen) und
traditionelle ayurvedische Reinigungskurbehandlungen (Maharishi Pancha-
karma) . Der Zustand von Gesundheit ist im Maharishi Ayurveda die Wie-
derherstellung und Erhaltung des inneren Gleichgewichts (Prakritisthapan)
und der inneren Wachheit des Organismus; im Yoga wird dieser Zustand als
Erleuchtung bezeichnet. Das Ziel jeder ayurvedischen medizinischen Tatig-
keit ist daher die Entwicklung von Erleuchtung fur den einzelnen Menschen
und Gesundheit und Frieden fur die gesamte Gesellschaft.

„Ein Menscb istgesund, dessen Grundfunktionen (Doshas), Stoffwechsel (Agni),
Gewebe (Dhatus) und Ausscheidungen (Malas) im Gleichgewicht sind und dessen
Seek (Atma), Sinne und Geist sich dauerhaft im Zustand inneren Gliicks befin-
den". (Sushrut Samhita, Sutrasthan 15.41)



Einfiihrung in das Weltbild der Maharishi Vedischen Medizin

Die Vedische Medizin zahlt zu den altesten Gesundheitssystemen und hat ihren
Ursprung in Indien - dem Land des Veda. „Veda" heifit Wissen, bzw. Intelligenz.
Man versteht darunter die ganzheitliche Intelligenz der Natur - die Gesamtheit
aller Naturgesetze, die das manifeste Universum von einem unmanifesten Ein-
heitlichen Feld aus verwaltet (Hagelin J.S., Is consciousness the unified field? A
field theorists perspective; Modern Science and Vedic Science, 1, 29-87, 1987).
Wesentliche Teile dieses auch als „Mutter der Heilkunde" bezeichneten Gesund-
heitssystems gingen im Laufe der Jahrtausende verloren. Der Vedische Gelehrte
Maharishi Mahesh Yogi hat in Zusammenarbeit mit fiihrenden indischen Ayurve-
da-Arzten, westlichen Medizinern und Naturwissenschaftlern dieses Gesundheits-
system in der klassischen und gleichzeitig modernen, ganzheitlichen Form der
Maharishi Vedischen Medizin wieder belebt. Der im Westen bekannteste Aspekt
nennt sich Ayurveda.

Der Schlusselbegriff fur das Verstandnis der Vedischen Medizin und des
Ayurveda ist „Veda": „Veda" sind die grundlegenden Intelligenzstrukturen der
unmanifesten, absoluten Ebene des Lebens. „Veda" ist die innere Intelligenz - die
Schaltzentrale - der Natur, die alle Vorgange des Organismus und des gesamten
Universums steuert. Diese Urklange des Lebens sind von Vedischen Sehern (Ris-
his und Maharishis) im eigenen stillen Bewusstsein geschaut und als Veda und Ve-



Ausleitung in der Ayurvedischen Medizin



121



dische Literatur in horbare Klange (Mantren) und Sprache ausgedriickt worden.
Das Ziel der Maharishi Vedischen Medizin ist daher die Belebung der inneren
Intelligenz der Physiologie - des Veda und damit verbunden die Optimierung
der Kommunikation zwischen dem Veda — dem „Bauplan" — und deren materi-
ellem Ausdruck - der Physiologie, dem „Bauwerk". Ayurveda Medizin griindet
auf „Veda" von „Ayu" - auf dem „Wissen" vom „Leben". Ein grundlegendes Mis-
sverstandnis ware daher Ayurveda Medizin anzuwenden und dabei ihre Grund-
lage - den „Veda-Aspekt", den Wissens- und Bewusstseinsaspekt - nicht in den
Mittelpunkt zu stellen. Die Belebung des Veda in der Physiologie — der inneren
Intelligenz des Organismus — wird durch die einzelnen Vedischen Therapieansatze
auf unterschiedliche Art und Weise erreicht:

1 . Die direkte Erfahrung der transzendenten „Veda-Ebene" des Bewusstseins

(Grundzustand des Bewusstseins, Transzendentales Bewusstsein, Atma - das
Selbst) durch die Anwendung der Technik der Transzendentalen Meditation
(TM-Technik) und durch Yoga-Fortgeschrittenentechniken.

2. Die Belebung der „Veda-Ebene" des Bewusstseins

2.1 durch Vedische Urklangtherapie, Vedische Vibrationstechnik, ayurve-
dische Pulsdiagnose, ayurvedische Heilkrauter (spezielle Zu- und Auf-
bereitungsprozesse), Vedische Astrologie (Maharishi Jyotish), Vedische
Architektur (Maharishi Sthapatya-Veda), etc.

2.2 durch ausgleichende und harmonisierende ayurvedische Therapieansat-
ze, wie z.B. Musiktherapie (Maharishi Gandharva-Veda) , Aromathera-
pie, ayurvedische Ernahrungslehre, tages- und jahreszeitliche Gesund-
heitsroutine, Krauterolmassagen, etc.

2.3 durch reinigende und entschlackende Mafinahmen, wie z.B. Krauter-
dampfbader, spez. Massagen, abfuhrende Mafinahmen (Krautereinnah-
me, Krauteroleinlaufe, Krauterolanwendungen im HNO-Bereich), die
Verdauungskraft starkende Mafinahmen (Krautereinnahme, spez. Er-
nahrungsempfehlungen), etc.

Diese Vedischen Therapieansatze werden sehr individuell auf die Grundkon-
stitution und den gegenwartigen Zustand des Organismus abgestimmt. Dabei
spielt die arztliche ayurvedische Anamnese, die schulmedizinische und ayurvedi-
sche Befunderhebung und Diagnosestellung eine zentrale Bedeutung.

Maharishi Ayurveda, bzw. Maharishi Vedische Medizin beinhalten die Ganz-
heitlichkeit der traditionellen, klassischen, zeitlos giiltigen Konzepte der Vedischen
Gesundheitslehre und driicken sie in unserer modernen, naturwissenschaftlichen
Sprache aus — Maharishi Ayurveda, bzw. Maharishi Vedische Medizin integrieren
wissenschaftliche Forschung und westliche medizinische Qualitat mit dem jahr-
tausendealten Wissen der Vedischen Rishis.

Maharishi Ayurveda ist nicht „indische Volksmedizin"; es handelt sich um
allgemeingiiltige physiologische Prinzipien und das systematische Wissen iiber die
unserer Physiologie innewohnende Intelligenz — den Veda. Maharishi Vedische
Medizin besteht aus 40 Disziplinen. Die 4 Hauptsaulen sind:
a) Maharishi Ayurveda:

Ayurvedische Ernahrungslehre (Ahara), tages- und jahreszeitliche Gesund-
heitsroutine (Dinacharya/Ritucharya), ayurvedische Pflanzenheilkunde
(Dravya Guna), ayurvedische Entschlackungskuren und Ausgleichstherapi-



122



Lothar Krenner



en (Maharishi Panchakarma) , Pulsdiagnose und Pulstherapie (Nadi Vigyan),
Musiktherapie (Maharishi Gandharva-Veda), Aromatherapie, Farbtherapie,
Vedische Urklangtherapie, Vedische Vibrationstechnik

b) Maharishi Yoga/Transzendentale Meditation (direkte Erfahrung der trans-
zendenten Ebene der Einheit (Yoga) im eigenen Bewusstsein (Transzenden-
tales Bewusstsein, Atma - Selbst)

c) Vedische Astrologie/Maharishi Jyotish (Beziehung zwischen dem mensch-
lichen Nervensystem und dem Kosmos — Vedische Mathematik)

d) Vedische Architektur/Maharishi Sthapatya-Veda (Leben und wohnen im
Einklang mit der Natur - die Wissenschaft der Orientierung).

Verdauungsprozesse und Schlackenbildung

Lebensvorgange werden in der Ayurveda Medizin definiert als das Zusammen-
spiel dreier Grundprozesse (3 Doshas):

1 . Bewegung - Vata (Muskelbewegung, Stofftransport, Informationsweiterlei-
tung und Informationsverarbeitung im Nervensystem, das Fliessen von Ge-
danken)

2. Transformation - Pitta (Umwandlung, Verdauung mit der dabei entstehen-
den Warme und Energie) und

3. Stabilitat- Kapha (Formgebung, Zusammenhalt, Schleimbildung).

Aus der individuellen Kombination der drei Doshas leitet die Ayurveda Me-
dizin ihre Konstitutionslehre ab: 1) Prakriti - Geburtskonstitution (die bei der
Geburt vorhandene individuelle Mischung von Vata, Pitta und Kapha in der Phy-
siologic), 2) Vikriti (derzeitiges Ungleichgewicht), 3) Dehaprakriti (dauerhaftes
Ungleichgewicht, das als Konstitution erscheint) und 4) Wiederherstellung der
Geburtskonstitution (Prakritisthapan) .

Agni - Verdauungskraft, Verdauungsfeuer
Ama — Schlackenstoffe, „Unreifes", Endo- und Exotoxine
Malas - Ausscheidungsprodukte (Stuhl, Harn und Schweifi)
Dhatus - die 7 Gewebearten (entstehen aus der Nahrung durch die Verdau-
ungsprozesse): Rasa - Blutplasma/Lymphe/interstitielle Fliissigkeit, Rakta - Blut
(feste Bestandteile, speziell Erythrocyten), Mamsa - Muskelgewebe, Medo - Fett-
gewebe, Asthi — Knochengewebe, Majja — Knochenmark/Nervengewebe (vom
Knochen eingeschlossenes Gewebe), Shukra — Fortpflanzungsgewebe (Samen-/
Eizellen)

Ojas - Aktivierungsgrad des Veda im Organismus, am Phaseniibergang zwi-
schen Bewusstsein und Materie, innere Wachheit.

Transformation (Verdauung) ist einer der grundlegenden Vorgange des Le-
bens

Die Transformation von einem Zustand in den nachsten lauft immer nach densel-
ben grundlegenden Gesetzmafiigkeiten ab: auf korperlicher, geistiger, emotionaler
und transzendenter Ebene.



Ausleitung in der Ayurvedischen Medizin



123



„Mantra Brahmanayor-Veda namadheyam" — „Mantra (die manifesten Ur-
klange) und Brahmana (die unmanifesten Liicken) zusammen bilden den Veda"
(Apasthamba Shrautasutra, 24.1.31). Der Veda (die 4 Veden - Rig, Sama, Yajur
und Atharv - und die 36 Aspekte der Vedischen Literatur) macht in seinem ei-
genen Kommentar die innere Dynamik der Liicken sichtbar (Maharishis Schau
des Apaurushea Bashya — Selbstkommentar des Veda; Human Physiology, Ex-
pression of Veda and the Vedic Literature; T. Nader, M.D., Ph.D.). Jeder un-
manifeste Zwischenraum besitzt 4 Transformationswerte: 1) Pradhvamsaabhava
(die Mechanismen, durch die ein Laut oder eine Silbe A in den Zwischenraum
hineinkollabiert). 2) Atyantabhava (der stille Punktwert, non A/non B, enthalt
alle Moglichkeiten in potentieller Form). 3) Anyonyabhava (strukturierende Dy-
namik des stillen Punktwertes - Gesamtheit des Veda) und 4) Pragabhava (die
Mechanismen, durch die ein Laut B aus dem Zwischenraum hervortritt).

Verdauungsstorung im Maharishi Ayurveda bedeutet: Wenn die Gesamtheit
des Veda - die innere Wachheit, das gesamte Potential der Intelligenz der Na-
tur — in der Transformationsliicke nicht vollstandig zur Verfiigung steht, wenn
das Ojas-Niveau vermindert ist, wird jede Art von Transformation unvollstandig
sein. Diese fehlende innere ruhevolle Wachheit ist die eigentliche Ursache fur die
Entstehung von „Verdauungsproblemen" und die Bildung von „Schlackenstof-
fen" (Ama). Ama kann auf korperlicher, geistiger und seelischer Ebene entstehen,
und zwar durch unverdaute Nahrung, Sinneseindriicke, Gefiihle - Emotionen
und/oder seelische Prozesse.



Entschlackende Mafinahmen

Entschlackung ist im Maharishi Ayurveda ein Prozess der zwei Aspekte enthalt:

1 . Ama-Abbau (Abbau und Ausleitung bestehender Schlackenstoffe) und

2. Ama-Pravention (Vorbeugung neuer Schlackenbildung).

Er besteht in der Reduktion von Ama und der Starkung von Agni. Entschlak-
kung ist daher primar ein Bewusstwerdungsprozess und bedeutet die Nutzbarma-
chung des gesamten Intelligenzpotentials des Organismus, die Belebung des Veda,
die Entwicklung eines Zustandes innerer ruhevoller Wachheit.

Prinzipiell sollte Diat laut Maharishi Ayurveda angepasst sein an die individu-
elle Konstitution, an die Starke von Agni und an das Ausmafi der Ama-Belastung.
Aus den bisherigen Erlauterungen lasst sich ableiten, dass die Zufuhr von Nah-
rungsmitteln auf korperlicher, geistiger und seelischer Ebene vor sich geht. Daher
kann z.B. auch eine Sinneswahrnehmung oder eine Emotion das Verdauungssy-
stem iiberlasten und zur Schlackenbildung fiihren.

