Schulmann: Dieses Statement wurde dann später in Deutschland auch kritisiert, unter anderem in der Zeitung "Welt" wegen eines Interessenskonflikts. Und zwar geht es da um Peter Daszak, der das Statement organisiert hat und der auch Experte auf dem Gebiet von Krankheitserregern ist, die von Tieren auf Menschen übertragen werden. Und Daszak ist auch der Präsident der Eco Health Alliance in New York. Mehrere Medien berichten, dass seine Organisation die Coronavirus-Forschung am Institut für Virologie in Wuhan finanziert hat. Und daraus schließen jetzt einige Autoren, dass sollte SARS-2 tatsächlich aus dem Institut entwichen sein, dann wäre Daszak möglicherweise mitschuldig und mit dem Statement habe er davon ablenken wollen. Wussten Sie, bevor Sie das Statement mitunterschrieben oder verfasst haben, das Daszaks Organisation an der Forschungsfinanzierung in Wuhan beteiligt war?
Solidaritätsbekundung, keine wissenschaftliche Aussage
Drosten: Ja, also gut, Forschungsfinanzierung, das ist eine andere Sache. Ich wusste schon, dass die zusammenarbeiten, also dass Peter Daszak mit Zhengli Shi arbeitet in Wuhan. Das ist aber für mich auf der Ebene des damaligen Statements eigentlich nicht problematisch. Dieses Statement ist kein wissenschaftliches Statement. Dort wird nichts wissenschaftlich Hartes gesagt, sondern da wird einfach gesagt: Wir bekunden unsere Solidarität. Das ist vollkommen in Ordnung. Es ist auch in Ordnung, wenn Kooperationspartner das für ihre chinesischen Kooperationspartner sagen.
Also natürlich kann ein Peter Daszak, der Engländer ist, der in den USA berufstätig ist und mit einem chinesischen Labor arbeitet, mal ein öffentliches Statement machen, indem er sagt: Leute, das sind ernsthafte, seriöse Wissenschaftler. Ich kenne die, ich arbeite ja mit denen zusammen. Das war auch auf jetzt wirklich alles andere als unbekannt. Also jeder, der diesen Letter mitunterzeichnet hat, wusste das natürlich. Und das ist auch in diesem Sinne vollkommen in Ordnung. Ich sehe hier überhaupt keine Interessenskonflikte. Ich muss aber schon sagen, ich bin da jemand, der sicherlich die Sache sehr neutral betrachtet.
Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, steht auf dem Podium und spricht zu Beginn des 122. Deutschen Ärztetages zu den Teilnehmern. © dpa-Bildfunk Foto: Guido Kirchner
Corona-News-Ticker: Montgomery für Impfpflicht ab 18 Jahren
Der Chef des Weltärztebundes fordert zudem eine Befristung auf zwei Jahre. Auch der Städtebund will eine Impfpflicht nicht nur für Ältere. Mehr Corona-News im Ticker.
Ich bin auch beispielsweise damals, als dieser Letter geschrieben wurde, erst ganz am Ende dazu gebeten worden. Dieser Text war fertig geschrieben. Dann wurde mir der zugeschickt und es wurde gefragt: Christian, hast du Lust, hier mit so unterschreiben? Du kennst dich aus in der Community und du bist eben auch neutral. Ich habe mir den durchgelesen und habe gesagt: Ja, klar. Das unterschreibe ich. Also ich finde es auch falsch, dass man so mit den Leuten in China umgeht, mit den Wissenschaftlern.
Jetzt ist aber natürlich viel Zeit vergangen. Jetzt ist Peter Daszak an der WHO-Mission federführend beteiligt gewesen, die den Zweck hatte, dort Aufklärungsarbeit zu leisten. Da finde ich schon, da gibt es einen Interessenskonflikt. Den muss es einfach geben. Also man kann nicht als neutraler Beobachter oder Kontrolleur oder wie man es immer nennen will, Überprüfer, zu einem Labor hingehen, mit dem man seit Jahren kooperiert. Das geht nicht. Natürlich ist Peter Daszak nicht der einzige Wissenschaftler in dieser Kommission. Aber alleine dadurch, dass er in der Kommission ist, diese Kommission hat untereinander auch ständig dann wieder Kontakt gehabt, dann auch wieder im geschlossenen Kreis. Die haben auch wochenlang in einem Quarantäne-Hotel verbracht. Natürlich ist dann eine Neutralität der gesamten Kommission auch nicht mehr unbedingt gegeben. Also das muss ich einfach sagen.
Das gehört sicherlich zu den Dingen, die man jetzt über diese WHO-Kommission kritisieren kann und sollte. Da gibt es neuere Äußerungen jetzt auch aus der Wissenschaft, die nichts mit dieser journalistischen Aufarbeitung zu tun haben. Beispielsweise ein Statement-Papier in "Science" von einer Gruppe von sehr seriösen Wissenschaftlern, die aber auch eigentlich nicht wirklich alle mitten im Thema sind, aber auch wirkliche Fachexperten dabei, die sagen: Es muss besser untersucht werden, auf andere Art untersucht werden. Und dem stimme ich vollkommen zu.
Statement-Papier in "Science"
Ich würde auch die jetzige Arbeit der WHO mit dieser Mission durchaus kritisieren. Nicht nur aus diesem Grund von Befangenheit, sondern aus anderen Gründen auch. Also beispielsweise der Prozess, wie so etwas zustande gekommen ist, so eine Kommissionsgruppe, die geschlossen ist, der war nach meiner Ansicht nicht transparent genug. Das wurde zwar ausgeschrieben, aber nur an sogenannte Focal Points. Das heißt, immer nur ein Punkt pro Land konnte die Experten dann letztendlich zulassen.
Schulmann: Ein Institut?
Drosten: Ja, richtig. Häufig sind das eben Forschungsinstitute, in Deutschland ist es das Robert Koch-Institut. Die Frage ist natürlich: Müsste man so etwas nicht in einer breiteren Wissenschaftsöffentlichkeit im Prinzip ausschreiben. Und dann wirklich inhaltlich die besten Experten, die wirklich eigene spezifische Forschungsexpertise haben zu dem Thema, die aber gleichzeitig auch nicht befangen sind, müsste man da nicht eine breitere Ausschreibung machen? Und ich glaube, da kann die WHO noch sehr viel lernen und wird es hoffentlich auch in Zukunft.
Dann muss man natürlich auch fragen: Kann dieses Vorgehen denn richtig sein? Also ein Land wie China, in das dann eine Kommission kommt, die sagt: Jetzt wollen wir hier mal die Schränke durchwühlen. Das kann doch nicht funktionieren. Also da kann man doch jetzt das politische System in China kritisieren, wie man will, das würde doch auch in einem anderen Land nicht funktionieren.
Schulmann: Aber haben Sie eine Idee, wie man es anders machen könnte?
Wissenschaftliche Diskussion statt aufwendiger Kommission
Drosten: Ja, natürlich. So wie es die Wissenschaft normalerweise eben macht. Nicht durch ein Kommissionsreise, die mit viel Brimborium in den Medien begleitet wird. Aber die im Prinzip nach zehn Tagen wieder vorbei ist, wo man überhaupt nichts leisten kann. Sondern durch einen Diskussionsprozess in der Wissenschaftsöffentlichkeit. Also beispielsweise, wenn ein Experte in Europa oder USA sagt: Ich habe da eine Idee. Es war doch damals so, warum habt ihr das denn jetzt nicht beforscht? Und wenn andere Experten dann sagen: Ja, genau warum eigentlich nicht? Dann entsteht dadurch eine Wissenschaftsöffentlichkeit, der die chinesischen Wissenschaftler und auch natürlich die chinesische Politik begegnen müssen.
Wenn beispielsweise immer mehr Wissenschaftler in Europa und USA sagen: Leute, ihr habt da eine bestimmte Pelzindustrie, die mit Tieren arbeitet, die bei SARS-1 die nachgewiesene Quelle des Virus waren, warum haben wir denn bis heute darüber keine Untersuchungen? Dann muss irgendwann auch eine Reaktion darauf erfolgen. Wenn keine Reaktion erfolgt, dann wird für immer da ein großes Fragezeichen an der entscheidenden Stelle bleiben. Das ist so ein Beispiel. So macht es die Wissenschaft. Die Wissenschaft ist schon dabei, das so zu machen. Und wir begegnen in dieser Art und Weise da auch unseren chinesischen Kolleginnen und Kollegen auf Augenhöhe.
Und wenn chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vielleicht an der ein oder anderen Stelle auch mal politisch nicht die Freiheit haben, die Forschung zu machen, die sie wollen, dann kann aber die Gesamtheit der Wissenschaft in anderen Ländern das einfordern. Dann wird auch die Politik das erlauben müssen. So funktioniert es einfach. Dafür gibt es andere Beispiele, die nicht immer nur mit China funktionieren. China ist da nicht das einzige Land, das man hier auf der Agenda haben sollte, wenn es um politische Maßgaben für Forschung geht. Die Wissenschaft hat da ihre Prozesse. Und der Prozess ist sicherlich nicht eine kleine Besuchskommission, die dann einen Bericht schreibt. Der Bericht liest sich dann auch noch so, als hätte man einige der Fragen hier in der kurzen Zeit schon gut abgeklopft. Also das ist für mich wirklich auch nicht akzeptabel.
