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Author Topic: Arzneimittelrückstände in Trinkwasser  (Read 1538 times)

Krik

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Arzneimittelrückstände in Trinkwasser
« on: January 16, 2020, 05:13:27 AM »

[*quote*]
16.01.2020
Arzneimittelrückstände in Trinkwasser

Berlin (hib/LBR) – Im Auftrag des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) seinen Bericht über Arzneimittelrückstände in Trinkwasser und Gewässern (19/16430)
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/164/1916430.pdf
vorgelegt. Hintergrund ist der seit Jahren zunehmende Verbrauch von Arzneimitteln. Ausgeschieden gelangen diese, stark verdünnt, wieder in Grundwasser und Gewässer. Dort bauen sich manche der Stoffe nur langsam ab, „können in der Umwelt akkumulieren“ und über den Nahrungskreislauf oder das Trinkwasser wieder in den Körper gelangen, heißt es in dem Bericht.

Es gebe „noch große Wissenslücken über Vorkommen und Wirkungen von Arzneimittelrückständen in der Umwelt“, heißt es im Vorwort. Ein flächendeckendes Monitoring der Mikroverunreinigungen im Wasser und deren Wirkungen fehle. Beim Genuss von Trinkwasser sei derzeit nichts zu befürchten, aber aus Laborversuchen und ersten Felduntersuchungen gebe es „interpretationsbedürftige Hinweise, dass Gewässerökosysteme durch Arzneimittelrückstände in Kombination mit anderen Mikroverunreinigungen beeinträchtigt werden“ können.

Der Bericht sei eine Bestandsaufnahme zu Mengen, Konzentrationen und Trends von Arzneimittelreststoffen im Wasser sowie zu vorhandenen Hinweisen, Indizien und Evidenzen für negative Wirkungen. Auch beinhalte er Kapitel zu den Auswirkungen auf die Gesundheit und Umwelt sowie zum Vorsorgeprinzip und gesellschaftlichen Zielkonflikten zwischen Gesundheit, Tierwohl und Umweltschutz. Abschließend behandelt werden die Themen Strategien und Maßnahmen zur Verringerung der Risiken durch Arzneimittelrückstände ohne das bestehende Niveau des Gesundheitsschutzes abzusenken.

Zentrale Erkenntnisse seien, dass insgesamt deutlich mehr Human- als Tierarzneimittel verbraucht werden. Jedoch sei in Bezug auf Tierarzneimittel die Datenlage unzureichend, heißt es im Bericht. In Böden, Oberflächengewässern und insbesondere in Kläranlagenabflüssen seien Arzneimittelrückstände in Konzentrationen von bis zu 10 µg/l, in Einzelfällen aber auch deutlich darüber gefunden worden. In einem Kläranlagenzulauf sei der Spitzenwert von 492 µg/l für das Schmerzmittel Paracetamol gemessen worden. In den Oberflächengewässern, in die Kläranlagen einleiten, finde sich meist eine um mindestens die Hälfte verringerte Konzentrationen. In einigen Regionen, wie dem hessischen Ried und in Teilen Berlins bestehe Handlungsbedarf, weil Grenzwerte überschritten wurden.
In Bezug auf die Auswirkungen gebe es „aktuell keine Hinweise für eine akute oder chronische Gesundheitsgefährdung“ von Menschen durch Arzneistoffe im Trinkwasser. Tendenziell könnten Mikroverunreinigungen durch Arzneimittelrückstände zunehmen, sodass eine besondere Wachsamkeit bei Risikogruppen wie ungeborenem Leben, Kleinkindern, Heranwachsenden sowie älteren Menschen geboten sei. In Oberflächengewässern fänden sich deutlich höhere Konzentrationen von Arzneimittelrückständen als im Trinkwasser. 33 Prozent der Humanarzneistoffe und 45 Prozent der Tierarzneimittel besäßen eine hohe Ökotoxizität. Mögliche Schäden seien beispielsweise Beeinträchtigungen des Stoffwechsels, der Fortpflanzungsfähigkeit und des Wachstums, aber auch Verhaltensänderungen und im Extremfall der Tod von Organismen. Dadurch, dass die Gefährdungsabschätzung für tierische Organismen und Lebensgemeinschaften mit computergestützten Modellen geschehe, seien diese jedoch „mit Unsicherheiten behaftet“, heißt es in dem Bericht weiter.
[*/quote*]

mehr:
http://www.animal-health-online.de/gross/2020/01/16/arzneimittelrueckstaende-in-trinkwasser/33955/




http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/164/1916430.pdf

[*quote*]
Deutscher Bundestag
Drucksache 19/ 16430
19. Wahlperiode
09.01.2020
des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)
gemäß § 56a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung (TA)
Arzneimittelrückstände in Trinkwasser und Gewässern
Inhaltsverzeichnis
Seite
Vorwort des Ausschusses ............................................................................ 5
Zusammenfassung ........................................................................................ 9
1 Einleitung ......................................................................................... 15
2 Mengenanalyse und Trends von Pharmakarückständen
in Gewässern in Deutschland ......................................................... 19
2.1 Verbrauchsmengen von Human- und Tierarzneimitteln ................... 19
2.1.1 Humanarzneimittel ............................................................................ 19
2.1.2 Tierarzneimittel ................................................................................. 27
2.2 Die Eintragswege der Arzneistoffe in Oberflächengewässer
und ins Grundwasser ......................................................................... 32
Haupteintragspfade von Arzneimittelrückständen
in Gewässer ....................................................................................... 32
2.2.2 Humanarzneimittel ............................................................................ 33
2.2.3 Tierarzneimittel ................................................................................. 34
2.3 Nachweise von Arzneimitteln in Trinkwasser und Gewässern ......... 35
2.3.1 Humanarzneimittel ............................................................................ 35
2.3.2 Tierarzneimittel ................................................................................. 38
2.4 Fazit .................................................................................................. 39
3 Auswirkungen von Arzneimittelrückständen auf
Gesundheit und Umwelt ................................................................. 41
Methodische Ansätze zur Vorhersage und Bewertung
potenziell negativer Auswirkungen................................................... 41
2.2.1
3.1
Fa
BerichtDrucksache 19/ 16430
– 2 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Grundbegriffe der Toxikologie ......................................................... 41
3.1.2 Das PEC/PNEC-Risikobewertungskonzept ...................................... 43
3.1.3 Methoden zur Bewertung von Kombinationswirkungen .................. 45
3.2 Auswirkungen von Arzneimittelrückständen auf die
menschliche Gesundheit ................................................................... 47
3.2.1 Akute Gesundheitsgefährdungen durch Trinkwasser ....................... 47
3.2.2 Langzeit- und Niedrigdosiswirkungen .............................................. 48
3.2.3 Antibiotika und Antibiotikaresistenzen............................................. 48
3.2.4 Hormonelle Wirkungen .................................................................... 50
3.2.5 Schäden der Erbsubstanz oder von Embryonen
durch Zytostatika .............................................................................. 51
3.2.6 Neurotoxische Wirkungen ................................................................ 52
3.2.7 Kombinationswirkungen ................................................................... 52
3.3 Auswirkungen von Arzneimittelrückständen auf die Umwelt .......... 52
3.3.1 Akute Wirkungen .............................................................................. 53
3.3.2 Langzeit- und Niedrigdosiswirkungen .............................................. 54
3.3.3 Hormonelle Wirkungen .................................................................... 55
3.3.4 Neurotoxische Wirkungen ................................................................ 56
3.3.5 Umweltwirkungen von Zytostatika ................................................... 56
3.3.6 Kombinationswirkungen ................................................................... 57
3.4 Fazit .................................................................................................. 58
4 Das Vorsorgeprinzip: gesellschaftliche Zielkonflikte
zwischen Gesundheit, Tierwohl und Umweltschutz ..................... 61
4.1 Das Vorsorgeprinzip ......................................................................... 61
4.1.1 Handeln unter Unsicherheit und Nichtwissen ................................... 61
4.1.2 Vorsorgeprinzip, Nichtwissen und Evidenz ...................................... 63
4.1.3 Die Verankerung des Vorsorgeprinzips im Recht............................. 64
4.1.4 Schlussfolgerungen für das Problem der Arzneimittelrückstände
in Trinkwasser und Gewässern – Strategien zur Beschaffung von
Informationen .................................................................................... 65
4.2 Relevante Schutzgüter ...................................................................... 66
4.2.1 Menschliche Gesundheit ................................................................... 66
4.2.2 Tiergesundheit................................................................................... 67
4.2.3 Umwelt .............................................................................................. 67
4.2.4 Trinkwasser ....................................................................................... 68
4.2.5 Konflikte zwischen Schutzgütern ..................................................... 68
4.3 Der rechtliche Rahmen für die Zulassung und das Inver-
kehrbringen von Medikamenten ....................................................... 69
Bewertung und Berücksichtigung von Umweltrisiken –
Humanarzneimittel ............................................................................ 69
4.3.1
Fa
3.1.1Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Bewertung und Berücksichtigung von Umweltrisiken –
Tierarzneimittel ................................................................................. 70
4.3.3 Regelungen im Gewässer-, Grund- und Trinkwasserschutz ............. 72
4.4 Arzneimittelrückstände im Wasser im medialen Diskurs ................. 73
4.4.1 Entwicklung und Ton der Berichterstattung ..................................... 74
