Da beißt sich die Schlange in die Zunge: "
"Vermeiden sollten geförderte Projekte dagegen ausschließende oder handlungsanweisende Aussagen gegenüber einzelnen Parteien."Gegen die AfD hetzen und in dem Hetzschrieb sagen, daß man Parteien nicht angreifen darf. Ein Fall für den Psychiater.
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/publikationen/positionieren-konfrontieren-streiten.pdf[*quote*]
3
Hatte die erste Auflage unserer Handlungsempfehlungen
noch den Titel »Nachfragen, Klarstellen, Grenzen setzen«,
wollen wir nun mit der vorliegenden komplett überarbeite-
ten Handreichung zu einer anderen und offenen Form der
Auseinandersetzung beitragen. Wir wollen, dass sich Par-
teien, Medien, Wirtschaft, Gewerkschaften, Sportverbände,
zivilgesellschaftliche Initiativen und staatliche Verwaltun-
gen klar menschen- und freiheitsrechtlich positionieren,
menschenfeindliche Positionen mit einer eindeutigen Haltung
konfrontieren und für eine offene Gesellschaft streiten.
Das Streiten müssen wir dabei mitunter neu erlernen. Hier
geht es nicht darum, den anderen in einem Meinungsstreit
zu besiegen, sondern in der Auseinandersetzung den gesell-
schaftlichen Zusammenhalt und das demokratische Mitein-
ander in den Vordergrund zu stellen.
Eine zentrale Rolle in der Auseinandersetzung mit dem
Rechtspopulismus spielen heute Debatten im digitalen
Raum. In der vorliegenden Handreichung wollen wir bei
aller Streitlust auch zur umsichtigen Vorbereitung bei Aus-
einandersetzungen mit Rechtspopulist_innen gerade in den
sozialen Medien aufrufen. Die Amadeu Antonio Stiftung
kann mittlerweile selbst als ein Beispiel dafür dienen, wie
es ist, mit einem nicht enden wollenden rechten Shitstorm
im Digitalen und dessen Überschwappen in einen analogen
Resonanzraum konfrontiert zu sein. Diese Erfahrungen ha-
ben wir in der vorliegenden Broschüre ausgewertet und für
andere nutzbar gemacht.
Eine weitere Besonderheit der Auseinandersetzung mit
rechtspopulistischen Inhalten ist deren Gleichgültigkeit ge-
genüber Tatsachen, das Aufzeigen von vermeintlich einfa-
chen Lösungen sowie das Versprechen, die Entwicklungen
der modernen Welt und der Globalisierung rückgängig zu
machen. Diese Handreichung möchte die Narrative hinter
der rechtspopulistischen Kommunikation herausarbeiten,
analysieren und diskutieren – und so zur Entstehung von
Gegennarrativen beitragen. Die wichtigste Form ist dabei,
die populistische Erzählung vom »Volk gegen die Elite(n)«
infrage zu stellen. Die AfD bedient diese Erzählung an ver
-
schiedenen Stellen immer wieder. Beispielsweise spricht sie
in ihrem aktuellen Grundsatzprogramm von einem »heimli-
chen Souverän« – einer verschworenen Elite, die sich selbst
bereichere, mittels eines Kartells ihre Macht sichere und
durch Informationskontrolle die Menschen in Deutschland
beherrsche.
Rechtliche Auseinandersetzungen mit der AfD
Mit der zunehmenden Verankerung der AfD auf lo-
kaler und kommunaler Ebene bleiben auch juristi-
sche Auseinandersetzungen nicht aus. Beispielsweise
musste der Berliner Bezirk Treptow-Köpenick die An-
kündigung einer AfD-kritischen Veranstaltung von sei-
ner Homepage löschen. Das Verwaltungsgericht sah
es als erwiesen an, dass die Grenze zur unzulässigen
Einwirkung auf die Willensbildung des Volkes auch im
Hinblick auf die Abgeordnetenhauswahlen überschrit-
ten sei. Wir können und wollen hier keine juristische
Beratung anbieten, aber zumindest auf eine Ausarbei-
tung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen
Bundestages (WD 3 – 3000 – 193/15) zu den verfas-
sungsrechtlichen Grenzen der finanziellen Förderung
am Beispiel von Initiativen gegen Rechtsextremis-
mus hinweisen, die der Meinungsfreiheit einen sehr
hohen Stellenwert beimisst. Als wichtige Stichworte
für die Auseinandersetzung mit Parteien betont diese
Ausarbeitung die besondere Bedeutung der Ausgewo-
genheit, die rechtsstaatliche Distanz und die gebotene
Sachlichkeit. Das Grundgesetz schließt den Auftrag zur
Abwehr von Gefahren gegen die freiheitliche Ordnung
mit Mitteln des Rechtsstaates ein. Das bedeutet: Aus-
sagen sollten sachlich, fundiert und ausgewogen sein.
Demonstrations- oder Wahlaufrufe können wertebezo-
gen formuliert werden, zum Beispiel für Demokratie
und gegen Rechtspopulismus.
Vermeiden sollten ge-
förderte Projekte dagegen ausschließende oder hand-
lungsanweisende Aussagen gegenüber einzelnen Par-
teien. Die Neutralitätspflicht, der staatlich geförderte
Projekte und indirekt auch ihre Trägerinstitutionen in
bestimmten Grenzen unterliegen, findet insbesondere
zu Wahlkampfzeiten verstärkte Anwendung. Insofern
können juristische oder fördertechnische Gründe nur
bedingt angeführt werden, um eine Auseinanderset-
zung mit problematischen Positionen einer Partei zu
unterbinden.
Vor dem Hintergrund dieser Erzählung finden die klassi-
schen Methoden der Auseinandersetzung beim Rechtspo-
pulismus ihre Grenzen. Die AfD ist das, was in der digitalen
Spielewelt als ein »Game Changer« bezeichnet wird – nur,
dass die Partei nicht nur das Spiel verändert, sondern auch
die Regeln, nach denen gespielt wird. Es gelingt ihr immer
wieder, durch Tabubrüche und Eskalation Aufmerksamkeit
auf sich zu ziehen und sich so als vermeintliche Alternati-
ve zu präsentieren. In der konkreten Auseinandersetzung
erleben wir oft, wie schwer es ist, von AfD-Parteivertre-
ter_innen konkrete Positionen zu erhalten: Die Positionen
wechseln zum Teil und es wird munteres Themen-Hopping
betrieben. Erfahrungsgemäß funktioniert hier die Ausein-
andersetzung nur darüber, immer wieder nachzubohren
und die Konsequenzen des Gesagten aufzuzeigen. Auch ist
es wichtig, nicht nur über – beispielsweise – Flüchtlinge,
Schwule, Lesben, Transpersonen oder Alleinerziehende zu
Man kann hier durchaus von einem neuen rechts -
populistischen »Medienökosystem« sprechen,
d.h. von Zeitungen, Blogs, YoutubeKanälen etc., die
als Gesamtresonanzraum eine eigene Öffentlichkeit
in Abgrenzung zur sogenannten »System«
oder »Lügenpresse« zu schaffen versuchen.