Die Ursachen fur die Entstehung von SchlackenstofFen konnen neben der
bereits beschriebenen

1 . fehlenden inneren Wachheit des Organismus,

2. eine inadequate Nahrung sein und zwar betreffend:

2. 1 die Situation (nicht angepasst an Tageszeit, Jahreszeit/Klima),

2.2 die Konstitution (nicht angepasst an Lebenssituation, bzw. an momentane
Ungleichgewichte — Vikriti, bzw. an Geburtskonstitution — Prakriti),



124



Lothar Krenner



2.3 die Qualitat (enthalt bereits Ama: Herbizide/Pestizide, verdorbene Nah-
rung, aufgewarmte Speisen, Dosennahrung, Mikrowelle, etc. — vedisch-biologi-
sche Nahrung ist empfohlen) und

2.4 Nahrung die nicht angepasst ist an den Zustand von Agni (zu schwer
verdaulich) und

3. eine gestorte Verdauungskraft („Verdauungsfeuer") . Agni wird durch das Do-
sha-Ungleichgewicht folgendermafien beeinflusst:

3. 1 Vata Storung (Vishama Agni) - unregelmaftiges Verdauungsfeuer,

3.2 Pitta Storung (Tikshna Agni) - scharfes Verdauungsfeuer,

3.3 Kapha Storung (Agnimandya) - schwaches Verdauungsfeuer.

3.4 Wenn Agni im Gleichgewicht ist spricht man von Sama Agni.

Beispielhaft werden einige Faktoren herausgegriffen, die Agni aus dem Gleich-
gewicht bringen: Fasten (nur bei spezieller Konstitution und bei speziellen ge-
sundheitlichen Problemen empfohlen), Uberessen, unregelmafiiges Essen und
Essen bevor die vorangegangene Mahlzeit verdaut wurde (Essen ohne Hungerge-
fiihl). Die Esskultur spielt im Maharishi Ayurveda eine wichtige Rolle: im Sitzen
essen, in Ruhe essen, die Aufmerksamkeit auf das Essen richten (keine Zeitung,
kein Radio, kein TV und keine unangenehmen oder „heifien" Diskussionen),
nach dem Essen 5 — 10 Minuten Ruhe, aber kein Schlaf. Nach einem richtig ab-
gestimmten und ausgewogenen ayurvedischem Essen sollte ein Gefiihl von Ruhe,
innerer Wachheit, Energie und Gliick vorhanden sein.

Entschlackende Mafinahmen reduzieren Ama und starken Agni u.a. durch:

1) Diat: angepasst an die individuelle Konstitution, die Starke von Agni und
das Ausmafi der Ama-Belastung, 2) Gewiirze: z.B. Ingwer (Shunthi), Kreuzkiim-
mel (Ayaji), Fenchel (Madhurika), Koriander (Dhanyaka), Basilikum (Tulsi),
Schwarzer Pfeffer (Maricha), Langer Pfeffer (Pippali), Kardamom (Ela), Bocks-
hornkleesamen (Methi), Wilder Sellerie (Ajuwan), Asafoetida (Hingu), 3) Heil-
krautermischungen, 4) Entschlackungskuren: Maharishi Panchakarma, 5)
Vedische Urklangtherapie, 6) Vedische Vibrationstechnik und als wichtigsten
Punkt 7) Maharishi Yoga: Transzendentale Meditation.

Praktische Hinweise dazu finden sich u.a. auf der Homepage der Osterreichi-
schen Gesellschaft fiir Ayurvedische Medizin (www.ayurveda.at/aktuell/Gesund-
heitstipps/allg%20tipps.htm) .

Abschlieftende Bemerkungen

Die Osterreichische Gesellschaft fiir Ayurvedische Medizin ist eine Arztegesell-
schaft, die 1986 gegriindet wurde, um dieses jahrtausendealte Gesundheitssystem
auf einer ganzheitlichen und wissenschaftlich fundierten Grundlage zu lehren.
Dabei hat sich der Begriff „Maharishi Ayurveda", bzw „Maharishi Vedische Me-
dizin" als Markenname etabliert.

Maharishi Vedische Medizin hat ihren Arbeitsschwerpunkt in den Bereichen
Prevention, Befindlichkeitsstorungen, Psychosomatik, Stressfolgekrankheiten und
chronische Erkrankungen. Sie bietet als Komplementarmedizin eine Erweiterung
des schulmedizinischen Therapiespektrums an und damit eine Verbesserung der



Ausleitung in der Ayurvedischen Medizin



125



medizinischen Versorgung der Bevolkerung. Maharishi Vedische Medizin lasst
sich einfach in jedes bestehende Gesundheitssystem integrieren.

Unsere Zeit erfordert neue, ganzheidiche und innovative Losungsansatze -
auch und besonders im Gesundheitswesen; dies erfordert die Zusammenarbeit
aller beteiligten Experten und scheint der einzig sinnvolle Weg zu sein, die hohe
Qualitat unseres Gesundheitssystems auf Dauer zu sichern und dem Ziel der
Vedischen Medizin naher zu kommen: eine krankheitsfreie Gesellschaft zu
schaffen.



Wissenschaftliche Studien - kurze Zusammenfassung

a) Free radical scaving

• Indigenous Free Radical Scavenger MAK 4 and MAK 5 (Herbal Mixture) in
Angina Pectoris; Journal of the Association of Physicians of India, Vol 42, 6,
466-467, 1994

• Effect of Herbal Mixture MA 724 on Lipoxygenase Activity and Lipid Peroxi-
dation; Free Radical Biology and Medicine, Vol 18, 4, 687-697, 1995

• Inhibitory Effects of MAK 4 and MAK 5 (Herbal Mixture) on Microsomal Li-
pid Peroxidation; Pharmacy, Biochemestry and Behavior, Vol 39, 3, 649—652,
1991

• Protective Effects of MAK 4 and MAK 5 (Herbal Mixture) on Adriamycin In-
duced Microsomal Lipid Peroxidation and Mortality; Biochemical Archives,
Vol 8, 267-272, 1992

• Effect of Herbal Mixtures MAK 4 and MAK 5 on Susceptibility of Human
LDL to Oxidation; Complimentary Medicine International, Vol 3, Nr. 3,
28-36, 1996

• Effect of oral Herbal Mixtures MAK 4 and MAK 5 on Lipoproteins and LDL
Oxidation in Hyperlipidemic Patients; Journal of Investigative Medicine, Vol
43, 483A, 1995

• Inhibition of Human LDL Oxidation in vitro by Herbal Mixtures MAK 4,
MAK 5 and MA 631; Pharmacology, Biochemestry and Behavior, Vol 43,
1175-1182, 1992

b) Abbau von atherosklerotischen Plaques

• Verminderung des Risikos fur Myocardinfarkt und cerebralem Insult; Stroke
(AHA) 31 (2000):568-573

A randomly assigned trial on hypertensive African Americans found that the
Transcendental Meditation program (TM) significantly reduced blood vessel
blockage (carotid intima-media thick-ness - IMT), compared to a health educa-
tion program. The findings suggested that the TM program may reduce risk of
heart attack by about 11% and risk of stroke by 7,7-15%.

• Increased Exercise Tolerance in Angina Patients (TM); American Journal of
Cardiology 85 (2000): 653-655.

c) Neuere Studien iiber die Wirkung der Technik der Transzenden talen Me-
ditation bei Hypertonic- Patienten:

• American Journal of Hyper-tension, 2005; 18: 88-98



126



Lothar Krenner



• American Journal of Cardio-logy, Volume 95, Issue 9, 1 May 2005, Pages
1060-1064

Weitere Informationen iiber wissenschaftliche Arbeiten erhalten Sie im Se-
kretariat der Osterreichischen Gesellschaft fur Ayurvedische Medizin (Maharishi
Institut fur Vedische Medizin).
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Ayumi

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Literatur

Fachliteratur

Caraka Samhita, translated in English Sharma/Bhagwan Dash, Chowkhamba Sanskrit
Stud., Varanasi, India

Sushruta Samhita, translated in English K.L. Bhishagratna, Chowkhamba Sanskrit Stud.,
Varanasi, India

Human Physiology — Expression of Veda and the Vedic Literature, Tony Nader, M.D,
Ph.D, Maharishi Vedic University Press, Holland, 4. Auflage, 2000, ISBN 81-7523-
017-7

Die Wissenschaft vom Sein und die Kunst des Lebens, Maharishi Mahesh Yogi; Neuauflage

1998, Kamphausen Verlag, ISBN 3-933496-40-3.
Contemporary Ayurveda, Medicine and Research in Maharishi Ayurveda, Prof. Dr. Hari

Sharma/Dr. Christopher Clark, Verlag Churchill Livingstone, ISBN 0-443-05594-7
Handbuch Ayurveda, Schrott/Schachinger/Raju, Haug Verlag, 2005, ISBN 3-8304-

2106-0



Andere

Aufbruch zur Stille, Maharishi Ayurveda — eine leise Medizin fur eine laute Zeit; Dr. med.

Ulrich Bauhofer, Lubbe Verlag, ISBN 3-7857-0873-4.
Ayurveda fur jeden Tag; Dr. med. E. Schrott, Mosaik Verlag, TB, ISBN 3-442-16131-2.
Ayurveda - Kursbuch fur Mutter und Kind; Dr. Karin Pirc, Lubbe Verlag, ISBN 3-7857-

0801-7.

Den Alterungsprozess umkehren — Das Lebenselixier des Maharishi Ayurveda; Dr. Karin

Pirc, J. Kamphausen Verlag, ISBN 3-933496-56-X.
Die heilenden Klange des Ayurveda; Dr. med. E. Schrott, Haug Verlag, ISBN 3-8304-

2055-2

Kochen nach Ayurveda; Dr. Karin Pirc, ISBN 3-8094-1420-4.

Die kostliche Kiiche des Ayurveda; Dr. med. E. Schrott, Heyne TB, ISBN 3-442-
16639-X.

Cluck und Erfolg sind kein Zufall: Die Erfolgs- und Management-Geheimnisse des Veda;
Alois M. Maier, ISBN 3-933496-62-4.



Internetlinks



Deutsche Gesellschaft fiir Ayurveda: www.ayurveda.de



Ausleitung in der Ayurvedischen Medizin



127



Osterreichische Gesellschaft fiir Ayurvedische Medizin, Maharishi Institut fiir Vedische

Medizin: www.ayurveda.at
Research Summary: www.mum.edu/physiology/research.html, www.mapi.com/en/re-

search/ index.html



Kapitel 16

Ausleitungsverfahren in der Homoopathie

Sieghard Wilhelmer



Zusammenfassung

Zwei in der Homoopathie iibliche Ausleitungsverfahren und eine eigene Me-
thodik werden vorgestellt.

1. Ausleitung nach Nebel: je nach belastetem Organ und nach individuellen
Symptomen des Patienten wird eine Arznei in niedriger Potenz iiber kurze
Zeit gegeben.

2. Ausleitung nach Hahnemann: Entsprechend den 3 „Miasmen" wird eine
Arznei zur „Ausleitung" verabreicht

3. Eigene Methodik: Gabe von Nosoden in wechselnder Potenzhohe je nach
auslosender Krankheit.

In der Homoopathie gibt es seit Hahnemann ausleitende Therapien.



Ausleitung nach Nebel

Der Schweizer Homoopath (2) gibt je nach belastetem Organ und individuell je
nach der Ahnlichkeitsregel homoopathische Arzneien in niedriger Potenz iiber
einen Zeitraum von etwa einem Monat 3 mal taglich. Die Arznei hat zum Or-
gan einen phytotherapeutischen Bezug, es werden pflanzliche Arzneien gegeben.
Es miissen immer die Lokalsymptome und die fur den Patienten individuellen
Symptome entsprechend dem homoopathischen Ahnlichkeitsgesetz beriicksich-
tigt werden.

Beispiele
1.1. Leber

1.1.1. Taraxacum officinale D 4

Lokalsymptom: Leber vergrofiert, verhartet, Verschlussikterus Landkarten-
zunge

Allgemeinsymptome: bitterer Geschmack, Bewegung im Freien bessert, de-
pressiv, Schwache.



130



Sieghard Wilhelmer



1.1.2. Silybum marianum D 4

Lokalsymptom: druckschmerzhafte, geschwollene Leber, Leberschmerz bei
Linkslage, Ascites, Stechen in der Milzgegend vor allem beim Einatmen und Biik-
ken

Allgemeinsymptome: lehmfarbene Stiihle, Blutungen (Noduli) verbessern den
Allgemeinzustand, Biertrinkerzirrhose, hypochondrisch, apathisch

1.1.3. Lycopodium clavatum D 4

Lokalsymptom: Hepatitis, schmerzhafte Hamorrhoiden, besser
durch heifies Baden,

Allgemeinsymptom: Obstipation auf Reisen, Knollenstiihle, iibergenauer, eit-
ler, hypochondrischer Choleriker, blass, Potenzprobleme, vorzeitig gealtert ausse-
hend.

1.2. Niere

1.2.1. Solidago virgaurea D 4

Lokalsymptome: Urin dunkel und sparlich, stinkend, mit Eiweifi Schleim und
Phosphaten, druckschmerzhafte Nierengegend, Nierenschmerz erstreckt sich ge-
gen die Blase.