4.4.2 Inhalte der Berichterstattung ............................................................. 75
4.5 Fazit .................................................................................................. 77
5 Maßnahmen zur Verringerung der Risiken durch
Arzneimittelrückstände im Wasser ............................................... 79
Vorgehen bei der Beschreibung und der vergleichenden
Bewertung der Maßnahmen .............................................................. 79
5.2 Maßnahmen in der Wasserwirtschaft ................................................ 81
5.2.1 W1: Verbesserte kommunale Abwasserbehandlung durch eine
vierte Reinigungsstufe ...................................................................... 81
W2: Dezentrale Behandlung von Abwässern aus
Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen ................. 90
W3: Vermeidung der Einleitung von Rückständen aus der
Produktion von Arzneimitteln ........................................................... 91
W4: Regulierungen im Wasserrecht und verstärktes
Monitoring von Arzneistoffen in Grundwasser und
Gewässern ......................................................................................... 92
5.3 Maßnahmen im Gesundheitssystem .................................................. 94
5.3.1 G1: a) Berücksichtigung von Umweltrisiken bei der
Zulassung von Humanarzneimitteln und
b) Erweiterung des Pharmakovigilanzsystems um ein
umfassendes Umweltinformationssystem ......................................... 94
5.3.2 G2: Green Pharmacy – umweltfreundlichere Arzneimittel ............... 96
5.3.3 G3: Vermeidung von Arzneimittelbedarf durch
Gesundheitsförderung und Prävention .............................................. 98
G4: Sensibilisierung von Ärztinnen und Ärzten sowie
Patientinnen und Patienten für die Umweltwirkungen von
Arzneimittelrückständen ................................................................... 99
5.1
5.2.2
5.2.3
5.2.4
5.3.4
5.3.5 G5: Verschreibung angepasster Verbrauchsmengen ......................... 100
5.3.6 G6: Einführung eines Umweltklassifikationssystems für
Arzneistoffe und Medikamente ......................................................... 101
5.3.7 G7: Einheitlich geregelte, klar kommunizierte und sichere
Entsorgung von Altmedikamenten .................................................... 103
5.3.8 G8: Sammlung von Röntgenkontrastmitteln in
Urinsammelbehältern ........................................................................ 104
5.4 Maßnahmen in Landwirtschaft und Tierhaltung ............................... 106
5.4.1 L1: Einführung eines Systems zur Bestimmung
von Verbrauchsmengen .................................................................... 107
5.4.2 L2: Erweiterung des Pharmakovigilanzsystems für
Tierarzneimittel um ein umfassendes
Umweltinformationssystem .............................................................. 108
Fa
4.3.2
Drucksache 19/ 16430
– 3 –Drucksache 19/ 16430
– 4 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
L3: Aus- und Weiterbildungsangebote sowie
Informationskampagnen zu Umweltaspekten des Einsatzes
von Tierarzneimitteln ........................................................................ 109
5.4.4 L4: Weitere Maßnahmen zur Minderung der Einträge von
Tierarzneimitteln und zur Entlastung der Umwelt ............................ 110
6 Strategien zur Verringerung der Risiken durch
Arzneimittelrückstände .................................................................. 113
6.1 Vorsorgeprinzip und Handlungsbedarf – was ist heute schon
zu tun? ............................................................................................... 113
6.2 Der Zusammenhang von Arzneimittelrückständen und
weiteren Mikroverunreinigungen ...................................................... 114
6.3 Akteure der Maßnahmenumsetzung ................................................. 115
6.3.1 Staatliche Akteure ............................................................................. 115
6.3.2 Nichtstaatliche Akteure ..................................................................... 116
6.4 Maßnahmenkombinationen zur Reduktion und Vorbeugung
von Arzneistoffen in Trinkwasser, Grundwasser und
Gewässern ......................................................................................... 116
6.5 Finanzierung einer Strategie gegen Arzneimittelrückstände
und andere Mikroverunreinigungen im Wasser ................................ 119
6.6 Fazit .................................................................................................. 122
7 Literatur .......................................................................................... 123
7.1 In Auftrag gegebene Gutachten ........................................................ 123
7.2 Weitere Literatur ............................................................................... 123
8 Anhang ............................................................................................. 139
8.1 Abbildungen ...................................................................................... 139
8.2 Tabellen ............................................................................................ 139
Fa
5.4.3Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
– 5 –
Arzneimittel dienen der Gesundheit von Menschen und Tieren. Mit der alternden
Bevölkerung und erhöhtem Gesundheitsschutz nimmt ihr Verbrauch seit Jahren
zu. Die Arzneistoffe verbleiben aber nicht im Körper, sondern werden größten-
teils wieder ausgeschieden und gelangen so in Gewässer und ins Grundwasser.
Dort werden sie zwar stark verdünnt, aber manche Stoffe bauen sich nur langsam
ab und können in der Umwelt akkumulieren. Arzneistoffe sind in der Regel schon
in geringen Mengen wirksam, weshalb sich die Frage stellt, ob sie in Trinkwasser
und Gewässer negative Wirkungen entfalten.
Die Frage lässt sich im Moment nicht eindeutig beantworten, weil noch große
Wissenslücken über Vorkommen und Wirkungen von Arzneimittelrückständen in
der Umwelt und speziell im Wasser bestehen. Es gibt stichprobenhafte Untersu-
chungen und abgegrenzte Studien, aber kein flächendeckendes Monitoring der
Mikroverunreinigungen im Wasser und deren Wirkungen. Beim Genuss von
Trinkwasser ist derzeit nichts zu befürchten, aber aus Laborversuchen und ersten
Felduntersuchungen gibt es interpretationsbedürftige Hinweise, dass Gewäs-
serökosysteme durch Arzneimittelrückstände in Kombination mit anderen Mikro-
verunreinigungen beeinträchtigt werden können. Die Datenlage ist unübersicht-
lich.
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat daher
das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) mit
einer Untersuchung zu human- und tiermedizinischen Wirkstoffen in Trinkwasser
und Gewässern und den davon ausgehenden Risiken beauftragt. Betrachtet wer-
den sollten die verschiedenen Eintragspfade in Oberflächengewässer und ins
Grundwasser sowie die Sicherheit des Trinkwassers.
Der resultierende Bericht des TAB bietet eine Bestandsaufnahme zu Mengen,
Konzentrationen und Trends von Arzneimittelreststoffen im Wasser sowie zu vor-
handenen Hinweisen, Indizien und Evidenzen für negative Wirkungen auf Um-
welt und Gesundheit. Darüber hinaus wird analysiert, welche Maßnahmen zur
Verfügung stehen, um die Einträge von Arzneistoffen in Gewässer zu verringern,
ohne das bestehende hohe Niveau des Gesundheitsschutzes in Deutschland abzu-
senken. Es werden technische, informatorische, organisatorische und regulative
Handlungsoptionen im Gesundheitssektor, bei der Tierhaltung, in Landwirtschaft
und Haushalten sowie der Wasserwirtschaft gesichtet und beschrieben. Dabei
werden die rechtlichen Rahmenbedingungen in den Blick genommen sowie ge-
sellschaftliche Zielkonflikte und das Vorsorgeprinzip diskutiert.
Berlin, den 25. September 2019
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Vorsitzender
Stephan Albani
Berichterstatter René Röspel
Berichterstatter Dr. Michael Espendiller
Berichterstatter
Mario Brandenburg
Berichterstatter Ralph Lenkert
Berichterstatter Dr. Anna Christmann
Berichterstatterin
Fa
Vorwort des AusschussesFaDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 7 –
Drucksache 19/ 16430
unter Mitarbeit von
Christoph Aicher, Tanja Bratan,
Ulrike Eberle, Thomas Hillenbrand,
Klaus Kümmerer, Wolfgang Reuter,
Johannes Schiller, Nona Schulte-Römer,
Engelbert Schramm, Felix Tettenborn,
Carolin Völker, Anna Walz
Arzneimittelrückstände
in Trinkwasser und Gewässern
Endbericht zum TA-Projekt
TAB-Arbeitsbericht Nr. 183
Fa
Bernd KlauerDrucksache 19/ 16430
– 8 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Büro für Technikfolgen-Abschätzung
beim Deutschen Bundestag
Neue Schönhauser Straße 10
10178 Berlin
Tel.: +49 30 28491-0
buero@tab-beim-bundestag.de
www.tab-beim-bundestag.de
2019
Fa
Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) berät das Parlament und seine
Ausschüsse seit 1990 in Fragen des wissenschaftlich-technischen Wandels. Das TAB ist eine organisatorische
Einheit des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) im Karlsruher Institut für Tech-
nologie (KIT). Zur Erfüllung seiner Aufgaben kooperiert es seit September 2013 mit dem IZT – Institut für
Zukunftsstudien und Technologiebewertung gGmbH sowie der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH. Von
September 2013 bis August 2018 war das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ weiterer
Kooperationspartner.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 9 –
Drucksache 19/ 16430
Arzneimittel helfen Krankheiten zu heilen, Schmerzen zu lindern, das Wohlbefinden zu steigern und sind daher
in der Medizin unverzichtbar. Sie werden auch verwendet, um Krankheiten vorzubeugen oder zu diagnostizie-
ren oder um bei gesunden Menschen gewisse Körperfunktionen zu beeinflussen. Zu Arzneimitteln zählen somit
neben Schmerzmitteln, Antibiotika, Blutdrucksenkern etc. auch Röntgenkontrastmittel und andere Diagnostika,
Antibabypillen, Schlafmittel sowie sogenannte Lifestyledrugs wie Potenzmittel und Diätpillen.
Mit Medikamenten werden nicht nur Menschen, sondern auch Tiere behandelt. Tierarzneimittel dienen der
Vorsorge und Heilung von Krankheiten, aber beispielsweise auch der Abwehr von Parasiten.