4
sprechen, sondern sie einzubeziehen und mit
ihnen gemeinsam ihre Positionen deutlich zu machen.
Für AfD-Wahlerfolge spielen viele Faktoren eine Rolle:
Neben klassischer Protestmotivation mobilisiert die Partei
rassistische, antisemitische und verschwörungsideologi-
sche Ressentiments und paranoide Ängste. Sie profitiert
von Prozessen wie der Auflösung parteipolitischer Bin-
dungen, dem demografischen Wandel, finanzieller und in-
stitutioneller Instabilität und Überforderungen, geringeren
Partizipationsmöglichkeiten v.a. im ländlichen Raum sowie
fehlender Verantwortungsübernahme oder organisatori-
scher Mängel bei der Aufnahme von Flüchtlingen.
Vergleiche mit der NPD (»NPD-light«) führen erfahrungs-
gemäß nicht sehr weit. Trotzdem muss in der Auseinander-
setzung immer wieder deutlich werden: Es handelt sich bei
der AfD nicht um eine »normale« Partei. Im direkten Ver-
gleich mit der NPD wird sichtbar, dass sich diese stärker
den Regeln des Parteienwettbewerbs unterworfen hat als
die AfD aktuell. Um diesen Unterschied zu verdeutlichen,
halten wir es auch für zielführender, die AfD als rechtspo-
pulistisch und nicht als rechtsextrem zu bezeichnen – ob-
wohl es Argumente dafür gibt, Teile und einzelne Landes-
verbände der Partei als rechtsextrem zu bezeichnen. Der
Rechtspopulismus – gerade mit seinen ideologischen Über-
schneidungen zur Neuen Rechten – kann gesellschaftswis-
senschaftlich als moderne Spielart des Rechtsextremismus
begriffen werden. Der Wandel der AfD von einer eher natio-
nalliberalen bzw. -konservativen zu einer rechtspopulisti-
schen Partei mit einem rechtsextremen Einschlag wird im
Folgenden ausführlich beschrieben.
Wir haben mit dieser Handreichung der Frage, wie sich
auch zivilgesellschaftliche Organisationen, Schulen und
freie Träger mit der AfD auseinandersetzen können, beson-
dere Aufmerksamkeit gewidmet. Insbesondere im Vorfeld
von Wahlen fragen sich viele, ob sie AfD-Vertreter_innen
zu ihren Veranstaltungen einladen, Besuche ertragen, die
Partei mittels Wahlprüfsteinen zu ihren Kernanliegen be-
fragen oder in parlamentarischen Beiräten mitarbeiten las-
sen sollten oder müssen. Aufgrund der großen Pluralität
der Initiativen und Organisationen gibt es darauf selbstver-
ständlich keine eindeutige Antwort. Gemeinsam ist aber al-
len Initiativen, mit denen wir gesprochen haben: Sie haben
eine Haltung entwickelt, die im Kern auf eine Stärkung der
eigenen Positionen zielt – für eine demokratische Kultur,
eine Stärkung von Frauen- und Minderheitenrechten, Kin-
der- und Menschenrechten, sexueller Selbstbestimmung,
europäischer Solidarität, Pressefreiheit und Rechtsstaat-
lichkeit. Rechtspopulismus, Rassismus und Verschwörungs-
erzählungen stehen dem diametral entgegen.
© Robert Rutkowski
5
Eine kurze Geschichte der AfD
Die AfD kann trotz der wenigen Jahre ihres Bestehens auf
eine turbulente Entwicklung zurückblicken. Sie ist eine
Partei der Skandale. Diese werden entweder bewusst und
im Zeichen ihrer Strategie der Provokation produziert oder
sie resultieren aus internen Konflikten. Am 15. September
2012 wurde im hessischen Bad Nauheim die Bürgerinitiative
Wahlalternative 2013 gegründet, am 6. Februar 2013 folg-
te in Berlin der Gründungsparteitag der AfD. Schon bei der
Bundestagswahl am 22. September 2013 verfehlte sie mit
4,7 Prozent nur knapp den Einzug in den Bundestag.
Gesellschaftliche Ausgangssituation
Woher kam ihr Zulauf? Zum einen bot die Euro-Debatte der
AfD erstmals eine Bühne, in der sie ihre euroskeptische
Haltung vortragen konnte. Mit ihrem ehemaligen Vorsit-
zenden, dem Volkswirtschaftsprofessor Bernd Lucke der
Universität Hamburg, konnte die Partei öffentlich als se-
riös und fachlich kompetent in Erscheinung treten. In der
Öffentlichkeit wurde die AfD zu diesem Zeitpunkt als »Ein-
Themen-Partei« und »Professoren-Partei« verhandelt.
Dabei schuf SPD-Politiker Thilo Sarrazin schon 2010 ein
rechtspopulistisches Einfallstor für neue politische Akteu-
re: Er thematisierte in seinem Buch »Deutschland schafft
sich ab« auf sozialbiologistische, antimuslimische und so-
zialchauvinistische Art den Geburtenrückgang, das poli-
tische Establishment und malte ein apokalyptisches Bild
von Deutschland. 18 Prozent der Befragten gaben in einer
Emnid-Umfrage im September 2010 an, dass sie eine fiktive
Sarrazin-Partei unterstützen würden.
Zusammensetzung
Der AfD gelang es, sich als Partei mit neuen Inhalten zu prä-
sentieren. Laut dem Soziologen Andreas Kemper lässt sich
die AfD grob in drei Lager aufteilen: einen nationallibera-
len, einen aristokratisch-klerikalen und einen völkisch-nati-
onalistischen Flügel. Zu ihrer Gründung rekrutierte sich die
Partei vor allem aus ehemaligen CDU-, CSU-, und FDP-Mit-
gliedern sowie aus Akteur_innen früherer rechtsextremer
Parteien wie dem Bund freier Bürger (BFB), der Partei
Die Freiheit (DF), den Republikanern und der SchillPartei.