Gain-of-function-Forschung
Schulmann: Auf diesen Diskurs und auf die Pelzindustrie werden wir später sicherlich auch noch mal kommen. Ich würde gern noch mal zurückkommen zu Peter Daszak. Er wird in vielen journalistischen Artikeln zum Thema Labortheorie auch als Spezialist in der Gain-of-function-Forschung bezeichnet. Und vielleicht steigen wir hier mal in die wissenschaftlichen Details ein. Diese Gain-of-function-Forschung spielt in den Theorien um den Ursprung des Virus eine große Rolle.
Drosten: Peter Daszak kenne ich seit vielen Jahren, der ist kein Experte für Gain-of-function-Forschung, der ist Tierökologe. Der hat einen ganz anderen wissenschaftlichen Hintergrund. Wir können Gain-of-function-Forschung auf viele Arten definieren. Aber ich glaube, in diesem Kontext ist es jetzt definiert, indem man an pathogenen, also an Viren beispielsweise arbeitet, Krankheitserregern, und denen entweder über Zuchtmethoden oder auch über gentechnische Methoden andere Eigenschaften verleiht, also andere genetische Marker verleiht, um zu schauen, ob diese Gene dann eine andere, vielleicht sogar krankheitsverstärkende oder übertragungsverstärkende Funktion vermitteln. Das ist Hardcore-Virusforschung, Hardcore-Virologie. Es ist nicht Tierökologie. Das ist ein ganz anderes Fach.
Peter Daszak koordiniert ein Riesenforschungskonsortium, an dem amerikanische Experten für Viren und chinesische Experten für Viren mitwirken. Die haben eine gewisse gemeinsame technologische Basis. Ich glaube eigentlich nicht, dass überhaupt bewiesen ist, dass diese Art der Technik in dieser Kooperation in China gemacht wird. Sondern ich glaube eigentlich bis heute, dass das nur in USA gemacht wird und diese Viren dann nach China gegeben werden für bestimmte Experimente oder auch diese Experimente eigentlich in USA durchgeführt werden. Nur die Quelle der Virusgen-Information in China liegt an der Stelle. Ich verstehe da auch nicht die Details dieser wissenschaftlichen Kooperation.
Was ich aber verstehe, ist, dass Peter Daszak in Person Ökologe ist. Also der kann solche Dinge nur von einer sehr hohen Ebene kommentieren. Und so macht er das auch in der Öffentlichkeit, was dann in der Berichterstattung zu sehen ist, sind Interpretationen von dem, was er sagt. Und diese Interpretationen, zumindest in den Artikeln, die ich mal gelesen habe, sind häufig einfach klar falsch wiedergegeben.
Schulmann: Bevor wir jetzt speziell auf SARS-CoV-2 kommen, können Sie uns diese Gain-of-function-Forschung mal etwas näherbringen? Worum geht es da genau?
Gain-of-function-Forschung – ein Erklärungsversuch
Drosten: In diesem Kontext wäre es so, dass wir bestimmte Fragen stellen, die essenziell sind für die Bewertung von beispielsweise Pandemieerregern oder Erregern, die sagen wir mal in einem Tier-Reservoir sind, aber möglicherweise das Potenzial haben, gefährlich zu werden, Anfangshinweise. Da gibt es das berühmte Beispiel der Gain-of-function-Forschung von Ron Fouchier und Yoshi Kawaoka, die am Beispiel von Influenza H5N1 bestimmte Untersuchungen gemacht haben. Wo sie gesehen haben, da gibt es im Tierreich, in Wasservögeln, da, wo die Influenzaviren herkommen, bestimmte Virusvarianten. Die haben Mutationen, genetische Konstellationen, die verdächtig darauf sind, dass die vielleicht die Übertragbarkeit von diesen Viren erhöhen könnten - und zwar bei Säugetieren. Also diese Viren kommen eben aus dem Wasservogelbereich.
Und wir interessieren uns dafür, welche dieser unglaublichen Diversität an Varianten vielleicht in Säugetieren gefährlich sein könnten hinsichtlich Übertragbarkeit. Die Experimente, die die dann gemacht haben, waren, dass sie in einem sogenannten reversgenetischen System - das ist ein System, das im Labor existiert, das besteht in einer Kopie des Genoms von Influenzavirus auf der DNA-Ebene, sodass wir das gentechnisch verändern können, gezielt verändern können. Das ist letztendlich ein Satz von Bakterien-Plasmiden, die man modifizieren kann im Labor. Wir sagen, wir rescuen das. Jetzt können wir mithilfe eines solchen Systems auch Viren im Labor herstellen, die wir nicht direkt aus der Natur entnommen haben in Form eines lebenden Virus.
Grafische Darstellung eines Coronavirus © COLOURBOX Foto: Volodymyr Horbovyy
Das Glossar zum Corona-Podcast
Was ist ein Aerosol? Was ist eine Zellkultur? Unser Glossar erklärt die wichtigsten Fachbegriffe aus unserem Podcast mit den Virologen Christian Drosten und Sandra Ciesek.
Also wir haben nur ein Stück Vogelkot in einer Feldstudie sequenziert. Dann haben wir die Geninformation von Influenzaviren dort erhalten und haben viele Influenzaviren-Genome angeschaut und verglichen. Da waren ein paar dabei, die haben bestimmte Mutationen, die uns verdächtig erscheinen. Wir haben dieses Virus aber nicht in der Hand. Wir haben nur die Gen-Informationen. Was wir normalerweise natürlicherweise in der Virologie machen könnten, ist: Wir könnten dieses Stück Vogelkot in eine Zellkultur bringen und hoffen, dass da jetzt ein Virus wächst, ein natürlich replizierendes Virus. Nur wenn man Tausende Genomsequenzen hat, dann würde das sich übersetzen in Tausende von Kotproben, die man in Zellkultur untersuchen müsse. Das geht einfach nicht. Das ist logistisch nicht machbar.
Wenn man jetzt also so gezielt vorgehen will, dann fügt man diese auffälligen Mutationen aus der Geninformation in so ein reversgenetisches System ein und hat dann das Virus im Prinzip künstlich erschaffen. Es ist eine Eins-zu-eins-Kopie dessen, was in der Natur vorkommt und das hat man im Labor vorliegen. Was man noch weitermachen kann, wenn man mehrere verschiedene Varianten von solchen auffälligen Viren in den Sequenzinformationen hat, dann kann man auch in so einem künstlich erzeugten Virus diese auffälligen Varianten zusammentun in ein und demselben Virus. Also wenn man sagt, hier ist eine möglicherweise verstärkende Mutation, da ist in dem anderen Virus noch eine andere und hier ist noch eine dritte, dann könnte man hingehen, und das ist auch gemacht worden, die zusammentun.
Schulmann: Warum macht man das?
Was ein Labor kann, kann auch die Natur
Drosten: Das macht man eben, um die Frage zu stellen, wenn wir das im Labor machen können, die Natur wird es auf jeden Fall machen, wenn es einen Vorteil für das Virus bringt. Und diese Frage stellt man: Bringt es einen Vorteil? Müssen wir also uns auf diese Viruslinie konzentrieren? Müssen wir sagen: Aha, da braut sich in der Natur was Gefährliches zusammen. Wir beweisen im Labor, dass das gefährlich werden kann, wenn diese zwei oder drei Evolutionslinien, die jetzt in der Natur parallel existieren und die sicherlich dann auch irgendwann zusammenkommen werden, wenn wir die im Labor schon mal zusammenstecken und wir sehen, das Virus, das dabei rauskommt, das ist übertragbarer zum Beispiel im Frettchen - also das Labortier für die Influenza ist das Frettchen - dann wissen wir, das ist gefährlich. Und das ist eben, was diese zwei Arbeitsgruppen in Europa und den USA gemacht haben. Darum gab es eine jahrelange Nachdiskussion, die im Prinzip immer noch anhält, über den Nutzen und den potenziellen Schaden solcher Art von Forschung. Ob man das überhaupt machen darf. Und wenn ja, auf welche Art und Weise man das kontrollieren muss.
Schulmann: Genau. Das heißt, es kann tatsächlich ein gefährlicheres Virus im Labor dadurch entstehen. Sie haben es schon angesprochen, es gibt Stimmen, die sagen, man müsste diese Modifikation von Viren komplett verbieten, weil theoretisch etwas Gefährlicheres dabei entstehen könnte. Das wäre ja aber überhaupt nicht sinnvoll, wenn man dann nicht weiterforschen könnte an zum Beispiel Impfungen oder Medikamenten. Oder?
