https://tierfabriken-widerstand.org/[*quote*]
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Die Tierindustrie in Deutschland wächst: Immer mehr und immer größere Mastanlagen, „Legehennen“-Ställe, Milchbetriebe und Schlachthöfe sollen entstehen.
Diese Tierfabriken sind eine Katastrophe für die betroffenen Tiere, die darin leben müssen, bevor sie nach einem extrem kurzen Leben gewaltsam getötet werden. Sie sind auch eine Katastrophe für die lokale Umwelt, die Anwohner_innen, die Umwelt in den Erzeugungsländern der Futtermittel, die Menschen dort und anderswo sowie für das Klima.
Das Bündnis Tierfabriken-Widerstand ist ein Zusammenschluss von Menschen, die sich gegen Neubauten von Tieranlagen einsetzen.
Durch Unterstützung von lokalen Widerstands-Initiativen, durch kreativen Protest und überregionale Vernetzung wollen wir das weitere Wachstum der Tierindustrie erschweren. Ein zentraler Aspekt unserer Arbeit ist die Bereitstellung von Informationen und die Anregung öffentlicher Debatten sowohl zu konkreten Anlagen als auch zur grundsätzlichen Problematik der Tierhaltung.
Seite zuletzt geändert am 17. Dezember 2016
Aktuelles
Wer hat Angst vor Stalleinbrechern? – Hilfreiche Fakten, wenn mal wieder härtere Strafen für «Stalleinbrüche» gefordert werden. 13. April 2018
Bericht – Infoveranstaltung zur möglichen Schlachthoferweiterung in Storkow 2. März 2018
Falsche Zahlen? Offener Brief an Friki Storkow 15. Februar 2018
Einwendungszeitraum gegen Legehennenfabrik in Zehlendorf (Oranienburg) läuft – noch bis 23.3.! 9. Februar 2018
Erweiterung des Geflügelschlachthofes in Storkow geplant! 7. Februar 2018
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Keine neuen Stallungen mehr? Das wird wohl nichts werden. Erstens gehen die alten kaputt. Zweitens müssen die Lebensbedingungen für die Tiere verbessert werden. Drittens muß deswegen aus technischen und aus Tierschutzgründen renoviert und neu gebaut werden können.
Wie soll man ein Verbrechen aufdecken, wenn man es nicht beweisen kann? Also braucht man Beweismittel. Also muß man ran an den Ort des Verbrechens. Gerade in Stallungen sieht es übel aus. Würden Einen die Industriebaron das freiwillig filmen lassen? NIE! Also...
Vielleicht sollte man noch erwähnen, daß bei "Gefahr im Verzug" ein Aufbruch durchaus zulässig ist. Die Frau Klöckner sollte sich also besser nicht so aufplustern.
Hier ist ein PDF von dieser Website speziell über Stalleinbrecher.
https://tierfabriken-widerstand.org/site/wp-content/uploads/2018/04/Tierfabriken-Widerstand-Wer-hat-Angst-vor-Stalleinbrechern-13.4.2018.pdf[*quote*]
manipulatives Beispielbild I - Quelle: pxhere.com
Wer hat Angst vor Stalleinbrechern?
Hilfreiche Fakten, wenn mal wieder härtere Strafen für «Stalleinbrüche» gefordert werden. 1
Tierfabriken-WiderstandBerlin, den 13.04.2018. Lesedauer: ca. 15 Minuten.
Zusammenfassung: «Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden.» Wir,
das ist die neue Bundesregierung und das sind Landwirt*innen, Agrar-Funktionäre wie
Politiker*innen – nicht selten in Personalunion 2 . Aber warum? Dieser Artikel führt typische
Argumentationen auf und stellt diesen nachprüfbare Zahlen entgegen. Am Ende wissen wir, dass
weder Fakten noch Interesse der Allgemeinheit treibende Kraft hinter dem Koalitions-Ziel sind,
dass die Landwirtschaftsministerin beim Bauernverband abschreibt – und wie viele Kühe pro Jahr
in Brandenburg entführt werden.
1 Dieser Text kann ohne Einschränkungen weitergenutzt und verbreitet werden. Alle zitierten und verlinkten
Webseiten wurden zwischen dem 02.04 und 12.04.2018 zuletzt abgerufen und liegen als Screenshots vor.2 «Auffällig viele CDU/CSU-Abgeordnete aus dem Agrarausschuss des Bundestags besetzen Posten in Agrarfirmen
und Finanzkonzernen.»
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/report-hegen-und-pflegen-1.36680001Wie ahndet man etwas, das es nicht gibt? oder: Die Erfindung der Stalleinbrüche
Politiker*innen und Agrar-Lobbyist*innen sind aufgebracht und fordern strengere Gesetze,
Landwirt*innen haben Angst. Vor Stalleinbrüchen. Bis in den Koalitionsvertrag hat es diese Angst
geschafft: «Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden.» 3 Wie wir weiter
unten sehen werden, gibt es die unterschiedlichsten Formen von Einbrüchen, aber mit minimalem
Rechercheaufwand findet man heraus, dass es im Koalitionsvertrag nur um Menschen geht, die –
vornehmlich nachts – unerlaubt Tierhaltungsanlagen betreten um dort Fotos und Filmaufnahmen
von den Lebensumständen der Tiere zu machen. Schaut man sich die Veröffentlichungen in den
Agrarmedien (am auflagenstärksten: top agrar und agrarheute) in den letzten Monaten an – und
wer in der AG Landwirtschaft bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD saß 4 –
wird klar, «Einbrüche in Tierställe» ist nur eine halbherzige Abwandlung dessen, was Agrarmedien
und -funktionär seit Monaten stur als «Stalleinbrüche» bezeichnen (weiter unten finden sich viele
Beispiele für diese Begriffsverwendung). Stalleinbrüche? Gibt es nicht laut Strafgesetzbuch. Die
Landesregierung von Nordrhein-Westfalen formuliert es so: bei Stalleinbrüchen handelt es «sich
nicht um ein eigenes Delikt, gleichwohl kommen Straftatbestände wie Hausfriedensbruch,
Sachbeschädigung (z.B. von Türen) und Diebstahl (z.B von Tieren) in Betracht.» 5 Eine Erklärung des
Wortes «Stalleinbrüche» liefert die Radaktion – nicht des Koalitionsvertrages – sondern des
Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatts auf eine Beschwerde von Animal Rights Watch.