Neben Wirtschafts- und Nationalliberalen fanden sich bei der
AfD auch politisch heimatlose Nationalkonservative und
Neurechte, die mit Angehörigen wirtschaftlich angesehener
Personen (bspw. aus der Zivilen Koalition e.V.) die hiesige
parteipolitische Landschaft nach rechts verschoben haben.
Bewegung nach rechts nimmt ihren Lauf
Die Geschichte der AfD ist eine Geschichte von internen
Machtkämpfen und von Flügelkämpfen zwischen rechts
und ganz rechts. Mit den Erfolgen bei den Landtagswahlen
in Brandenburg und Thüringen gewann das völkisch-natio-
nalistische Milieu an Einfluss, das schon früh eine offene
Zusammenarbeit mit der flüchtlings- und islamfeindlichen
Pegida-Bewegung gefordert hatte.
Auf dem Parteitag im Juli 2015 in Essen manifestierte sich
der klare Kurs der Partei nach rechts, als AfD-Mitgründer
Bernd Lucke seiner Rivalin Frauke Petry in einer Kampf-
abstimmung um die Parteiführung unterlag. Nach Einschät-
zung des Sozialwissenschaftlers Alexander Häusler ist die
AfD seitdem »parteipolitischer Anker für nationalistische
und fremdenfeindliche Protestbewegungen wie Pegida«.
Zuzug von Asylsuchenden als »Geschenk« für die AfD
2015 erreichten 890.000 Asylsuchende die Bundesrepublik,
weltweit waren über 60 Millionen Menschen auf der Flucht.
Die Entwicklungen polarisierten die Bundesrepublik und
die AfD nahm sich des Themas geschickt an: »Natürlich
verdanken wir unseren Wiederaufstieg in erster Linie der
Flüchtlingskrise«, erklärte Alexander Gauland Ende 2015
im Spiegel.
Im Mai 2017 machte er die gesunkenen Einwan-
derungszahlen mit für das schlechte Abschneiden der Par-
tei bei den letzten Wahlen verantwortlich. Führende Köpfe
der Partei machten Stimmung, indem sie Schießbefehle an
deutschen Grenzen forderten und verlangten, 200.000 Men-
schen pro Jahr sollten das Land verlassen. Immer wieder
tun sich führende Politiker_innen der AfD durch rassisti-
sche Aussagen hervor – das gilt für Björn Höcke vom völ-
kischen Flügel der Partei ebenso wie für andere, die nur
vor dieser extrem rechten Folie als gemäßigt erscheinen.
Verschärft hat sich die Diskussion im Zuge der Debatte um
Flüchtlinge und sexualisierte Gewalt im Nachgang der Sil-
vesternacht in Köln 2015/16.
Seit 2015 steht die AfD wie keine andere Partei für eine
Ablehnung der deutschen Asylpolitik und gegen den Zuzug
von Flüchtlingen. In ihrem Grundsatzprogramm (2016) for-
dert sie eine Streichung des individuellen Asylrechts aus
dem Grundgesetz und die Einrichtung von Asylzentren
außerhalb Deutschlands. Einreisen sollen Menschen nur,
wenn ihr Asylantrag zuvor positiv beschieden wurde. Das
Programm fußt auf einer völkischen Ideologie, die davon
ausgeht, mit der Zuwanderung hauptsächlich muslimischer
Menschen drohe das Ende des deutschen »Volkes«.
Die Landtagswahlen 2016 bescherten der Partei durch-
weg zweistellige Ergebnisse, für die AfD-Wähler_innen war
das Thema Asyl entscheidend: Sie schätzen an der AfD, dass
diese den Zuzug von Geflüchteten und anderen Migrant_in-
nen begrenzen will und dass sie dem Islam feindlich ge-
genübersteht. »Die AfD löst zwar keine Probleme, nennt
die Dinge aber beim Namen« – dieser Aussage stimmten
90 Prozent der befragten AfD-Wähler_innen in Rheinland-
Pfalz und 93 Prozent in Baden-Württemberg bei einer
Umfrage durch Infratest dimap im Jahr 2016 zu. Soziale
Gerechtigkeit steht für sie, anders als bei den Wähler_in-
nen anderer Parteien, an zweiter Stelle. Aber auch dieser
6
Sozialstaat solle nur für Herkunftsdeutsche sein, das deckt
sich mit den Forderungen aus der Partei.
Wähler_innen
Der AfD gelingt es, der deutschen Rechten neue Wäh-
ler_innenschichten zu erschließen: Besonders ehemalige
Nichtwähler_innen und Linksparteiwähler_innen haben
in Mecklenburg-Vorpommern für die Partei gestimmt. Die
Rechtspopulist_innen mobilisieren milieuübergreifend und
versammeln Wähler_innen aus allen Schichten hinter sich.
Ebenso war und ist es irreführend, Wähler_innen der AfD
zuzuschreiben, sie würden die Partei »nur« aus Protest wäh-
len. Entgegen gängiger Mythen ist die Partei erstens keine
Partei der Abgehängten und zweitens wird sie wegen, nicht
trotz ihrer Inhalte gewählt. Mit der positiven Bezugnahme
auf das »deutsche Volk« nutzt die AfD einen integrativen
Mechanismus, der schicht- und gruppenübergreifend wirkt
– und gleichzeitig auf Ausgrenzung beruht.
Populistische Basiserzählung – Anti-Establishment-
Partei und Feinbildkonstruktion
Die AfD bedient die populistische Basiserzählung vom Volk
gegen die Elite sowie eine rechtspopulistische Abgrenzung
zwischen innen und außen bzw. zwischen Freund und Feind.
Die Partei behauptet, sie würde nach oben gegen die Inter-
essen einer »Kaste von Berufspolitikern« kämpfen, die das
»Volk« spalte und dessen wahrer Willen nur von der AfD
mit »Sachverstand« artikuliert werden könne.