Drosten: Ich sage eben nicht, man müsste das komplett verbieten. Es gibt aber Wissenschaftler, und das sind manchmal Wissenschaftler, die nicht in der Virologie oder nicht im Kerngebiet dieser Virusforschung stecken, die sagen das manchmal auch relativ pauschal. Ich habe dazu eine viel differenziertere Ansicht. Ich denke, es ist für essenzielle Fragen der Infektionsbiologie. Da kann ich jetzt theatralisch werden, das sind die großen Fragen unserer Zeit in dieser Art von Forschung. Da muss man diese Experimente machen, sonst kann man die Fragen nicht beantworten. Und wir müssen uns da einfach dann letztendlich irgendwann klarmachen, da würden wir dann als Menschheit die Entscheidung treffen: Nö, lieber nicht. Also lieber nicht am Erkenntnisfortschritt weitergehen, lieber nicht an der Grenze des Wissens sich weiter entlang nach vorne tasten, sondern es aus einer Vorsichtsüberlegung lieber lassen.
Oder wollen wir der Vorsichtsüberlegung vielleicht anders begegnen, indem wir sagen: Moment, wir können das aber kontrollieren. Wir wissen ja, was wir tun. Wir haben Sicherheitslabore. Wir haben bestimmte biologische Sicherheitsmaßnahmen. Wir können Experimente auch so gestalten, dass die Information zum Beispiel einer Erhöhung der Gefährlichkeit herauskommt, obwohl wir vorher die Gefährlichkeit insgesamt runtergeschraubt haben. Also in dem Virus mit einer runtergeschraubten Gefährlichkeit machen wir dann eine Forschungsmutation rein. Dann sehen wir, dann geht es relativ zum Grundzustand, dann wird es gefährlicher, aber es hat noch längst nicht die Gefährlichkeit dessen, was es in der Natur gibt. So kann man diese Forschung auch gestalten. Das sind eben die Ausführungsvarianten, die man kennt, wenn man wirklich Fachmann oder Fachfrau ist. Dann ist das ein Level, auf dem man diskutiert.
Im Gegensatz zu dem Level, auf dem man diskutiert, wenn man mit Nicht-Fachleuten spricht, die einfach emotionale Meinungen wiedergeben, die sich vielleicht auch wichtigmachen wollen. Wenn man das dann von einer bestimmten verkürzenden Berichterstattung aufgenommen wird, dann kommt man in eine eigentlich abwegige Diskussion, die auch nicht weiterhilft, die zwar Aufmerksamkeit generiert, aber diese Aufmerksamkeit ist nicht produktiv. Also man kommt da nicht mehr weiter zu gemeinsamen Lösungen, während es doch diese Lösungen durchaus gibt und diese Lösungswege schon in vielen Ländern beschritten werden.
Schulmann: Wenn wir jetzt zu SARS-CoV-2 kommen, das verfügt über eine ganz besonders wirkungsvolle Methode, um in menschliche Wirtszellen einzudringen. Da wird jetzt diskutiert: Diese Eigenschaft könnte durch genetische Manipulation im Labor entstanden sein. Und da gibt es im Erbgut von SARS-CoV-2 die sogenannte Furin-Spaltstelle, die eben Anlass bietet für diese Spekulationen um die Herkunft. Erklären Sie doch bitte noch mal, worum es sich dabei genau handelt.
Spekulationen um die Furin-Spaltstelle
Drosten: Die Furin-Spaltstelle ist eine Protease-Erkennungsstelle. Und das Protein, das auf der Oberfläche von dem Virus ist, das muss in zwei Teile geschnitten werden, um gut zu funktionieren. Dieses Schneiden in zwei Teile, das könnte zwar das Virus selber erledigen, aber dafür hat es in dem Fall nicht das erforderliche Enzym an Bord. Es gibt Viren, dazu gehört das Influenzavirus, dazu gehören andere Coronaviren, die sich da ein Enzym der Zelle zunutze machen. Dieses Enzym ist in dem Ausschleusungsweg, welche die Zelle für die Produktion von Viren bietet. Während des Virus da an der Stelle vorbeikommt, wird das Enzym aktiv, ein zelluläres Enzym. Das erkennt diese sogenannte Furin-Spaltstelle. Das Enzym heißt Furin.
Das schneidet dann das Virusprotein in die passenden Stücke. So wie das Virus das braucht. Das ist eines der vielen Beispiele, wie die Zelle für den Virus wider Willen den Job erledigt. Das macht das Virus auf vielen Stufen seiner Replikation. Jetzt ist es so, das SARS-1-Coronavirus und viele andere, ich sage jetzt nicht alle, sondern fast alle anderen bekannten SARS-ähnlichen Viren - also die Mitglieder der Spezies SARS-related-Coronavirus, das ist eine Spezies, eine Art, eine Virusart - diese Artgenossen des SARS-Coronavirus, die haben so eine Spaltstelle nicht. Das bislang am Nächsten verwandte Virus, das man kennt von den Artgenossen des SARS-Virus, das hat die auch nicht. Dieses SARS-2-Virus hat die auf einmal. Und jetzt ist in Medienartikeln argumentiert worden, das muss aus mehreren Gründen künstlich eingeführt worden sein. Erstens, das sind ja gleich mehrere Nukleotide auf einmal, die da reingekommen sind. Das kann also nicht eine schrittweise verändernde Mutation sein, sondern das ist ja gleich eine ganze Reihe von neuen Basen, die hier eingeführt ist. So etwas macht doch die Evolution nicht von selbst in so kurzer Zeit.
Man hat ausgerechnet, dieser nächstverwandte Artgenosse und das SARS-Virus, die haben sich vielleicht so im Bereich von vor 50 Jahren voneinander evolutionär getrennt. Da hatten sie ihren letzten gemeinsamen Vorfahren. Das kann doch nicht sein, dass in so kurzer Zeit so viele neue Basen dazukommen. Also auf diesem Niveau wird argumentiert von Journalisten, die wieder von anderen Journalisten abschreiben. Die haben wieder mit Wissenschaftlern gesprochen, die aber eigentlich nicht wirklich im Fach sind. Das ist so meine Auffassung dieser neuen Medienberichterstattung, die im Moment in den USA herrscht. Man muss auch dazusagen, da sind gerade erste Korrekturen im Gange. Also die ersten großen amerikanischen Zeitungen korrigieren sich selbst und entschuldigen sich auch für falsche Berichterstattung. Das ist in Deutschland noch nicht angekommen, diese Korrektur. Ich denke, da wird es aber auch Korrekturmechanismen geben.
Zu viele neue Merkmale in kurzer Zeit
Aber um hier wieder zurückzukommen zur Biologie, wir haben hier diese Auffassung, dass diese Furin-Spaltstelle deswegen künstlich eingefügt worden sein müsste. Denn so viele neue Merkmale kommen nicht in kurzer Zeit in ein Genom rein, in dieser kurzen Evolutionszeit. Es gibt auch andere Argumente, die viel mehr noch in die Tiefe gehen oder versuchen, in die Tiefe zu gehen. Zum Beispiel ein Argument ist: Wir haben ja, indem wir Aminosäuren codieren in der Genetik, häufig mehrere Möglichkeiten, die gleiche Aminosäure zu buchstabieren in Form von RNA oder DNA. Jetzt ist es so - wir sprechen hier von einem Codon, also das sind drei Nukleotide hintereinander, die eine Aminosäure codieren. Wir haben in verschiedenen Organismen eine verschiedene Präferenz von Codonen für dieselbe Aminosäure.
Das Arginin-Codon beispielsweise, das hier in dieser Furin-Spaltstelle vorkommt, zweimal hintereinander, ist CGG. Es wird jetzt argumentiert, dieses Arginin-Codon, das ist eigentlich in Coronaviren total selten, und die Tatsache, dass hier ein Arginin-Codon in dem Virus verwendet wird, das eher der Präferenz in Säugetieren oder überhaupt in Vertebraten entspricht, in Wirbeltieren, das spricht doch dafür, dass das künstlich eingefügt sein müsste. Denn das ist eigentlich der genetische Code einer Furin-Spaltstelle, so wie man die in der menschlichen Zelle finden würde oder auch in anderen Zellen oder auch in Tieren. Wenn das hier atypischer Weise in dem Virus vorkommt, dann ist das doch auch ein Zeichen dafür, dass das künstlich eingefügt worden ist. Denn Genetiker arbeiten mit so tierischen Sequenzen, während das Virus andere Codonen verwenden würde als CGG.
Schulmann: Das würden Sie aber nicht sagen?
Drosten: Nein. Ich stimme damit überhaupt nicht überein. Es ist so, dass diese Argumente in der Wissenschaft schon lange bekannt sind von anderen Viren als eigentlich nicht tragfähig. Die wurden speziell für das SARS-2-Virus in der Wissenschaftscommunity, in der Experten-Community auch noch mal geklärt und die dazugehörigen Veröffentlichungen sind erschienen. Also eigentlich ist dieser Zweifel in der Wissenschaft schon im letzten Frühjahr, praktisch ab Januar, Februar, seitdem das Genom rausgekommen ist, diskutiert und geklärt worden.