Der Verein bemängelte, dass mit Nutzung des Wortes «Stalleinbruch» absichtlich falsche
Assoziationen geweckt werden sollen. Die Redaktion des Wochenblattes antwortete: «Als
Wortschaffende setzen wir Begriffe aber nicht in ihrer juristischen Komplexität sondern in ihrem
‹wörtlichen Sinne› ein, also entsprechend ihrer Bedeutung in der Sprache. Der Fachbebriff [sic]
dazu lautet Semantik [Herv. im Original]. Die semantische und die juristische Bedeutung von
Begriffen sind nicht immer deckungsgleich. Für uns bedeutet Einbruch semantisch das ‹unerlaubte
Eindringen in ein Gebäude› und so benutzen wir den Begriff auch in unseren Texten.» 6
Was die Große Koalition also vermeintlich – auf juristische Komplexität verzichtend – effektiver
ahnden will sind Hausfriedensbrüche in Tierställe mit eventuell einhergehender Sachbeschädigung.
Neu! Jetzt auch in Ihrer Top Agrar: Stalleinbrüche
Investigative Recherchen in Tierhaltungsanlagen und die mediale Verbreitung der dort
entstandenen Bilder gibt es seit Jahrzehnten. Innerhalb des letzten Jahres hat der mediale
Gegenwind von Agrarseite jedoch deutlich zugenommen. Woher kommt die erhöhte
Aufmerksamkeit auf das Thema, die neuentdeckte Sorge um Traumatisierung von Landwirt*innen
und Tieren, die Angst vorm Ende des Rechtsstaates?
Ein scheinbarer Aufhänger: dreimal wurden Tierrechtsaktive von Animal Rights Watch für ihre
Recherchen in einer Schweinezuchtanlage nicht wegen Hausfriedensbruch verurteilt – in der 1.
Instanz am 26.9.2016 in Haldensleben, in der 2. am 11.10.2017 in Magdeburg und endgültig
rechtskräftig wurde das Urteil mit der Ablehnung der Revision am 22.2.2018 in Naumburg 7 . Die
3 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, S. 86, Zeile 4014.
https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=14 Unter anderem: Christian Schmidt, Julia Klöckner, Christina Schulze-Föcking und Marlene Mortler.
http://www.bdkj.de/fileadmin/bdkj/newsletter/2018/2018_05/DBJR-AG-Verhandlungen.pdf5
http://www.landtag-niedersachsen.de/drucksachen/drucksachen_17_5000/4001-4500/17-4023.pdf6
https://www.agrarheute.com/wochenblatt/feld-stall/tierhaltung/richterlich-abgesegneter-stalleinbruch-5393617 Nicht der einzige, aber bei weitem der medial präsenteste Fall. Andere Gerichtsbeschlüsse aus dem letzten Jahr: Im
Mai 2017 wurden Recherche-Aktivist*innen auch in der 2. Instanz wegen Hausfriedensbruch verurteilt. Nach der
2Argumentation der Richter*innen ähnelte sich bei jedem Freispruch: die Tierrechtler*innen
begangen zwar einen Hausfriedensbruch, die von ihnen aufgedeckten Verstöße gegen das
Tierschutzgesetz wogen jedoch schwerer, weswegen ihre Handlungen – in diesem Fall – durch
einen rechtfertigen Notstand gedeckt waren.
Erst seit dem Urteilsspruch im September 2016
gibt es überhaupt regelmäßig Artikel zum
Thema «Stalleinbrüche» auf topagar.com. 8
Danach stieg die monatliche Berichtsanzahl
tendenziell immer weiter an. Das 2. Urteil in
Magdeburg im Oktober 2017 wurde dann auch
deutlich stimmungsvoller begleitet – durch
Vorwürfe an den Richter, Rufe nach härteren
Strafen und Gesetzesänderungen und empörte
Kommentare unter jedem Artikel. Zeitlich
schlossen
sich
die
Jamaika-
Sondierungsgespräche
direkt
an,
die
Artikeldichte blieb auf überdurchschnittlich
hohem Niveau. Nach Platzen der Gespräche
gab es ein kurzes Tief, bis die Stalleinbruchs-
Berichterstattung dann im Februar 2018 ihren Höhepunkt erreichte. Vor dem Freispruch der
Animal Rights Watch-Aktivist*innen in Naumburg und zwischen dem ersten Sondierungspapier von
CDU/CSU und SPD – dieses noch ohne den Passus mit den «Einbrüchen», aber sonst schon sehr
ähnlich den späteren Zielen für die Landwirtschaft – und der Veröffentlichung des
Koalitionsvertrages. Fast alle Artikel nehmen zwar auch Bezug auf den Prozess, zeitlich passen sie
jedoch genauso gut (besser?) zu den Koalitionsverhandlungen, bzw. dazu, die geforderte Änderung
des Strafgesetzbuches zu unterfüttern und als notwendig darzustellen. Befeuert sicherlich durch
den Kommentar von Julia Klöckner – spätere Landwirtschaftsministerin – vom 30. Januar 2018,
kurz nach Beginn der Koalitionsverhandlungen: «Wir wollen einen Straftatbestand bei
Stalleinbrüchen». 9
«Investigativer Journalismus bedeutet beharrliche Recherche gegen den Widerstand
der Betroffenen, auch mit rechtswidrigen Mitteln und mit Hilfe vertraulicher
Informanten, anhand nicht allgemein zugänglicher Quellen oder unter Kombination
bereits bekannter Informationen zu einer neuen Information. Ziel ist es, die
Öffentlichkeit über Missstände sachlich zu informieren [...].» 10
ersten Verurteilung 2016 glaubte der Bayerische Bauernverband den Rechtsstaat noch in Ordnung und nennt es ein
«Grundsatzurteil». Im Januar 2018 bestätigte das Oberlandesgericht Hamburg die einstweilige Verfügung, dass der
NDR heimliche entstandene Bilder aus den Schweineställen von Johannes Röring nicht zeigen darf. Hamburger
Gerichte untersagten dem MDR zweimal das Verbreiten von Aufnahmen aus einer Bio-Legehennenanlage. Dieses
Verbot hob der Bundesgerichtshof in Karlsruhe aber am 10.04.2018 auf.