Nach außen
bringe sie das »Volk« gegen Muslim_innen und den Islam
und eine Gefahr, die von vermeintlich ungeschützten Gren-
zen ausgehe, in Stellung. Für die AfD ist das »Volk« nicht
einfach die gesamte Bevölkerung Deutschlands: Wenn die
AfD von »Volk« spricht, dann tut sie das in einem essenzia-
listischen, kollektiven und homogenisierenden Sinn.
Durch eine ritualisierte Rhetorik schafft es die AfD im-
mer wieder in die Schlagzeilen: Sie bringt den »Mut zur
Wahrheit« gegen »political correctness« und eine vermeint-
liche Systempresse in Anschlag. Changierend zwischen Pro-
vokation und Dementi behauptet sie stets, Opfer böswilliger
Interpretation des Gesagten zu werden, und stellt die Me-
dien an den Pranger.
Interne Machtkämpfe und (un-)ideologische Differenzen
Die Partei kommt immer wieder wegen menschenfeindli-
cher Positionen von Parteimitgliedern in die Schlagzeilen.
Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolf-
gang Gedeon wurde Gegenstand einer Kontroverse nach
Bekanntwerden eines antisemitischen Pamphlets. Uneinig-
keiten über den Umgang mit Gedeons Äußerungen führten
Der CDU
Abgeordnete Sven Petke erscheint am 8.6.2016 in einem FußballShirt mit der Aufschrift »Boateng« im Brandenburgischen Landtag. Rechts sitzt der Vorsitzende der AfDFraktion, Alexander Gauland, der zuvor in einem Interview geäußert hatte, dass die »Leute einen Boateng« nicht gerne als Nachbarn hätten.
© Ralf Hirschberger/dpa
7
zu einem offenen Machtkampf zwischen den beiden Partei-
vorsitzenden der AfD, Jörg Meuthen und Frauke Petry, der
sogar in einer kurzzeitigen Spaltung der baden-württember-
gischen Landtagsfraktion gipfelte.
Als Björn Höcke bei einer Rede in Dresden im Januar
2017 das Holocaust-Mahnmal als »Denkmal der Schande«
bezeichnete und eine »erinnerungspolitische Wende um
180 Grad« forderte, war der nächste AfD-Skandal perfekt.
Auch nach diesem Vorfall wurde ein Parteiausschlussver-
fahren diskutiert. Dies zog ein breites mediales Echo nach
sich, in dessen Folge sich mehrere Großspender_innen von
der AfD distanzierten.
Dass solche Aussagen keine Ausrutscher sind, sondern
die Partei systematisch die Nähe zur extremen rechten
und außerparlamentarischen Opposition sucht, belegen
zahlreiche Aussagen und Kontakte. Alexander Gauland,
Landesvorsitzender in Brandenburg bekundete schon 2014
über Pegida: »Wir sind die ganz natürlichen Verbündeten
dieser Bewegung«. In der Erfurter Resolution vom März
2015, zu dessen Erstunterzeichner_innen die Landeschefs
aus Thüringen und Sachsen-Anhalt, Björn Höcke und An-
dré Poggenburg, gehörten, wurden Aktivitäten außerhalb
des Parteispektrums als Mittel gefordert, um sich von den
»Altparteien« abzuheben und klar inhaltlich zu positionie-
ren. In der Erklärung heißt es: Personen aus der Partei wür-
den »Verrat an den Interessen unseres Landes« üben und
die Partei habe »sich von bürgerlichen Protestbewegungen
ferngehalten und in vorauseilendem Gehorsam sogar dis-
tanziert, obwohl sich tausende AfD-Mitglieder als Mitde-
monstranten oder Sympathisanten an diesen Aufbrüchen
beteiligen«.
Auch forderte die Patriotische Plattform – eine Gruppie-
rung innerhalb der AfD, die immer wieder durch »rechts-
extreme Positionen« auffällt, wie inzwischen auch der Ver-
fassungsschutz bemerkt hat – die Gesamtpartei dazu auf,
die Kernforderungen von Pegida zu übernehmen. Personel-
le Verflechtungen zwischen der Jugendorganisation
Junge Alternative (JA) und der rechtsextremen Identitären Bewegung
sind inzwischen gut belegt. So wurde der damalige
Schatzmeister der Berliner JA kurzzeitig verhaftet, weil er
bei einer Aktion der Identitären vor dem Bundesjustizmi-
nisterium am 19. Mai 2017 einen Zivilpolizisten umgefahren
haben soll.
Folgerichtig forderte Björn Höcke bei seiner berüchtigten
»Dresdner Rede« im Januar 2017 eine Ausrichtung der AfD
als »fundamentaloppositionelle Bewegungspartei«. Auch
wenn diese Perspektive innerhalb der AfD umstritten ist –
marginalisiert ist sie nicht, die AfD ist Teil einer »nationalen
Opposition« und stellt ein Scharnier zwischen Parlament
und Straße dar.
Über das Vorhaben Petrys, die AfD perspektivisch re-
gierungsfähig zu machen, wurde auf dem Bundesparteitag
am 22. und 23. April 2017 in Köln nicht einmal mehr ab-
gestimmt. Ohnehin: Bei der von Petry geforderten »realpo-
litischen Ausrichtung« handelt es sich um eine Strategie,
nicht etwa um eine Positionierung gegen menschenfeindli-
che Inhalte innerhalb ihrer Partei. Der Politikwissenschaft-
ler Claus Leggewie sieht die Partei »auf dem Weg in den
völkisch-autoritären Nationalismus«.
Weiterlesen
:
Correctiv: Schwarzbuch AfD, Berlin 2017.
8
Mit Rechtspopulist_innen debattieren?
Ob jemand mit Rechtspopulist_innen debattieren möchte,
ist eine persönliche Entscheidung und diese kann je nach
Anlass, Öffentlichkeit und Zeitressourcen variieren.
Grundlegend dazu:
1)
Rechtspopulist_innen vertreten offen demokratie- und
menschenfeindliche Positionen – aber auch solche,
die zumindest einigen Menschen durchaus vernünftig
und diskutabel erscheinen mögen. Diesen inhaltlich-
argumentativ zu begegnen, ist überzeugender, als sie
einfach als »rechtspopulistisch« zu brandmarken.
2)
Je öffentlicher eine Debatte ist, desto wichtiger ist es,
sie zu führen: Denn es geht nicht unbedingt darum, die
rechtspopulistischen Gesprächspartner_innen selbst
zu überzeugen (das ist schwer ohne Beziehungsebene),
sondern vielmehr darum, schweigende Mithörende
oder Mitlesende zu erreichen, deren Meinung noch
nicht gefestigt ist.