Die den Menschen und Tieren verabreichten Medikamente verbleiben nur zu einem geringen Teil im Or-
ganismus. Ein Großteil der eingenommenen Wirkstoffe wird unverändert oder in Form von Stoffwechselpro-
dukten wieder ausgeschieden. Diese Substanzen gelangen in Böden und Gewässer, wo sie Organismen beein-
flussen können. Unter Umständen kommen sie über den Nahrungskreislauf oder das Trinkwasser wieder in den
Körper von Menschen. Die Analysemethoden erlauben es heute, bereits kleinste Mengen potenzieller Schad-
stoffe nachzuweisen. Wegen ihres Vorkommens in der aquatischen Umwelt im Konzentrationsbereich μg/l
werden Arzneimittelrückstände zur Gruppe der Spuren(schad)stoffe oder Mikroverunreinigungen gezählt, wie
auch viele weitere chemische Stoffe, die z. B. aus Bioziden, Pflanzenschutzmitteln, Industriechemikalien oder
Körperpflege- und Waschmitteln stammen.
In Politik und Gesellschaft wird zunehmend diskutiert, inwiefern Mikroverunreinigungen von Trinkwasser
und Gewässern durch Arzneimittel in Deutschland ein Problem darstellen. Dass das Thema zunehmend Bedeu-
tung und gesellschaftliche Aufmerksamkeit erlangt, lässt beispielsweise der vom Bundesumweltministerium
2016 initiierte mehrjährige Stakeholderdialog »Spurenstoffstrategie des Bundes« erkennen.
Auf Initiative und im Auftrag des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des
Deutschen Bundestages wurde der vorliegende Bericht erstellt, mit dem Ziel, einen Überblick über Mengen,
Qualitäten und Wirkungen der Mikroverunreinigungen auf Mensch und Umwelt zu geben. Es werden Vor-
schläge zur Vermeidung der Verunreinigungen zusammengetragen, Wissenslücken identifiziert und mögliche
Handlungsstrategien erörtert.
Mengen und Trends
In Deutschland werden Vorkommen und Konzentrationen pharmazeutischer Wirkstoffe in der Umwelt und ins-
besondere in Gewässern bislang nicht flächendeckend systematisch überwacht. Stichprobenuntersuchungen und
Schätzungen weisen aber auf einen Anstieg von Arzneimittelrückständen und anderen Mikroverunreinigungen
in Gewässern und im Trinkwasser hin. Um eine bessere Vorstellung von der Dimension des Problems der Arz-
neimittel in der Umwelt zu bekommen, werden im vorliegenden Bericht zunächst die Verbrauchsmengen an
Arzneimitteln betrachtet.
Nach verlässlichen Schätzungen des Umweltbundesamtes (UBA) wurden 2002 in Deutschland 6.200 t
Humanarzneimittelwirkstoffe verwendet, 2012 lag der Wert bereits bei 8.120 t, was eine Steigerung von 30 %
innerhalb von 10 Jahren bedeutet. Die Arzneimittel enthalten etwa 2.300 verschiedene Wirkstoffe, von denen
einige wenige einen besonders hohen Anteil haben: Die fünf Wirkstoffe Metformin, Ibuprofen, Metamizol,
Acetylsalicylsäure und Paracetamol machten 2012 zusammengenommen rund die Hälfte der insgesamt abge-
gebenen Menge an Arzneistoffen aus.
Insgesamt werden zwar deutlich mehr Human- als Tierarzneimittel verbraucht, aber auch im veterinärme-
dizinischen Bereich werden erhebliche Mengen umgesetzt. Beispielsweise wurden 2015 in Deutschland Nutz-
tiere mit 805 t Antibiotika behandelt. Auch wenn der Verbrauch von Antibiotika zur Behandlung von Tieren
seit einigen Jahren sinkt, ist es wichtig, dass die Umsetzung des seit 2006 bestehenden Verbots des Einsatzes
von Antibiotika zur Leistungssteigerung in der Tierhaltung hinsichtlich seiner Effizienz geprüft wird. 2014
wurden gesetzliche Maßnahmen ergriffen, die unter anderem die Überwachung des Antibiotikaeinsatzes in
landwirtschaftlichen Betrieben ermöglichen.
In Bezug auf Tierarzneimittel ist die Datenlage jedoch unzureichend, denn es werden nur die Abgaben von
Antibiotika und einigen anderen ausgewählten Wirkstoffen amtlich erfasst. Schätzungen des Gesamtverbrauchs
an Tierarzneimitteln bei Nutztieren sind nicht sehr zuverlässig, und aus dem Bereich der Heimtiere liegen auch
keine belastbaren Daten vor.
Arzneimittelrückstände aus der Human- und der Tiermedizin haben unterschiedliche Eintragspfade in die
Umwelt. Humanarzneimittelrückstände gelangen typischerweise über das Abwasser in Kläranlagen und, weil sie
Fa
ZusammenfassungDrucksache 19/ 16430
– 10 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt
Bei der Diskussion, ob Arzneistoffe im Wasser eine Gefährdung darstellen, sind die möglichen Auswirkungen
auf Menschen und ihre Gesundheit von denen auf andere Lebewesen zu unterscheiden. Es gibt aktuell keine
Hinweise für eine akute oder chronische Gesundheitsgefährdung von Menschen durch Arzneistoffe im Trink-
wasser. Dennoch ist die Thematik relevant, da Mikroverunreinigungen durch Arzneimittelrückstände tendenzi-
ell zunehmen werden und chronische Gesundheitsgefährdungen auch bei Exposition mit sehr geringen Kon-
zentrationen auftreten können. Besondere Wachsamkeit ist bei Risikogruppen wie dem ungeborenen Leben,
Kleinkindern, Heranwachsenden sowie älteren Menschen geboten. Funde von antibiotikaresistenten Keimen in
deutschen Gewässern lassen fragen, ob Rückstände von Antibiotika in Gewässern zur Entstehung und Verbrei-
tung von Resistenzen beitragen. Hier gibt es noch große Wissenslücken. Insgesamt empfiehlt sich, sowohl
Trinkwasser als auch Grundwasser und Oberflächengewässer regelmäßig auf Spurenstoffe zu untersuchen, um
festzustellen, in welchen Konzentrationen diese auftreten.
In Oberflächengewässern finden sich deutlich höhere Konzentrationen von Arzneimittelrückständen als
im Trinkwasser. Bei den Umweltwirkungen der Arzneimittelreststoffe in Gewässern ist also zu bedenken, dass
aquatische Organismen in der Regel höheren Expositionen ausgesetzt sind als Menschen und daher ungleich
stärker gefährdet sind; das gilt insbesondere für Organismen, die in Hotspots wie den Unterläufen von Kläran-
lagen leben. 33 % der Humanarzneistoffe und 45 % der Tierarzneimittel besitzen eine hohe Ökotoxizität. Mög-
liche Schäden sind beispielsweise Beeinträchtigungen des Stoffwechsels, der Fortpflanzungsfähigkeit und des
Wachstums, aber auch Verhaltensänderungen und im Extremfall der Tod von Organismen. Tatsächlich bergen
Antiparasitika, Antimykotika, Antibiotika, Zytostatika und hormonell wirksame Stoffe Umweltrisiken bei Kon-
zentrationen, die in der aquatischen Umwelt durchaus zu finden sind. Risikofaktoren sind neben der unmittelbar
toxischen Wirkung die Persistenz von Stoffen in der Umwelt und deren Akkumulation in Organismen. Chroni-
sche Wirkungen von Arzneistoffen auf Lebewesen sind schon bei Konzentrationen ab 1 ng/l beobachtbar und
damit mehrere Größenordnungen unterhalb der Konzentrationen, bei denen akute Wirkungen auftreten.
Solche Effektschwellen werden in Laborversuchen ermittelt. Dort können die Umweltbedingungen und
vor allem die Exposition genau kontrolliert und die Wirkungen genau erfasst werden, sodass zwischen ihnen
ein klarer Zusammenhang hergestellt werden kann. Um die Gefährdung abzuschätzen, die von Stoffen für tieri-
sche Organismen in der realen Umwelt ausgeht, muss von solchen Laborversuchen auf die Wirklichkeit hochge-
rechnet werden. Die Gefährdungsabschätzung für tierische Organismen und Lebensgemeinschaften geschieht in
der Regel mit computergestützten Modellen und ist mit Unsicherheiten behaftet. Es wurde neuerdings auch
schon in Feldversuchen beobachtet, dass Arzneimittelrückstände in Kombination mit anderen Mikroverunrei-
nigungen aquatische Lebensgemeinschaften beeinträchtigen. Dennoch sind die im Freiland bestehenden Um-
weltrisiken durch Arzneimittelrückstände zumeist noch unklar. Aufgrund der großen Stoffvielfalt und der kom-
plexen Wirkweisen von Stoffgemischen ist das Wissen über das Vorkommen von Arzneimittelrückständen in
der Umwelt und die Wirkungen auf aquatische Organismen immer noch lückenhaft.
Umgang mit gesellschaftlichen Zielkonflikten
Arzneimittel dienen der Gesundheit von Menschen und Tieren. Weil aber von den Arzneimittelrückständen in
Trinkwasser und Gewässern gewisse Gefahren ausgehen, kommt es zu einem Zielkonflikt zwischen dem Schutz
der Gesundheit von Mensch und Tier einerseits sowie dem Schutz von Umwelt und Trinkwasser andererseits.
Fa
dort nur teilweise eliminiert werden, in die Oberflächengewässer. Arzneimittelrückstände aus der Veterinärmedi-
zin kommen hingegen mit der Gülle und dem Dung aus Ställen oder bei Weidehaltung direkt auf Weiden, Wiesen
und Äcker. Von dort führt ihr Weg in Böden und Grundwasser oder in Oberflächengewässer. Durch den Wasser-
kreislauf sind die verschiedenen Umweltkompartimente miteinander verbunden. Dadurch werden die Wasser-
Arzneistoff-Gemische einerseits verdünnt, andererseits gelangen die Stoffe nach und nach auch an entlegene Orte.