Ich will kurz sagen, es ist normal, dass Viren in der Natur solche Furin-Cleavage-Sites manchmal erwerben. Wir kennen das zu Genüge von aviärer Influenza, also bei der hochpathogenen aviären Influenza wird so eine Furin-Site erworben. Und wir wissen auch von der aviären Influenza, dass die Quelle von dieser Furin-Site eben nicht das einfache gerichtete Driften der Evolution ist, also die Punktmutationen und dann zufälliges Zufügungen von Basen, sondern es sind im Wesentlichen zwei Mechanismen, die dahinterstehen.
Zwei Mechanismen für Furin-Sites
Das eine ist ein grundsätzlicher zusätzlicher Fehlermechanismus in den Replikationsenzymen dieser Viren. Also ganz einfach gesagt, diese Enzyme können stottern. Die können manchmal dasselbe zweimal hintereinander einfügen, obwohl das gar nicht in der Vorlage vorgegeben war. Das ist einer der Mechanismen. Der andere Mechanismus, der ist von Influenza hinlänglich bekannt: Die Furin-Spaltstelle kommt in vielen, vielen Proteinen der Zelle vor. Die Zelle braucht das für sich selbst, für ihre eigene Proteinproduktion. Viren machen nun mal in ihrer Replikation so raue Mengen, so Riesenzahlen von Genom-Kopien, dass auch seltene Unfälle der Evolution einfach mit einiger Regelmäßigkeit stattfinden und auch ans Tageslicht kommen, wenn sie dem Virus einen Vorteil bringen. Denn wir sehen ja immer nur die Viren, die die Selektionsprozesse überlebt haben. Also wir sehen nur die erfolgreichen Viren.
Und es kommt hier eben in der Zelle dann erfahrungsgemäß dazu, dass Stücke von Genen menschlicher Proteine über Rekombinationsschritte in das Virus-Genom eingebaut werden. Das sind Schritte, die in ihrem Mechanismus vollkommen verstanden sind, wie das funktioniert. Nur wir wissen auch, es funktioniert selten. Allerdings wenn ein Virus in vielen Tieren oder in vielen Zellen in rauer Menge repliziert, dann passieren eben auch seltene Dinge. Die kommen ans Tageslicht, wenn sie im Nachhinein betrachtet für das Virus nützlich sind. Wir wissen bei Influenza ganz genau, dass solche Dinge passieren. Wir wissen das auch bei anderen Viren, die im molekularbiologischen Labor untersucht sind. Und die Tatsache, dass hier eben tiertypische Codonen auftauchen in der Furin-Spaltstelle, ist alles andere als überraschend, sondern ist eigentlich erwartungsgemäß, wenn dieses Virus sich über Rekombinationsschritte, diese Furin-Site sagen wir mal, angeeignet hat.
Viele Fragezeichen um einen Kopf. © picture alliance Foto: Sergey Nivens
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Schulmann: Wenn Sie sagen, das alles sind keine Gründe dafür, dass das Virus aus dem Labor kommt, halten Sie es denn aber für möglich, das Forschende im Labor eine Furin-Spaltstelle so in das Coronavirus eingefügt haben?
Drosten: Möglich ist so eine Sache. Ich glaube, wir müssen eher fragen: Ausgeschlossen oder bewiesen? In diesen Kategorien wird tatsächlich gerade in der Öffentlichkeit diskutiert. Man kann das im Moment aufgrund der vorliegenden Daten weder beweisen noch ausschließen. Technisch ist vieles möglich. Alles Mögliche ist in der Molekularbiologie möglich. Es ist häufig nicht wahrscheinlich, dass jemand das in einer Forschungslinie so gemacht hat, weil es einfach nicht sinnvoll wäre. Darüber müssen wir, glaube ich, reden. Es wird ja spekuliert, gerade in diesen Medienartikeln, dass so die Evidenz zusammenkommt, dass bestimmte Vorgänge darauf hindeuten, dass das wohl ein Laborunfall sein müsste. Also jemand hat eigentlich in gutem Willen Experimente gemacht und dabei ist was entwischt. Oder man hätte sich irgendwie infiziert im Labor.
Schulmann: Und es dann rausgetragen.
Drosten: Genau. Da haben wir ja dieses Argument, dass eigentlich ein Einfügen einer Furin-Site in ein Virus ein naheliegendes Experiment ist, um herauszufinden, ob das Virus dadurch stärker übertragbar wird. Das wäre so ein denkbarer Hintergrund für ein solches Experiment. Eine Begründung. Jetzt muss man dazu erst mal wissen: Es ist erst mal nicht unbedingt so, dass wenn man eine Furin-Site in ein Virus einfügt, dass das Virus danach besser oder stärker übertragbar ist, sondern im Gegenteil.
Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass das dem Virus eher nicht viel nützt. Also diese Viren haben nicht immer einen Vorteil davon. Wenn eine Furin-Site in einem Glykoprotein drin ist, dann führt das in vielen Fällen auch dazu, dass dieses Glykoprotein vorzeitig reift, wie wir sagen. Das kommt also vorgereift aus der Zelle. Und da sind dann entscheidende Schritte in ihrem Zeitablauf gestört. Also diese Protein-Prozessierung, dieses Schneiden in Stücke, das muss in einer bestimmten Zeitabfolge passieren. Und wenn man eine Furin-Site einfügt, dann kann das dazu führen, dass die Reifung zu früh passiert und dass das Virus praktisch für Reifungsschritte schon sein Pulver verschossen hat, die später notwendig sind, um einen Eintritt in die nächste zu infizierende Zelle zu ermöglichen.
Schulmann: Das heißt, es wäre dann unschädlich gemacht?
Zeitraum für weitere Virus-Infektionen funktioniert nicht
Drosten: Ja, richtig. Dadurch kann man so einen Virus auch beeinträchtigen. Also das erst mal nur vorweggesagt. Klar wäre es ein interessantes Experiment, so einem Virus eine Furin-Site einzuführen und das ist technisch möglich. Nur die Frage ist: Wie würde man es dann machen vom Experiment her? Da würde man ja sagen: Okay, das muss man mit reverser Genetik machen. Dazu braucht man ein Vorlagen-Virus, das man modifizieren will, dem man diese Furin-Site einbauen will. Und dieses Vorlagen-Virus, da würde man ein existierendes reverses Genetik System nehmen, denn der Aufbau eines solchen Systems dauert Jahre. Das ist wirklich eine sehr, sehr aufwendige Angelegenheit. Also stimmt übrigens neuerdings nicht. Es gibt jetzt in letzter Zeit beschleunigende Schritte, aber die waren zu der Zeit, wo man das damals hätte machen müssen, noch nicht verfügbar. Das dauert Jahre.
Dazu würde man sich natürlich diese Jahre sparen, sondern man würde einfach ein existierendes System nehmen, beispielsweise ein System für SARS-1-Virus, das vorhanden ist, und würde dort so eine Mutation einfügen. Das ist aber nicht, was man hier bräuchte, um das zu erklären. Um das zu erklären, müsste man zunächst mal verlangen, dass Wissenschaftler aus einem bis dahin noch gar nicht bekannten Virus ein ganz neues reverses Genetik System aufgebaut haben und dann dort eine Furin-Site eingeführt hätten. Also ich hatte da mal in einem Zeitungsinterview das Bild gebraucht für Laien, damit man das besser verstehen kann. Das ist, als wollte ich den Klang eines neuen Autoradios testen. Dazu nehme ich nicht mein Auto und baue ein neues Radio ein und höre mal, wie es klingt. Sondern ich baue ein ganz neues Auto von Grund auf. Wenn das fertig ist, dann baue ich da das neue Radio ein. Das ist einfach nicht sinnvoll. Das würde man so nicht machen.
Also ich will nicht sagen, dass das nicht denkbar ist, dass jemand so verrückt ist, das zu tun. Natürlich ist auch nicht nicht denkbar, dass es irgendwo eine böse, finstere Macht gibt, die so was unter bösen Kautelen tut. Dann kämen wir aus dem Bereich vom Laborunfall raus in eine noch ganz andere Diskussion. Das ist alles nicht mit rein letzter Option ausschließbar, nur wird in diesen Medienartikeln ja ganz anders argumentiert, auf einer ganz anderen Ebene. Argumentiert wird, man muss nur eins und eins zusammenzählen, dann kommen die Indizien zusammen. So langsam ist doch klar, dass das aus dem Labor kommt. Das ist eben vollkommen falsch, das ist nicht so. Es ist eben nicht eins und eins zusammenzählen, sondern es ist eher genau das Gegenteil.
Man muss schon sagen, wenn das jemand so gemacht haben sollte, dann müsste das schon eine ziemlich spezialbegabte Person gewesen sein. Oder das wäre dann doch sehr, sehr umständlich. Also da müssten schon ganz schön viele komische Umstände zusammenkommen, um das zu erklären, warum das so gelaufen sein sollte. Ohne dabei aber jetzt zu sagen, und das ist mir wirklich immer wichtig, wir haben keine letztendliche Evidenz, und seltene Sachen können auch mal passieren, das ist schon klar. Also man muss sich da immer offenhalten. Nur diese Voreingenommenheit in den Medienberichten, die ist einfach nicht akzeptabel für mich als Wissenschaftler.