3)
Wer sich in eine Debatte mit Rechtspopulist_innen be-
gibt, sollte bedenken:
a.
Es gibt unter ihnen etliche geschulte Rhetoriker_innen.
Gerade in ihren Kernthemen sind sie inhaltlich sehr
stark – in anderen Bereichen dagegen oft nicht so sehr.
b.
Rechtspopulist_innen verfolgen meist eine eher des-
truktive Gesprächsstrategie. Es geht um die Anklage
von (vermeintlichen) Problemen oder skandalösen Ver-
hältnissen, Verfehlungen von »Eliten« oder »Gutmen-
schen«. Gerade deshalb kann es interessant sein, erst
einmal alle vermeintlichen Fakten zu hinterfragen und
inhaltlich nach Lösungen für die benannten Probleme
zu fragen. Auch gut: Bis zum (menschenrechtswidrigen,
grundgesetzwidrigen) Kern der jeweiligen Aussage fra-
gen – was ist zum Beispiel gemeint mit »Die Grenzen
mit Waffengewalt verteidigen«?
c.
Es gibt unterschiedliche Arten von rechtspopulisti-
schen Gesprächspartner_innen, die ihre Tücken haben:
Aggressiv Diskutierende und Hardliner werden eher
rüde und persönlich unangenehm. Sachliche Vertre-
ter_innen können jovial und aufgeweckt auftreten und
so Sympathien gewinnen.
Studierende der OttovonGuerickeUniversität Magdeburg protestieren gegen eine Vorlesung der AfDnahen Hochschul
gruppe »Campus Alternative«. Auf Grund der heftigen Proteste konnte die Veranstaltung, auf der auch AfDLandeschef
André Poggenburg einen Vortrag zu »Geschlechterforschung« halten wollte, nicht stattfinden.
© Stephan Schulz
9
4)
Rechtspopulist_innen einladen?
Natürlich können Sie Rechtspopulist_innen auf ein
Podium oder zu einem Interview einladen. Allerdings
sollten Sie vorher bedenken:
a.
Jede Einladung werden die Rechtspopulist_innen nut-
zen, um die Legitimität ihrer politischen Forderungen
zu belegen. Auch, wenn Sie das nicht so meinen.
b.
Auf Podien kommen eher keine ungeschulten Mitläu-
fer_innen. Überschätzen Sie nicht Ihre Fähigkeiten zur
»Entzauberung«. Vorbereitung ist Pflicht, ebenso eine
adäquate Besetzung des Podiums.
c.
Mitdiskutant_innen oder Besucher_innen kommen
eventuell nicht, weil sie etwa als potenzielle Zielgruppe
rechtspopulistischen Hasses Angst haben – überlegen
Sie also, wen Sie ausschließen wollen.
d.
Ausgewogenheit heißt nicht, dass Sie immer aller Po-
sitionen abbilden müssen, also etwa alle politischen
Parteien einladen müssen. Es ist aber eine Frage der
Haltung: Wenn Kritik daran kommt, müssen Sie diese
aushalten und am besten begründen können, warum
Sie sich so entschieden haben.
5)
Rechtspopulismus im Alltag: Die meisten von uns
treffen auf rechtspopulistische, rassistische, antisemi-
tische, sexistische, »gegen die da oben«-Thesen vor al-
lem im Alltag – im Arbeits- und Bekanntenkreis, in der
Timeline auf Facebook oder Twitter.
a.
Das ist deshalb gut, weil unsere Chancen viel größer
sind, überzeugend zu wirken, wo eine Beziehungsebe-
ne herrscht, die Person uns also irgendwie mag oder
zumindest mit uns auskommen muss.
b.
Haben Sie dabei keine Angst, über Themen nicht genug
Bescheid zu wissen. Es geht nicht darum, jemand an
die Wand zu argumentieren. Es geht vielmehr um Wi-
derspruch, um Kommentieren, um Hinterfragen, damit
abwertende, rassistische, hasserfüllte Aussagen nicht
einfach so stehen bleiben. Denn das interpretieren
Rechtspopulist_innen (und ebenso die abgewerteten
Gruppen) oft als Zustimmung.
c.
Selbst wenn Sie von einem Thema keine Ahnung ha-
ben, können Sie:
■
■
auf Verallgemeinerungen hinweisen (»Der« Islam,
»das« Frauenbild, ...)
■
■
auf Gruppenzuweisungen hinweisen (»Wir« vs. »die«)
■
■
auf Unstimmigkeiten in der Argumentation hinwei-
sen, nachfragen
■
■
Lösungen einfordern, Konsequenzen aufzeigen
■
■
Unbehagen äußern
■
■
sich positionieren: rassistische und rechtspopulisti-
sche Postings nicht unkommentiert stehen lassen,
nicht schweigen
■
■
Haltung zeigen mit Ich-Botschaften: »Ich verstehe,
was Sie meinen. Aber das entspricht nicht meinem
Menschenbild.« »Ich sehe Menschen als gleichwer
-
tig an.« »Ich empfinde es als zynisch, wenn Sie sa-
gen, dass ...«
6)
Das Ziel der Debatte ist nicht, dass eine Meinung »ge-
winnt« – sondern dass sich Menschen, während sie sich
austauschen, Gedanken zum Thema machen, Haltun-
gen entwickeln und vertreten und sie bestenfalls daran
testen, dass sie sich in den Blickwinkel des Gegenübers
hineinversetzen und ihre Einstellung dahingehend
überprüfen. Dazu gehört auch, alle Fairness, die man
selbst erwartet, auf sein Gegenüber anzuwenden.
Auf
http://www.belltower.news sind rechtspopulistische Ge-
sprächsstrategien gesammelt und Hinweise dazu,
wie man ihnen argumentativ begegnen kann. Auf
der Plattform gibt es Neuigkeiten und Hintergrund-
recherchen zu den Themenkomplexen Rechtsextre-
mismus, Rechtspopulismus und Gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit sowie zahlreiche Hinweise
auf Beratungsnetzwerke.
http://www.belltower.news10
Auseinandersetzung in Parlamenten
und Kommunalvertretungen
Der AfD geht es um Selbstinszenierung – nicht darum,
gesellschaftliche Probleme zu lösen
In einer aktuellen Studie haben sich Forscher_innen vom
Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) detailliert mit der
Landtagsarbeit der zehn AfD-Fraktionen beschäftigt, die bis
März 2017 in deutsche Länderparlamente eingezogen sind.