8 Nachtrag vom 14.04.2018: Das Deutsche Tierschutzbüro wies uns darauf hin, dass dem Landwirtschaftsverlag
Münster – verantwortlich für Top Agrar und topagaronline – von mehreren Gerichten untersagt wurde, Aktive des
Tierschutzbüros als Stalleinbrecher zu bezeichnen. Es ist interessant, die topagrar-Artikel unter dieser Prämisse zu
lesen und zu beobachten, wie sie das Verbot umgehen.
9
http://www.hessischerbauernverband.de/landw-woche-suedhessen-bericht-2018-cm10 Eichhoff, Julia, Investigativer Journalismus aus verfassungsrechtlicher Sicht, Mohr Siebeck, 2010, S. 23.
3«In den zurückliegenden Wochen und Monaten steigt bundesweit die Zahl von
Stalleinbrüchen.» 11
Offizielle Zahlen zu von Tierrechtsaktivist*innen begangenen «Stalleinbrüchen» gibt es kaum und
wenn sind sie – konträr zur wachsenden Empörung – extrem niedrig.
So zählte zum Beispiel das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport in seiner Antwort
auf eine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2015 in der Zeit zwischen Januar 2009 und Juni 2015 in
Niedersachsen 668 Straftaten mit dem Tatort «Stallungen». Darunter 545 Fälle des besonders
schweren Diebstahls, 80 Fälle von Sachbeschädigung und 43 Fälle des Hausfriedensbruchs.
Ernüchternd dann die Antwort auf die Frage, ob es Einbrüche gäbe, «die sogenannten
Tierschutzaktivisten zugerechnet werden konnten». Die Antwort der Landesregierung: «Im
Betrachtungszeitraum sind sechs Fälle bekannt geworden, bei denen sogenannte
Tierschutzaktivisten unberechtigt in Stallungen eindrangen. Ein Einbruch gemäß § 243 StGB
(besonders schwerer Fall des Diebstahls) befand sich nicht darunter. In vier dieser Fälle bestand der
Verdacht oder es lagen Hinweise darauf vor, dass die Stallungen mit dem Ziel betreten wurden,
Foto- bzw. Filmaufnahmen illegal anzufertigen und diese anschließend zu verbreiten. In einem Fall
dienten die Videoaufnahmen dazu, Verstöße gegen das Tierschutzgesetz anzuzeigen.» 12 6 von 668
verzeichneten Straftaten begangen von Tierrechtsaktivist*innen, im Durchschnitt also eine Straftat
pro Jahr. 13
Auch die Antwort der nordrhein-westfälischen Landesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem
Jahr 2017 liefert ähnlich niedrige Zahlen. Hier wurde gefragt, «Wie viele Fälle illegaler
Stalleinbrüche» der Landesregierung zwischen 2012 und 2017 bekannt seien. Eingeleitet wird die
Antwort mit der Feststellung, dass es sich bei «illegalen Stalleinbrüchen» nicht um ein eigenes
Delikt handele (siehe Zitat auf der ersten Seite dieses Artikels). Delikte mit Tierschutzmotiv(ation),
also zum Beispiel Hausfriedensbruch, werden als «Politisch motivierte Kriminalität» erfasst und
bestimmten Themenfeldern zugeordnet. So heißt es in der Antwort weiter: «Dem
Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen sind zum Unterthema ‹Tierschutz/Tierrecht/Jagd› seit
dem Jahr 2012 insgesamt 182 Straftaten mit unterschiedlichsten Delikten bekannt geworden.
Hierbei konnte lediglich ein besonders schwerer Fall des Diebstahls aus dem Stall einer Nerzfarm
im Jahre 2013 festgestellt werden. Weitere Einbrüche in diesem Zusammenhang sind nicht
bekannt geworden.» 14 182 bekannt gewordene (politisch motivierte) Straftaten im Themenfeld
«Tierschutz» in ca. 5 Jahren. Von Hausfriedensbrüchen in Stallungen keine Rede. Eventuell gab es
also in diesem Zeitraum keinen einzigen erfassten Hausfriedensbruch. Und eben genau einen
«Stalleinbruch» in Form eines «Diebstahls» auf einer Nerzfarm.
Zum Vergleich: 33.780 tierhaltende Betriebe wurden 2017 in Niedersachsen gezählt. 15 Im gleichen
Jahr gab es laut Landeskriminalamt 5 Hausfriedensbrüche und einen schweren Diebstahl mit
«Tatmotiv Tierschutz» (sh. Fn. 12). Insgesamt gab es in Niedersachsen in diesem Jahr 8.325
11
https://www.topagrar.com/news/Home-top-News-WLV-verurteilt-Stalleinbrueche-mit-neuer-Resolution-aufs-Schaerfste-8908327.html
12
http://www.landtag-niedersachsen.de/drucksachen/drucksachen_17_5000/4001-4500/17-4023.pdf13 Einen Tag vor Veröffentlichung des Artikels antwortete das LKA Niedersachsen dann noch auf eine Presseanfrage
mit aktuelleren Zahlen. Mittlerweile auch zusammengefasst als politisch motivierte Straftaten
(«Staatsschutzereignisse», siehe NRW). In der «Tatörtlichkeit Stall» mit dem «Tatmotiv Tierschutz» gab es zwischen
2015 und 2017 1 schweren Diebstahl, 9 Hausfriedensbrüche und 4 Sachbeschädigungen.
https://tierfabriken-widerstand.org/site/wp-content/uploads/2018/04/LKA-Nds_Antwort-Presseanfrage_12.4.18.pdf
14
https://kleineanfragen.de/nordrhein-westfalen/17/904-stalleinbrueche-durch-aktivisten-von-tierschutzverbaenden15
https://www.ml.niedersachsen.de/startseite/aktuelles_veranstaltungen/veroeffentlichungen/die-niedersaechsische-landwirtschaft-in-zahlen-121348.html
4gemeldete Hausfriedensbrüche und 14.108 Fälle schweren Diebstahls aus Wirtschaftsgebäuden
und «Bodenräumen». 16 (Und nebenbei 724 Verstöße gegen das Tierschutzgesetz.) Für wie viele
dieser Fälle ein eigener Straftatbestand effektiver wäre, darüber gibt es keine Angaben.