Schulmann: Und wenn wir mal keine böse Absicht unterstellen, also wir stellen uns jetzt keinen bösen Wissenschaftler vor, der im Labor steht und sagt: "Ich möchte ein gefährliches Virus produzieren." Kann es sein, dass ein Wissenschaftler sich hinstellt und sagt: Ich nehme nicht das Vorlagen-Virus, das schon da ist, sondern ich produziere das ganz aufwendig, um ein anderes Virus herzustellen, weil ich möchte, dass es möglichst natürlich aussieht, damit es nicht entdeckt wird, dass ich das gemacht habe?
Drosten: Nein, ein Wissenschaftler würde das sicherlich nicht machen. Also sagen wir mal, ein aktiver Wissenschaftler, der so motiviert ist, wie Wissenschaftler das normal sind, denn wir wollen das Ganze veröffentlichen. Also darum geht es ja in der Wissenschaft. Es geht nicht darum, irgendetwas hinterm Berg zu halten und zu verstecken. Warum sollte man jahrelang Arbeit in irgendetwas reinstecken, von dem dann niemand erfährt? Also wenn ich als Wissenschaftler jeden Tag zur Arbeit gehe und mein Chef erfährt eigentlich nie, was ich da so mache im Labor, dann wird wahrscheinlich irgendwann mein Arbeitsvertrag nicht mehr verlängert. Das ist sicherlich nicht das, was Wissenschaftler motiviert.
Schulmann: Sie haben es schon angerissen, wenn Sie noch mal zusammenfassen, wie kann so eine Furin-Spaltstelle also entstanden sein, wenn nicht im Labor?
Drosten: Also wir kennen rein molekularbiologisch da viele Möglichkeiten, die passieren in der Zelle und die setzen voraus, dass relativ viel Virus repliziert. Dazu müsste man also Virus entweder relativ lange Zeit in Zellkulturen, wir sagen, passagieren. Und das ist auch eine Mutmaßung in bestimmten Medienberichten, dass das durch serielle Passage in Zellkulturen entstanden ist. Oder es müsste das Virus beispielsweise in Tieren replizieren, in einer großen Tiergruppe amplifiziert werden, weitergegeben werden. Und irgendwann würde dieser Zufall dann passieren.
Schulmann: Wie realistisch ist das denn, dass das so entstanden ist?
Viren in Zellkulturen isolieren ist sehr schwierig bis unmöglich
Drosten: Wir haben selber an SARS-Artgenossen in Europa relativ viel gearbeitet, die kommen in Südosteuropa und Südwesteuropa vor. Wir haben das auch lange versucht, Viren in Zellkulturen zu isolieren. Das ist uns nie gelungen. So geht es vielen Laboren weltweit, die das versucht haben. Zhengli Shi ist eigentlich das einzige Labor damals in Wuhan, die das geschafft hat, mal ausnahmsweise ein Virus zu isolieren. Das scheint selten zu sein, dass das mal klappt. Und um so etwas hinzukriegen, muss man normalerweise Kulturzellen nehmen, die - wir sagen - ganz besonders permissiv sind. Also die ganz besonders bereitwillig erlauben, dass das Virus repliziert.
Da gibt es eine Gruppe von Zellkulturen, das sind Vero-Zellen, die erlauben einfach die Replikation fast aller Säugetierviren, wenn sie denn reingehen in die Zellen, besonders gut. Die haben also bestimmte Defekte in ihrem Immunsystem. Die benutzt man für solche Passageversuche. Ich weiß, dass Zhengli Shi die in dem Labor auch dafür benutzt hat. Hier muss man sagen: Wenn man das macht, dann ist praktisch das Erste, was beim SARS-2-Virus passiert, dass diese Furin-Site in dem Virus zerstört wird. Wenn wir also aus Patienten SARS-2-Virus in Vero-Zellen isolieren, geht diese Furin-Site sofort weg, weil das ein Selektionsnachteil ist für das Virus in der Zellkultur. Das liegt daran, dass der Zelleintrittsmechanismus in den Kulturzellen ein anderer ist als in den Atemwegen. Für diesen Alternativen Zelleintrittsmechanismus in Kulturzellen ist die Furin-Site hinderlich. Und es gilt für viele, viele andere Kulturzellen auch.
Also nicht nur für Vero-Zellen, sondern für die überwältigende Mehrheit aller Kulturzellen ist das so, dass die Eintrittswege, die das Virus in den Atemwegen und für die es auch die Furin-Site braucht, in diesen Kulturzellen entweder nur ganz spärlich oder gar nicht vorhanden sind und das Virus in Zellkultur eher über alternative Eintrittswege reingeht in die Zelle und dafür ist die Furin-Site hinderlich. Darum bin ich als in der Sache wirklich erfahrener Virologe ein bisschen skeptisch, ob die Furin-Site wirklich in einer Zelle-zu-Zelle-Passage im Labor entstanden sein kann. Ich will aber dazusagen, bei anderen Viren, die andere Eintrittsmechanismen verwenden, unter anderem im Influenza-Bereich, da ist das so, dass eine serielle Passage dazu führen kann, dass sich eine Furin-Site herausbildet.
Schulmann: Wenn das in Wuhan dem Team rund um Zhengli Shi schon mal gelungen ist, kann das nicht sein, dass es auch dieses Mal wieder so war?
Drosten: Auch das ist wieder so eine Abwägung, da muss man sagen, man kann das alles nicht ausschließen. Ich will das auch alles nicht ausschließen. Ich kann nur von meinen Erfahrungen berichten und da ein bisschen Vorwahrscheinlichkeiten nennen. Also letztendlich, wenn die Wissenschaftscommunity die Fragen stellt, dann werden auch Labore in China auf diese Fragen antworten. Aber bitte auf Augenhöhe. Man macht nicht in Laboren, mit denen man eigentlich auf Augenhöhe arbeiten möchte, so einen Besuch und versucht dann dort, die Schränke durchzuwühlen. Das sind ja Wissenschaftskollegin und -kollegen auf Augenhöhe, die sich in einen wissenschaftlichen Diskussions- und Erörterungsprozess einfügen können und ihre Beiträge liefern und Fragen beantworten.
Ansteckung an Fledermäusen?
Schulmann: Und wenn wir jetzt auf diese reelle Passage auf natürlichem Wege gucken, also in der Tierwelt, wie geht es da vonstatten?
Drosten: Ich würde an der Stelle vielleicht mal sagen: Wir wissen ja, diese Coronaviren, gerade auch die SARS-Artgenossen, kommen aus Rhinolophus-Fledermäusen. Das sind bestimmte Hufeisennasen-Fledermäuse, die große Populationen in Höhlen bilden. Wir haben dort in der Gegend in China so Karst- und Kalksteinhöhlen über große geografische Räume. Und viele dieser Lebensräume sind mit den Hufeisennasen besiedelt. Dort ist sicherlich sehr viel Virusinfektion unterwegs. In diesen Tierpopulationen kann natürlich jeglicher Evolutionsvorteil auch entstehen und genutzt werden. Wie auch zum Beispiel das Evolvieren einer solchen Furin-Spaltstelle.
Es ist durchaus denkbar, dass sehr nahverwandte Viruslinien dieser großen Diversität auch mal Eigenschaften haben, die im Detail dann unterschiedlich sind. Dazu muss man beispielsweise sagen, in diesen Medienartikeln steht, habe ich auch gelesen: Die SARS-Artgenossen-Viren, also die verwandten Viren zum SARS-Virus, die haben aber alle keine Furin-Site, das wäre hier was ganz Ungewöhnliches, darum muss das wohl künstlich hergestellt worden sein. Das stimmt nicht. Es ist sogar schon publiziert, ein Virus ist schon beschrieben, ein SARS-Artgenosse mit einer Furin-Spaltstelle. Ich kann auch aus der eigenen Erfahrung sagen, wir haben auch lange an SARS-Artgenossen in Bulgarien, Rumänien, beispielsweise in diesen Ländern gearbeitet. Und bei unseren Arbeiten, die sind zum Teil noch nicht publiziert, weil wir das damals nicht für so dringlich gehalten haben, da haben wir schon auch gesehen, dass da Anzeichen sind, dass sich hier und da Furin-Spaltstellen bilden und auch wieder abbauen können in der Evolution. So machen das eben die Viren auch, die kriegen solche Eigenschaften, verlieren die auch wieder.