Das Gesamturteil der Studienautor_innen fällt vernichtend
aus: »In den Arbeitsroutinen der AfD-Landtagsfraktionen
bestehen nach wie vor große Mängel [...], vertiefte Sach-
kenntnisse fehlen«. Die Rechtspopulist_innen würden die
»komplexeren Instrumente, für die eine höhere inhaltliche
Kompetenz vonnöten wäre«, kaum durchschauen. Und:
»Das geht über Anfängerprobleme hinaus«.
In einer parlamentarischen Demokratie sollen Parlamen-
te möglichst viele gesellschaftliche Gruppen und Meinun-
gen vertreten. Rechtspopulist_innen betrachten diesen Plu-
ralismus jedoch als Störfall und nicht als erstrebenswertes
Ideal. Nach ihrer Ansicht gibt es einen einheitlichen Volks-
willen, den geeignete Politiker_innen lediglich erkennen
und umsetzen müssten. Die AfD ist der Ansicht, dass die
in den Parlamenten »etablierten« Parteien diesen homoge-
nen Volkswillen nicht im Ansatz widerspiegeln – sondern
sie selbst. Für Rechtspopulist_innen sind Parteien lediglich
ein Instrument, um in einer parlamentarischen Demokratie
Macht zu erlangen. Die Partei ist das Instrument, das Parla-
ment eine Bühne – aber nicht die wichtigste Bühne.
Um bei einer Debatte im Thüringer Landtag 2016 für ein
Verbot der Vollverschleierung zu demonstrieren, erschien
die AfD-Abgeordnete Wiebke Muhsal in einem Niqab. Die
Sitzung wurde unterbrochen. In Sachsen-Anhalt sprach sich
Ministerpräsident Reiner Haseloff in einer Regierungser-
klärung 2016 gegen eine weitere Polarisierung der Gesell-
schaft, ein Anwachsen von Hass und Gewalt, Ausgrenzung
und Abschottung aus. Der AfD-Fraktionsvorsitzende atta-
ckierte ihn daraufhin scharf, die AfD-Fraktion zog anschlie-
ßend geschlossen aus dem Plenarsaal und nahm vor dem
Parlament an einer Demonstration gegen höhere Abwasser-
gebühren teil. Anstatt ohne die AfD die Sitzung fortzufüh-
ren, zogen daraufhin auch andere Parlamentarier_innen
vor den Landtag, um zur Demonstration zu reden, und gin-
gen so der Provokation der AfD auf den Leim. Die AfD wur-
de bejubelt und der Sprecher der Regierung ausgepfiffen
– ein klarer Punktsieg für die AfD.
Die Beispiele zeigen: Die Partei provoziert gezielt, ihr
geht es um Protest und Aufmerksamkeit statt um Mitarbeit.
Die anderen Parteien agieren mitunter hilflos und uneinig
auf derlei Provokationen. An die Anhängerschaft der AfD
sollen solche Auftritte Signale aussenden, die den Ruf der
AfD als Kümmerer und vermeintlich einzige echte Opposi-
tionspartei bestärken.
Arbeitet die AfD auf einer Sachebene in den Parlamenten mit?
Offenbar gehören Kleine Anfragen zu den bevorzugten
Mitteln der AfD, die Zivilgesellschaft auszuforschen und
einzuschüchtern sowie Regierungen und Verwaltungen un-
ter Druck zu setzen, teilweise sogar zu lähmen. Inhaltlich
widmet sich die AfD der Studie des WZB folgend mit den
Anfragen ihren Kernthemen: Mehr als ein Drittel der Anfra-
gen entfällt auf die beiden Themenbereiche Sicherheit und
Ordnung sowie Migration.
22.600 Kleine Anfragen wurden zwischen Oktober 2014
und April 2017 in den zehn untersuchten Parlamenten ge-
stellt – 20 Prozent davon durch die AfD (Gesamt 4.694).
Sächsische Parlamentarier_innen sind am aktivsten: Jede_r
sächsische AfD-Abgeordnete stellte im Durchschnitt 4,2
Kleine Anfragen pro Monat. In Baden-Württemberg und
Sachsen-Anhalt stammten mehr als 40 Prozent aller Klei-
nen Anfragen von der AfD, in Thüringen waren es mehr als
ein Drittel.
Die komplexeren parlamentarischen Oppositionsinstru-
mente wie Große Anfragen oder Anträge, für die eine höhe-
re inhaltliche Kompetenz vonnöten wäre, werden von der
AfD hingegen kaum genutzt. Den Wissenschaftler_innen
vom WZB zufolge tritt die geringe Kompetenz auch in der
Ausschussarbeit zutage: So würden etwa »Kleine Anfragen
rege genutzt, weniger jedoch die komplexeren Instrumen-
te, wie Große Anfragen oder Anträge, für die eine höhere
inhaltliche Kompetenz vonnöten wäre«, und in Beratungen
zur Haushaltsaufstellung, einem zentralen Recht des Parla-
ments, vertiefte Sachkenntnisse fehlen. Aus Hamburg und
Baden-Württemberg wird berichtet, dass auch nach einer
mehr als einjährigen Lernphase noch immer wichtige Fra-
gerunden ohne AfD-Beteiligung stattfinden, schlicht weil
Fristen zur Einreichung der Fragen verpasst wurden. Parla-
mentskolleg_innen sprechen in Interviews von teils »heillo-
ser Überforderung«.
Vertreter_innen der AfD nutzen ihre Präsenz in den Län-
derparlamenten als Chance, sich als wahre Demokrat_in-
nen zu inszenieren. Dabei stechen ihre Politiker_innen
nicht durch Sachverstand und Mitarbeit in länderpoliti-
schen Fragen hervor: Sie inszenieren sich vielmehr immer
wieder als Opfer feindseliger Kampagnen und als »einzig
wahre Oppositionspartei«.
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Praxisbeispiel Sachsen-Anhalt: »Die
politischen Intentionen sichtbar machen«
Interview mit Torsten Hahnel von der Arbeitsstelle Rechts
extremismus von »Miteinander e.V.«
In Sachsen-Anhalt ist die AfD seit dem Frühjahr 2016 im
Magdeburger Landtag vertreten. Haben Sie den Eindruck,
dass sich das gesellschaftliche Klima durch die Präsenz der
AfD verändert hat?