Das Magazin «exakt» will deutschlandweit von mindestens 51 Stallrecherchen in den drei Jahren
bis Juni 2017 erfahren haben (10 davon in Thüringen). 17 Vermutlich sind dies überwiegend Fälle,
die Tierrechtsorganisationen selbst auf ihren Internetauftritten publiziert haben. Damit gibt es
wohl mehr Rechercheveröffentlichungen, als der Polizei und den Landwirten und Landwirtinnen
(auch in Niedersachsen und NRW) bekannt sind, bzw. angezeigt werden. Auch wenn die Empörung
in den Agrarmedien es suggeriert, eine Häufung der – sowieso seltenen – investigativen
Recherchen scheint es objektiv nicht zu geben.
Wegen 10-20 bekannter Recherchen im Jahr ein neuer Straftatbestand – bei 185.200 tierhaltenden
Betrieben in ganz Deutschland? 18 Eher eine wackelige Grundlage für eine Änderung des Strafrechts
könnte man glauben. Die Häufigkeit der «Stalleinbrüche» wird dann auch nie erwähnt, wenn es
um die Forderung nach härten Strafen geht. Schauen wir uns einmal an, womit argumentiert wir.
«Lassen Sie es nicht zu, dass hier ein System neben des deutschen Rechtssystems entsteht.» 19
Wie aus einem Baukasten tauchen immer wieder die gleichen Kritikpunkte auf, um die
Verwerflichkeit der investigativen Recherchen zu verdeutlichen. Interessanter sind dabei die
Punkte, die sich scheinbar nicht im Baukasten befinden, doch dazu gleich mehr. Hier sind erst
einmal die fünf beliebtesten Standard-Argumente aus denen sich so gut wie jeder
«Stalleinbruchs»-Text bedient – Zitierte, die in ihrem Text mehr als ein Baukastenelement
verwenden und mehrmals in der Aufführung vertreten sind, sind mit einem * gekennzeichnet:
•
Es geht den Tierrechtsaktivist*innen nur um Sensationslust, Eigenwerbung, Spendengelder
und nicht um das Wohl der Tiere – dass die Aufnahmen manchmal erst Wochen später
veröffentlicht werden ist ein Beweis dafür. Landvolk Niedersachsen (2013)* / Bauernverband (2014) /
Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied* / Johannes Röring*, CDU / Bernhard Krüsken, Generalsekretär
des Deutschen Bauernverbandes* / Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands e.V (ISN)* /
Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband (WLV) / ISN II / Julia Klöckner*, CDU, Landwirtschaftsministerin
•
Die Behörden sind zuständig und müssten nur informiert werden. «Sie würden die Betriebe
auffordern, Fehlverhalten abzustellen und damit auch umgehend im Sinne des Tierschutzes
handeln.» top agar und Christel Happach-Kasan, FDP (2013 20 ) sowie Christian Schmidt, CSU / Johannes
Röring*, CDU / WLV* / Rukwied / ISN* / Berhard Conzen*, Präsident Rheinischer Landwirtschafts-Verband /
Agrarheute* / Julia Klöckner*, CDU, Landwirtschaftsministerin
•
Beim «Eindringen» in Ställe wird mutwillig in Kauf genommen, dass unter den Tieren
Unruhe und Panik entstehen - und dass Krankheiten eingeschleppt werden könnten. 21
16
https://www.lka.polizei-nds.de/startseite/kriminalitaet/statistik/polizeiliche_kriminalstatistik_2017/polizeiliche-kriminalstatistik-des-landes-niedersachsen-fuer-das-jahr-2017-112869.html
17
https://www.mdr.de/investigativ/landwirte-tierschuetzer-100.html18
http://www.bauernverband.de/33-betriebe-und-betriebsgroessen-80362819
https://www.schweine.net/news/tierrechtler-wieder-freigesprochen-aktuell-werden.html20 Kommentiert wurden hier die Recherchen von Animal Rights Watch, denen von drei Gerichten (siehe Seite 2)
beschieden wurde, dass sie notwendig waren (wegen Behördenversagens) und die in einem anderen Fall mit dazu
führten, dass gegen Adrianus Straathof ein deutschlandweites Tierhaltungsverbot wegen massiver und
wiederholter Verstöße gegen das Tierschutzgesetz ausgesprochen wurde.
21 Wie bei allen anderen Argumenten gibt es hier kaum Fakten. In der Kleinen Anfrage aus Niedersachsen wurde u. a.
auch gefragt, wie viele Tiere bei den sechs Hausfriedensbrüchen der Tierrechtsaktivist*innen zu Tode kamen. Die
Antwort: «Bei den sechs den ‹Tierschutzaktivisten› zuzurechnenden Taten kamen in keinem Fall Tiere zu Tode.»
5Verband Deutscher Putenerzeuger / WLV* / Rheinischer Landwirtschafts-Verband* / Agrarheute* / Julia
Klöckner*, CDU, Landwirtschaftsministerin
• Landwirte hätten Angst, «Stalleinbrüche» seien ein traumatisches Ereignis für betroffene
Landwirt*innen und deren Familien. Dass Aufnahmen «für immer» im Netz kursieren führt
zu einer andauernden Belastung. Bauer Willi* / Rukwied* / WLV* / ISN* / Marlene Mortler*, CDU
• Der Naumburger Freispruch ist ein Freibrief für Aktivist*innen, in Ställe einzudringen. Im
Prinzip dürfe man jetzt bloß auf Grund einer Vermutung in Büros, Wohnungen und beim
Nachbarn einsteigen und filmen. 22 Bauer Willi* / ISN* / Georg Wimmer, stellvertretender
Generalsekretär des Bayrischen Bauernverbandes / top agrar / Marlene Mortler*, CDU / Bernhard Conzen* /
Anselm Richard, Chefredakteur des Wochenblatts für Landwirtschaft und Landleben / Agrarheute*
Eine genaue Analyse aller Argumente wäre lohnenswert, an dieser Stelle jedoch zu viel. Einer
einsamen Gegenstimme zum Argument «Freibrief für Stalleinbrüche» soll aber noch Beachtung
geschenkt werden: «Das Urteil führt zu einem breiten Echo in der Öffentlichkeit, wird aber völlig
überinterpretiert». Der Freispruch «für drei Tierschützer ist kein Freifahrtsschein, um in fremde
Gebäude einzudringen. [...] Es handelt sich hier um eine Einzelfallentscheidung!» Heißt es im DGS-
Magazin. Dem offiziellen Organ des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft. 23 Und
noch dazu von einem der wenigen Juristen, der das Urteil kommentiert hat. Da wurde
offensichtlich verkannt, mit welchem Ziel dieses Argument von allen anderen regelmäßig
wiederholt wird.