Damit tarieren ein bisschen ihre Ökologie. Damit tragen sich auch die Konkurrenzkämpfe der unterschiedlichen Viruslinien gegeneinander in der Natur aus. Insofern würde ich jetzt erst mal sagen, dass so ein Virus mit solchen Eigenschaften in der Natur existiert, ist vollkommen unüberraschend, vollkommen normal. Die Frage ist nur: Kann man es sich da holen? Das ist natürlich jetzt in Medienberichten auch behandelt worden, dass gesagt wurde, entweder Labormitarbeiter bei der Feldarbeit. Oder aber auch, da gibt es diese Minenarbeiter, über die gesprochen wird, die hätten sich in diesen Höhlen infiziert mit dem Virus. Dazu muss man erst mal sagen, als Feldarbeiter in der Fledermausforschung, also es wird sehr viel Fledermausforschung gemacht, es werden gewisse Schutzmaßnahmen ergriffen. Die sind aber häufig nicht so stark, wie wir sie im Labor haben.
Schulmann: Das heißt, da könnte man sich theoretisch über Fledermauskot anstecken?
Geringe Viruskonzentration in Fledermauskot
Drosten: Ja. Also man geht schon manchmal in die Höhlen rein. Was man aber eigentlich eher macht, ist, dass man vor den Höhlen arbeitet und dort die herausfliegenden Fledermäuse oder reinfliegenden Fledermäuse im Netz fängt. Das macht man speziell auch bei Rhinolophiden so, dass man gewisse Fallen benutzt. Da gibt es Netze und Fallen dafür. Man geht nicht in die Höhle rein und kratzt die Fledermäuse von der Decke, so funktioniert das nicht. Sodass man also da schon mal bei der Feldarbeit aufpassen muss. Das Virus wird ja offenbar, so wird das in den Hypothesen gesagt, verdächtigt, aus den Kotproben heraus infektiös zu sein. Das entspricht aber nicht unserer Erfahrung. Die Viruskonzentration, die wir gerade bei diesen Fledermäusen und diesen Viren in Kotproben sehen ist, ist gering, wie bei vielen anderen Coronaviren auch.
Die Nachweisrate ist selten. Diese Kotproben trocknen sofort ein und in einer eingetrockneten Kotprobe, das muss man sich vorstellen wie so ein Köttel von einer Maus so von der Größe her, da ist das Virus dann auch kaputt. Das kann da nicht überleben. Ich bin mir nicht sicher, ob wirklich über diese Art und Weise überhaupt diese Coronaviren zwischen Tierarten weitergegeben werden. Ich halte es für nicht so wahrscheinlich, dass man sich da infiziert. Und zum anderen muss man natürlich sagen, alles, was wir wissen… Beispielsweise wissen wir nichts über das Laborpersonal. Was es gibt, sind so Anklänge in den Medien an eine Masterarbeit und eine Doktorarbeit aus China, wo das wohl beschrieben worden sei. Ich habe mir diese Masterarbeit als Übersetzung angeschaut und man sieht da eigentlich Röntgenbilder und allgemeine klinische Beschreibungen von Lungenentzündungen. Aber man sieht keinerlei Hinweis in dieser Arbeit, dass überhaupt getestet wurde auf SARS-ähnliche Viren.
Schulmann: Da geht es darum, dass sich Minenarbeiter angesteckt haben, direkt an Fledermäusen.
Quellen und Belege bei Aussagen prüfen
Drosten: Genau. Es gibt wohl noch eine Doktorarbeit. Da wird dann in einem wissenschaftlichen Aufsatz auch zitiert und auf Zusatzmaterial verwiesen, was wohl Teil dieser Doktorarbeit ist. Ich habe mir auch dieses Zusatzmaterial angeschaut. Das sind englische Übersetzungen. Chinesisch kann ich leider nicht lesen. Diese Originaldoktorarbeit habe ich nicht gesehen, aber diese Literaturauszüge in diesem wissenschaftlichen Aufsatz. Da muss ich echt sagen, da steht in einem wissenschaftlichen Aufsatz: Man sieht hier in der Arbeit und hier ist der Beleg, dass getestet wurde auf SARS-Viren. Dann schaut man sich die Belege an, und da steht was ganz anderes drin. Da geht es nicht um eine Testung auf SARS-Viren. Da muss ich schon fragen, was denn das Qualitätsniveau dieses wissenschaftlichen Aufsatzes ist.
Akademie der Wissenschaften USA: Spillover-Risiko
Daraus zitieren dann wieder Journalisten und die werden wieder von anderen Journalisten zitiert. Und so machen Gerüchte ihren Weg in die Medienöffentlichkeit. Aber es ist hier tatsächlich immer wieder so, geht man dann an die Quelle, so wie man das zumindest als westlicher Wissenschaftler kann, dann stößt man auf ein Nichts. Das finde ich schon nicht fair. Das finde ich auch einfach schlechten Journalismus, wenn solche Dinge passieren. Also wenn man Quellen zitiert, die man gar nicht überprüft hat. Genau, da ist schon für mich ein gewisses Stirnrunzeln, wenn Sie das mit Stirnrunzeln meinen.
Infektion unter Säugetieren
Was mich aber tatsächlich eigentlich noch mehr die Stirn runzeln lässt, ist die Lücke, die auf der anderen Seite besteht. Wir sprechen jetzt davon, sich direkt an Fledermäusen zu infizieren, durch welche mysteriösen Umstände auch immer. Aber wir wissen für das SARS-1-Virus, und wie gesagt, das ist ein Virus derselben Art, dass dieses Virus in Felltieren vorkam, in bestimmten Schleichkatzenarten und auch in Marderhunden. Das ist wissenschaftlich schlüssig belegt für das SARS-1-Virus. Und jetzt wissen wir natürlich, dass Arten von Viren sehr häufig die gleiche Ökologie haben. Sprich, die haben die gleichen Wirte, die gleichen Ursprungswirte, die können aber dann aufgrund von gemeinschaftsökologischen Konditionen, da kann man davon ausgehen, dass die auch so vielleicht denselben Weg nehmen in ihrer Übertragung von Tier zu Tier.
Ich will mal das einfache Beispiele nennen, das ich vor Kurzem auch mal in einem Zeitungsinterview genannt habe. Diese Tiere, die haben eine relativ synchronisierte Geburtssaison, diese Fledermäuse. Und in der Geburtssaison fallen praktisch auch die tot geborenen Fledermäuse, die haben eine hohe Neugeborenen-Sterblichkeit. Da fallen also auch tote Tiere in der Höhle von der Decke. Die Schleichkatzen und Marderhunde und so weiter, das sind kleine Raubtiere, die wissen das häufig, wann es so weit ist. Die gehen dann da rein, fressen sich voll und dabei können die sich natürlich infizieren. Wir wissen auch genau, dass gerade in der Geburtssaison die Coronaviren in diesem Fledermausbeständen hochkochen.
Wir denken, das liegt an zwei Effekten. Die Muttertiere sind leicht immunsupprimiert unter und um die Geburt herum aus Gründen, wie das nun mal ist bei den Säugetieren. Gleichzeitig entstehen hier viele immunologisch naive Nachgeborene, die dann auch das Virus aufnehmen und vermehren können. Und aus diesen Gründen, wir sehen eine Zunahme sowohl eben von Beute für Raubtiere als auch eine Zunahme des Virus in den Fledermausbeständen. Das haben wir in fast 20-jähriger Arbeit gemeinsam mit vielen anderen und in Konkurrenz am selben Thema arbeitenden Gruppen in der Literatur belegt. Das ist also Stand der Wissenschaft. Es ist auch Stand der Wissenschaft, dass in China Marderhunde und Schleichkatzenarten mit diesem SARS-1-Virus immer wieder gefunden wurden.
Wir wissen beispielsweise, dass das SARS-1-Virus nicht nur einmal, sondern mindestens zweimal vom Menschen aus dieser Quelle erworben wurde, von diesen kleinen Felltieren, Raubtieren. Und deswegen liegt die Vermutung einfach mehr als auf der Hand, jetzt den gleichen Übertragungsweg auch für das SARS-2-Virus einfach zu befragen und zu beforschen. Also sprich, man müsste jetzt mal hingehen und solche Tiere systematisch beproben hinsichtlich des Vorhandenseins von Coronaviren.
Übertragung durch Felltiere
Schulmann: Aber das wird ja nicht gemacht. Also für SARS-2 ist der Zwischenwirt bisher nicht entdeckt worden. Das gibt auch Anlass zu der Theorie, dass man sagt: Okay, wenn nicht danach gesucht wird, dann muss es sich entweder direkt von Fledermäusen übertragen haben. Oder man weiß eben, dass es aus dem Labor stammt. Im Vergleich dazu, bei SARS-1 war dieser Zwischenwirt ja relativ schnell gefunden, schon nach wenigen Monaten, oder?
Drosten: Es stimmt, es war bei SARS-1 tatsächlich nach einem knappen Jahr bekannt. Da haben sich mehrere Arbeitsgruppen in Konkurrenz darum bemüht. Man hat damals Tiermärkte beprobt, und zwar relativ zeitnah zu den SARS-1-Ausbrüchen, vor allem in Hongkong, Shenzhen. Also in Shenzhen hat man sehr viel geschaut und in anderen Gegenden in Südchina. Und hat das auf Tiermärkten gefunden. Diese Tiermärkte wurden danach auch reglementiert. Bestimmter Tierhandel wurde verboten. Es wird in diesen Medienberichten auch immer zwischen SARS-1 und MERS verwechselt. Es wird dann von Fledermäusen als Quelle von MERS gesprochen. Da sieht man schon mal die schlechte journalistische Qualität, die diese Artikel haben. Gerade dieser Artikel in dem Bulletin, das ist wirklich sehr schlecht recherchiert.