Sowohl als auch – die AfD ist so stark geworden, weil sich
das gesellschaftliche Klima verändert hat. Seitdem sie
über eine 25-köpfige Landtagsfraktion verfügt, tut sie alles,
um die Stimmung weiter anzuheizen. Wir dokumentieren
in den vergangenen zweieinhalb Jahren einen massiven
Anstieg öffentlicher Aktionen von rechts sowie den dras-
tischen Anstieg rechtsextremer und rassistischer Gewalt.
Kameradschaftsstrukturen erleben gleichzeitig eine Re-
naissance. Ich würde also sagen, dass generell menschen-
feindliche Einstellungen an Boden gewonnen haben.
Die AfD ist also nur Profiteurin dieser Entwicklung?
Sie profitiert von dieser Entwicklung, aber sie organisiert
sie auch aktiv mit. Die AfD ist in Sachsen-Anhalt eng mit
rechtsextremen Strukturen verzahnt. In erster Linie über
das Institut für Staatspolitik in Schnellroda, wo sie mit dem
rechtsextremen Agitator Götz Kubitschek zusammenar-
beitet. Die führenden Abgeordneten der Landtagsfraktion
gehören zum rechtsextremen Flügel der AfD: Hans-Thomas
Tillschneider, Kopf der Patriotischen Plattform, und André
Poggenburg ordnen sich selbst dem Höcke-Flügel der Partei
zu. Sie waren unter den Erstunterzeichnern der »Erfurter
Erklärung«. Vertreter der Partei sind darüber hinaus in ein
breites Netzwerk rechter Akteure eingebunden – von den
»Identitären« über »Ein Prozent« bis hin zu regionalen ras-
sistischen Bürgerinitiativen.
Wie agiert die AfD im Magdeburger Landtag? Geht es vor al-
lem um Selbstinszenierung oder arbeiten die Abgeordneten
konstruktiv mit den anderen Parteien zusammen?
Die AfD nutzt den Landtag vor allem, um sich als einzige
Vertreterin des »Volkes« und als Anti-Establishment-Partei zu
inszenieren. Um das zu erreichen, schreckt sie auch nicht vor
Beschimpfungen der anderen Parteien zurück. In Anträgen
greift die Partei zwar immer wieder populäre oder alltagsre-
levante Themen auf, die werden aber im Rahmen ihrer Aus-
schussarbeit nicht weiterverfolgt. Gleichzeitig wirft sie den
anderen Parteien vor, korrumpiert zu sein und die Interessen
der Bevölkerung aus dem Blick verloren zu haben.
Was sind die Themen, mit denen sich die Partei zu profilie-
ren versucht?
Zum einen ist das natürlich das Thema Asyl und Zuwande-
rung. Ihr Leitbild ist eine ethnisch homogene Gesellschaft.
Zuwanderung wird deshalb ausschließlich als Bedrohung
verhandelt. Immer wieder behauptet die Partei, Bundes-
und Landesregierung würden die Zahl der Geflüchteten
aktiv steuern, um das deutsche Volk langfristig »auszutau-
schen«. Folglich lehnt sie alle Maßnahmen zur Integration
ab. Bestätigung für diese Auffassung sucht die AfD aus ei-
ner Vielzahl von Anfragen zu Ausländerkriminalität und
Integrationskosten zu ziehen. Wenn dann die Zahlen und
Fakten ihre Annahmen nicht bestätigen, ist ihr das auch
egal – sie appelliert schließlich an eine »gefühlte« Unsicher-
heit in der Bevölkerung.
Weitere Anträge und Reden beziehen sich auf kulturelle
Themen – Theateraufführungen und Orchester etwa sollen
der Stärkung einer vermeintlich deutschen Identität die-
nen, welche die Partei als abgeschlossen versteht. Immer
wieder greift die AfD auch geschlechter- und familienpoli-
tische Fragestellungen auf. Ihrem heteronormativen, anti-
feministischen und homofeindlichen Leitbild zufolge sollen
etwa keine Projekte mehr gefördert werden, die nicht der
Stärkung der traditionellen Familie dienen.
André Poggenburg dürfte genau wissen, was er tut, wenn er
nationalsozialistisches Vokabular wie »Volksgemeinschaft«
verwendet oder von »Wucherungen am deutschen Volks-
körper« spricht. Hilft es, wenn sich die anderen Parteien
über solche rhetorischen Provokationen empören?
Aus unserer Sicht hat sich gezeigt, dass Empörung allein ge-
gen die andauernden Provokationen der AfD nicht hilft. Na-
türlich ist es empörend, wenn AfD-Politiker offen national-
sozialistisches Vokabular verwenden. Aber Empörung und
Moralisierung wird von der AfD bereits als Reaktion ein-
geplant und dient dazu, den Opferdiskurs zu stärken und
die Existenz einer »Diktatur der politischen Korrektheit« zu
behaupten.
Zu welchem Umgang mit der AfD raten Sie den Parteien
stattdessen im Landtag? Ist Ausschluss überhaupt noch
eine Option?
In einem Bundesland wie Sachsen-Anhalt, wo die AfD-Frak-
tion einfach riesig ist, ist Ausschluss und Nicht-Zusammen-
arbeit nicht unbedingt das Mittel der Wahl. AfD-Leute sitzen
hier in allen Gremien und Ausschüssen. Die Abgeordneten
begegnen ihnen zwangsläufig und können sich nicht jedem
Kontakt entziehen. Im Parlament hat es sich als wirksam er-
wiesen, die AfD auf dem Feld der Sachpolitik zu stellen, also
die politischen Mittel und die Intentionen sichtbar zu ma-
chen, die hinter ihren Reden, Anträgen und Anfragen ste-
hen. Außerhalb der Parlamentsarbeit ist es aber durchaus
sinnvoll, darüber nachzudenken, ob es möglich ist, die In-
halte der Partei in öffentlichen Veranstaltungen zu »demas-
kieren« oder ob die AfD nicht eher von der Omnipräsenz
profitiert – unabhängig davon, wie sich die Vertreter_innen
im Einzelfall präsentieren.
Was, wenn solche Faktenchecks die Wähler_innen der AfD
nicht erreichen?