In Böden, Oberflächengewässern und insbesondere in Kläranlagenabflüssen werden Arzneimittelrück-
stände in Konzentrationen von bis zu 10 μg/l, in Einzelfällen aber auch deutlich darüber gefunden. In einem
Kläranlagenzulauf wurde der Spitzenwert von 492 μg/l für das Schmerzmittel Paracetamol gemessen, das aber
in der Kläranlage größtenteils abgebaut wird. In den Oberflächengewässern, in die Kläranlagen einleiten, wer-
den die Stoffe dann in der Regel verdünnt, sodass sich die Konzentrationen meist um mindestens die Hälfte
verringern. Tierarzneimittelrückstände wurden in Oberflächengewässern nur vereinzelt nachgewiesen. Im Roh-
wasser von Wasserwerken sind die Konzentrationen von Arzneimittelrückständen zwar in der Regel sehr nied-
rig oder unterhalb der Nachweisgrenze. In einigen Regionen, wie etwa dem hessischen Ried und in Teilen von
Berlin, besteht allerdings Handlungsbedarf, weil Grenzwerte überschritten wurden.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 11 –
Drucksache 19/ 16430
Maßnahmen zur Verringerung der Risiken durch Arzneimittelrückstände im Wasser
Es gibt eine Reihe verschiedener Maßnahmen gegen Arzneimittelrückstände im Wasser, die den Bereichen
Wasserwirtschaft, Gesundheitssystem sowie Landwirtschaft und Tierhaltung zuzuordnen sind. Sie setzen an
unterschiedlichen Stellen der verschiedenen Eintragspfade an. Eine zentrale Rolle spielt in der Maßnahmendis-
kussion der Ausbau von Kläranlagen – insbesondere der Größenklassen 3 bis 5 – mit einer vierten Reinigungs-
stufe, weil sie den wichtigsten Eintragspfad für Humanarzneimittelrückstände effektiv abdeckt.
Mögliche Einzelmaßnahmen
Maßnahmen in der Wasserwirtschaft
W1:
W2:
W3:
W4:
Verbesserte kommunale Abwasserbehandlung durch eine vierte Reinigungsstufe
Dezentrale Behandlung von Abwässern aus Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen
Vermeidung der Einleitung von Rückständen aus der Produktion von Arzneimitteln
Regulierungen im Wasserrecht und verstärktes Monitoring von Arzneimitteln in Grundwasser und Ge-
wässern
Maßnahmen im Gesundheitssystem
G1:
G2:
G3:
G4:
a) Berücksichtigung von Umweltrisiken bei der Zulassung von Human¬arzneimitteln und b) Erweiterung
des Pharmakovigilanzsystems um ein umfassendes Umweltinformationssystem
Green Pharmacy – umweltfreundlichere Arzneimittel
Vermeidung von Arzneimittelbedarf durch Gesundheitsförderung und Prävention
Sensibilisierung von Ärztinnen, Ärzten, Patientinnen und Patienten für die Umweltwirkungen von Arz-
neimittelrückständen
Fa
Auch wenn die menschliche Gesundheit ein hohes Gut ist, das es unmittelbar zu schützen gilt, darf nicht über-
sehen werden, dass auch der Schutz des Trinkwassers und der Umwelt mittelbar dem Menschen und seiner
Gesundheit dienen. Es gilt Wege zu finden, durch die alle Schutzinteressen angemessen berücksichtigt werden
können.
Das Vorsorgeprinzip kann bei der Bewältigung des Zielkonfliktes Orientierung geben. Das Prinzip besagt
insbesondere, dass eine mangelnde wissenschaftliche Sicherheit über potenzielle Schäden nicht ein Unterlassen
oder Aufschieben von vorsorglichen Maßnahmen rechtfertigt. In Deutschland und Europa ist das Vorsorgeprin-
zip bereits fest im Arzneimittelrecht, im Umweltrecht, im Stoffrecht und in anderen Rechtsbereichen verankert.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die zusammengetragenen Hinweise auf Risiken durch Arznei-
mittelrückstände in Trinkwasser und Gewässern keinen wirklichen Anlass zur Sorge geben oder ob aus Gründen
der Vorsorge bereits konkreter Handlungsbedarf besteht. Diese Frage geht über die Bewertung des tatsächlichen
Gesundheits- und Umweltrisikos hinaus und ist letztendlich von gesamtgesellschaftlicher Tragweite.
Die Verhältnismäßigkeit konkreter Vorsorgemaßnahmen zur Verringerung von Arzneistoffen hängt – ne-
ben der Schadwirkung der Einträge – stark vom Wissensstand über die nichtintendierten Nebenfolgen der Hu-
man- und Tierarzneimittel und dem Vertrauen in dieses Wissen ab. Deshalb gehört zu einer umfassenden Stra-
tegie zum Umgang mit Arzneimittelrückständen auch die Beschaffung von mehr Informationen über die Ne-
benwirkungen von Human- und Tierarzneimitteln auf die Umwelt. Neben einer verstärkten Grundlagenfor-
schung zu den verschiedenen Umweltwirkungen von pharmazeutischen Wirkstoffen ist die systematische Be-
obachtung der Nebenwirkungen in der Umwelt, die sogenannten Ökopharmakovigilanz (lateinisch vigilantia –
Wachsamkeit, Fürsorge), eine mögliche Maßnahme im Rahmen einer umfassenden Strategie zur Verringerung
der Risiken durch Arzneimittelrückstände im Wasser.
Für den vorliegenden Bericht wurde auch die Berichterstattung in der deutschen Tagespresse analysiert.
Für den Umgang mit Arzneimittelrückständen ist der Mediendiskurs insofern relevant, als er die gesellschaftli-
che Problemwahrnehmung prägt und politische Lösungsansätze öffentlich vermittelt. Festzustellen ist, dass das
Thema der Arzneimittelrückstände in den Tageszeitungen gelegentlich behandelt, aber zumeist aus einer was-
serwirtschaftlich-technischen Perspektive beleuchtet wird. Berichtet wird beispielsweise über verbesserte
Abwasserreinigungstechniken oder lösungsorientierte Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Das Vorsor-
geprinzip wird vereinzelt als öffentliche Legitimation für innovative Maßnahmen im Abwasserbereich heran-
gezogen. Überregionale Resonanz erhielten im Februar 2018 Berichte über den Fund antibiotikaresistenter
Keime in deutschen Gewässern.Drucksache 19/ 16430
– 12 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Verschreibung angepasster Verbrauchsmengen
Einführung eines Umweltklassifikationssystems für Arzneistoffe und Medikamente
G7:
G8: Einheitlich geregelte, klar kommunizierte und sichere Entsorgung von Altmedikamenten
Sammlung von Röntgenkontrastmitteln in Urinsammelbehältern
Maßnahmen in Landwirtschaft und Tierhaltung
L1:
L2:
L3:
L4:
Einführung eines Systems zur Bestimmung von Verbrauchsmengen
Erweiterung des Pharmakovigilanzsystems um ein umfassendes Umweltinformationssystem
Aus- und Weiterbildungsangebote sowie Informationskampagnen zu Umweltaspekten des Einsatzes von
Tierarzneimitteln
Weitere Maßnahmen zur Minderung der Einträge von Tierarzneimitteln und zur Entlastung der Umwelt
Für den vorliegenden Bericht wurden folgende Maßnahmen aus den einzelnen Bereichen genauer betrachtet
und für sie jeweils ein Maßnahmensteckbrief erarbeitet, der die wichtigsten Informationen zu Wirkungen, Kos-
ten und Handlungsbedarf zusammenfasst.
Der Umfang der Informationen, die zu den einzelnen Maßnahmen verfügbar sind und für eine Beurteilung her-
angezogen werden können, ist sehr unterschiedlich und hängt nicht zuletzt vom Umsetzungsstatus und vom
Reifegrad der Maßnahmen ab. So gibt es beispielsweise zu der vierten Reinigungsstufe bereits eine Vielzahl
von Studien, Forschungsarbeiten und sogar praktische Erfahrungen aus dem Betrieb von großtechnischen An-
lagen. Erfahrungen zu anderen Maßnahmen existieren zum Teil auf regionaler Ebene wie auch im europäischen
Ausland. Die Beschreibung der Maßnahmen und die Steckbriefe bilden den Ausgangspunkt für Überlegungen
zu einer umfassenden Strategie zum Umgang mit Arzneimittelrückständen im Wasser.
Strategien zur Verringerung der Risiken durch Arzneimittelrückstände
Steigende Verbrauchsmengen von Arzneimitteln, wachsende Konzentrationen von Arzneimittelrückständen im
Wasser und sich verdichtende Hinweise auf schädliche Wirkungen sind Argumente dafür, nicht nur intensiver
und systematischer Informationen über die Rückstände und ihre Wirkungen zu sammeln, sondern auch zeitnahe
Minderungs- und Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen. Bei aller Unsicherheit darüber, was genau getan wer-
den sollte, wird eine sinnvolle Strategie sicherlich aus einer geeigneten Kombination verschiedener Maßnahmen
bestehen und sollte nicht auf die Frage reduziert werden, in welchem Umfang Kläranlagen mit einer vierten
Reinigungsstufe zu ergänzen sind. Ziel einer Gesamtstrategie muss es sein, die Einträge von Arzneimittelrück-
ständen aus unterschiedlichen Quellen zu vermindern, gleichzeitig aber auch die Wissensgrundlage zu verbes-
sern, das Verursacherprinzip zu stärken und die Akzeptanz der Maßnahmen zu fördern.