Ein Monitor mit dem Logo des Corona-Update Podcast. © NDR/ Foto: Christian Spielmann
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Im NDR Info Podcast Coronavirus-Update beantworten Christian Drosten und Sandra Ciesek Ihre Fragen zum Coronavirus. Jetzt sind Sie dran.
Da hat man serologische Studien gemacht. Das sind Nutztierarten. Und bei Nutztieren kann man einfach sagen: Okay, viele Veterinärinstitute arbeiten natürlich an anderen Krankheiten dieser Nutztierarten. Die haben natürlich Forschungssammlungen von Seren, Blutproben von solchen Tieren, die auf Antikörper gegen irgendwas Anderes mal getestet wurden. Die sind eingefroren. Die kann man dann auftauen und testen. Man hat dann gleich gesehen, da waren wir damals auch dabei, dass nicht die anderen Nutztierarten, aber eben die Kamele praktisch zu hundert Prozent Antikörper gegen MERS-Coronavirus haben. Das heißt, das ist bei denen eine Kinderkrankheit. Alle erwachsenen Tiere haben das Virus gesehen.
Studie: Marderhund als potenzieller SARS-2-Wirt
Jetzt müssen wir also bei SARS-2 ausschließlich mit SARS-1 vergleichen und nicht mit MERS. Dieser Vergleich hat hier nichts zu suchen. Und bei SARS-2 muss man sagen: Es ist richtig, es gibt keinerlei Literaturdaten im Moment über die Suche nach diesem Virus in Tieren in der Fellproduktion. Wir haben in "Nature Communications" einen Artikel, der zumindest für den Wuhan-Markt eine Studie vorgelegt über die Komposition von Wildtieren auf diesem Markt. Da wird gesagt, also immerhin Marderhunde beispielsweise wurden da gefunden im Handel, obwohl das wahrscheinlich verboten ist. Es wurde aber wahrscheinlich nicht richtig kontrolliert. Aber das heißt nicht, dass da jemand nach dem Virus gesucht hätte. Also man hat jetzt nur - und das ist tatsächlich eine wissenschaftliche Veröffentlichung, muss man sich mal vorstellen - den Befund: Ja, auf dem Wuhan-Markt wurden damals Marderhunde gehandelt. Jetzt würde ich aber nicht die Quelle auf so einem Markt sehen. Also das sind ein paar Tiere.
Schulmann: Die werden da im Käfig gehalten wahrscheinlich.
Ein anderer Infektionsweg ist denkbar
Drosten: Sicher, da werden in Körben und Käfigen fünf, sechs Tiere irgendwo zum Verkauf angeboten. Das sind aber ja Momentaufnahmen. Also eine ganz kleine Gruppe aus einer größeren Tierpopulation zu einem bestimmten Zeitpunkt, wo nicht unbedingt das Virus sein muss. Ich würde eher was anderes vermuten: Und zwar diese Felltiere, die werden in großen Beständen zur Nutzung gezüchtet. Wenn Leute mit diesen Tieren auf Märkten handeln, dann werden diese Händler ja auch immer dahin gehen, wo die Tiere gezüchtet werden, weil sie natürlich für den Markt nachkaufen.
Das kann man sich schon vorstellen, dass Personen, die auf dem Markt als Verkäufer tätig sind, Kontakt mit den Zuchtbeständen von diesen Tieren haben, wo zu Hunderten und Tausenden diese Tiere an einem Ort gezüchtet werden für die Fellproduktion und sich dort als Menschen infizieren. Das könnte sein, das könnte man sich vorstellen. Kann aber auch sein, dass einfach die Leute, die diese Tiere zur Fellernte schlachten, sich infizieren. Da sind sie nah mit den Tieren zusammen. Diese Tiere, wenn die in dem Moment gerade eine Virus-Epidemie haben, also wenn dadurch den Fellbestand ein Virus zieht und Tier nach Tier infiziert, dann wird das Virus ja auch aus den Lungen und aus dem Darm dieser Tiere abgegeben, in diesem recht brutalen Schlachtvorgang. Da werden sich dann Menschen möglicherweise auch infizieren.
Die Suche nach dem Zwischenwirt
Schulmann: Das heißt, Marderhunde sind für Sie der plausibelste Zwischenwirt?
Drosten: Ich will nur sagen, das ist eine Tierart, bei der zweifelsfrei für das SARS-1-Virus eine Verbindung hergestellt wurde. Bei der ich weiß, dass die als Felltiere in China gezüchtet werden. Und Zucht in dieser Größenordnung begünstigt das Aufkommen von Virusausbrüchen. Ich weiß auch, diese Tiere werden sicherlich immer durch Wildtiere ergänzt. Diese Wildtiere, also wilde Marderhunde, die können dann wieder das Virus einschleppen, weil sie sich in der freien Natur als Raubtiere infiziert haben, während sie Fledermäuse fressen. So etwas ist denkbar und möglich. Und das wäre für mich eben beispielsweise ein Hinweis, den ich übrigens im letzten Frühjahr schon mehrmals in der Öffentlichkeit geäußert habe. Ich habe es hier im Podcast gesagt und in den anderen Medienstücken gesagt, da würde ich einfach nachgucken. Und das würde ich auch chinesischen Wissenschaftlern empfehlen, dort nachzuschauen.
Schulmann: Aber warum wird das nicht gemacht? Es sollte ja im Sinne der chinesischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sein. Man könnte ja dadurch eben diese Laborthese widerlegen.
Problem der Transparenz in China
Drosten: Also man kann darüber Mutmaßungen anstellen. Es könnte sein, dass chinesische Wissenschaftler dazu keine Erlaubnis bekommen, weil man das vielleicht von politischer Seite nicht sehen möchte. Es ist vielleicht ein bisschen peinlich. Auch weil nach SARS der Handel mit diesen Tieren unterbunden wurde. Andererseits, man weiß relativ genau, es gibt diese Pelzindustrie in China. Das ist medial vielfach und sehr glaubwürdig belegt. Wir sehen das ja, wenn wir uns Jacken kaufen mit Fell an der Kapuze, Pudelmützen mit so einem Fellbommel oder Jacken.
Wenn das echtes Fell ist, dieses beige-graue Fell, das manchmal ein bisschen getüpfelt, das ist chinesischer Marderhund. Das ist natürlich eine große Textilindustrie. Vielleicht ist da auch ein Interesse, diese Industrie irgendwie zu schützen oder abzuschirmen, weil damit eben auch Geld verdient wird. Das kann ich jetzt hier mutmaßen. Das ist auch außerhalb meines Faches, ist gar nicht meine Expertise. Ich würde das eben als Virologe, der einschlägig mit diesem Virus, mit dieser Art von Feldforschung und so weiter auch erfahren ist, aber empfehlen für eine hohe Priorisierung einer wissenschaftlichen Untersuchung. Die aber natürlich rein in China und von chinesischen Wissenschaftlern durchgeführt werden kann und sollte.
SARS-2-Viren in Dänemark
Ich würde noch eine Sache dazu sagen wollen. Und zwar: Wir hatten ja Ausbrüche beispielsweise in Dänemark, in Nerzbeständen. Das SARS-2-Virus, das wissen wir inzwischen auch, das kann sogar rückwärts übertragen werden in solche Felltiere, die sind übrigens alle miteinander einigermaßen verwandt natürlich, das sind Karnivoren. Wir wissen auch aus experimentellen Untersuchungen, dass der Marderhund mit SARS-CoV-2 Virus direkt infizierbar ist.
Das ist unter anderem sogar in Riems gemacht worden, vom Friedrich-Loeffler-Institut gibt es dazu eine Veröffentlichung. Die haben die Möglichkeit in dieser Großforschungseinrichtung, wo man solche Tierversuche machen kann, solche seltenen Tiere auch mal zu infizieren, und die haben das gemacht. Es geht ganz hervorragend. Also dieses SARS-2-Virus, das infiziert diese Tiere und das wird auch weitergegeben zwischen den Tieren. Das ist veröffentlicht. Und jetzt muss man sich angucken, was ist in Dänemark dann gemacht worden? Also man hat gesehen, dieses Virus verbreitet sich in den Beständen, und dann hat man diese Bestände gekeult.
"Die Wahrheit über Pelz" WDR-Dokumentation
Schulmann: Getötet.