Allgemeinsymptom: Schwache, Frosteln im Wechsel mit Hitze, nachts bitte-
rer Mundgeschmack, reichlich unwillkiirliche Schleimstiihle, Lumbago, fiihlt sich
krank und iibel, Beine mit Petechien und Odemen.

1 .2.2. Helleborus niger D 4

Lokalsymptome: Anurie, Kaffeesatzsediment im Urin, Nephritis, Gestose
Allgemeinsymptome: Schwache bis zur Lahmung, langsam progredient, Odeme,
„stumpfe Sinne", betaubende Kopfschmerzen, bleiches, gedunsenes Gesicht, As-
zites, Kollapsneigung

1.2.3. Berberis vulgaris

Lokalsymptome: Urin dick, gelb, triib, Ziegelmehlsediment, kann nicht kom-
plett ausurinieren, Urethra brennend nach und vor dem Urinieren, Nierenkolik
Allgemeinsymptome: Bewegung und Erschiitterung

verschlimmern, Stehen ermiidet, iibergewichtiger Schwachling, Venenleiden,
auch Gallenkoliken,

Schmerzen ausstrahlend von einem Punkt, wechseln den Ort.

Ausleitung auch fur Herz, Lunge, Genitale. Die Beispiele dienen nur zum
besseren Verstandnis der Methodik. Die Unterscheidung in Lokal- und Allge-
meinsymptome entspricht nicht prazise den Begriffen in der Homoopathie. Zur
Anwendung der Nebel'schen Therapie ist die Kenntnis der Klassischen Homoo-
pathie notig.

Miasmen nach Hahnemann

Im ersten Band seines Werks „Die chronischen Krankheiten" (1) wird der „An-
steckungszunder" und die entsprechende Symptomatik genau beschrieben. (Allein
der Prazision der Beschreibung wegen ist Hahnemann fur jeden Arzt lesenswert)
Hahnemann unterscheidet 3 „Miasmen", wobei er nicht nur den Primaraffekt
sondern vor allem die daraus entstehende chronische Erkrankung/Belastung be-
schreibt.



Ausleitungsverfahren in der Homoopathie



131



Angesichts der chronischen Virusinfekte, der Folgen von Borreliose und
FSME usw ist sein Gedankengang durchaus zeitgemafi.

2.1. Syphilis: „Destruktion" Alle „geschwiirigen" Leiden von der Stomatis
aphthosa bis zur Colitis ulcerosa und zum Carcinom Hauptarznei nach Hane-
mann mercurius, aber auch nitricum acidum, kreosot, acidum silicicum und viele
andere

2.2. Gonorrhoe: „Sykose". Alle „Steinleiden" und alle Leiden, die mit Hyper-
trophie einhergehen, von der Warze bis zur Hypertonic Diabetes, Gicht, Nieren-
steine... Hauptarznei ist Thuja occidentalis, aber auch die Nosode Medorrhinum

2.3. Psora: Fur Hahnemann das haufigste Miasma, alle Ekzeme, chronischen
Viruserkrankungen, Herpes, Neurodermitis, sicher nicht nur Skabies, weil Hah-
nemann von „Kratze" spricht. Psora wird in verschiedenen homoopathischer
Schulen sehr unterschiedlich interpretiert und diskutiert. Hauptarznei ist Sulfur

Eigenes Vorgehen

3.1. Eigene Erfahrungen

Bei Patient/innen mit erhohtem ASLO habe ich mit Streptococcen C 200 5
Globuli einmal wochentlich iiber mehrere Monate gute Erfolge gehabt. Nicht nur
der ASLO war auf Normalwerte gesunken, auch Krankheiten wurden ausgeheilt,
die sonst unbehandelbar erschienen. Viele Patient/innen leiden trotz korrekter
Borreliosebehandlung lange Zeit danach an Symptomen. Borrelia — Nosode C
200 bei Bedarf brachte Linderung der Beschwerden bis zur Beschwerdefreiheit

3.2. Ausleitung nach Dr. Wilhelmer

Wenn eine Erkrankung nach einem Infekt oder nach einer Impfung begon-
nen hat, werden von der entsprechenden Nosode (Apotheke zum Weissen En-
gel, Retz) einmal wochentlich 5 Globuli gegeben. Dabei wechselt die Potenz . Es
wird eingenommen: C 30 - C 60 - C 200 - C60 - C 30 - C - 60 - C 200 - C
60-C30...

Damit habe ich bei sehr vielen chronischen Krankheiten sehr gute Erfolge er-
zielt und empfehle daher diese Methodik zur Uberpriifung und zur Anwendung.

Literatur

Hahnemann S (1983) Die chronischen Krankheiten, ihre eigentiimliche Natur und ho-
moopathische Heilung, Erster Teil Unveranderter Nachdruck, Organon-Verlag.

Nebel A, Lehre von der Kanalisation oder Drainage, Berliner homoopathische Zeitschrift
VI/34//1915, 179-187, Berlin.



Kapitel 17

Hyperthermic und Entgiftung

RalfKlerf



Zusammenfassung

Diese Arbeit basiert auf einer MedLine Recherche und Literaturiibersicht zu
den Themen milde und moderate Ganzkorperhyperthermie und Entgiftung
(„Detoxifikation"). Die wissenschaftliche Literatur zu diesen Themen be-
schrankt sich bisher zum grofiten Teil auf die jahrzehntelange empirische Er-
fahrung mit Sauna und Dampfbadern in den verschiedensten Kulturkreisen.
Als ein Beispiel beschreiben wir die Ausleitungsmechanismen von polychlo-
rinierten dibenzo-p-Dioxinen und verwandten Dioxin-ahnlichen Wirkstof-
fen. Es wird die Schweifibildung, insbesondere hervorgerufen durch infrarote
Uberwarmungstechniken, aufgezeigt und welche additiven antioxidativen
Therapieregime in den Behandlungsplan aufgenommen werden.

Die klinische Methode der milden und moderaten Ganzkorperhyperther-
mie wurde in vielen Jahren Erfahrung in Wien durch den Autor etabliert. Das
Institut fur Warme- und Immuntherapie IWIT in Wien ist das ftihrende In-
stitut fur Warmetherapien in Osterreich sowohl in der Grundlagenforschung
als auch in der klinischen Anwendung der Hyperthermic Neben einer Viel-
zahl physiologischer und immunologischer Mechanismen, die im Warmblii-
ter durch Hyperthermic induziert werden, spielt die Detoxifikation der so ge-
nannten Grundsubstanz, der extrazellularen Matrix, die entscheidende Rolle
in der Detoxifikation durch Hyperthermic



Einleitung

Die wissenschaftliche Grundlage des Entgiftungs- oder „Detoxifikations"-Pro-
zesses von Warmbliitlern ist das „Clearing" der extrazellularen Matrix [Pischinger
1998, Heine 1997]. Der wichtigste Wirkungsmechanismus ist die allgemeine Va-
sodilatation aller Korperkompartemente durch Erhohung des Blut- und Lymph-
flusses infolge komplexer thermoregulatorischer Mechanismen. Der zentrale
Mechanismus ist eine allgemeine Vasodilatation des Blut- sowie des Lymphgefaft-



134



Ralf Kleef



systems. Es handelt sich hierbei um das komplexe System der Proteoglykane, das
als molekulares Netz interpretiert werden kann, das durch Infrarot-Hyperther-
mietechniken erweitert wird.

Das „Entgiftungssystem" von Warmbliitlern lasst sich folgendermafien zusam-
menfassen:

• Niere, Blase

• Leber, Gallensystem

• Magen-Darm-Trakt

• Atmungssystem

• Haut

• Lymphatisches System

Immunabwehrzone Epithel
Immunglobuline: IgA —

1. Haut

2. Schleimhaut:
Atmungssystem
Urogenitaltrakt

Immunabwehrzone Thymus-Lymphe
Immunglobulin: IgM — proliferativ

1. Lymphatisches System, Lymphknoten

2. Adenoide, Tonsillen, Plaque in der Lymphe

3. Knochenmark

4. Milz

5. Leber

6. T-Lymphozyten

Immunabwehrzone Mesenchym: Immunglobulin: IgG — exsudativ

1. Epithel, Meningen

2. Pleura, Perikard

3. Peritoneum, Omentum

4. Mesenterium

5. Synovialis

6. Interstitielles Gewebe, zartes Bindegewebe

7. Monozyten, Histiozyten, B-Lymphozyten

Reinigungsmethoden

1 . Reinigung iiber den Darmtrakt

2. Reinigung iiber die Haut

3. Forcierte Diurese

4. Diaphoretische Methoden

5. Aderlass-Methoden

Der Begriff Grundregulierung wurde von Pischinger, Heine und Mitarbeitern
gepragt [Pischinger 1998, Heine 1997]: „Das Phanomen einer einzelnen Zelle



Hyperthermic und Entgiftung



135



kann als morphologische Abstraktion gesehen werden. Ohne Einbeziehung des
lebenden Milieus der Zellen kann es nicht biologisch untersucht werden." Die
Autoren nannten diesen Interzellularraum im Organismus „Matrix".

Was ist das biologische Aquivalent der Matrix?

• Virchowsche Zellpathologie versus Wechselwirkung zwischen Matrix und
Zelle

• Wasserspeicherung des Proteoglykansystems, Transport aller Mikronahrstoffe,
hormonelle und vegetative Mediatoren, Signaltransduktion des vegetativen
Nervensystems, Enddistanz fur Sauerstoff, Sauerstoffarten

• Speicherung fur Schwermetalle und Toxine

• Toxine des Stoffwechsels werden an Matrix-Proteine angedockt.

Hyperthermic bei Entgiftungsprotokollen

As Tfierapieansatz wird gegenwartig immer starker Hyperthermic mit Infrarot-
strahlung angewandt, wobei deren Befiirworter eine Vielzahl erwarteter Wir-
kungen propagieren. Im Gegensatz zu Saunabadern, die mit der praventiven Wir-
kung auf das kardiovaskulare System/auf den Kreislauf [Kauppinen 1997, Tei et
al. 1994, Biro et al 2003, Keast et al 2000] und mit einer aktivierender Wirkung
auf das Immunsystem [Ernst et al. 1990, Sundberg et al. 1968] in Verbindung ge-
bracht wurden, sind in der wissenschaftlichen Literatur jedoch nur wenige giiltige
Daten zu messbaren Auswirkungen der fernen Infrarotstrahlung bei Hyperther-
mietherapie auf den Organismus vorhanden. Zudem wurde nur wenig iiber die
Wirkmechanismen dieser Wirkungen publiziert. Die vorliegende Miniiibersicht
sollte daher (1) eine legitime Datengrundlage iiber die systemischen Wirkungen
milder Infrarotstrahlung auf den Organismus und (2) Strategien fur die weitere
klinische Forschung schaffen.

Ubereinstimmend wird milden und moderaten Ganzkorperhypertermietech-
niken ein eindeutiges Potenzial zur Modulierung des Immunsystems eingeraumt
[Kleef 1998, Zellner et al 2002, Loer et al 1999]. Klinische Ganzkorperhyperther-
mie erreicht eine signifikante Erhohung der Korperkerntemperatur im Fieberbe-
reich, auch iiber die Dauer mehrerer Stunden [Monographic von Schmidt 1987,
rezensiert von Kleef 1998:], im Gegensatz zu fernen Infrarottechniken, die auf
sehr milde und kurze Erhohungen (30—40 Minuten Expositionszeit) der Kern-
temperatur im 0,1 C-Bereich abzielen.

Die Bedeutung des Fiebers in der Epidemiologic und seine physiologische und
immunologische Funktion wurde in vielen wissenschaftlichen Veroffentlichungen
untersucht [rezensiert bei: Kleef et al 200 1 ] . Die kiinstliche Erhohung der Korper-
kerntemperatur bei milden Temperaturen [Park et al. 2005] durch Hyperthermie-
techniken ist aufgrund der berichteten positiven Auswirkung von Fieber in der
Praventivmedizin wie auch bei chronischen Erkrankungen sehr interessant [Kleef
et al. 2001, Roth 2003, Roberts 1991].



136



Ralf Kleef



Grundprinzip der Ganzkorper-Hyperthermie

Das Grundprinzip der Ganzkorper-Hyperthermie ist eine Offnung oder Erweite-
rung der Matrix. Der physiologische Mechanismus basiert auf einer starken Ver-
besserung der Mikrozirkulation in alien Muskel- und Organschichten innerhalb
des Korpers. Dies impliziert eine transiente Erhohung der mittleren vaskularen
Dichte der Blut- und Lymphgefafte (Mean vascular density MVD) bis zu den
feinsten Mikrokapillaren. Diese Erhohung der MVD fuhrt zu einem verbesserten
Metabolismus der Nahrstoffe wie auch zu einer verbesserten Ausleitung der (toxi-
schen) Abfallprodukte.