Die Entwicklung einer guten Gesamtstrategie für den Umgang mit Arzneimittelrückständen im Wasser ist
im Kern eine politische Aufgabe, die letztendlich im Rahmen eines demokratischen Entscheidungsprozesses
angegangen werden muss. Einige allgemeine Hinweise sollten dabei berücksichtigt werden:


Einbettung in Mikroschadstoffstrategie: Eine Strategie gegen Arzneimittelrückstände sollte in eine umfas-
sendere Mikroschadstoffstrategie eingebettet werden, unter anderem deshalb, weil Arzneimittelrückstände
nur eine Klasse unter vielen Mikroverunreinigungen sind und weil insbesondere die Aufrüstung kommu-
naler Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe eine wichtige Maßnahme ist, die gegen eine große
Bandbreite von Mikroverunreinigungen wirkt.
Umsetzung und Beteiligung: Grundsätzlich ist es eine Aufgabe des Staates, für den Problembereich Arz-
neimittelrückstände im Wasser Vorkehrungen zu treffen. Neben der EU setzt die Bundespolitik die wesent-
lichen rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen, insbesondere im Wasserrecht und im Arznei-
mittelrecht. Das Bundesumweltministerium hat bereits den Anstoß für eine »Spurenstoffstrategie« gegeben.
Wichtig wäre, dass dieser Impuls von den verschiedenen politischen Akteuren aufgegriffen, in rechtliche
Regelungen umgesetzt und durch geeignete administrative Maßnahmen begleitet wird. Darüber hinaus ist
eine breite Akzeptanz und, mehr noch, eine aktive Beteiligung möglichst vieler Akteure eine wichtige Vo-
raussetzung für das Gelingen einer Arzneimittelrückstände- und Mikroschadstoffstrategie. Angesprochen
sind insbesondere Unternehmen, Verbände, Krankenkassen, Tierärztinnen und -ärzte, Landwirtinnen und -
wirte sowie Konsumentinnen und Konsumenten.
Fa
G5:
G6:Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
Finanzierung: Die Umsetzung einer Strategie gegen Arzneimittelrückstände und andere Mikroverunreini-
gungen im Wasser kann je nach Umfang signifikante Kosten verursachen, während einzelne Maßnahmen
auch mit geringen Kosten umsetzbar erscheinen. Für die wichtige Maßnahme der vierten Reinigungsstufe
gibt es bereits Kostenschätzungen wie auch konkrete Finanzierungsvorschläge. Für viele der anderen dis-
kutierten Maßnahmen liegen hingegen noch nicht einmal grobe Kostenkalkulationen vor. Insofern ist es
derzeit auch nicht möglich, einigermaßen verlässliche Hochrechnungen für die Gesamtkosten der verschie-
denen Maßnahmenkombinationen zu geben. Das Beispiel der vierten Reinigungsstufe weckt aber die Hoff-
nung, dass auch andere aufwändige Maßnahmen finanziert werden können, wenn ein politischer Wille zur
Durchführung besteht und eine gewisse Offenheit und Kreativität bei der Wahl der Finanzierungsinstru-
mente an den Tag gelegt wird. Infrage kommt beispielsweise eine Refinanzierung der Maßnahmen über
allgemeine Haushaltsmittel, Gebühren, eine Abgabe auf Abwasser oder Arzneimittel.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Maßnahmen sinnvollerweise miteinander zu einer Strategie verknüpft
werden können. Im Bericht werden beispielhaft einige Maßnahmenkombinationen beschrieben, die unterschied-
liche Ambitionen bzw. unterschiedliche Grade der Vorsorge widerspiegeln.
Fa

– 13 –FaDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
Einleitung
Arzneimittel gelangen in die Umwelt
In der Medizin werden von alters her Arzneimittel1 eingesetzt, um Krankheiten zu heilen und um das
menschliche Wohlbefinden zu verbessern. Arzneimittel werden verwendet, um die Ursachen von Krankheiten
zu beheben, Schmerzen und andere Symptome zu lindern, aber auch um Krankheiten vorzubeugen, sie zu di-
agnostizieren oder um bei gesunden Menschen gewisse physiologische Funktionen zu beeinflussen.2 Zu Arz-
neimitteln zählen somit neben Schmerzmitteln, Antibiotika, Blutdrucksenkern etc. auch Röntgenkontrastmittel
und andere Diagnostika, Antibabypillen sowie sogenannte Lifestyledrugs, wie Potenzmittel und Diätpillen. Allein
2012 wurden in Deutschland 8.120 t Humanarzneistoffe verwendet. 2002 hatte der Wert noch bei 6.200 t gele-
gen. Innerhalb von 10 Jahren ist der Verbrauch also um 30 % gestiegen. Die Arzneimittel enthalten etwa 2.300
verschiedene Wirkstoffe (Ebert et al. 2014 mit Verweis auf IMS Health 2013). 3
Mit Medikamenten werden nicht nur Menschen, sondern auch Tiere behandelt. Sie dienen bei Tieren zur
Vorsorge und Behandlung von Krankheiten, aber auch zur Abwehr von Parasiten. Wie in der Humanmedizin
werden in der Veterinärmedizin erhebliche Mengen an Arzneimitteln eingesetzt. Beispielsweise wurden 2015
in Deutschland allein Nutztiere mit 805 t Antibiotika behandelt, 4 Menschen hingegen mit jährlich 500 bis 600 t
(Paul-Ehrlich-Gesellschaft 2014).
Die an Menschen und Tiere verabreichten Medikamente verbleiben nur zu einem geringen Teil im jewei-
ligen Organismus. Ein Großteil der eingenommenen Wirkstoffe wird unverändert (als sogenannte Muttersub-
stanz) oder in Form von Stoffwechselprodukten (Metaboliten) wieder ausgeschieden. Diese Substanzen gelan-
gen dann auf verschiedenen Wegen in die Umwelt und haben dort nicht selten Nebenwirkungen. Sie finden
ihren Weg in Böden und Gewässer, wo die Wirkstoffe Organismen beeinflussen können. Unter Umständen
kommen sie über den Nahrungskreislauf oder das Trinkwasser wieder in den Körper von Menschen und könnten
deren Gesundheit beeinträchtigen. Eventuelle Probleme könnten sich in Zukunft verschärfen, weil der Ver-
brauch an Pharmaka weiter zunimmt und sich einige Wirkstoffe über die Zeit in der Umwelt anreichern können.
Neue Analysemethoden erlauben es heute, bereits kleinste Mengen potenzieller Schadstoffe nachzuwei-
sen. Wegen ihres Vorkommens in der aquatischen Umwelt im Konzentrationsbereich μg/l werden Arzneimit-
telrückstände zur Gruppe der Spuren(schad)stoffe oder Mikroverunreinigungen (Micropollutants) gezählt, zu
denen allerdings auch noch viele weitere chemische Stoffe gehören, die z. B. aus Bioziden, Pflanzenschutzmit-
teln, Industriechemikalien oder Körperpflege- und Waschmitteln stammen (BMUB/UBA 2017). Über die ak-
tuelle Situation von Arzneimittelrückständen im Abwasser, in Böden und der Umwelt, über ihr Verhalten und
mögliche Wirkungen auf Mensch und Umwelt sowie über mögliche Maßnahmen zu ihrer Entfernung insbeson-
dere aus dem Abwasser wurden seit Mitte der 1990er Jahre mehr als 15.000 wissenschaftliche Artikel sowie
mehrere Bücher veröffentlicht (z. B. Heberer 2002, Kümmerer 2008, 2009 u. 2010; Mompelat et al. 2009; Traut-
wein et al. 2014).5 Auch in den Medien hat das Thema in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit erfahren
(Kap. 4.4).
In Deutschland werden Vorkommen und Konzentrationen pharmazeutischer Wirkstoffe in der Umwelt
und insbesondere in Gewässern bislang nicht flächendeckend systematisch überwacht. Stichprobenuntersu-
1
2
3
4
5
Die Begriffe Arzneimittel und Medikament werden im allgemeinen Sprachgebrauch zumeist synonym verwendet. Mit Pharmakon
(im Plural Pharmaka) wird hingegen genau genommen nicht das Produkt bezeichnet, sondern ein einzelner Wirkstoff. Neben dem
Wirkstoff, der synonym auch als Arzneistoff bezeichnet wird, enthält ein Arzneimittel gegebenenfalls auch noch Hilfsstoffe.
Die Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel definiert Arzneimittel als »Stoffe
oder Stoffzusammensetzungen, die ... zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder ... die im
oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen
physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen,
zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen«. Diese Definition ist auch in das deutsche und
andere nationale AMG eingeflossen.
Daneben beinhalten sie auch sogenannte Hilfsstoffe (z. B. Milchzucker) und weitere pharmakotechnologische Bestandteile (z. B.
Gelatine für Kapseln).
www.bvl.bund.de/DE/08_PresseInfothek/01_FuerJournalisten/01_Presse_und_Hinter
grundinformationen/05_Tierarzneimittel/2016/2016_08_03_pi_Antibiotikaabgabe
menge2015.html (16.11.2017)
Allerdings wird sich bei fast allen Untersuchungen mit seit Längerem bekannten Wirkstoffen beschäftigt. Daten zu neueren und
neuesten Wirkstoffen liegen so gut wie nicht vor.
Fa
1
– 15 –Drucksache 19/ 16430
– 16 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Hinweise auf Gesundheits- und Umweltwirkungen von Arzneimittelrückständen und die
Frage nach dem Handlungsbedarf
Unter Experten besteht Konsens, dass in Deutschland der Genuss von Trinkwasser gegenwärtig nicht zu akuten
und auch nicht zu chronischen Gesundheitsgefährdungen führt. Das gilt auch angesichts der zunehmenden
Mikroverunreinigungen, die fallweise im Rohwasser von Wasserwerken nachgewiesen werden können. Weil
Mikroverunreinigungen von Gewässern durch Arzneimittelrückstände zunehmen und zumindest langfristig die
Stellen erreichen werden, an denen das Rohwasser für die Trinkwassergewinnung entnommen wird, erscheint
es ratsam, dennoch wachsam zu bleiben und die Belastung von Roh- und Trinkwasser wie auch von Grundwas-
ser und Oberflächengewässer durch Spurenstoffe regelmäßig zu kontrollieren.