Eines der neusten Argumente im Baukasten – die Traumatisierung der Landwirt*innen, auf deren
Höfe heimlich Filmaufnahmen gemacht wurden – begleitet uns noch zum nächsten Punkt. Die
Informationen, die, neben der verschwindend geringen Zahl von «Stalleinbrüchen», noch gerne
weggelassen werden.
«Der Kuh-Klau-Klan»
Dass, wenn überhaupt, nur sehr wenige Landwirt*innen von Recherchen betroffen sein können
zeigen schon die Zahlen oben. Aber ganz erstaunlich ist, was die Bauern und Bäuerinnen scheinbar
nicht traumatisiert: 221 Rinder wurden 2017 in Brandenburg bei 20 unterschiedlichen
Stalleinbrüchen gestohlen, 261 im Jahr davor = 31 Stalleinbrüche. 244.500€ Schaden wurden
dadurch 2016 verursacht (für die Landwirt*innen, nicht für die Kühe und Bullen). Die
Aufklärungsquote durch die Polizei betrug nur 3,2% und 2017 wurde daraufhin die SoKo «Koppel»
beim LKA Brandenburg gebildet. 24 «Wir nehmen ein arbeitsteiliges und damit bandenmäßiges
Handeln an», heißt es aus dem Polizeipräsidium. 25
Allein in Brandenburg dringen somit pro Jahr mehr bandenmäßig organisierte «Viehdiebe» nachts
in Ställe ein als Tierrechtsfilmende in ganz Deutschland. 26 Wie steht die Agrarpresse dazu? Wo ist
der Skandal? Wie geht es den Betroffenen?
22 Dieses Argument ist nicht nur auf Grund der scheinbar absichtlichen Fehlinterpretation des Urteils bemerkenswert.
Auch stellen die, die es anführen offen die Kompetenz dreier verschiedener Richter*innen in Frage – und damit die
der Judikative – während oft im gleichen Text (anderen) Behörden vollstes Vertrauen ausgesprochen wird. Jenen,
die bei Tierschutzverstößen «nur informiert» werden müssen.
23 DGS-Magazin, RA Dietrich Rössel, Stand: 6.03.2018.
https://www.dgs-magazin.de/Einzelfallentscheidung-bei-Stalleinbruch,QUlEPTU3MjA1NzkmTUlEPTQ3Mg.html
24
https://www.lr-online.de/nachrichten/brandenburg/soko-koppel-zieht-bilanz-wirtschaftliche-schaeden-durch-viehdiebstaehle-vervielfacht_aid-7009632
25 ebd.
26 Wirkliche nächtliche Einbrüche: Schlösser knacken, Türen aufbrechen, mit Lastwagen aufs Stallgelände fahren,
Tiere betäuben / entführen / töten.
6Zumindest eine mögliche Traumatisierung und auch härtere Strafen werden mit keinem einzigen
Wort erwähnt. Der Präsident des Landesbauernverbands Brandenburg Hendrik Wendorff meint im
Mai 2017 «dass sich der Schaden für die betroffenen Betriebe nicht allein auf den wirtschaftlichen
Wert der entwendeten Tiere belaufe.» 27 Hinzu kämen auch Produktionsausfälle, mögliche
Vertragsstrafen und steigende Versicherungsprämien. Über die emotionelle Belastung macht er
sich keine Sorgen. Nur beim Deutschlandfunk beschreibt einmal ein Landwirt, warum «so ein
Viehraub auch emotional sehr belastend» sei: «Weil die Tiere ja auf jeden Fall gequält wurden.
Also die wurden ja auf keinen Fall in guten Bedingungen dort transportiert, haben bestimmt auch
nicht alle überlebt. Ist schon hart für die Tiere und für uns natürlich dann auch, gerade die
Kollegen, die hängen ja an jedem einzelnen Tier.» 28
Im März 2017 sagt Wendorff dazu noch einen Satz, der als unfreiwillig ehrlicher Kommentar zur
aktuellen «Stalleinbruchs»-Debatte gelesen werden kann: «Wir freuen uns natürlich, dass unsere
Sorgen [bei der Brandenburger Regierung – Anm. des Verf.] Gehör finden. Umso mehr, da uns
natürlich bewusst ist, dass Viehdiebstahl im gesamten Kriminalitätsgeschehen nur einen
geringen Teil ausmacht. [Hervorh. d. Verf.]» 29 Um das noch einmal zu betonen, von diesen
«Viehdiebstählen» gibt es in Brandenburg doppelt so viele wie «Stalleinbrüche» von
Tierrechtler*innen in ganz Deutschland.
Tatsächlich gibt es ein Verbrechen im Bereich Landwirtschaft, das noch einen größeren Teil im
Kriminalitätsgeschehen ausmacht: der Diebstahl von Landmaschinen oder Teilen dieser. Auch hier
sollen vor allem organisierte Banden verantwortlich sein. In der Kriminalitätsstatistik des Landes
Brandenburg wird der «Diebstahl von landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten» sogar
gesondert erfasst. So wurden 2016 863 Fälle bekannt (872 Fälle 2015 und 1.017 Fälle 2014).
Verursachter materieller Schaden 2016: 3.063.861€! 30 In Thüringen wurden 2016 8 Straftaten
alleine im Bezug auf den Diebstahl von «Navigationsgeräten» erfasst (mit einer Schadenshöhe von
immerhin 240.000 €), 2017 dann schon 19 Fälle von Navigationsgeräte-Diebstahl (530.000 €
Schaden). 31 Ähnliche Berichte gibt es aus anderen Bundesländern. 3233
Im Ergebnis lässt sich das so zusammenfassen: Investigative Stallrecherchen sind sehr sehr selten.