Zusätzlich müssen wir gemeinsam und konsequent über
den Charakter der Partei aufklären. Wir müssen deutlich
machen, dass sie für eine menschenfeindliche Politik steht,
zahlreiche Politiker offen rechtsextreme Positionen vertre-
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ten und Kontakte ins neonazistische Lager pflegen. Deshalb
ist diese Aufklärungsarbeit so wichtig. Wir müssen immer
wieder deutlich machen, dass der Rechtsextremismus eine
zentrale Strömung in der Partei ist, der in Sachsen-Anhalt
sogar von der Führungsgruppe getragen wird.
Das führt uns aber zwangsläufig auch zu der Frage: Was,
wenn diese Aufklärung nichts nützt? Was tun wir, wenn die
Partei trotzdem gewählt wird?
Erfolg versprechend erscheint mir nur eine Kombination
der Ansätze: Die AfD auf der Sachebene stellen; mit ihren
Politikern nur zusammenarbeiten, wenn es sich nicht ver-
hindern lässt; immer wieder deutlich machen, dass die AfD
rechtsextreme und menschenfeindliche Inhalte vertritt. Die
Inhalte und populistischen Methoden, mit denen sie vorge-
tragen werden, müssen ständig dekonstruiert werden. Und,
vielleicht am wichtigsten: Die anderen Parteien müssen
eigene attraktive gesellschaftspolitische Entwürfe entwi-
ckeln und für ihre Vorstellungen auch einstehen.
Stellt die AfD-Fraktion im Magdeburger Landtag eine Bedro-
hung für zivilgesellschaftliche Strukturen im Land dar?
Die AfD greift ganz klar zivilgesellschaftliche Organisatio-
nen an. Nach ihrem Einzug in das Parlament 2016 hat sie
ziemlich schnell begonnen, das Parlament zu nutzen, um In-
formationen über ihre politischen Gegner einzuholen. Einer
der ersten Anträge überhaupt kam von Hans-Thomas Till-
schneider. Er hat sich auf die Finanzierung unseres Vereins
»Miteinander« bezogen: Er wollte wissen, wofür wie viel
Geld fließt, wie der Verein sich finanziert, wie er aufgebaut
ist. Wir hatten damit schon gerechnet.
Schnell folgten aber auch Anfragen zu anderen Projek-
ten: Zu Genderprojekten, zum Soziokulturellen Zentrum
Reilstraße in Halle, zu einem »Antifa e.V.« – den es natür-
lich nicht gibt. Wenn man bedenkt, wie gut die Kontakte
der AfD Sachsen-Anhalt in das rechtsextreme Milieu sind,
dann wird schnell klar: Die Partei ist eine Bedrohung für
zivilgesellschaftliche Organisationen, sie greift uns an. Sol-
che Anträge implizieren ja schon die Drohung: Wir werden
euch den Geldhahn abdrehen, wir geben Informationen, die
wir auf dem parlamentarischen Weg gewinnen, an unsere
Kameraden weiter.
Wie reagiert die Zivilgesellschaft auf solche Angriffe – gibt
es Beschlüsse zur Unvereinbarkeit?
Die Trägerlandschaft in Sachsen-Anhalt rückt zusammen. Im
August 2016 veröffentlichten zahlreiche große Vereine und
Verbände eine gemeinsame »Erklärung zivilgesellschaftli-
cher Träger«, in der sie sich für eine Kultur des Respekts
und gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Menschen-
feindlichkeit aussprechen. Ich habe den Eindruck, dass sich
gerade ein vorsichtiger Stimmungsumschwung andeutet.
Immer mehr Menschen teilen das Gefühl: So kann es nicht
weitergehen – Demokratie, Freiheit und Sicherheit werden
von rechter Hetze bedroht. Das ist der richtige Weg. Die
Rechten sind nicht so stark wie es oft scheint, sie leben von
der Schwäche der Zivilgesellschaft.
Praxisbeispiel Berlin:
Ein Konsens gegen Rechts
Der »Berliner Konsens« ist eine gemeinsame Erklärung aus
dem Wahlkampf für die Wahl zum Berliner Abgeordneten-
haus im September 2016. Die sechs Parteien SPD, CDU,
Bündnis90/Die Grünen, DIE LINKE, Piratenpartei und FDP
wendeten sich damit explizit gegen NPD und AfD: »Die
rechtsextreme NPD vertritt einen unverhohlenen biologis-
tischen Rassismus sowie andere menschenverachtende Po-
sitionen.« Zu den Wahlen trete sie mit Kandidat_innen an,
»die wegen diverser Straftaten wie Volksverhetzung verur-
teilt wurden oder zum Spektrum gewaltbereiter Neonazis
gehören«. Die AfD sei »ein Sammelbecken unterschiedlicher
Kräfte, in dem auch rechtsextreme Personen und Positio-
nen« vertreten seien. »Eine Partei, deren Spitzenpersonal
beispielsweise auf Flüchtlingskinder schießen lassen wür-
de oder die sich zu rassistisch motivierter Stimmungsma-
che gegen deutsche Fußballnationalspieler hinreißen lässt,
bewegt sich nicht auf dem Boden unserer Werteordnung«,
heißt es in dem Manifest.
Kernaussage des Papiers ist: Der Wahlkampf wird nicht
auf dem Rücken von Flüchtlingen oder anderen Minder-
heiten ausgetragen. Vertreter_innen von SPD, CDU, Bünd-
nis90/Die Grünen, DIE LINKE, Piratenpartei und FDP haben
sich gemeinsam auf konkrete Absprachen und Mindeststan-
dards in der Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen
und rassistischen Parteien geeinigt.
Weiterlesen:
Der Berliner Konsens im Wortlaut findet sich unter
http://www.mbr-berlin.de/berliner-konsensDer gemeinnützige Verein Miteinander e.V. setzt sich
für eine offene, plurale und demokratische Gesell-
schaft in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus ein. Der
Verein unterhält die Arbeitsstelle Rechtsextremismus,
ein Bildungsteam, das Qualifizierungen und Workshops
durchführt, die Kompetenzstelle Eltern und Rechts-
extremismus, die Mobile Beratung für Opfer rechter
Gewalt Sachsen-Anhalt und regionale Beratungsteams
gegen Rechtsextremismus in Magdeburg, Salzwedel
und Halle.
http://www.miteinander-ev.deTelefon 0391. 62 07 73
net.gs@miteinander-ev.de