Zudem wird nach einer Ganzkorper-Hyperthermie eine signifikante Erho-
hung der SchweiEsekretion sowohl beziiglich des Schweifivolumens als auch des
Schweifigewichts induziert. Die bekannten Auswirkungen auf die allgemeinen
physiologischen Parameter, aber auch die Riickwirkung der Zellen des Immunsy-
stems zeigen deutlich, dass eine milde Ganzkorper-Hyperthermie bei regelmafii-
ger Anwendung eine systemische Wirkung auf die komplexen Regulationsebenen
des Organismus erzielt. Diese Wirkungen konnen folgendermafien interpetiert
werden: Die milde Ganzkorper-Hyperthermie mit Infrarotstrahlung ahmt die
physiologischen Reaktionen auf leichte korperliche Betatigung (moderater Aus-
dauersport) nach. Die positiven langfristigen Wirkungen von moderatem Aus-
dauersport auf die Gesundheit sind gut nachgewiesen. Die Infrarotstrahlung mo-
duliert zudem das Immunsystem, indem es bei experimenteller Stimulation die
Zytokinsynthese pro-infiammatorischer Zytokine reduziert. Aufierdem wird der
endogene Kortisolspiegel und - in weniger ausgepragter Form - der Endorphin-
spiegel erhoht.

Weiters ahmt die Hyperthermic mit Infrarotstrahlung die Physiologie des na-
tiirlichen Fiebers besser nach als andere physikalische Methoden, weil die Strah-
lung iiber die Kapillarsysteme rasch durch alle Muskel- und Organschichten
dringt [Biihring et al. 1986].

Immunologische Uberlegungen

Die Hyperthermic mit Infrarotanwendung moduliert die Zytokinsynthese akti-
vierter Leukozyten signifikant nach unten [Kleef et al 2006]. Ein ahnliches Zy-
tokinmuster wird jedoch auch nach leichter korperlicher Betatigung beobachtet
[Mastorakos et al. 2005]. Aus diesen Daten wie auch aus anderen Parametern
(z.B. aus dem Kortisolplasmaspiegel) kann geschlossen werden, dass die Auswir-
kungen nach milder Infrarotstrahlung der physiologischen Reaktion auf leichte
korperliche Betatigung gleichen. Dies konnte eine grofie Bedeutung in der Ge-
rontologie wie auch bei betagten Personen haben, die haufig in ihren korperlichen
Fahigkeiten eingeschrankt sind. In der Sportmedizin findet die Infrarotstrah-
lung hingegen schon haufige Anwendung, insbesondere bei Weltklasseathleten
im Fufiball oder im alpinen Schisport. Die haufig berichtete erfrischende und
regenerierende Wirkung nach milder Infrarotstrahlung konnte durch die feine
Abdampfung immunologischer Funktionen erklart werden, die den Organismus
vor Uberreaktion schiitzen [Masuda et al 2005]. Andererseits wurde aufgezeigt,



Hyperthermic und Entgiftung



137



dass leichtes Muskeltraining anti-inflammatorische Wirkungen hat [Gielen et al.
2003], was zu einem verbesserten muskularen Sauerstoffmetabolismus beitragen
konnte [Hannuksela et al 2001].

Blutdruck

Nach Saunabadern wurden die Blutdrucksenkung [Hannuksela et al 2001] und
Verbesserungen in der vaskularen Endothelfunktion nachgewiesen [Imamura et
al. 2001, Masuda et al. 2004]. Der Wirkungsmechanismus wurde durch eine re-
duzierte Ausscheidung von 8-epi- Prostaglandin F(2alpha) und einen reduzierten
PGF(2alpha)-Spiegel im Urin als Kennzeichen fur oxidativen Stress als eine Ur-
sache fur die Entwicklung arterioskleriotischer Endothelschadigung, identifiziert
[Imamura et al. 2001]. Andererseits bewies die verstarkte Ausscheidung von ar-
terieller Endothel-Stickoxidsynthase (eNOS) nach der Thermaltherapie einen
Schutzmechanismus gegen eine Schadigung des Endothels [Ikeda et al 2001].

Dass die Ganzkorper-Hyperthermie eine blutdrucksenkende Wirkung hat,
wurde bei Bluthochdruckpatienten unter Beweis gestellt, bei denen eine Serie von
milden Ganzkorper-Hyperthermiebehandlungen durchgefuhrt wurde [MefFert et
al 1991].

Literaturiibersicht Hyperthermic - Detoxifikation/Entgiftung

Die folgenden Referenzen* unterstreichen die Leistungsfahigkeit von Hitzebe-
handlungstechniken bei Entgiftungstherapien. Eine detaillierte MedLine-Suche
zu den Schliisselwortern Hyperthermie und Detoxifikation/Entgiftung ergab Ver-
offentlichungen, die unter folgenden Zwischentiteln thematisch geordnet aufge-



fiihrt werden:

• Entgiftung von Umweltgiften und Arzneimittelriickstanden: n=8

• Auswirkungen renaler Ausscheidung mit Warmestimulus: n=2

• Auswirkungen von Warmestress und die endokrinen Hormone: n=8

• Auswirkungen von Warmestress und Infrarot auf das Immunsystem: ... n=84

• Die Verwendung von Schweifi zur Evaluierung von Quecksilber-

und Metalltoxizitat: n=4

• Entgiftung von Chemikalien iiber Schwitzen: n=8

Heilung von Wunden mit Infrarot: n=6

Warme und Fieber: n= 1 0

• Biologische Aktivitaten von Infrarot: n=2

Aktivierung von Praparaten mit Infrarot: n=4

• Thermoregulierung durch Warmestress und Infrarot: n=17

• Auswirkungen von Infrarot und Warmestress auf die Haut: n=13

• Bio-Effekte der Hyperthermietherapie auf den menschlichen
Korper-Ausleitung von Chemikalien: n=26



* Redaktionsbedingt konnen diese Referenzen nicht gedruckt werden, auf
Nachfrage werden sie vom Autor zugesandt.



138 RalfKleef

Unterscheidung nach Intensitatsniveaus und Beschreibung der Ganzkorper-
Hyperthermie





Milde GKHT


Moderate GKHT


Extreme GKHT


Ziertemperatur


< 38,5 °C


38,5 "C - 40,5 °C


> 40,5 "C



An we nd u n gsd a ue r


kurz


lang


km


lang




T«mpMli*t*f*«yi


' 30 nun


> 30 rmn


<4h


>4 h


> 1 h


Paltentenbeiastung


Schwrtren.
kein

themwreguiatonscher

Si v\i


Schwtfzen.
kmn

thefmoteguiatorisctier
StreG


t he rm or eg u lalooscher

area,

persOnl Belieoung
ggf . schwache SetJerung


1 h erm o regju 1st onschet
9reO.

Sedierung eflordetlich


ttefe intra venose
Anasthesie

Oder
Vollnarkose




ohne Betreuung.
Heimanwendung mdglch


pflegensche Betreuung.


ptlegertsche Betreuung
ml ar/lltchet Aufiicht


pflegensche Betreuung
flirt arztlitfier AufSiCW.


arzlltch geteflete
I nt e nsi v- U be rwachu ng


Patienteniiberwachung




T(axflir.sutXinguai

tympanal)


T(rektai).
T(a»ll.$ubl.tymp)
Her? frequent


T(fekt»l) BMdruc*

EKG, Sauersloflsanigung




Indikalionsbefeich
(Auswahl)


Entspannung.

'AM -i. v.


Rehabilitation.
Physiotherapy
Onhopadle


Chronische Entzundung
Rheumatotogte
Dermatoiogie
Umweftrnedcin
Onkoloqie


Onkologte


Onkologle



Abb. 1: Abgedruckt mit Genehmigung: aus Heckel Medizintechnik GmbH Esslingen und Ar-
denne Institut, Dresden



Hyperthermic bei Dioxin-Entgiftungsprotokollen

„Ausschwitzen" in der Sauna ist wertvoll [Kleef 1998, Gard et al 1992]. Studi-
en beweisen, dass mit Hilfe von Sauna und Hyperthermic Schwermetalle und
Chemikalien wie DDE (ein Metabolit von DDT), PCBs (polychlorinierte Biphe-
nyle) und Dioxin [Schnare et al. 1982, Hohnadel et al. 1973, Sundermann et al
1 974, Gitlitz et al 1 974] aus Fettzellen ausgeleitet werden konnen. Die Bedeutung
des Fiebers und dessen physiologische und immunologische Funktion sind Ge-
genstand vieler wissenschaftlicher Veroffentlichungen [Ubersicht in: Kleef et al
2001].

Die toxische Kinetik und der Stoffwechsel von polychlorinierten dibenzo-p-
Dioxinen (PCDDs) und Dibenzofuranen (PCDFs) sind wohl bekannt, es liegen
jedoch nur begrenzte Daten aus Humanstudien vor. Daher miissen bei der Risi-
kobeurteilung fur PCDDs und PCDFs fur den Menschen toxikokinetische Daten
nach Spezies, Gleichartigkeit und Dosis beriicksichtigt werden [Van den Berg et
al. 1994].

Typischerweise wird die Ausscheidung von Dioxin in hydroxilierter Form im
Stuhl oder als Konjugate im Urin nachgewiesen [Hu et al. 1999]. Die Auslei-
tung von Dioxin iiber den SchweiE wird als Entgiftungsverfahren bei Menschen,
die einer Dioxinvergiftung ausgesetzt wurden, an Bedeutung stark zunehmen
[Geusau et al. 2001]. Laut Studie entspricht die Ausleitung von TCDD iiber die
Haut, hochst wahrscheinlich durch Abschuppung, jedoch nur 12% der gesam-
ten Ausleitungsrate von TCDD pro Tag, in Bezug auf die Korperoberflache und
berechnet auf Grundlage der Halbwertszeit von TCDD zur Zeit der Hautunter-
suchung.



Hyperthermic und Entgiftung



139



Daher wird die Ausleitungsrate von TCDD iiber die Haut durch eine mil-
de Ganzkorper-Hyperthermie stark erhoht werden. Schon lange kommt dem
Schwitzen eine klinische Bedeutung bei der Ausleitung von Schwermetallen wie
Hg zu [Sundermann et al 1998]. Uber Jahrhunderte wurde die Sauna in Spanien
zur Umkehrung der Symptome bei mit Quecksilber belasteten Minenarbeitern
eingesetzt. Lovejoy stellte fest, dass bei exponierten Fabrikarbeitern der Hg-Wert
im Schweifi hoher war als im Urin [Lovejoy et al 1973]. Bei Entgiftungstherapien
muss zudem Riicksicht auf die Nieren genommen werden, da Studien nahe legen,
dass nach einer Vergiftung wahrend der Kindheit im Knochen gespeicherte und
spater austretende Schwermetalle, auch Pb, oder bei Osteoporose zu Nierenscha-
digung fiihrten [Wedeen 1983].

Antioxidatives Therapieregime

Das antioxidative Therapieregime, das zur Vorbereitung und Unterstiitzung der
Behandlung notwendig ist, umfasst Ascorbinsaure AA ("Vitamin C"), welche die
Entgiftung signifikant beschleunigen kann. Auch wenn noch keine kontrollierten
Studien vorliegen, gibt es theoretische Grundlagen (und starke anekdotische Evi-
denz), die diese Meinung unterstiitzen. Drei theoretische Annahmen besagen, dass
AA (oral oder i.v.): (1) durch Mobilisierung gebundener intrazellularer Toxine die
Ausscheidung iiber alle Wege fordern kann (was Chelatbildner nicht konnen); (2)
durch Reduktion der nephrotoxischen Ionen zu besser auszuscheidenden elemen-
taren Toxinformen die Nieren schiitzen kann; und dass AA (3) die Aufnahme von
Schwermetallen stark stimulieren kann (durch die phagozytischen Kupffer-Zellen
der Leber), die dann durch den Darm ausgeschieden werden konnen und so die
Nieren schonen.



Methode und Monitoring der Milden Ganzkorper-Hyperthermie- Therapie
(GKHT)

Methode

Die GKHT wird mit Iratherm 1000 (Ardenne, Dresden) oder Heckel-HT 2000 (He-
ckel, Esslingen) durchgefuhrt, medizinische Vorrichtungen, die speziell fur die
Warmebehandlung entwickelt wurden. Die Temperatur wird variabel iiber spe-
zielle Infrarot-Strahler reguliert und, nach zeitlichen Vorgaben, auf einer Korper-
temperatur von 38-39° C gehalten. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die
nach den Therapiestandards von IWIT, Wien angebotene milde Ganzkorper-Hy-
perthermie (GKH) ein Maximum an Sicherheit, Zuverlassigkeit und Wohlbefin-
den fur den Patienten garantiert. Nach einer GKH fiihlt sich der Patient geistig
und korperlich erfrischt, vollkommen entspannt und dennoch angeregt.

Bei der vorgeschlagenen Therapie richtet sich die Behandlungszeit nach der
erforderlichen Entgiftung. Die anfangliche Anwendungsdauer variiert zwischen
60 und 90 Minuten Infrarot-Erwarmung. Die gesamte Behandlung einschliefilich



140



Ralf Kleef



Vorbereitung, Hyperthermie-Phase, Abkiihlungsphase und Pflege des Patienten,
Duschen und Erholung sollte mit 2Vi bis 3¥z Stunden veranschlagt werden.

Monitoring

Dieses erfolgt durch eine kontinuierliche Messung von EKG, Pulsoxymetrie,
Hauttest-Analyse, Atemfrequenzmessung, automatische Blutdruckmessung, axil-
lare und rektale Temperaturmessung durch eine Sonde sowie transcutane Mes-
sung der SpO, Sattigung.

