http://www.rki.de/cln_011/nn_226734/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2005/13__05,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/13_05Teilzitat:
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1. April 2005 Epidemiologisches Bulletin Nr. 13 Robert Koch-Institut 113
Das Ziel die Masern zu eliminieren, ist in Deutschland noch immer nicht erreicht. Auch wenn die Masern-Inzidenz seit 2001 abgenommen hat und im vergangenen Jahr keine größeren Ausbrüche zu verzeichnen waren, befindet sich Deutschland lediglich im Stadium II (Eindämmung der Masern) der Masernbekämpfung nach der Definition der WHO.
Das bedeutet, dass dem Erkennen von Erkrankungen und der Bekämpfung von Ausbrüchen weiterhin höchste Aufmerksamkeit gelten muss. Wesentliche Maßnahmen sind das möglichst rasche Erfassen und labordiagnostische Sichern von Erkrankungen und das Aufklären von Zusammenhängen. Der Austausch von Beobachtungen und Erfahrungen ist gerade bei dieser Krankheit, um deren Eliminierung und endgültige Ausrottung es geht, von besonderer Bedeutung.
Hier werden aktuelle Beobachtungen aus Hessen mitgeteilt: In Hessen wurden seit Beginn des Jahres 2005 mit Stand vom 29.3.05 insgesamt 173 Fälle von Masernerkrankungen überwiegend bei Kindern, aber auch bei Jugendlichen und Erwachsenen gemeldet
(<5 Jahre: 65 Fälle;
5-9 Jahre: 47 Fälle;
10-14 Jahre: 32 Fälle;
15-19 Jahre: 11 Fälle;
20 Jahre und älter: 18 Fälle).
Davon mussten 20 Erkrankte wegen Komplikationen oder schwerer Verläufe stationär behandelt werden (11,5%).
Von den 173 Erkrankten waren 161 nicht geimpft und bei 7 Personen konnte der Impfstatus bisher nicht ermittelt werden. 25,4 % der Fälle waren durch Laborbefund gesichert.
Ende des Jahres 2004 bis Anfang 2005 kam es zu einer Häufung in der Stadt Offenbach und in Frankfurt am Main (s. a. Epid. Bull. 4/2005). Dieses Ausbruchsgeschehen scheint weitgehend beendet.
Aus diesen Kreisen werden nur noch Einzelfälle gemeldet.
In den vergangenen Wochen wurden aber vermehrt Fälle aus den Landkreisen (LK) Wetterau und Gießen gemeldet (s. Abb. 1). Im LK Wetterau erkrankten wie bei den Ausbrüchen in Offenbach und Frankfurt fast ausschließlich ungeimpfte Personen. Ein Zusammenhang zu den dort betroffenen Personenkreisen konnte nicht ermittelt werden.
Im LK Wetterau kam es zu einem Masern-bedingten Todesfall bei einer 14-jährigen Jugendlichen mit Down-Syndrom (s. Beitrag S. 113f).
In Gießen waren zunächst keine Zusammenhänge zwischen den Einzelfällen und Familienherden sowie mit den Ausbrüchen in den anderen Kreisen erkennbar, später konnte jedoch eine Erkrankung dem Geschehen im Wetteraukreis zugeordnet werden.
Daneben gab es einen Ausbruch in einem Kindergarten.
In allen Kreisen war auffällig, dass sich Ausbrüche meist erst im Nachhinein durch intensive Recherchen seitens der Gesundheitsämter erkennen ließen.
Die Fallmeldungen erfolgten zumeist spät (eine Woche oder länger nach Erkrankungsbeginn) und sporadisch. Dadurch war eine zeitige Intervention nicht mehr möglich. Zumindest die erste Erkrankungswelle war bereits abgelaufen.
Für das hessische Maserngeschehen ist der Genotyp bisher nicht bekannt.
Für diesen aktuellen Situationsbericht aus dem Hessischen Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen danken wir Herrn Dr. H. Uphoff (E-Mail: H.Uphoff@suah-ldk.hessen.de) und Frau Dr. A. Hauri.
Zum Auftreten von Masern in Hessen im bisherigen Verlauf des Jahres 2005 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Abb. 1: Gemeldete Masern in Hessen nach Erkrankungsdatum und Kreis (nur Fälle mit Angabe des Erkrankungsdatums), 53. KW 04 bis 12. KW 05 (n=145)
Masern: Bericht über eine Erkrankung mit tödlichem AusgangIn einem hessischen Landkreis erkrankte am 17.2.2005 ein 14-jähriges Mädchen, bei dem ein Down-Syndrom vorlag, mit Fieber, Husten und Mattigkeitsgefühl. Die konsultierte Hausärztin verordnete Paracetamol.