Eine andere Frage ist, ob Rückstände von Antibiotika in Abwasser, aquatischer Umwelt und im Trinkwas-
sersystem sowie in Wirtschaftsdünger zur Entstehung und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen beitragen
(Küster et al. 2013). In den Medien wurde im Februar 2018 von Funden antibiotikaresistenter Keime in deut-
schen Oberflächengewässern berichtet, was Besorgnis ausgelöst hat. Hier gibt es noch große Wissenslücken
und Forschungsbedarf insbesondere zu der Frage, welche Gesundheitsgefahren hiervon eventuell ausgehen.
Wenn man die Umweltwirkungen von Arzneimittelreststoffen in Oberflächengewässern betrachtet, so ist
zunächst festzustellen, dass Fische und andere aquatische Lebewesen diesen Stoffen unmittelbar ausgesetzt
sind. Beobachtungen im Freiland weisen darauf hin, dass vor allem Wirkstoffe, die auf das Hormonsystem von
Organismen wirken, einzelne Tierarten (z. B. Fische) und auch aquatische Lebensgemeinschaften insgesamt
beeinträchtigen (Kümmerer 2008; Roig 2010; Triebskorn 2017). Es gibt also Anzeichen und Hinweise, dass
zumindest einige Rückstände eine nicht zu vernachlässigende Belastung der Umwelt darstellen. Besondere Vor-
sicht ist von vorneherein bei Substanzen geboten, die



persistent in der Umwelt sind,
in Organismen bioakkumulieren oder
toxisch für Umweltorganismen sind. 6
Stoffe, die zugleich alle drei Eigenschaften aufweisen, nennt man PBT-Stoffe, wobei PBT für persistent, bio-
akkumulierend und toxisch steht. Hier geht man davon aus, dass sie nicht in die Umwelt gelangen sollten.
Pflanzliche Wirkstoffe, Vitamine und Mineralien werden hingegen oft als nicht umweltrelevant betrachtet, weil
sie in der Regel gut abbaubar sind oder bereits natürlicherweise in ähnlichen Konzentrationen vorkommen,
obwohl es durchaus Ausnahmen gibt. Ähnlich wird auch bei sogenannten Biopharmazeutika7 argumentiert.
Eine Gesamteinschätzung der negativen Auswirkungen von Arzneimitteln in Trinkwasser und Gewässern
auf Umwelt und Gesundheit ist derzeit allerdings schwierig. Ein Grund ist, dass sich die konkreten Effekte nur
schwer wissenschaftlich klar nachweisen und auf eine Ursache zurückführen lassen. Die Vielfältigkeit pharma-
zeutischer Wirkstoffe, die niedrigen Wirkschwellen vieler Stoffe in Gewässern, der technisch oft aufwändige
Nachweis der Stoffe, das Nichtwissen über die Kombinationswirkungen von Stoffen und ihrer Abbauprodukte
(Cocktaileffekt) sowie die Langlebigkeit vieler Stoffe und die Unklarheit von Langzeitwirkungen erschweren
die genaue Einschätzung der Folgen.
Arzneistoffe sind in Organismen physiologisch hochwirksam – darin liegt ihr originärer Zweck. Häufig
wirken sie aber nicht nur an der gewünschten, sondern auch an anderen Stellen im menschlichen bzw. tierischen
Zielorganismus. Sie haben sogenannte Nebenwirkungen. Es ist in der Medizin üblich, Nebenwirkungen syste-
matisch zu erfassen und zu versuchen, die physiologische Wirkung von Arzneimitteln so gut zu verstehen, dass
6
7
Siehe Artikel 57d und die Kriterien im Anhang XIII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 und die »Guideline on the environmen-
tal risk assessment of medicinal products for human use« der European Medicines Agency (EMA 2006).
Das sind biotechnologisch hergestellte Moleküle, zumeist Proteine, die als Arzneimittel verwendet werden. Sie werden auch Bio-
logika oder Bioceuticals genannt. Neuentwickelte Biopharmazeutika werden hauptsächlich in der Krebstherapie eingesetzt.
Fa
chungen und Schätzungen weisen aber auf einen Anstieg von Arzneimittelrückständen und anderen Mikrover-
unreinigungen in Gewässern und im Trinkwasser hin. Gleichzeitig verändern die neuen Analyseverfahren, die
die Messung von Mikroverunreinigungen vereinfachen bzw. überhaupt erst ermöglichen, die gesellschaftliche
Wahrnehmung des Risikos durch Arzneimittelrückstände in Gewässern. Wichtig ist aber zunächst zu fragen,
welche Hinweise auf Umwelt- und Gesundheitswirkungen dieser Rückstände es bereits gibt.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 17 –
Drucksache 19/ 16430
Ziel und Aufbau des Berichts
Es ist das Ziel mit dem vorliegenden Bericht, den Problemkomplex der Mikroverunreinigungen von Trink-
wasser und Gewässern durch Arzneimittel in Deutschland umfassend darzustellen und zu diskutieren. Es sollen
das vorhandene Wissen über Mengen, Qualitäten und Wirkungen der Mikroverunreinigungen sowie Vorschläge
zu ihrer Vermeidung aus den verschiedenen Bereichen der Natur- und Sozialwissenschaften zusammengetragen
und Wissenslücken identifiziert werden. Vor diesem Hintergrund sollen dann die gesellschaftlichen Zielkon-
flikte zwischen den positiven Wirkungen von Medikamenten und den nichtintendierten, unklaren Nebenwir-
kungen auf Mensch und Umwelt thematisiert werden, um darauf aufbauend mögliche Handlungsstrategien zu
diskutieren.
Zunächst wird in Kapitel 2 in Form einer Übersicht dargestellt, welche Human- und Tierarzneimittel in
welchen Quantitäten in Deutschland verwendet werden und nach aktuellem Kenntnisstand ihrer Menge oder
ihrer Wirkung nach relevant sind. Neben der gegenwärtigen Situation werden dabei auch bereits jetzt erkenn-
bare, zukunftsweisende Trends, beispielsweise der Verbräuche verschiedener Typen von Arzneimitteln, berück-
sichtigt. Außerdem werden durch die Analyse von Eintragswegen sogenannte Hotspots der Verunreinigung
herausgearbeitet.
Eine Literaturauswertung zur Toxizität und Ökotoxizität sowie zu weiteren Umweltwirkungen ausgewähl-
ter Wirkstoffe schließt sich in Kapitel 3 an. Dabei werden die Wirkungen einzelner Verunreinigungen, kumu-
lative Wirkungen mehrerer Verunreinigungen wie auch Langzeitwirkungen bei geringen Konzentrationen in den
Blick genommen.
In Kapitel 4 wird dann der Zielkonflikt zwischen individuellen Ansprüchen auf Heilung durch Medika-
mente einerseits und den potenziellen Risiken von Arzneimittelrückständen für die allgemeine Gesundheit und
Umwelt andererseits analysiert. Weil das Eintreten negativer Effekte unsicher ist, wird diskutiert, welche An-
haltspunkte und Hilfestellung das Vorsorgeprinzip bei der Bewältigung dieser Konflikte leisten kann. Dabei
werden auch die derzeitigen gesellschaftlichen und insbesondere rechtlichen Rahmenbedingungen diskutiert,
8
Bereits im Rahmen des Zulassungsverfahrens wird versucht, über verschiedene Testverfahren zu antizipieren, welche uner-
wünschten Auswirkungen ein Arzneimittel haben kann. Leider treten auch bei bereits zugelassenen Arzneimitteln zuweilen bisher
unerkannte oder nicht richtig zugeordnete negative Auswirkungen auf den menschlichen bzw. tierischen Organismus auf. Ein
tragisches Beispiel hierfür war in den 1950er und 1960er Jahren das Schlafmittel Contergan mit seiner zu spät erkannten Missbil-
dungsgefahr für Föten. Der Conterganskandal war eine wichtige Ursache dafür, dass eine systematische Arzneimittelprüfung und
-zulassung verpflichtend wurde. Dazu gehört auch, die Anwendungen der vermarkteten Arzneimittel zu beobachten und zu analy-
sieren, um unerwünschte Wirkungen möglichst rasch zu entdecken und schnell reagieren zu können. Man nennt die systematische
Erfassung und Bewertung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen, die insbesondere auch die Zeit nach der Marktzulassung
umfasst, Pharmakovigilanz (WHO Uppsala Monitoring Centre 2002). Zu der Erfassung und Bewertung unerwünschter Wirkun-
gen durch die Hersteller ist seit 2004 zusätzlich die Pharmakovigilanz der staatlichen Zulassungsbehörden getreten.
Fa
möglichst alle Nebenwirkungen aufgedeckt werden, nicht zuletzt, um deren Risiko bei der Verordnung berück-
sichtigen zu können.8 Eine entsprechende systematische Beobachtung und Erfassung von unerwünschten Ne-
benwirkungen auf die Umwelt gab es hingegen bislang nicht. Dementsprechend ist die Informationsbasis über
unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimittelrückständen in der Umwelt schlecht. Es wäre aber überlegenswert
und wird an späterer Stelle in diesem Bericht (Kap. 5 u. 6) ausführlicher erläutert, ob Aktivitäten in diese Rich-
tung sinnvoll sein könnten.