Uberwachung und Beobachtung der Patienten

In eine Vene des Unterarms wird ein intravenoser Dauervenenkatheder gelegt
und mit einer pH-Klebebinde und braunem Heftpflaster sicher befestigt (Ach-
tung auf SchweiBsekretion) . Ein 5-Kanal-EKG mit speziellen Elektroden wird
ventral am oberen Thorax befestigt und durch einen speziellen Kontrollmonitor
abgelesen und gespeichert (z.B. Lohmeier Intensiv-monitor Typ M01 1-392, CE
0123, 81241 Miinchen). Sp0 2 wird mittels Pulsoxymetrie abgelesen. Der Sensor
muss vor dem Infrarotlicht geschiitzt und mit einem braunen Pilaster am Finger
befestigt werden. Die Manschette fur die Blutdruckmessung muss an dem Arm
angelegt werden, an dem kein intravenoser Katheder befestigt wurde.

Eine Infusion mit 5% Dextrose und/oder 0,9% NaCl wird wahrend der
gesamten Dauer der GKH verabreicht, gleichzeitig wird das antioxidative/Ent-
giftungs-Therapieregime durchgefiihrt, wobei grundsatzlich Vitamin C in einer
Konzentration von lOOmg/kg Korpergewicht und Magnesium mit lOmg Ge-
samtdosis hinzugefiigt werden. Die Fliissigkeitsreanimation wird anfangs mit der
dreifachen normalen Erhaltungsdosis pro Stunde berechnet. Der Berechnung
wird das Gewicht des Patienten zugrunde gelegt: 4 ml/kg/h fur die ersten 10 kg
Gewicht, plus 2 ml/kg/h fur die zweiten 10 kg Gewicht, plus 1 ml/kg/h fur jede
weiteren 20 kg Korpergewicht. Dies bedeutet, dass die normale Erhaltungsdosis
pro Stunde fur einen 60 kg schweren Patienten 40 ml/h + 20 ml/h + 40 ml/h =
100 ml/h betragen wiirde (78). Unter Hyperthermiebedingungen miissen diese
Werte jedoch mit dem Faktor 5 multipliziert werden, um die stiindliche Substi-
tution von 500 ml aufrechtzuerhalten. Die intravenose Fliissigkeitszufuhr wird
so angepasst, dass eine Urinmenge von 0,5 ml/kg/h erhalten bleibt. Zufuhr (i.v.)
und (Urin) Abgabe werden stiindlich gemessen und dokumentiert. Der Sauerstoff
wird per Nasensonde mit einem standigen Fluss von 4 1/min verabreicht. Die
Abkiihlungsphase, die 20—30 Minuten dauern kann, beginnt mit dem Abschalten
des Hyperthermiegerats. Je nach Zustand muss der Patient 1-2 Stunden nach
Beendigung der Hyperthermiebehandlung bei wiederholter Messung des venosen
Blutdrucks unter Beobachtung bleiben.



Hyperthermic und Entgiftung



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Kapitel 18

Fluidum und Materie

Armin Prinz



Zusammenfassung

Die Krankheitsvorstellungen des Menschen lassen sich auf zwei Konstrukte
zuriickfiihren: die Humoralpathologie und die Solidarpathologie. Dem Er-
steren liegt die Annahme zugrunde, dass im Korper verschiedene Safte als
Trager des Lebens vorhanden sind, die in Qualitat und Quantitat harmonisch
aufeinander abgestimmt sein miissen. 1st ein Ungleichgewicht vorhanden
wird der Korper krank und muss durch Mafinahmen behandelt werden, die
darauf abzielen diese Harmonie wiederherzustellen. Hierzu gehoren Ader-
lass, Schropfen, Skarifizieren, Purgieren und die Anwendung von ableitenden
und schweifitreibenden Medikamenten. Bei der solidaren Vorstellung besteht
Krankheit aus pathologisch veranderter, genau lokalisierbarer Materie. Diese
muss entweder durch chirurgische oder pseudochirurgische (wie etwa bei den
Geistheilern auf den Philippinen) Verfahren entfernt oder durch Therapeutika
bekampft werden, die den Krankheits„keim" eliminieren. Beide Vorstellun-
gen sind nebeneinander vorhanden, nur unsere Hochschulmedizin, mit ihrem
Hang zur Verschulung, hat immer nur entweder das eine oder das andere
akzeptiert. So war die von der Hippokratischen Medizin abgeleitete Saftelehre
bis etwa 1850 Lehrmeinung und wurde dann von der Zellularpathologie ab-
gelost, die auf Axiomen der bei uns ebenfalls von griechischen Arzten geprag-
ten Solidarpathologie beruht. Bei anderen Heilkunden sind je nach Krankheit
beide Vorstellungen parallel prasent.



Einleitung

Wer kennt nicht die beiden Gefiihle von Krankheit an sich selbst: einerseits spurt
man bei manchen Zustanden ein Wallen und Fliefien im Korper, bei denen der
Eindruck entsteht, dieses krank Machende soli aus dem Korper ausgeschwitzt,
abgeleitet oder sonst wie eliminiert werden, anderseits gibt es Gefiihle wo man
meint: „Ach, gerade an dieser Stelle tut es mir weh, dieses Storzentrum muss



146



Armin Prinz



herausgerissen oder herausgeschnitten werden und dann ist alles wieder gut".
Diese Vorstellungen entsprechen einem universellen Krankheitsverstandnis des
Menschen, das sowohl, wie ersteres, eine humorale, als audi, wie Letzteres, eine
solidare Komponente besitzt. Und diese binaren KrankheitsaufFassungen konnen
als Universalien in alien Heilkunden dieser Welt nachgewiesen werden. Nur in
unserer europaischen Heilkunde, mit ihrem Hang zur Verschulung, war immer
ausschliefilich das eine oder das andere Lehrmeinung. So war die Humoralpa-
thologie mit seinem letzten grofien Vertreter, dem beruhmten Pathologen der
Zweiten Wiener Medizinischen Schule, Carl Rokitansky (1804—1878), bis in
die Mitte des 19. Jahrhunderts allein giiltige Doktrin und wurde dann durch
die, solidaren Prinzipien folgende Zellularpathologie des preufiischen Pathologen
Rudolf Virchow (1821-1902) abgelost. Wahrend sich dann bis zum Beginn der
70-er Jahre des 20. Jahrhunderts in der modernen Medizin, mit ihren Elektro-
nenfliissen oder Membranpotentialen, das Leben durchwegs im solidaren Bereich
manifestiert hat, scheint jetzt wieder eine Kehrtwendung eingetreten zu sein. Mit
der Erforschung der Hormone, Mediatorenstoffe oder Enzyme, „Safte" die die
Lebensvorgange regeln, kommt praktisch durch die Hintertiir das humorale Den-
ken wieder in unsere Hochschulmedizin. Im Folgenden soli dieses Nebeneinander
dieser beiden Konzepte in Geschichte und Ethnomedizin dargestellt werden.

Humoralpathologie in der Griechischen Antike bis zu Rokitansky

Bei Hippokrates (ca. 460-377 v. Chr.), wird der Korper gemafi der griechischen
Saftelehre als Mikrokosmos des ihn umgebenden Makrokosmos gesehen. Der
Mensch besteht demnach aus den vier Korpersaften Blut, Schleim, gelbe Galle
und schwarze Galle und den dazugehorigen Qualitaten heifi, feucht, trocken und
kalt, denen die vier Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde (Abbildung 1) und
spater durch Galen aus Pergamon (130-201 n. Chr.) noch die Konstitutionstypen
Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker und Melancholiker zugeordnet sind.
In diesem Konstrukt sind alle Lebensvorgange enthalten. Das System wird durch
die Hitze des Korpers aufrechterhalten, die durch ein Feuer im als blutlos ge-
dachten linken Ventrikel des Herzens erzeugt wird. Um diese Verbrennung zu er-
moglichen benotigt das Herz Luft, den Lebenshauch (pneuma), und Brennstoff in
Form von Nahrung und Fliissigkeiten. Als leitende Kraft dieser Vorgange, sowohl
fur das Funktionieren des Systems, als auch fur dessen Gesunderhaltung, wurde
das Konzept der Lebenskraft (physis) postuliert. War diese physis zu schwach oder
durch aufiere Einfliisse gestort, so bedurfte es des Arztes und seiner Heilbehand-
lung, um die harmonische Zusammensetzung der Safte (eukrasie) sowohl in quan-
titativer als auch qualitativer Hinsicht wiederherzustellen. In dieser Vorstellung
wurden alle Hohlorgane wie Herz, Darm, Uterus, Niere oder Harnblase als Safte
sekretierend gedacht und alle parenchymatosen Organe wie Lunge, Leber, Milz
oder die weibliche Brust als aus den umliegenden Geweben Safte absorbierend
angesehen.

Dieses Konzept wurde durch die Schule des Aristoteles (384-322 v. Chr.)
weitergefuhrt. Aristoteles sah jedoch nicht mehr, wie vor ihm iiblich, das Gehirn
als Sitz der Seele sondern das Herz. Demnach ist es das Zentrum des Lebens und



Fluidum und Materie



147




Abb. 1: Elemente, Qualitaten und Korpersafte der griechischen Humoralpathologie mit den
spater von Galen zugeordneten Temperamenten (nach Rothschuh 1973; modifiziert)



alle iibrigen Strukturen des Korpers sind ihm untergeordnet. Es produziert das
Blut, aus ihm entstehen die Gefafie und es ist der Sitz der Lebenswarme. Puis,
Herzkontraktionen und die Atembewegungen haben ihren Ausgang in der Hitze
des Herzens, die bei der Produktion des Blutes entsteht. Die Lunge mit ihren Ge-
fafiverbindungen zum Herzen hat nur die Aufgabe diese Hitze zu kiihlen.

Auf Basis dieser beiden Theorien hat dann Galen ein System entwickelt, dass
fur iiber 1200 Jahre praktisch unverandert giiltig blieb. Demnach bildet sich
das venose Blut aus den vier Saften rotes Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und
Schleim zusammen. Der Uberschuss eines dieser Safte ist verantwortlich fur die
Ausbildung des zugehorigen Temperamentes: Sanguiniker (Blut-Mensch), Phleg-
matiker (Schleim-Mensch), Choleriker (gelbe Galle-Mensch), Melancholiker
(schwarze Galle-Mensch), eine Einteilung der Wesensarten, die uns bis heute ge-
laufig ist. Galen war auch der erste, der nachwies, dass das Blut in Arterien und
Venen fliest und dass beide Herzkammern blutgefiillt sind. Das System der Herz-
klappen war ihm bekannt; die Vorhofe wurden nicht naher beachtet, da er diese
genial? der alexandrinischen Schule wahrscheinlich nur als Ausbuchtungen der
grofien Gefafte sah. Der Entdeckung des Kreislaufs war er dadurch sehr nahe. Aus
der Nahrung wurden in der Hitze der Leber die vier Safte geschaffen, die dann
ihrerseits durch „Verkochung" das Blut bildeten. Dieses erreichte durch die untere



148



Armin Prinz



Hohlvene teilweise das Herz, teilweise die Peripherie. Er nahm also eine doppelte
Stromrichtung im Venensystem an. Um das notige Blut nun in das arterielle Sy-
stem zu bringen, postulierte Galen „Poren" in der Herzscheidewand, die von Zeit
zu Zeit die linke Herzkammer auffullten und mit Hitze versorgten. Das Links-
herz beforderte dann das Blut in einer Pendelbewegung teils in die Lunge, wo
es mit Luft angereichert wurde, teils in die Peripherie. Er iibernahm von Platon
(427-347) auch die Vorstellung des dreifachen Lebenshauchs: In der Leber wird
das erste Pneuma, der „naturliche Geist" (pneuma physikon) gebildet, der „vitale
Geist" (pneuma zooticon) stammt aus der Luft in der linken Herzkammer, aus dem
letzendlich der „beseelte Geist" (pneuma psychikon) entsteht, der iiber die Arterien
in die Hirnkammern getragen wird (Rulliere 1980). Damit neues Blut in dieses
System aus der Leber einfliefien konnte, musste Fliissigkeit an der Oberflache des
Korpers verdunsten. Stuhl und Urin wurden als Schlacke bei der Blutgewinnung
in der Leber von dieser direkt ausgeschieden (Abbildung 2).

Die Bewegung und Bedeutung des Blutes wurden von Galen im Prinzip rich-
tig eingeschatzt, aufier dass er das kapillare System des Kreislaufes nicht erkannte,
obwohl er auch an der Peripherie und in den Lungen einige Anastomosen po-
stuliert. Damit sollen geringe Mengen des Leben erhaltenden Pneumas aus den



Lungen




venoses
Blut '



Lungen-
arterie



untere
Hohlvene




fiktiver
Shunt



Lungen-
vene



Aorta
Arterien



LUFT!



klares Blut ange-
reichert mit Lebenswarme



Blut von der
Verdauung




(Konsumation)




VERDUNSTUNG



Abb. 2: Herz, Kreislauf und Blut bei Galen (nach Meyer &Triadou 1996; modifiziert)



Fluidum und Materie



149



Arterien in das venose Blut gelangen. Sehr viel Wert legt Galen auf das Messen
des Pulses und er fiihrt dafiir eine Unzahl von Qualitaten von diagnostischer Be-
deutung ein.