Da das Fieber weiter anstieg und der Husten zunahm, erfolgte am 22.2. die Behandlung mit einem Penizillin-Präparat. Das Mädchen wurde zunehmend apathisch und starb am Abend des 23.2. Wiederbelebungsversuche durch den sofort hinzugezogenen Notarzt waren erfolglos. Wegen der im Leichenschauschein attestierten unklaren Todesursache erfolgte am 25.2. eine staatsanwaltlich angeordnete Obduktion. Hiernach wurde laut Obduktionsschein eine fragliche Arzneimittelallergie bei schwerer Tracheobronchitis angenommen. Am 4.3. wurde das Mädchen bestattet.
Am 3.3. bekam das Gesundheitsamt im Rahmen seiner Ermittlungen in einem Masernfall von einer Schulsekretärin den Hinweis, dass mehrere Masern-Verdachtsfälle in der Schule bekannt seien. Von keinem der insgesamt acht Verdachtsfälle, die namentlich gemeldet wurden, gab es bisher eine ärztliche Meldung.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren bereits über 20 Masernfälle im Kreisgebiet dem Gesundheitsamt gemeldet worden. Im Rahmen der sofort aufgenommenen Ermittlungen kam von der Schule auch der Hinweis auf eine zwei Wochen vorher gestorbene Schülerin, über deren Krankheit aber nichts bekannt war.
Nach Einsichtnahme in Leichenschauschein und Obduktionsschein und eingehender Befragung der Mutter des verstorbenen Mädchens und eines Rechtsmediziners durch das Gesundheitsamt ergab sich folgender Sachverhalt:
Das Mädchen war wegen des Down-Syndroms nicht gegen Masern geimpft worden.
Allerdings war auch bei den jüngeren, nicht behinderten Geschwistern eine Impfung unterblieben.
Bereits am 22.2 und noch vor der ersten Gabe eines Antibiotikums war ein fleckiger Ausschlag im Gesicht aufgetreten.
Der Kriminalbeamtin, die wegen der unklaren Todesursache hinzugezogen worden war, waren bei Inspektion der Mundhöhle merkwürdige weiße Flecken aufgefallen, die sie veranlassten, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Diese ordnete eine Obduktion an. Die in der Rechtsmedizin getroffenen Feststellungen wurden zunächst nicht mit einer Masernerkrankung in Zusammenhang gebracht.
Erst der Hinweis des Gesundheitsamtes auf eitrige Tracheobronchitis und hämorrhagisches Exanthem als in der Literatur beschriebene Masern-bedingte Komplikationen führte zu einer neuen Einschätzung. Eine Inspektion der Mundhöhle, die die für Masern pathognomonischen Veränderungen (Kopliksche Flecken) gezeigt hätte, war unterblieben.
Am 8.3. teilte die Mutter dem Gesundheitsamt mit, dass die beiden jüngeren Geschwisterkinder mit typischen Masernsymptomen in ein Krankenhaus eingewiesen würden. Eine Nachfrage im Krankenhaus bestätigte den Masernverdacht. Somit waren sowohl klinisch wie auch epidemiologisch die Masern bei dem verstorbenen Mädchen bestätigt.
Durch Vermittlung des Hessischen Landesuntersuchungsamtes in Dillenburg gelang es, eine asservierte Blutprobe aus der Rechtsmedizin zu erhalten und an das NRZ für Masern, Mumps, Röteln am RKI zu schicken.
Dort wurden Masern-IgM-Antikörper und der Masernvirus mit der PCR nachgewiesen, so dass die Diagnose nun auch labordiagnostisch gesichert ist (ebenso bei den Geschwistern).
Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass die Hausärztin, der Notarzt und die Rechtsmedizin die Maserninfektion nicht erkannt haben.
Eher haben Zufälle wie die aufmerksame Kriminalbeamtin und die beiläufige Bemerkung einer Schulsekretärin das Gesundheitsamt auf die richtige Spur gebracht.
Spürsinn, Hartnäckigkeit, Fachwissen und ein wenig Intuition waren letztendlich ausschlaggebend dafür, dass ein tragischer Todesfall von der Öffentlichkeit als dringende Mahnung wahrgenommen werden konnte, bestehende Impflücken zu schließen!
Für diesen Fallbericht danken wir Herrn Dr. Jörg Bremer, Gesundheitsamt des Wetteraukreises in Friedberg (E-Mail: Joerg.Bremer@wetteraukreis.de).
Dank richtet sich auch an den Gesundheitsaufseher Richard Eberhard, der den Hinweis aus der Schule ernst nahm und damit die Ermittlungen auslöste.
Ein ausdrücklicher Dank gilt den Eltern des gestorbenen Mädchens, die das Gesundheitsamt sehr unterstützt haben und einer Veröffentlichung auch unter dem Aspekt, konsequenteres Impfen zu fördern, zugestimmt haben.
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