Auch wenn bei vielen pharmazeutischen Wirkstoffen in den gemessenen Umweltkonzentrationen eine ne-
gative Umweltwirkung nicht besteht oder bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, stellt sich die
Frage, ob nicht schon allein die Möglichkeit und mehr noch der begründete Verdacht einer negativen Umwelt-
wirkung Anlass genug ist, tätig zu werden. Ist es nicht ein Gebot der Vorsorge, eine Verpflichtung gegenüber
den nachfolgenden Generationen und Teil unserer Verantwortung für die Natur, Verunreinigungen von Trink-
wasser, Grundwasser und Gewässern – und seien es auch nur Mikroverunreinigungen – so gut es geht, zu ver-
hindern?
Die Frage weist auf ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem hin, das der Güterabwägung bedarf.
Einerseits ist anzuerkennen, dass Humanarzneimittel in aller Regel eine positive Wirkung auf die Gesundheit
und das Wohlbefinden der Behandelten haben und dass auch Tiermedikamente im Normalfall dem Tierwohl
zuträglich sind und zugleich den Interessen der Tierhalter dienen. Andererseits ist nicht auszuschließen, bzw.
es gibt sogar konkrete Anzeichen dafür, dass die individuelle Gesundheit, die öffentliche Gesundheit und die
Integrität aquatischer Lebensgemeinschaften durch Mikroverunreinigungen von Trinkwasser und Gewässern
beeinträchtigt werden kann. Der Umgang mit diesem Zielkonflikt erfordert einen komplexen Abwägungspro-
zess zwischen unmittelbarem Nutzen von Medikamenten einerseits und unklaren, langfristigen Risiken von
Mikroverunreinigungen in Gewässern andererseits.Drucksache 19/ 16430
– 18 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Gutachten und Danksagung
Im Rahmen des TAB-Projekts »Human- und tiermedizinische Wirkstoffe in Trinkwasser und Gewässern –
Mengenanalyse und Risikobewertung« wurden für diesen Bericht drei Gutachten zu spezifischen Themenbe-
reichen erstellt, deren Ergebnisse neben den eigenen Recherchen, Literaturauswertungen und Analysen in die
Erstellung des TAB-Berichts eingeflossen sind:



Human- und tiermedizinische Wirkstoffe in Trinkwasser und Gewässern – Mengenanalyse und Vermeidungs-
strategien. Mengenanalyse und Vermeidungsstrategien. Hillenbrand, T.; Tettenborn, F.; Bratan, T., Fraun-
hofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, Karlsruhe
Risikobewertung der Umwelt- und Gesundheitswirkungen von Arzneimittelrückständen sowie Instrumente
des Risikomanagements. Eberle, U.; Kümmerer, K.; Reuter, W. unter Mitarbeit von Herrmann, M.; Menz,
J., Hamburg
Gesellschaftliche Zielkonflikte zwischen erwünschtem Medikamenteneinsatz und dessen möglichen nega-
tiven Umweltwirkungen im Lichte des Vorsorgeprinzips. Schramm, E., Walz A., Völker, C. unter Mitarbeit
von Götz, K., Winker, M., ISOE (Institut für sozial-ökologische Forschung), Frankfurt
Diese Gutachten bilden die Basis dieses Berichts. Aus ihnen wurden Informationen, Formulierungen, Abbil-
dungen, Tabellen und Texte entnommen, überarbeitet, neu zusammengestellt, ergänzt und zum vorliegenden
Bericht synthetisiert. Die Entwürfe der einzelnen Kapitel und der Gesamtfassung wurden von Mitarbeitern des
Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung GmbH – UFZ und des TAB sowie von den beauftragten Gutachterin-
nen und Gutachtern in mehreren Runden gelesen, kritisch kommentiert und überarbeitet.
Für die sehr angenehme, intensive Begleitung des Projekts durch die TAB-Kollegen Arnold Sauter und
Christoph Kehl möchten sich die Autorinnen und Autoren an erster Stelle bedanken. Ihre zuweilen durchaus
kritischen, aber immer konstruktiven Anregungen und Vorschläge waren sehr wertvoll. Für anregende Diskus-
sionen, gründliches Korrekturlesen und kritische Kommentare sind die Autorinnen und Autoren Nicole Adler,
Werner Brack, Ina Ebert, Erik Gawel, Bernd-Bodo Haas, Arne Hein, Reinhard Länge, Imma Schniewind und
Thomas Steger-Hartmann zu großem Dank verpflichtet. Sie bedanken sich weiterhin bei Max Söding für die
Unterstützung bei der Analyse des öffentlichen Diskurses zum Thema Arzneimittelrückstände im Wasser in
Kapitel 4. Nicht zuletzt geht ein herzliches Dankeschön an Brigitta-Ulrike Goelsdorf, Tina Lehmann und Anne
Wessner, die in umsichtiger Weise die Formatierung und Aufbereitung der Abbildungen, der Tabellen und des
Literaturverzeichnisses übernommen haben.
Fa
die die Zulassung, die Anwendung und die Entsorgung von Medikamenten regeln. Am Ende des Kapitels
wird untersucht, wie das Thema Arzneimittelrückstände im Wasser im medialen Diskurs behandelt wird.
Es gibt bereits eine Reihe von Überlegungen zu technischen Maßnahmen und regulatorischen Strategien
zur Verringerung der Risiken von Arzneimittelrückständen in Gewässern. Diese werden in Kapitel 5 systema-
tisch vorgestellt. Eine technische Möglichkeit, die derzeit nicht nur in Fachkreisen intensiv diskutiert wird, ist
beispielsweise die sogenannte vierte Reinigungsstufe insbesondere bei kommunalen Kläranlagen, die Mikro-
verunreinigungen zu großen Teilen aus Abwässern entfernen kann. Noch stärker an der Quelle der Verunreini-
gung setzen regulatorische Maßnahmen an, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Prozess der Arzneimit-
telzulassung, oder Informationsmaßnahmen, die bei Verbraucherinnen und Verbrauchern, Ärzteschaft und Apo-
theken ein Problembewusstsein zu schaffen versuchen.
In Kapitel 6 wird auf der Basis des Vorsorgeprinzips diskutiert, wie die verschiedenen Maßnahmenoptio-
nen sinnvoll miteinander kombiniert und in eine umfassende Strategie zur Verringerung der Risiken durch Arz-
neimittelrückstände und allgemeiner noch gegen Mikroverunreinigungen im Wasser insgesamt eingebettet wer-
den können. Schließlich wird angesprochen, welche Rolle bei der Strategiefindung, -entscheidung und -umset-
zung den verschiedenen staatlichen und privaten gesellschaftlichen Akteuren zukommt.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
Mengenanalyse und Trends von Pharmakarückständen in Gewässern in
Deutschland
Um erste Anhaltspunkte für die Dimensionen möglicher Risiken durch negative Umwelt- und Gesundheitswir-
kungen von Arzneimittelrückständen in Gewässern zu bekommen, ist es hilfreich, zunächst die Mengen der
insgesamt verbrauchten Medikamente abzuschätzen. Denn die Medikamente verbleiben nur zu einem geringen
Teil in den Organismen, an die sie verabreicht werden. Zum weitaus größeren Teil werden sie entweder un-
verändert als Muttersubstanz oder in veränderter Form als Metabolit wieder ausgeschieden. Einmal produ-
zierte Wirkstoffe gelangen also in mehr oder weniger veränderter Form über verschiedene Pfade fast immer in
die Umwelt und insbesondere in Gewässer. Zwar werden sie dort stark verdünnt, aber aufgrund der erheblichen
Eintragsmengen einerseits und der zum Teil geringen Abbaubarkeit andererseits sind sie dort häufig analytisch
nachweisbar. Die Analyseverfahren wurden in den letzten Jahren zunehmend verfeinert, sodass sich auch Stoffe
in Konzentrationen im Bereich von Nanogramm pro Liter (ng/l oder 10 -9 g/l) nachweisen lassen. Mit derartigen
Verfahren konnte man feststellen, dass Pharmaka beinahe ubiquitär in Oberflächengewässern vorkommen. Weil
Arzneistoffe typischerweise auch in sehr geringen Mengen eine physiologische Wirkung ausüben, ist es sinn-
voll, sich auch mit den Effekten von Kleinstmengen bzw. niedrigen Konzentrationen von Arzneimittelrückstän-
den auseinanderzusetzen.
In Kapitel 2.1 wird eine Übersicht über die Verbrauchsmengen von Human- und Tierarzneimitteln sowie
deren Entwicklungstrends gegeben. In Kapitel 2.2 folgt eine Analyse der Quellen und Eintragswege von Phar-
maka in Trinkwasser, Grundwasser und Oberflächengewässern. In Kapitel 2.3 werden dann Informationen über
die Konzentrationen einer Reihe besonders relevanter Arzneimittel in der Umwelt zusammengetragen. Das Ka-
pitel 2.4 schließt mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Fakten zu Verbrauchsmengen von Medikamenten
und Nachweisen ihrer Rückstände im Wasser.
2.1
Verbrauchsmengen von Human- und Tierarzneimitteln
Weil Human- und Tierarzneimittel aus unterschiedlichen Gründen und auf unterschiedliche Weise verabreicht
werden und weil sie auch unterschiedliche Eintragspfade in die Gewässer haben, ist es sinnvoll, sie bei der
Analyse ihrer Verbrauchsmengen getrennt voneinander zu betrachten.
2.1.1
Humanarzneimittel
In den letzten 20 Jahren haben sich die Ausgaben für Arzneimittel der gesetzlichen Krankenkassen fast ver-
doppelt. 2014 lagen sie bei 35,412 Mrd. Euro (Schwabe/Paffrath 2016). Laut dem Bundesinstitut für Arznei-
mittel und Medizinprodukte (BfArM 2013) waren 2013 ungefähr 95.000 Arzneimittel auf dem deutschen Markt
zugelassen. Beide Zahlen – Ausgaben für Arzneimittel und Zahl der zugelassenen Medikamente – lassen aller-
dings keine direkten Rückschlüsse auf die Anzahl der tatsächlich verwendeten Stoffe und auf deren Verbrauchs-
mengen zu.