10.000 Jahre bräuchten Tierrechtsaktive bei ihrem aktuellen Tempo, um in allen tierhaltenden
Betrieben in Deutschland zu filmen. Schwere (Stall-)Einbruchsdiebstähle sind viel häufiger!
Ende 2016 gab es in IKEA-Einrichtungshäusern in ganz Europa eine
Hausfriedensbruchserie. 34 Menschen mit Neigung zur Selbstdarstellung und auf der
Jagd nach Klicks (also ähnlich den «Stalleinbrecher*innen») ließen sich über Nacht im
Ikea einschließen und filmten dann, was sie so anstellten. Noch beschränkt sich der
Möbelkonzern darauf, für Steuererleichterungen zu lobbyieren und nicht für
Strafrechtsverschärfungen, aber vielleicht kommt hier auch irgendwann der neue
Tatbestand «Möbelhausfriedensbruch».
27
https://www.agrarheute.com/tier/rind/2017-bisher-schon-321-rinder-gestohlen-53624828
http://www.deutschlandfunkkultur.de/viehdiebstaehle-in-brandenburg-zustaende-wie-im-wilden.1001.de.html?dram:article_id=412379
29
https://www.topagrar.com/news/Home-top-News-Woidke-Vogelsaenger-Viehdiebe-werden-verfolgt-8011891.html30
https://polizei.brandenburg.de/liste/kriminalitaetslage-im-jahr-2016-im-land-/50200931
http://www.infranken.de/ueberregional/wirtschaft/klau-am-hof-landmaschinen-im-visier-von-dieben;art184,3076417
32 ebd.
33
https://www.topagrar.com/news/Home-top-News-Diebe-stehlen-Steuertechnik-aus-Landmaschinen-8691042.html34
https://www.noz.de/deutschland-welt/vermischtes/artikel/825401/immer-mehr-jugendliche-lassen-sich-nachts-bei-ikea-einschliessen
7manipulative Beispielbilder II, v. l. n. r.: 2008, 2015, 2013, 2018 - Quelle: topagrar.com
Einzelfall, Momentaufnahme, «Schwarze Schafe»
Kaum Erwähnung finden zudem die gefilmten Zustände selber. Am Ehesten werden die
aufgedeckten Tierschutzverstöße noch als Einzelfälle bezeichnet. Es wird gesagt, dass Verstöße,
«wenn denn welche vorliegen», natürlich so nicht die Regel sind. Oder die Aufnahmen werden als
manipuliert diskreditiert. Meist wird jedoch gar nicht auf den Inhalt eingegangen und kein Bezug
zur industriellen Tierhaltung hergestellt. Bewusstes Weglassen, da mittlerweile wohl kaum noch
jemand glaubt, dass diese Bilder nicht echt und systematisch für die industrielle Tierhaltung sind.
Stattdessen gefordert, das «Eindringen» in Ställe und das Erstellen der Aufnahmen zu erschweren.
Orientieren kann man sich hier unter anderem an Österreich und den USA.
«Der Verdacht, dass es sich bei diesen Rechtstexten um ‹Ag-Gags› handeln könnte, ist nicht von
der Hand zu weisen» 35
In Österreich gibt es seit 2015 in zwei Bundesländern ein «Stallbetretungsverbot». Als «präventive
Maßnahme, um die Tiergesundheit aufrechtzuerhalten», hieß es damals aus dem
Landwirtschaftsministerium. «Präventiv» auch deswegen, da Krankheitsübertragungen durch
unbefugte «Stallbetretungen» bis dahin gar nicht bekannt waren. 36 Wer in Oberösterreich
«unbefugt fremde Stallungen betritt, verunreinigt oder beschädigt», ist seitdem mit einer
Geldstrafe von bis zu 1.000 € zu bestrafen. 37 In Niederösterreich wird die selbe
«Verwaltungsübertretung» mit bis zu 1.500 € geahndet. 38
Die neue österreichische Regierung strebt in ihrem Regierungsprogramm, aus dem Dezember
2017, auch auf Landesebene härtere Strafen an. Im Programm heißt es auf Seite 44, unter der
Überschrift «Reformen im Strafrecht»: «Ausweitung des Schutzes auf Eigentum und Hausrecht
insbesondere auch gegen das illegale Eindringen in Stallungen». 39 Stallrecherchen gelten in
Österreich (noch) nicht als Hausfriedensbruch, sondern als Besitzstörung – die weniger hart
geahndet wird. Es ist also möglich, dass die österreichische Regierung hier vom deutschen
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https://derstandard.at/2000021681783/Tierschuetzer-werden-per-Gesetz-aus-Staellen-ausgesperrtebd.
https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LROO&Gesetzesnummer=10000664https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LrNO&Gesetzesnummer=20000609https://www.bundeskanzleramt.gv.at/documents/131008/569203/Regierungsprogramm_2017%e2%80%932022.pdf/b2fe3f65-5a04-47b6-913d-2fe512ff4ce6
8Strafgesetzbuch abschreiben möchte. Während die deutsche Regierung im Sonder-Rechts-Status
von Ställen nachzieht.
Noch eine weitere Reform könnte Menschen adressieren, die unerlaubt in Ställen recherchieren:
«Absolutes Beweisverwertungsverbot bei rechtskräftig festgestellter Rechtswidrigkeit einer
Ermittlungsmaßnahme im konkreten Strafverfahren und in anderen Verfahren; zwingende
Vernichtung sämtlicher solcherart erlangter Ermittlungsergebnisse und Verbot jeglicher
Auswertung.» 40 Vermutlich wird den Filmenden nicht zugestanden, dass sie selbst
Ermittlungsmaßnahmen durchführen, aber so könnte verhindert werden, dass ihre Bilder – und
natürliche auch Bilder anderer investigativer Recherchen – in einem Strafverfahren verwendet
werden.