Bis zur Renaissance gab es dann keine wesentlichen Neuerungen, im Gegen-
teil — vieles aus der antiken Medizin geriet in Vergessenheit. Die wenigen Texte,
die im Kampf des Christentums gegen die „heidnischen" Schriftquellen iiberleb-
ten, waren unvollstandig. Wenn nicht die wichtigsten Manuskripte ins Arabische
iibersetzt worden wiiren, wiissten wir heute kaum etwas von der antiken Medizin.
Trotzdem war auch im Mittelalter, vor allem durch die Studien des romischen
Philosophen Boethius (ca. 475—525), einiges von dem alten Wissen bekannt. Sehr
eindrucksvoll sieht man dieses Nachwirken in den Biichern der Hildegard von
Bingen (1098-1179).

Hirer Ansicht nach ist das Herz die Grundlage der korperlich-seelischen Or-
ganisation des Menschen. Es ist die Intergrationszentrale fur alle geistigen und
korperlichen Vorgange im Menschen. „Das hat Gott mit dem Herzen des Men-
schen bestimmt, dass es Leben und Gefiihle der ganzen Leiblichkeit ist, dass es
den ganzen Leib unterhalt, weil ja im Herzen das Denken des Menschen geordnet
und der Wille gehiitet wird." (Hildegard von Bingen iibersetzt von Schipperges
1957 p. 111). Und weiter: „Das Herz ist das Fundament des Lebens und die
Wohnstatte des Wissens von Gut und Bose" (ibid. p. 91) und „Die Seele aber ist
ihrem Wesen nach feuriger, windhafter und feuchter Natur; sie hat das ganze Herz
des Menschen in ihrem Besitz." (ibid. p. 100).

Uber die Rolle der vier Elemente und dem Blut bei der Zeugung schreibt
Hildegard von Bingen folgendes:

„Alsdann kommen die vier Elemente hinzu, welche die vier verschiedenen
Safte im Menschen in Aufruhr bringen, und zwar mit all ihrem Uberflufi und wie
in einem Unwetter; das geht so vor sich, dafi das Feurige, das heifit das Trockene,
uber das Mafi das Wiinschen entziindet, und die Luft, das heifit das Feuchte,
mafilos die Aufmerksamkeit erregt, dafi ferner das Wasser, das heifit das Schau-
mige, uber das Mafi die Zeugungskraft zum Fliefien bringt, und endlich die Erde,
das heifit das Lauwarme, die Einwilligung mafilos aufschaumen lafit. Ale diese
iiberschiefienden Krafte lassen gleichsam einen Sturm aufkommen und werfen
aus dem Blut einen giftartigen Schaum aus, den Samen namlich, damit mit die-
sem, sobald er an seine Stelle talk, das weibliche Blut sich verbindet und auf diese
Weise ein Blutgemisch entsteht.

Das erste Werden eines Menschen entspringt jener Lustempfindung, die die
Schlange dem ersten Menschen beim Genufi des Apfels gab, weil damals schon
das Blut des Mannes durch Begierlichkeit aufgewiihlt war. Daher ergiefit dieses
Blut auch einen kalten Schaum in das Weib, der dann in der Warme des miit-
terlichen Gewebes zur Gerinnung kommt, wobei er jene blutgemischte Gestalt
annimmt; so bleibt zunachst dieser Schaum in dieser Warme und wird erst spater
von den trockenen Saften der miitterlichen Nahrung unterhalten, wobei er zu
einer trockenen, miniaturhaften Gestalt des Menschen heranwachst, bis schliefi-
lich die Schrift des Schopfers, der den Menschen formte, jene Ausdehnung der
menschlichen Formation als Ganzes durchdringt, wie auch ein Handwerker sein
erhabenes Gefafi herausformt." (ibid. p. 125).



150



Armin Prinz



Diese Anschauung, namlich dass weibliches und mannliches Blut sich mischen
miissen um neues Leben zu zeugen, geht auf die Epikureer zuriick, die etwa zeit-
gleich mit Aristoteles erstmals auch die Rolle der Frau bei der Entstehung neuen
Lebens hervorgehoben haben. Was Hildegard von Bingen jedoch nicht vermerkt,
ist die Ansicht dieser Philosophenschule, dass durch Geschlechtsverkehr in der
Friihschwangerschaft wiederholt Sperma sich mit den Saften der Mutter mischen
muss, um damit den Embryo zu nahren und zu entwickeln (Needham 1959).

Diese Vorstellung ist jedoch bei den Volkern der Sahel Zone, die schon seit
langem in Kontakt mit der grofiteils auf antiken Traditionen aufbauenden Ara-
bischen Medizin standen, fest verankert. Von den Samo in Burkina Faso gibt es
ethnographische Berichte zur Zeugung und Menschwerdung, die iiberraschend
genau mit den antiken Theorien iibereinstimmen (Hertier-Auge 1989). Ebenso
wird dort, im Gegensatz zu Hildgard von Bingen, der wiederholte Geschlechts-
verkehr in den ersten sieben Lunarmonaten gefordert, um den Fotus und insbe-
sondere sein Blut zu entwickeln. Auch bei den Seereer im Senegal habe ich bei
eigenen Forschungen ein ahnliches Konzept aufzeichnen konnen.

Nach einem Stillstand, ja sogar Riickschritt, in den anatomischen und physio-
logischen Ideen im friihen Mittelalter, beginnen sich im 12. und 13. Jahrhundert
christliche Gelehrte mit den antiken Schriften zu beschaftigen. Ermoglicht wurde
dies durch deren Riickiibersetzungen aus dem Arabischen, vor allem durch den
arabischstammigen Monch Constantinus Africanus (ca. 1010-1087), der in dem
beriihmten siiditalienischen Kloster Monte Cassino wirkte. Es waren dann vor
allem die Scholastiker wie der deutsche Philosoph und Heilige Albertus Magnus
(ca. 1 193-1280) und der Philosoph Thomas von Aquin (ca. 1225-1274), die die
alten Schriften in Einklang mit den herrschenden Dogmen der katholischen Kir-
che brachten. Trotzdem bereiteten sie auch den Weg fur die Wissenschaftler und
Kiinstler der Renaissance. Damals war auch die Zeit der Griindungen der grofien
Universitaten Europas (Bologna 1119, Paris 1200, Oxford 1249 und Prag — als
erste deutsche Universitat - 1348, Wien 1365).

Die in Italien einsetzende Emanzipation der Wissenschaften vom Gangelband
der Theologie fuhrte zum Grundstein fur die moderne Anatomie und Physiologic
Besonders zwei Gelehrte haben sich um diese Entwicklung verdient gemacht —
Leonardo da Vinci (1452—1519), mit seinen anatomischen und physiologischen
Zeichnungen, und der flamische Anatom und Professor in Padua Andreas Vesa-
lius (1514—1564). Trotz seiner hervorragenden anatomischen Kenntnisse glaubte
Vesalius in Anlehnung an Galen noch immer, dass die Venen das dicke Blut zur
Versorgung zu den Organen bringt und in den Arterien mit dem diinnen Blut nur
der Lebensgeist (pneuma zooticon) verteilt wird. Erst 100 Jahre spater konnte Wil-
liam Harvey (1578-1657) durch anatomische Studien und klinische Versuche,
wie seinem beriihmten Venendruckversuch (Abbildung 3), die Natur des Korper-
und Lungenkreislaufes endgiiltig klaren.

Obwohl sich schon hundert Jahre fruher der beriihmte Theophrastus von Ho-
henheim (1493—1541), der sich selbst Paracelsus nannte, gegen manche Lehrsatze
der alten Saftelehre stellte, hat diese Entdeckung Harvey's zu seiner Zeit die humo-
ralpathologische Doktrin befliigelt. Die Sinnhaftigkeit der Entziehungskuren wie
Schropfen, Skarifizieren und Anderlafi wurde dadurch untermauert. Gait es doch
das mit den Korperschlacken verunreinigte „stockige" Blut der Venen zu entfer-



Fluidum und Materie



151



J'. hi nr




Abb. 3: Venendruckversuch von Harvey (aus: Harvey 1766 [1628], Josephinische Bibliothek,
Wien)



nen. Erganzt wurden diese Reinigungen durch Klistiere, Bader und Schwitzkuren,
die besonders durch die Entdeckung der enorm schweifitreibenden Wirkung der
siidamerikanischen Heilpflanze Pilocarpus jaborandi einen Auftrieb erhielten. Mit
seinen Untersuchungen zur Syphilisbehandlung durch Schwitzkuren mit Pilocar-
pin, setzte Lewin noch im Jahre 1880 nicht nur dieser traditionellen Arzneipflanze
ein Denkmal, sondern zeigt auch, dass humoralpathologisches Denken auch noch
lange nach dem „offiziellem" Ende der Humoralpathologie mit Rokitansky's „AU-
gemeine Pathologie" (1846) sogar in der durch den Zellularpathologen Virchow
gepragten preufiischen Medizin nachwirkte. In der Komplementarmedizin wer-
den die Elemente der Humoralpathologie mit der Aschner-Methode, benannt
nach Bernhard Aschner (1883-1960), weitergefuhrt.



152



Armin Prinz



Die Solidarpathologie von der Griechischen Antike bis zur modernen Medi-
zin

Die Theorien der Solidarpathologie gehen auf die Vorstellung der Atome bei De-
mokrit von Abtera (um 460 v. Chr.) zuriick. Demnach bilden die unteilbaren
Atome (solidi) ein Gitternetz, durch dessen Poren die Lebensfliissigkeit fliefit.
Krankheit tritt dann ein, wenn sich an einer Stelle die Poren dieses Gitters durch
Zunahme der Materie verengen und damit die freie Zirkulation behindern. Das
Qualitative der Humoralpathologie wurde durch das Quantitave ersetzt. Der Zu-
fall wird geleugnet und samtliche Lebensvorgange auf mechanische Notwendig-
keiten zuriickgefiihrt.

In der griechischen Medizin stand der teleologischen, d.h. auf einen Zweck
gerichtete Auffassung der Humoralpathologen, die theoretische, auf Naturgesetz-
lichkeiten beruhende alexandrinische Arzteschule gegeniiber. Vor allem die beiden
Arzte Herophilus (ca. 335-280 v. Chr.) und Erasistratus (ca. 310-250 v. Chr.) be-
miihten sich durch anatomische Studien das Herz-Kreislaufsystem zu erkunden.
Besonders Herophilus hat seine Ergebnisse durch umfassende Sektionen gewon-
nen. Er soil 600 Obduktionen vorgenommen haben und auch von Ptolomaios
dem I. (ca. 376-283 v. Chr.) die Erlaubnis erhalten haben, an verurteilten Verbre-
chern Vivisektionen durchzufiihren. Diese letztere Behauptung wird von vielen
Medizinhistorikern bezweifelt (etwa Glesinger 1960), doch es steht fest, dass die
alexandrinischen Arzte durch ihre Forschungen grundlegend neue Erkenntnisse
iiber Herz und Kreislauf gewinnen konnten. Obwohl auch sie noch der alten An-
schauung folgten, dass die Arterien nur Luft, das pneuma, und die Venen das Blut
zur Ernahrung des Korpers befordern, haben sie die Funktion des Klappensystem
des Herzens erkannt und waren nur mehr einen kleinen Schritt von der endgiilti-
gen Entdeckung des Blutkreislaufes entfernt. Herophilus war auch der erste Arzt,
der mit Hilfe einer Wasseruhr Pulsmessungen durchfiihrte und die Frequenz zu
diagnostischen Uberlegungen heranzog.

Bis auf einzelne Aspekte der Entdeckungen der friihen Solidarpathologen, die
insbesondere von Galen in sein Gesamtsystem eingebaut wurden, geriet diese in
Vergessenheit. Nur der grofie Schweizer Arzt und Naturforscher Albrecht von
Haller (1708—1777) folgte in seinen epochalen Arbeiten zur Physiologie und
Anatomie wieder dem solidaren Konzept, konnte sich jedoch damit nicht durch-
setzen. Erst Virchow mit seiner Zellularpathologie, gemafi der die Noxe die Zelle,
diese das Gewebe und dieses letztendlich den ganzen Organismus krank macht,
beendete schliefilich die humorale Doktrin und machte Platz fur die, naturwis-
senschaftliche Gesetzmafiigkeiten suchende, moderne Medizin.

Humoral- und Solidarpathologie in Volks- und Komplementarmedizin

Dieses universale Nebeneinander von humoralen und solidaren Vorstellungen,
wie eingangs als individuelle Gefiihle beschrieben, findet sich in alien traditio-
nellen und volkstiimlichen Heilkunden. Der Unterschied besteht darin, dass es
sich bei ersterem um eigene medizinische Systeme, bei letzteren um Konglome-
rate von traditionellen und schulmedizinischen Ideen handelt. Insbesondere bei



Fluidum und Materie



153



uns oder in Lateinamerika leben in den Volksheilkunden alte Lehrmeinungen, vor
allem aus der Saftelehre, nach. Hier zeigt sich auch die besonders grofie Affinitat
zur Humoralpathologie als komplexes Erklarungsmuster fur das Leben schlecht-
hin. Trotzdem ist auch der solidare Gedanke immer prasent. So sieht man in
Abbildungen zum Verdauungstrakt aus der chinesischen (japanischen) Medizin
(Abbildung 4) als auch der, sich in vielen Bereichen der romantischen „deutschen"
Heilkunde verpflichteten Medizin des Nationalsozialismus (Abbildung 5), trotz
einer humoralen Grundhaltung ein solidares Prinzip. In beiden Abbildungen sind
viele kleine Mannchen und ihre Aufgaben bei der Verdauung dargestellt. Ware
eines davon kaputt miisste es nur herausgenommen und durch ein neues ersetzt
werden.