Drosten: Ja. Also man hat alle Tiere in ganz kurzer Zeit getötet. Dann ist das Virus natürlich weg. Wenn man jetzt selbst diese Zuchtbestände wieder neu anlegt, dann kommt das so schnell nicht wieder. Oder wenn es wieder kommt, dann kommt es wahrscheinlich in einer anderen Variante wieder. Was ich damit sagen will: Es ist denkbar, dass im Vorlauf zur SARS-2-, zur Covid-19-Pandemie so ein Virus in China in solchen Zuchtbeständen aufgekommen ist und dass dann aber gekeult wurde. Also vielleicht haben chinesische Wissenschaftler oder Kontrollbehörden sogar solche Untersuchungen gemacht und dann gekeult, um vielleicht das weitere Ausbreitung zu verhindern, in vorsichtiger Verfahrensweise. Und wir würden heute in solchen Studien dieses Virus nicht mal einmal mehr finden. Es sei denn, es seien damals Proben eingelagert worden.
Also das muss man immer dazusagen. Wenn man jetzt hier so wohlmeinend aus der Perspektive eines europäischen Arbeitsplatzes sagt: Ach, geht doch mal hin und testet mal diese Tiere, dann werdet ihr es vielleicht finden. Vielleicht ist das heute nicht mehr zu finden. Und ich will noch was dazusagen. Es ist durchaus auch denkbar, dass das nicht in China passiert ist, sondern in einem anderen Land, wo auch solche Pelztiere gehandelt und gezüchtet werden, vielleicht auch mit China im Austausch gehandelt werden. Auch das ist mir nicht bekannt. Ich habe dazu keine Kenntnisse.
Da gibt es sicherlich Wissenschaftler und Tierzuchtexperten, Tierhandelsexperten, die das beantworten könnten, ob es da solche Handelsbeziehungen gibt mit anderen Ländern, in welchen Ländern solche Tiere gezüchtet werden. Ich habe in China irgendwo jetzt beim Querlesen auch eine Zahl gefunden von 14 Millionen Marderhunden, die in China für die Fellproduktion in Zucht sind. Das ist natürlich eine große Zahl. Aber ich weiß nicht, was mit anderen Ländern in der Region ist.
Schulmann: Das heißt, es kann sein, dass das Virus aus Pelztieren übertragen wurde auf den Menschen, es dort aber gar nicht mehr zu finden ist?
Chinesische Wissenschaftler werden respektiert
Drosten: Genau. Wir müssen uns auch mit dem Schmerz der Nichtbeantwortung oder der einstweiligen Nichtbeantwortbarkeit irgendwie abfinden, ohne einander dabei verächtlich zu betrachten. Ich möchte immer wieder betonen, das Ansehen von chinesischen Wissenschaftlern im Westen ist hoch. Wir schauen nicht auf chinesische Wissenschaftler herab. Und wir betrachten chinesische Wissenschaftler grundsätzlich nicht als beeinflusst, weil das nicht unsere Erfahrung ist. Wir sehen die Beiträge von chinesischen Wissenschaftlern als vollwertige Wissenschaft. Ich muss das einfach hier mal so anerkennend sagen. Das hat wirklich keine politischen Implikationen.
Ich kann dazu zum Beispiel auch sagen - nur damit ich hier nicht verstanden werde wie jemand, der hier sagen wir mal prochinesisch argumentiert - was China um die SARS-1-Epidemie herum gemacht hat, war wirklich nicht gut. Die haben wirklich versucht, Informationen zu verstecken. Gro Harlem Brundtland, die damalige Uno-Generalsekretärin, hat China für das Verhalten rund um die SARS-1-Pandemie öffentlich dafür verurteilt. Das ist alles natürlich öffentlich dokumentiert. China hat aber gerade auf diesem Gebiet hier, wo ich es beurteilen kann, ich kann nichts anderes und will auch in der Öffentlichkeit nichts anderes beurteilen, was ich über China weiß, aber hier kann ich vielleicht ein bisschen aus einer Insider-Betrachtung des Fachs sagen, dass China sehr viel gelernt hat in der Aufarbeitung dieser Daten, in dem Umgang mit solchen Infektionsepidemien.
Wir sehen natürlich auch, was in China passiert ist in der Kontrolle der Pandemie, nachdem es schiefgegangen ist, wie schnell, wie rabiat dann reagiert wurde. Auch da mag man natürlich sagen, das würde man im Westen so nie machen. Das hat mit bestimmten Freiheitsbegriffen zu tun, die man im Westen so nicht fahren kann. Das ist ja alles unbenommen. Aber wir machen ja hier eine technische Betrachtung. Und auf der technischen Ebene werden an dieser Stelle in China glaube ich keine groben Fehler gemacht. Außer eben an dieser einen Stelle, auf die ich hier wirklich hinweisen muss und wiederholt hinweise, es gibt hier eine entscheidende Untersuchungslücke bei der Tierquelle.
Schulmann: Das heißt, wie muss es jetzt weitergehen, um Antworten zu finden?
Drosten: Also wir brauchen einfach einen wissenschaftlichen Prozess. Und dieser Prozess läuft schon längst. Wir hatten zuletzt diese Stellungnahme in "Science" von einer Wissenschaftlergruppe. Natürlich sollte die WHO hier moderieren. Natürlich sollte die WHO solche wissenschaftlichen Impulse aufnehmen und wieder an China weitergeben, auf diplomatischem Wege. Die WHO ist eine UN-Organisation. Das ist natürlich eine hohe Stufe von Diplomatie. Und hier müssen natürlich Dinge bewirkt werden. Ich finde aber auch, dass solche sehr symbolträchtigen Aktionen wie so eine Besuchsmission, die offensichtlich von China zunächst mal nicht gewollt wurde aus, wie ich finde, nachvollziehbaren Gründen, dass das auch korrigiert wird.
Das ist ja nicht, wie man sich das vorstellen würde, wie solche Probleme gelöst werden, sondern man würde sich das ja doch kooperativ vorstellen. Man muss natürlich auch sagen, wenn China wirklich etwas nicht will und etwas zu verbergen hat an der Stelle, dann wird man das ja auch über solche Aktivitäten nicht erzwingen können. Auch dann wird ja irgendwann in einem wissenschaftlichen Diskussionsprozess, der öffentlich stattfindet, irgendwann gesagt werden: Na ja, jetzt haben wir genug gemahnt. Wir werden die Antwort wohl nie bekommen. Jeder kann sich seinen Teil dazu denken.
Linksammlung aller erwähnten Studien in Folge 92
SIREN-Studie England: Neue Daten zur Delta-Variante
New York Times: Scientists Don’t Want to Ignore the ‘Lab Leak’ Theory
Washington Post: The coronavirus lab-leak theory gets another look
Bulletin: Did people or nature open Pandora’s box at Wuhan?
Newsweek: How Amateur Sleuths Broke the Wuhan Lab Story
Republik: Herr Drosten, woher kam dieses Virus?
Statement aus der Virologie in "The Lancet"
Akademie der Wissenschaften USA: Spillover-Risiko
Studie: Marderhund als potenzieller SARS-2-Wirt
Statement-Papier in "Science"
Der Virologe Prof. Christian Drosten und die Virologin Prof. Sandra Ciesek (Montage) © picture alliance/dpa, Universitätsklinikum Frankfurt Foto: Christophe Gateau,
Coronavirus-Update: Der Podcast mit Drosten & Ciesek
Hier finden Sie alle bisher gesendeten Folgen zum Nachlesen und Nachhören sowie ein wissenschaftliches Glossar und vieles mehr.
Forscher in weißen Kitteln klettern einen Berg hoch, auf dessen Spitze eine Spritze steht.
Die Jagd nach dem Impfstoff
Wer forscht zu Corona-Impfstoffen? Wie funktionieren sie? Wer bekommt sie zuerst? Wer finanziert die Forschung, wer profitiert?
Virensymbole fliegen um die Silhouette einer Person. (Bildmontage) © picture alliance Foto: lamianuovasupermail, stevanovicigor
Coronavirus-Update: Die häufigsten Hörerfragen
In unserem Podcast mit Christian Drosten und Sandra Ciesek beantworten wir Ihre Fragen zum Coronavirus. In dieser Übersicht sehen Sie, in welchen Folgen Sie die Antworten zu den häufigsten Hörerfragen finden.
Dieses Thema im Programm:
NDR Info | Das Coronavirus-Update von NDR Info | 08.06.2021 | 17:00 Uhr
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Ein Pflaster klebt auf dem Arm einer jungen Frau. © Colourbox Foto: Csaba Deli
Coronavirus-Update: Alle Folgen
Der Virologe Christian Drosten liefert im Podcast Coronavirus-Update Expertenwissen - zusammen mit Virologin Sandra Ciesek. Hier alle Folgen in der Übersicht.
Eine Laborantin sitzt an einem Mikroskop in einem abgedunkelten Labor © Colourbox
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Urlaub trotz Corona: Welche Regeln gelten?
Wer aus Risikogebieten einreist, muss sich digital anmelden. Für Hotels gilt in Deutschland meist die 2G- oder 2G-Plus-Regel.
Stapel Papier © NDR
Coronavirus-Update - Die Podcast-Folgen als Skript
Weil viele Hörerinnen und Hörer danach gefragt haben, bieten wir unser regelmäßiges Coronavirus-Update jetzt auch in schriftlicher Form an. Hier finden Sie die Skripte zum Herunterladen.
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