Hier wiederum können Gesetze aus den USA als Inspiration dienen. Die sogenannten «ag-gag»-
laws (übersetzt in etwa Agrar-Maulkorb-Gesetze) werden seit einigen Jahren gezielt in
verschiedenen US-Bundesstaaten verabschiedet – sofern sie nicht von Aktivist*innen oder
Gerichten verhindert werden. 41 Vorangetrieben durch die Agrarindustrie und konservative
Gesetzes-Think-Tanks 42 kriminalisieren die Gesetze «Whistleblower» durch die Illegalisierung von
Stallbetretungen, Undercover-Aufnahmen und davon, sich für Recherchezwecke zum Beispiel in
einer Tiermast oder einem Schlachthof anstellen zu lassen. Teilweise verpflichten diese Gesetze
unter Strafe dazu, festgehaltene Tierschutzverstöße innerhalb von 24 oder 48 Stunden zu melden
und das Bildmaterial an die Ermittlungsbehörden zu übergeben. Ein Problem für die
Recherchierenden in den USA, da dort häufig über mehrere Wochen in einzelnen Betrieben
recherchiert wird. Wenn also Günter Wallraff in den USA im falschen Bundesstaat eine
investigative Recherche durchführen würde, hätte er mit teils hohen Geld- bis Gefängnisstrafen zu
rechnen. Zumindest wenn er in einen Stall ginge, statt in einen McDonald's.
2016 kam eine Studie in den USA zudem zum Ergebnis, dass, wenn Menschen von solchen
Gesetzesverschärfungen erfahren, ihr Vertrauen in Landwirt*innen und ihre Akzeptanz der
aktuellen Tierhaltungsbedingungen sinkt. 64% der Befragten sprachen sich gegen die sogenannten
«ag-gag»-Gesetze aus. 43 Eigentlich will man die Aktivist*innen mit den Gesetzen stoppen, sagt der
Autor der Studie in einem Interview, aber tatsächlich verschlechtert sich die gesellschaftliche
Wahrnehmung der Tierhaltung durch diese Maßnahmen. 44
«Obwohl vielfach illegal, sehen die meisten Bürger Undercover-Videos als legitim an.»
Im Mai 2017 lud die Universität Göttingen zu einer Diskussionsveranstaltung mit dem Titel
«Stalleinbrüche und Undercover-Videos: Organisierte Kriminalität oder legitimer Tierschutz?» 45
Diese Veranstaltung wurde von der Agrarpresse zwar aufgegriffen 46 , jedoch nicht die
repräsentative Umfrage, die Achim Spiller und Maureen Schulze dort präsentierten. Deren
Ergebnis lautete: «Das Ziel der Dokumentation und Verbreitung von Informationen durch das
Filmen der Haltungsbedingungen von Tieren (im Labor, Zirkus, Maststall) wird [...] positiv bewertet.
40 ebd.
41 American Society for the Prevention of Cruelty to Animals, 2017.
https://www.aspca.org/animal-protection/public-policy/what-ag-gag-legislation
42
https://www.sourcewatch.org/index.php/Ag-gag_laws#Ties_to_the_American_Legislative_Exchange_Council43 Robbins, Franks, Weary, von Keyserlingk, Awareness of ag-gag laws erodes trust in farmers and increases support
for animal welfare regulations, 09.03.2016.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S030691921630004544
https://modernfarmer.com/2016/03/ag-gag-laws-erode-trust-farmers/45
https://www.uni-goettingen.de/de/563159.html46 Insbesondere der Beitrag eines Landwirtes, der von emotionaler Belastung durch Stallrecherchen berichtete.
9Die Überschreitung des geltenden Rechts scheint hier für Bürger_innen und Aktivist_innen
vergleichsweise legitim.» 70% der befragten «Verbraucher» standen dem Filmen von
Haltungsbedingungen positiv gegenüber. 47 Auch eine ältere US-amerikanische Umfrage aus 2012
kam zu fast deckungsgleichen Ergebnissen: «Seventy-one percent of Americans support
undercover investigative efforts to expose farm animal abuse on industrial farms [...] Accordingly,
almost two in three (64%) American adults oppose making undercover investigations of animal
abuse on industrial farms illegal.» 48 Die 64% decken sich auch mit der oben erwähnten Umfrage
aus 2016.
«Strafrechtsreform der GroKo auf Abwegen» 49
Prof. Dr. Henning Ernst Müller von der Universität Regensburg kommentiert in der beck.community
die mögliche Strafrechtsverschärfung durch die große Koalition: «Normgenetisch betrachtet wäre
die im Koalitionsvertrag vereinbarte Regelung ein Musterbeispiel für eine Strafrechtskodifikation,
die an den Interessen der Gesamtbevölkerung vorbei geht. Es geht hier nicht darum, ein Verhalten
zu kriminalisieren, das in der Gesellschaft allgemein verpönt ist, die Ordnung und Sicherheit
übermäßig gefährdet oder auf moralisch-ethische schwere Bedenken der Mehrheit stößt und
deshalb die Ultima-Ratio-Wirkung des Strafrechts auslösen soll. Es geht auch nicht darum, dass
nach einer intensiven öffentlichen Diskussion und transparenten Beratung im Bundestag ein
umstrittener Bereich mit der Bundestagsmehrheit strafrechtlich geregelt wird (wie etwa beim
Schwangerschaftsabbruch, bei der Sterbehilfe oder beim Sexualstrafrecht). Hier geht es darum,
dass eine Gruppe von Interessenten die Verabredung eines Sonderstrafrechts für die von ihr
vertretenen Landwirte bereits außerhalb und vor Beginn der normalen Parlaments- und
Regierungsarbeit durchgesetzt hat. Das ist geradezu ein Triumph dieser Lobby, der auf „normalem“
Weg kaum erreicht werden konnte.» 50
Greenpeace bezeichnet das Koalitions-Ziel der effektiveren Ahndung etwas prägnanter als
«absonderliche Forderung angesichts der Tatsache, dass eine Vielzahl von illegalen
Nutztierhaltungen erst durch Filmaufnahmen aus Ställen bekannt und geahndet wurden». 51
«Wann versteht der Staat?» fragt die Bauernzeitung 52
Die Zahl der getöteten Tiere in Deutschland ist und bleibt trotz minimaler Rückgänge gigantisch,
die Fleischindustrie ist stolz auf ihre jährliche Gewinnmaximierung (z. B. Vion und
PHW/Wiesenhof). Die großen Konzerne wachsen (gerne auch im «Veggie-Fleisch»-Sektor), kleine
tierhaltende Betriebe bangen dagegen um jede minimale Preisschwankung bzw. gehen zu
Tausenden ein. Eine vorbildliche kapitalistische Maschine – mit ihren absehbaren zerstörerischen
Auswirkungen. Dennoch beklagt die Industrie gerne andere Probleme: Bauernkindermobbing,
Imageverlust, Wirtschaftsschäden, traumatisierte Landwirt*innen, Höfesterben (also die, die