In den traditionellen Heilkunden sind diese beiden Krankheitskonzepte meist
sehr einfach zu erkennen. Bei den Azande Zentralafrikas sind Krankheiten, die
durch Magie ausgelost werden, einem humoralpathologischen und solche, die
durch Hexerei verursacht werden, dem solidaren Denken zuzuordnen. Bei den
Ersteren wird bei der Behandlung versucht Krankheitsstoffe abzuleiten, etwa mit
Aderlassen oder Skarifikationen, bei den Letzteren werden in Extraktionsoperati-
onen, ahnlich wie bei den philippinischen Geistheilern, eingedrungene „Metasta-
sen" der Hexenkraft als krankmachende Materie scheinbar entfernt.




Abb. 4: Solidarpathologische Darstellung des Verdauungstraktes von Utagansa Kunisada
(1786-1866), Japan (aus: Sournia 1991)



154



Armin Prinz



Zusammenfassend kann gesagt werden, dass diese universelle binare Krank-
heitsauffassung des Menschen es erst ermoglicht andere Menschen in ihren Ge-
fuhlen dem eigenen Korper gegeniiber zu verstehen.




Tit" ]'i flffitAfff



Abb. 5: Solidarpathologische Darstellung des Verdauungstraktes aus der Zeit des Nationalso-
zialismus (aus: Thomalla ca. 1935)



Armin Prinz



155



Literatur

Glesinger L (1960) Zur Frage der angeblichen Vivisektionen am Menschen in Alexan-
dria. Communications to the 17th international Congress of the History of Medicine.
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Harvey W (1766) Opera omnia, a Collegio Medicorum Londinensi edita. Reprint von: De

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Rothschuh K E (1973) History of physiology. Robert Krieger, Huntington, New York.

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Sournia J-C (1991) Histoire de la medecine et des medecins. Larousse, Paris.
Thomalla C (um 1935) Gesund sein — Gesund bleiben. Peters Verlag, Berlin.



Kapitel 19

Zoeliakie/Sprue - Glutenunvertraglichkeit

RalfKirkamm



Zusammenfassung

Die Glutensensitive Enteropathie (Synonym Zoeliakie des Kindes bzw. ein-
heimische Sprue des Erwachsenen) ist eine immunologische Erkrankung des
Diinndarms, die durch die Unvertraglichkeit gliadinhaltiger Nahrungsmittel
charakterisiert ist. Labordiagnostisch konnen u.a. Gliadin- und Transglutami-
nase-Antikorper (in Stuhl- wie auch Serumproben) nachgewiesen werden.

Das klinische Bild umfasst neben Malabsorption und gastrointestinalen
Beschwerden haufig unspezifische Allgemeinsymptome (z.B. chronische Mii-
digkeit) und ist in seiner Auspragung sehr variabel. Die Erkrankung kommt
mit einer Pravalenz von 1:300 bis 1:1000 vor und besitzt eine genetische Pre-
disposition, die labordiagnostisch nachgewiesen werden kann.

Im Verlauf kann es zu histologischen Veranderungen der Diinndarmmu-
kosa mit Zottenatrophie kommen, die durch eine endoskopische Untersu-
chung nachweisbar ist. Eine Glutensensibilisierung liegt vor, wenn Gliadin-
Antikorper nachweisbar sind, ohne dass eine Zottenatrophie erkennbar ist.

Die labordiagnostischen Moglichkeiten sowie die unterschiedlichen Aus-
pragungen des Krankheitsbildes werden beschrieben.



Zoeliakie/Sprue - Glutenunvertraglichkeit

Vom Symptom zur Diagnose

Zoeliakie des Kindes

Glutenunvertraglichkeit

• Pravalenz: 1: 300 bis 1:1000

• weiblich > mannlich

• gehauftes Vorkommen unter Verwandten ersten Grades



158



Ralf Kirkamm



variable klinische Expression, oft atypische Presentation, haufigste Ursache einer
Malabsorption im Kindesalter.

Definition

Die Zoliakie ist eine immunologische Erkankung des Diinndarms. Bei genetisch
disponierten Personen kommt es durch gliadinhaltige Nahrungsmittel (alkohol-
losliche Fraktion des Weizenklebers Gluten) zu histologischen Veranderungen im
Diinndarm mit Zottenatrophie = flache Mucosa und Kryptenhyperplasie und in
der Folge zu einer Malabsorption.

Neben dieser Definition beschreibt das Eisbergphanomen noch folgende Er-
scheinungsbilder der so genannten glutensensitiven Enteropathie mit oft atypi-
schem, oligosymptomatischem Verlauf:




Abb. 1: Zoeliakie-Eisberg



Klinisches Bild

Kleinkinder unter 2 Jahren zeigen meist die klassische klinische Manifestation:

• Meteorismus, aufgetriebenes Abdomen

• schaumige, iibel riechende, wechselhafte Diarrhoen

• Erbrechen, Gedeihstorungen

• schlaffe, faltige, blasse Haut

• Anamie (in 85% Eisenmangelanamie)

• Hypotonie, Misslaunigkeit, Miidigkeit

Altere Kinder haben haufig uncharakteristische Symptome:

• abdomineller Schmerz, teilweise sogar Obstipation

• Minderwuchs mit retardiertem Skelettalter



Zoeliakie/Sprue — Glutenunvertraglichkeit



159



• Zahnschmelzdefekte

• Osteopenie, Arthritis

• Eisenmangelanamie

• psychische Auffalligkeiten

Bei der Diagnose der Zoeliakie sind u.a. folgende, hating mit einer Zoeliakie asso-
ziierte Krankheitsbilder von Bedeutung:

• selektiver IgA-Mangel (bis zu 10%)

• Dermatitis herpetiformis Duhring

• Diabetes mellitus Typ 1 (5%)

• Down- Syndrom

• Turner-Syndrom

• Autoimmunthyreoiditis (bis 14%)

• Rheumatoide Arthritis



Diagnostik der Zoeliakie/Glutenunvertrdglichkeit

Entscheidend ist eine umfassende Anamnese inklusive Ernahrungsanamnese; die
Familienanamnese ist in bis zu 10% positiv. Klinische Besserung ist unter gluten-
freier Diat zu beobachten.

Labor:

• Gliadin-AK im Stuhl (polyvalent)

• Transglutaminase- AK im Stuhl (polyvalent)

• Gliadin-AK (IgA, IgG) im Serum

• Transglutaminase- AK im Serum

• Pankreaselastase im Stuhl

• Alpha- 1 -Antitrypsin im Stuhl

• Mikronahrstoffscreen im Vollblut

• Blutbild, Elektrolyte, Eisen, Ferritin, Gesamteiweifi, IgA und IgA-Subklassen

• Laktoseintoleranz-H 2 -Atemtest bei Kindern iiber 5 Jahren

• Laktoseintoleranz-LCT-Genbestimmung bei kleineren Kindern

Genetik:

• genetische Pradispositionsfaktoren HLA-DQ2 und -DR4
Histologic:

• Diinndarmsaugbiopsie unter gliadinhaltiger Kost

Differentialdiagnose der Zoeliakie:

1 . Nahrungsmittelunvertraglichkeiten/-allergien

2. Pankreasinsuffizienz

3. angeborene oder erworbene intestinale Enzymdefekte und Resorptionssto-
rungen, z.B. Laktasemangel, Enterokinasemangel

4. akute Enteritis

5. Morbus Crohn



Zoeliakie des Kindes / Glutenunvertraglichkeit

Ausfiihrliche Familien- / Ernahrungsanamnese
Klassische / uncharakteristische Symptome



Spezifische Stuhlparameter:

■ Gliadin-AK im Stuhl (polyvalent)

■ Transglutaminase-AK im Stuhl (polyvalent)



N
o



5



Weiterfuhrende Diagnostik



Fa m i I lena na m nese
genetische Predisposition:
HLA-DQ2 und -DR4



t



5



Daran sollten Sia dankan:

Mit Zoaliakia aisoziiarta Krankhaitsbildar:

■ Ig A- Mangel

■ Dermatitis herpetiformis Curving

■ Ciabetes mellitus Typ 1

■ Oown-Syndrom

■ Turner-Syndrom

■ Autoimmunthyreoiditis

■ Rheumatoide Arthritis



Weiterfuhrende Diagnostik



Eisen, Ferritin

Gesamteiweif!

IgA und IgASubklassei

Mikronahrstolf screen

im Vol lb I ut



Unpezifische Stuhlparameter

■ Calprotectin

■ I PX

■ Verdauungsruckstande

■ Alpha- 1 -Antitrypsin



Komplikationen:

■ Invagination

■ Zoeliakie-Krise

■ '■■!'■:.. ill t ■■

Lactasemangel

-» H^Atemtest Oder LCT-Gen

■ Dunndarmcarcinome (spat)

■ T-Zell-Lymphome (spat)



Eingeschrankte Aussagekraft Serologic /

Histologic / Stuhldijgnoitik iintci gluidtn

armer oder -freier Host

IgA- und IgG-Glladin-AK fallen bel langer

Glladinbelastung ab

Biszu 10% falsch negative Befundebei

angeborenem IgA-Mangel



IgA- und IgA-Subklassen-
mangel im Serum



-0"



Transglutaminase
IgG-AK im Serum



-0-



Glutenunvertraglichkeit
Zoeliakie



Differentialdiagnose;

■ Nahrungsmittel-
unvertraglichkeit

■ Pankreasinsuffiiienz



Angeborene oder
erworbene Enzym-
defekte/Resorpt ion s-
storungen

Akute Enteritis



Morbus Crohn



PrA-Screen Allergie
Alpha- 1 - Antitrypsin



Pankreaselastase
im Stuhl



H.-Atemtest



Lactoferrin
pathogene
Darmkelme

EPX

Calprotectin







Zoeliakie/Sprue — Glutenunvertraglichkeit



161



Komplikationen:

• Invagination

• Zoeliakie-Krise mit Erbrechen, Elektrolytentgleisung, Exsikkose, Azidose

• sekundarer Laktasemangel

• Malabsorption

• T-Zell-Lymphome des GIT (spat)

• Diinndarmkarzinome (spat)

Daran sollten Sie denken:

1 . Die Aussagekraft der Serologic und Histologic unter gliadinarmer oder gliad-
infreier Kost ist eingeschrankt; daher ist eine genaue Ernahrungsanamnese bei
Blutentnahme zu empfehlen.

2. IgG- und IgA-Gliadin-AK fallen bei langer Gliadinbelastung wieder ab.

3. Bei 3—10% aller Patienten liegt ein IgA-Mangel vor; in diesen Fallen sind die
IgA-AK-Bestimmungen falsch negativ. TransglutaminaseTgG-AK sollten da-
her im Serum bestimmt werden.

Therapie

Die einzige Behandlungsmoglichkeit besteht in einer lebenslang strikt glutenfreien
Diat. Zu meiden sind Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel, Griinkern, Einkorn, Ur-
korn, Kamut, Emmer, Triticale und sonstige Weizenderivate.

Sicher glutenfreie Nahrungsmittel sind: Reis, Mais, Hirse, Buchweizen,
Amaranth, Quinoa, Hiilsenfriichte, Kartoffeln, Milch und Milchprodukte, Obst,
Gemiise, Fleisch, Fisch, Ei sowie Butter, Ol und Margarine.

Da Gluten emulgiert, Wasser bindet und ein guter Tragerstoff fiir AromastofFe
ist, wird es aus lebensmitteltechnologischen Griinden vielen Halbfertig- und Fer-
tigprodukten zugesetzt. Hierauf ist in der Ernahrung zu achten.

Bei vielen Patienten mit Glutenunvertraglichkeit liegt ein sekundarer Laktase-
mangel vor; daher sollte anfangs auch Milchzucker gemieden werden.

Eine Substitution von Mineralien und Vitaminen je nach Defizit ist zu emp-
fehlen.

Sprue des Erwachsenen
Glutensensibilisierung

Eine besondere Rolle beziiglich immunologischer Reaktionen auf Nahrungsmittel
nimmt die Glutensensibilisierung ein. Diese liegt vor, wenn sich Antikorper gegen
Gluten nachweisen lassen, ohne dass eine Zottenatrophie erkennbar ist. Wie auch
bei Patienten mit einer manifesten Zoliakie dominieren weniger abdominelle als
vielmehr unspezifische Symptome das Beschwerdebild.

Nur 30—40% der Patienten zeigen einen abdominell symptomatischen Ver-
lauf. Zu den moglichen gastrointestinalen Symptomen zahlen ein aufgetriebenes
Abdomen, Vollegefuhl, Appetitlosigkeit, ein irritables Darmsyndrom, abdominel-
le Schmerzen, Obstipation und Meteorismus. Wechselnd haufig klagen Patienten



162



Ralf Kirkamm



iiber Zungenbrennen und allgemeine Abgeschlagenheit. Die haufige atypische
Prasentation der Glutenunvertraglichkeit erstreckt sich von unklarer Miidigkeit
mit Anamie bis hin zu den Folgen von Autoimmunerkrankungen (z.B. Thyreoi-
ditis, Rheumatoide Arthritis) .

Interessanterweise stellt heute die chronische Miidigkeit und nicht gastroin-
testinale Symptome die klinische Prasentation der Patienten mit einer Glutenun-
vertraglichkeit dar.

• Allgemeinsymptome

• Magen-Darm-Beschwerden

• neurologisch-psychiatrische Symptome

• Beschwerden des Bewegungsapparates

• gestorte Sexualfunktion

• Autoimmunerkrankungen

Bei der Diagnose Glutenunvertraglichkeit sind u.a. folgende Krankheitsbilder
von Bedeutung:

• selektiver IgA- Mangel ( bis zu 10%)

• Dermatitis herpetiformis Duhring

• Diabetes mellitus Typ 1 (5%)

• Down- Syndrom

• Turner-Syndrom

• Autoimmunthyreoiditis (bis 14%)

• Rheumatoide Arthritis



Diagnostik

Entscheidend ist eine umfassende Anamnese inklusive Ernahrungsanamnese; die
Familienanamnese ist in bis zu 10% positiv. Klinische Besserung ist unter gluten-
freier Diat zu beobachten.

Labor:

• Gliadin-AK im Stuhl (polyvalent)

• Transglutaminase- AK im Stuhl (polyvalent)

• Gliadin-AK (IgA, IgG) im Serum

• Transglutaminase- AK im Serum

• Pankreaselastase im Stuhl

• Alpha- 1 -Antitrypsin im Stuhl

• Mikronahrstoffscreen im Vollblut

• Blutbild, Elektrolyte, Eisen, Ferritin, Gesamteiweifi, IgA und IgA-Subklassen

• Laktoseintoleranz-H 2 -Atemtest

Genetik:

• genetische Pradispositionsfaktoren HLA-DQ2 und -DR4
Histologic:

• Diinndarmsaugbiopsie unter gliadinhaltiger Kost



Zoeliakie/Sprue — Glutenunvertraglichkeit



163



Differentialdiagnose der Glutenunvertraglichkeit:

1 . Nahrungsmittelunvertraglichkeiten/-allergien

2. Pankreasinsuffizienz

3. angeborene oder erworbene intestinale Enzymdefekte und Resorptionsstorun-
gen, z.B. Laktasemangel, Enterokinasemangel

4. Morbus Crohn

5. akute Enteritis

6. Helicobacterpylori-Infektionen

Komplikationen:

• sekundarer Laktasemangel

• T-Zell-Lymphome des GIT

• Diinndarmkarzinome

Daran sollten Sie denken:

1 . Die Aussagekraft der Serologie und Histologic unter gliadinarmer oder gliad-
infreier Kost ist eingeschrankt; daher ist eine genaue Ernahrungsanamnese bei
Blutentnahme zu empfehlen.

2. IgG- und IgA-Gliadin-AK fallen bei langer Gliadinbelastung wieder ab.

3. Bei 3—10% aller Patienten liegt ein IgA-Mangel vor; in diesen Fallen sind
die IgA-AK Bestimmungen falsch negativ! Tranglutaminase-IgG-AK sind im
Stuhl oder Serum zu bestimmen.



Therapie

Die einzige Behandlungsmoglichkeit besteht in einer lebenslang strikt glutenfreien
Diat. Zu meiden sind Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel, Griinkern, Einkorn, Ur-
korn, Kamut, Emmer, Triticale und sonstige Weizenderivate.

Sicher glutenfreie Nahrungsmittel sind: Reis, Mais, Hirse, Buchweizen,
Amaranth, Quinoa, Hiilsenfriichte, Kartoffeln, Milch und Milchprodukte, Obst,
Gemiise, Fleisch, Fisch, Ei sowie Butter, Ol und Margarine.

Da Gluten emulgiert, Wasser bindet und ein guter Tragerstoff fur Aromastoffe
ist, wird es aus lebensmitteltechnologischen Griinden vielen Halbfertig- und Fer-
tigprodukten zugesetzt. Hierauf ist in der Ernahrung zu achten.

Bei vielen Patienten mit Glutenunvertraglichkeit liegt ein sekundarer Laktase-
mangel vor; daher sollte anfangs auch Milchzucker gemieden werden.

Eine Substitution von Mineralien und Vitaminen je nach Defizit ist zu emp-
fehlen.



Sprue des Erwachsenen

Glutensensibilisierung / -unvertraglichkeit



Gluttnunvertr&glkhkeit
(Sprue)



Weiterfuhrende Diagnostik



■ Familienanamnese

■ gen*tlsche Predisposition:
HLA-DQ2 und -DM



nur in 30-40% abdominetle Besthwerden
Es dominieten unspezifische Symptome wie:

■ Chromsche Mudigkeit

■ Abgeschlagenheit

■ Unspezifische Beschwerden

■ Infertilitat

■ Aborte

■ Penphere Neutopethie

■ Depressionen



Daran sollten Sle denken:

Mit Zoeliakie/Sprue assozi i erte
Krankheitsbilder:

■ Ig A -Mangel

■ Dermatitis herpetiformis Duhring

■ Diabetes mellitusTyp 1

■ Down Syndrom

■ Turner -Syndrom

■ Autoimmunthyretwditis

■ Rheumatoide Arthritis



Stuhldiagnostik:

■ Transglutaminase AK im Stuhl (polyvalent)

■ Gliadin-AK im Stuhl (polyvalent)
oder Serumdugnostik:

■ Transglutaminase-AK UgAI

■ Gliadin-AK(tgAundlgG)



V



5



Haufige stumme subklinische verUufe ohne

typische Zottenatrophie

Isolierte Gliadin AK Erhohung auch bei

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Eingeschranfcte Aussagekraft Serologic /

Histologic / Stuhldiagnostik unter gliadin

armer oder freier Kost

IgA- und IgG-Gtiadin-AK fallen bei langer

Gliadmbelastung ab



Unpenfische Stuhl parameter

■ Alpha 1 Antitrypsin

■ Calprotectin

■ Verdauungsruckstande

■ EPX



kjA- ur»d IgA Subklasscn-
mangel im Serum



Basislabor:

■ ki.ee

■ Elsen, Ferritin

■ GesamteiweiG

■ IgA und kjA Subklassen

■ Mikionahrstoffscreen
imVollblut



-0-



Transglutaminase
tgG-AK im Serum



-e-



Glutenunvtrtrlglkhkeit
(Sprue)



Oifferentialdiagnose:
■ Nahrurvgsmittel-
unvertraglichkeit



Pr4- Screen Altergie
Alpha- 1 -Antitrypsin



■ PankreasinsurTizleni Pankreaselastase

im Stuhl

■ Angeborene oder Hj-Atemtest
erworbeneEnzym-
defekte/Resorptions
stdrungen



■ M.)l.i:]M>!fMinn



■ Morbus Crohn



■ Akute Enteritis



■ Helicobacter
pylori -Infektion



Alpha- 1 -Antitrypsin
Calprotectin

EPX

Calprotectin

Lactoferrin
pathogerve
Darmkeime

HP-Antigen im
Stuhl



Ralf Kirkamm



165



Literatur

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Siegenthaler, W (2000) Differentialdiagnose innerer Krankheiten. 18. Auflage. Thieme
Verlag, Stuttgart, New York.



Autorenverzeichnis



Dr. med. Ing. Friedrich Dellmour
Sangerhofgasse 19, 2512Tribuswinkel, Osterreich
Tel. Biiro: +43-1-524 40 64-47
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168



Autorenverzeichnis



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GANZIMMUN, Labor fur funktionelle Medizin AG

Hans-Bockler-Str. 109, 55128 Mainz, Deutschland

Tel.: +49-6131-7205-124

Fax: +49-6131-7205-100

eMail: dr.kirkamm@ganzimmun.de

Dr. med. Lothar Krenner

Osterreichische Gesellschaft fur Ayurvedische Medizin
Maharishi Institut fur Vedische Medizin
Biberstrasse 22, 1010 Wien, Osterreich
Tel.: +43-1-513 43 52
Fax: +43-1-513 96 60
eMail: lothar.krenner@aon.at

Dr. med. John van Limburg Stirum

Seestrasse 155, 8802 Kilchberg, Schweiz

Tel.: +41-44-716 48 48

Fax: +41-44-715 64 03

eMail: jstirum@praxis-seegarten.ch

Ao. Univ. Prof. Dr. Wolfgang Marktl
Zentrum fur Physiologie und Pathophysiologie
Institut fur Physiologie

Schwarzspanierstrasse 17, 1090 Wien, Osterreich
Akademie fur Ganzheitsmedizin
Sanatoriumsstrafie 2, 1140 Wien, Osterreich
Tel. +43-1-688 75 07
Fax:DW15

eMail: wolfgang.marktl@meduniwien.ac.at



Autorenverzeichnis



169



Dr. Norbert Maurer

Kupelwieserg. 16/2, 1130 Wien, Osterreich

Tel.: +43-1-877 3001

eMail: norbert.maurer@chello.at

Univ. Prof. Dr. Dr. Armin Prinz

Inst. f. Geschichte der Medizin der Universitat Wien

Wahringerstr. 25, 1090 Wien, Osterreich

Tel.: +43-1-4277 63 412

Fax: DW 9634

eMail: armin. prinz@meduniwien.ac.at

MR. Dr. Heinz Schiller

Sechterberg 14, 4101 Feldkirchen, Osterreich

Tel.: +43-7233 6381

Fax: +43-7233 6381-75

eMail: heinz.schiller@medway.at

Dr. Harald Stossier

Arztlicher Leiter - VIVA - Das Zentrum fur MODERNE MAYR MEDIZIN
Seepromenade 1 1 , 9082 Maria Worth, Osterreich
Tel.: +43-4273 31117
Fax: +43-4273 31117 160
eMail: stossier@viva-mayr.com

Prof. Dr. rer. nat. Jiirgen Vormann
Dr. rer. nat. Thomas Goedecke
Institut fur Prevention und Ernahrung

Adalperostrafte 37, 85737 Ismaning b. Miinchen, Deutschland
Tel.: +49-89-96 20 78 26
Fax: +49-89-96 20 78 25
eMail: vormann@ipev.de

Dr. Sieghard Wilhelmer

Rankengasse 15, 9500 Villach, Osterreich

Tel.: +43-4242 523 78

Fax: DW 4

eMail: sieghard.wilhelmer@utanet.at



SpringerMedizin

Cem Ekmekcioglu, Wolfgang Marktl

Essentielle Spurenelemente

Klinik und Ernahrungsmedizin

2006. VIII, 205 Seiten. 1 0 Abbildungen.
Broschiert EUR 49,80, sFr 76,50
ISBN 978-3-21 1 -20859-5



Publikationen zu den essentiellen Spurenelementen sind in der
gangigen Literatur bisher hauptsachlich als einzelne Kapitel in
ernahrungsorientierten Buchern zu finden. Ein aktuelles Buch, das
vor allem Mediziner in der klinischen Praxis anspricht, fehlte vollig.
Dieses Werk fullt diese Marktlucke. Am Beginn wird ein praxisrele-
vanter Uberblick zu Funktionen, Stoffwechsel, Nahrungsquellen
und empfohlenen taglichen Aufnahmemengen gegeben, um dann
vertieft klinische Krankheitsbilder zu behandeln, wie z.B. Krebs und
Immunschwache, die vor allem durch Mangel, jedoch auch durch
Toxizitat der Spurenelemente mitverursacht werden bzw. die auch
zu einer Unterversorgung fiihren konnen. Dabei werden vor allem
Empfehlungen fur eine symptom -bzw. krankheitsorientierte Ernah-
rung bereitgestellt, sowie die Frage der therapeutischen und pro-
phylaktischen Supplementation diskutiert. Ebenso wird die Bestim-
mung des Spurenelementestatus und der Bedarf daran von Kindern,
Schwangeren, Senioren und Sportlern ausfuhrlich erbrtert.



SpringerWien NewYork

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SpringerLebensmittelwissenschaften



Hanni Riitzler

Was essen wir morgen?

1 3 Food Trends der Zukunft



2005. 1 72 Seiten. Zahlreiche farbige Abbildungen.
Gebunden EUR 24,90, sFr 38,50
ISBN 978-3-21 1 -21 535-7

Dieses Buch ist ein echter „l_eckerbissen" fur alle, die sich mit der
Zukunft des Essens beschaftigen - und wer tut das nicht?

Was die Autorin sich damit vorgenommen hat, beschreibt sie selbst
so:„Theoretisch konnen wir tagtaglich unter einer fast unendlichen
Vielfalt an Lebensmitteln und Kostformen frei wahlen. Praktisch
werden aber unsere alltaglichen Essentscheidungen von gesell-
schaftlichen Megatrends beeinflusst. Zudem verandern sich die indi-
viduellen Lebensgeschichten und adaquat dazu die Essstile.

Mit meinem Buch mochte ich dem bewegten Lebensmittelmarkt
Struktur geben und mit Hilfe von 13 Food Trends die zentralen
Entwicklungschancen fur Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeiter,
Gastronomie und Handel aufzeigen. Dabei sollen auch die Konsu-
mentlnnen auf den Geschmack kommen: Sie erhalten spannende
Einblicke in die ,essbare Konsumwelt' von morgen und eine pro-
funde Orientierung fur einen bewussten Lebensmitteleinkauf."



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