47 Liebe, Jahnke, Heitholt, Bevölkerungsbefragung zu Tier-Mensch-Beziehungen und Videos, 2017.
https://www.uni-goettingen.de/de/document/download/32552d10ec9232d21df3e0c5b4c03076.pdf/Spiller_Schulze_Ohne
Bilder.pdf
48 Lake Research Partners, Februar 2012.
https://www.aspca.org/sites/default/files/public_memo_aspca_farm_animal_research_ag_gag.pdf49 Müller, Henning, 6.03.2018.
https://community.beck.de/2018/03/06/strafrechtsreform-der-groko-auf-abwegen-stalleinbruch-als-sondertatbestand
50 ebd.
51 Greenpeace, Analyse des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD, 07.02.2018, S. 13.
https://www.greenpeace.de/presse/publikationen/kritische-kommentierung-groko52
https://www.bauernzeitung.de/agrarticker-ost/ueberregional/naumburger-urteil-zu-stalleinbruechen/10wegen der «Tierschutzpropaganda» aufgeben) oder gar das Ende des Rechtsstaates. Nicht der
Kapitalismus, nicht der Wachstumszwang, nicht die massive Konkurrenz, nicht die Abhängigkeit
von oligopolen Konzernen, von nicht-erneuerbaren Energieträgern und umweltschädlichen
Produktionsmittel sind schuld, nein, die «Tierschützer» sind es. 53 Dieser Logik folgend müssen die
«Tierschützer» bestraft werden.
«Wir wollen einen Straftatbestand bei Stalleinbrüchen», sagte Julia Klöckner kurz vor Beginn der
Koalitionsverhandlungen. «Stalleinbrüche müssen [...] konsequenter und schärfer strafrechtlich
geahndet werden», prophezeite der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes bereits im
August 2017. 54 Mit einer sehr ähnlichen Formulierung ist dies nun zum Regierungsziel geworden.
Auch wenn es im ersten Entwurf des Koalitionsvertrages für die Presse noch erklärend hieß, dass
Ziel-Formulierungen mit «wollen» grundsätzlich nicht prioritär seien («Wir wollen Einbrüche in
Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden.»). «Balsam für die Seele der Bauern» nennt die
Interessengemeinschaft der Schweinehalter (ISN) das Ziel im Koalitionsvertrag. Mehr als das und
eine Drohung für die Menschen, die investigative Recherchen durchführen, ist es wahrscheinlich
erst einmal nicht.
Für die Regierung keine Priorität. Rechtlich fragwürdig. Investigative Recherchen würden
wahrscheinlich auch nicht durch eine nachträgliche «effektive Ahndung» verhindert. Vermutlich
würde sogar der Ruf der Tierhaltungsindustrie und der Landwirtschaft insgesamt Schaden dadurch
nehmen. Alles heiße Luft also, kein Grund ein großes Fass aufzumachen? Jein.
Zahnlos ist sie wahrscheinlich, die hier umfassend besprochene Zeile 4014 aus dem
Koalitionsvertrag. Bemerkenswert bleiben jedoch die Propaganda, von der sie begleitet wurde; die
verschwommenen Grenzen zwischen Politik und Agrarlobby; das Auftauchen im Koalitionsvertrag,
ohne vorherige Erwähnung im Wahlkampf und ohne Bezug auf ein gesellschaftliches Interesse; die
gemeinsame Front aus Agrarlobby und Tierindustrie, die Tierrechtler- und Tierbefreier*innen mit
unterkomplexen Argumenten zu ihrem «Hauptfeind» stilisiert.
Erst vor wenigen Tagen, am 10.04.2018, gab es einen weiteren «Rückschlag» für die Agrarseite.
Der Bundesgerichtshof hält es für angemessen, unerlaubt in Ställen gefilmte Bilder zu
veröffentlichen, auch wenn diese keine illegalen Verstöße zeigen. 55 Wegen des gesellschaftlichen
Interesses. Trotzdem oder gerade deswegen ist zu vermuten (besonders bei der aktuellen
politischen Lage), dass weiter versucht wird, vor allem gegen Tierrechtsaktive vorzugehen – gleich
wie die öffentliche Meinung lautet. Eine selten genanntes, aber für die Agrarseite immens
wichtiges Ziel ist durch das Urteil des Bundesgerichtshofs noch unwahrscheinlicher geworden: zu
verhindern, dass investigative Aufnahmen aus Tieranlagen überhaupt an die Öffentlichkeit
gelangen. 56 Dass dafür schon fertig geschriebene Gesetzesvorlagen in Schubladen liegen scheint
jedoch sicher. Wie es sicher scheint, dass die (aktuelle) deutsche Regierung besonders offen für
«Vorschläge» der Agrarlobby ist. Wir müssen also darauf achten, wie es weitergeht.
Die hier gesammelten Argumente sollen bei zukünftigen Argumentationen helfen.
53 Zu viele staatliche Eingriffe sind für Konzerne natürlich auch ein Problem und an denen sind die «Tierschützer»
sogar sehr wahrscheinlich mit schuld, argumentiert wird damit jedoch nicht.
54
http://www.bauernverband.de/kruesken-stalleinbrueche-rechtlich-aechten55
https://www.tagesschau.de/inland/bgh-filmaufnahmen-huehnerstaelle-101.html56 So gibt z. B. die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands zu bedenken: «Am Ende wird es aber
entscheidender sein, ob man die Persönlichkeitsrechte der Tierhalter – insbesondere auch bei der Verbreitung von
Bildmaterial und Anfeindungen im digitalen Raum – besser schützen kann.»
https://www.schweine.net/news/berliner-koalitionsvertrag-schweinehaltung.html11
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