Detaillierte Informationen zu Verbrauchsmengen von Humanarzneimitteln sind in Deutschland anders als
in vielen anderen Ländern nicht öffentlich verfügbar. Der Verkauf oder die Abgabe von Arzneimitteln unterlie-
gen keiner Meldepflicht, und Hersteller müssen auch nicht die Produktionsmengen offenlegen. Mithilfe von
Verbrauchsdaten anderer Staaten lässt sich ebenfalls nicht auf die Verwendung von Arzneimitteln in Deutsch-
land schließen, da die Konsummuster für Arzneimittel in verschiedenen Staaten der Welt sehr unterschiedlich
sind (Goossens et al. 2005 u. 2007).
2.1.1.1
Daten des Arzneiverordnungs-Reports
Ein Ansatzpunkt für die Schätzung von Verbrauchsmengen ist allerdings der jährlich erscheinende nationale Arz-
neiverordnungs-Report (aktuelle Ausgabe Schwabe/Paffrath 2016). Darin werden vertragsärztliche Arzneimittel-
verordnungen und die sogenannten definierten Tagesdosen festgehalten. Vertragsärztliche Verordnungen sind sol-
che, die von Vertragsärztinnen und -ärzten – landläufig auch als Kassenärzte bezeichnet – ausgestellt werden und
deren Kosten von gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Eine Verordnung umfasst häufig mehrere
definierte Tagesdosen. Unter einer definierten Tagesdosis versteht man wiederum die Menge eines Wirkstoffes,
Fa
2
– 19 –Drucksache 19/ 16430
– 20 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Tab. 2.1
Anzahl der kassenärztlichen Verordnungen und der definierten Tagesdosen nach Arzneimittel-
gruppen 2015
Arzneimittelgruppe
Angiotensinhemmstoffe
(Blutdrucksenker)
Analgetika (Schmerzmittel)
Betarezeptorenblocker
(Blutdrucksenker)
Antiphlogistika
(Entzündungshemmer)
und Antirheumatika
Antibiotika
Ulkustherapeutika
(Hautgeschwürmittel)
Antidiabetika
Schilddrüsentherapeutika
Antiasthmatika
Psychoanaleptika
(Psychostimulanzien)
Psycholeptika
(Beruhigungsmittel u. Ä.)
Sexualhormone
Quelle:
Anzahl der
Verordnungen in Mio. Anzahl der definierten Tages-
dosen in Mio.
57,5 8.667,3
43,8
41,1 645,9
2.255,3
41,0 1.112,9
38,6
33,2 369,8
3.754,9
29,1
27,0
25,4
24,6 2.133,2
1.772,3
1.285,8
1.630,4
23,2 561,5
10,5 900,5
Schwabe/Paffrath 2016, S. 7
Ein Rückschluss von Daten aus dem Arzneiverordnungs-Report (Schwabe/Paffrath 2016) auf die Gesamtver-
brauchsmengen von Arzneistoffen erfordert neben der Kenntnis über definierte Tagesdosen und die typische
Anzahl an Tagesdosen pro Verordnung noch weitere Annahmen, unter anderem weil private Verschreibungen,
freiverkäufliche Arzneimittel (Over-the-Counter-Präparate [OTC-Präparate]) und die von Krankenhäusern ver-
abreichten und mitgegebenen Arzneimittel in den Zahlen nicht berücksichtigt sind. Das Verhältnis von privaten
Verschreibungen zu vertragsärztlichen Verordnungen kann mit etwa 1 : 9 angesetzt werden, weil der Anteil der
privat versicherten Patienten an der Gesamtbevölkerung etwa bei 10 % liegt. Dazu muss noch unterstellt werden,
dass kassenärztlich und Privatversicherte in gleicher Häufigkeit unter den verschiedenen Krankheiten leiden
9
Die WHO beschreibt definierte Tagesdosis (Defined Daily Dose, auch im Deutschen oft abgekürzt mit DDD) als »the assumed
average maintenance dose per day for a drug used for its main indication in adults« (WHO 2015). Die definierte Tagesdosis ist zu
unterscheiden von der therapeutischen, empfohlenen oder verschriebenen Dosis eines Medikamentes (WHO Collaborating Centre
for Drug Statistics Methodology 2012).
Fa
die typischerweise für die Hauptindikation bei Erwachsenen pro Tag angewendet wird.9 Wenn für die Medika-
mente bekannt ist, wie viele Tagesdosen eine Verordnung normalerweise enthält und wie hoch die definierten Ta-
gesdosen sind, kann man so auf die Verbrauchsmengen von kassenärztlich verordneten Medikamenten schließen.
Gemäß dem aktuellen Arzneiverordnungs-Report (Schwabe/Paffrath 2016, S. 7) waren Angiotensinhemmstoffe
(Blutdrucksenker) 2014 die verordnungsstärkste Arzneimittelgruppe mit rund 57,5 Mio. Verordnungen und
8.667,3 Mio. definierten Tagesdosen. Dieser Gruppe folgten die Analgetika (Schmerzmittel), Betarezeptorenblocker
(ebenfalls Blutdrucksenker) und Antiphlogistika (Entzündungshemmer)/Antirheumatika sowie Antibiotika mit je
rund 40 Mio. Verordnungen. Tabelle 2.1 gibt einen Überblick über die Anzahl der kassenärztlichen Verordnungen
und definierten Tagesdosen nach Arzneimittelgruppen für 2015.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 21 –
Drucksache 19/ 16430
2.1.1.2
Weitere Daten und Schätzungen des Verbrauchs von Humanarzneistoffen
Weil die Abschätzung des Gesamtverbrauchs an Arzneistoffen für Deutschland als Ganzes so schwierig ist,
wurde mit dem inzwischen abgeschlossenen Projekt »Den Spurenstoffen auf der Spur« des Landes Nordrhein-
Westfalen, der Stadt Dülmen und des Lippeverbands11 versucht, die gesamten Arzneimittelverbräuche für eine
Auswahl von Wirkstoffen zumindest für eine kleine Region – für das Gebiet der Stadt Dülmen – zu erfassen.
Die notwendigen Informationen, insbesondere zu den privaten Verschreibungen und zu den OTC-Produkten,
konnten in diesem Projekt aufgrund der aktiven und freiwilligen Beteiligung der Apotheken zusammengetragen
werden. Aber auch dieses Bild ist unvollständig, nicht nur, weil es sich auf eine sehr kleine und vermutlich nicht
repräsentative Region beschränkt, sondern auch, weil nur eine Auswahl von Wirkstoffen betrachtet wurde.12
Eine verlässliche Überblicksschätzung der Verbrauchsmengen von Arznei-stoffen wurde erstmals vom
UBA im Rahmen des Forschungsprojekts »Mengenermittlung und Systematisierung von Arzneiwirkstoffen im
Rahmen der Umweltprüfung von Human- und Tierarzneimitteln gemäß § 28 AMG« für den Zeitraum von 1996
bis 2001 erarbeitet (Huschek/Krengel 2003). Aktuellere Verbrauchsmengenschätzungen sind in dem im April
2014 erschienenen Hintergrundpapier »Arzneimittel in der Umwelt« des UBA (Ebert et al. 2014) zu finden.
Ebert et al. (2014) werteten die (normalerweise nicht frei zugänglichen) Verkaufszahlen der Apotheken aus, die
vom damaligen US-amerikanischen Marktforschungsinstitut IMS Health erhoben wurden, und betrachteten
nicht mehr nur Wirkstoffgruppen, wie im Arzneiverordnungs-Report (Schwabe/Paffrath 2016), sondern ein-
zelne Wirkstoffe. In Deutschland sind demnach etwa 2.300 verschiedene Wirkstoffe auf dem Markt. Die Menge
der abgegebenen Arzneimittelwirkstoffe ist in den letzten 10 Jahren um 30 % gestiegen und hat 2012 die Menge
von 8.120 t erreicht (Ebert et al. 2014).13
10
11
12
13
Diese Annahme erscheint als Näherung zunächst plausibel. Wild (2008) zeigt allerdings für die Klasse der neu zugelassenen Me-
dikamente, dass »Privatversicherte anteilig in größerem Umfang neue Medikamente erhalten« und zieht den Schluss, dass es sys-
tembedingte Unterschiede zwischen privaten und gesetzlich Krankenversicherten gibt.
www.dsads.de
Das Institut IQVIA bietet – gegen Entgelt – ebenfalls Daten zu Arzneistoffverbräuchen in Deutschland an. Allerdings handelt es
sich um Daten, die in erster Linie zu Marktforschungszwecken erhoben werden und somit nicht ohne Weiteres Rückschlüsse auf
Verbrauchsmengen erlauben.
Dass jährlich mehr als 8.000 t Arzneimittel abgegeben werden, bedeutet nicht, dass diese Menge auch eingenommen wird. Ob ein
Patient das Medikament tatsächlich (vollständig) verwendet, lässt sich in den wenigsten Fällen nachverfolgen, was quantitative
Aussagen zusätzlich erschwert.
Fa
und gleichartige Therapien verordnet bekommen.10 Die Verordnungen in Krankenhäusern können nur aus ver-
öffentlichten Studien einzelner (möglichst repräsentativer) Einrichtungen hochgerechnet werden (Alexy et al.
2006; Herrmann et al. 2013b; Schuster et al. 2008). Den Anteil an OTC-Präparaten einzuschätzen, ist noch
schwieriger, da kaum frei zugängliche Daten vorliegen, die als Basis für Hochrechnungen herangezogen werden
könnten.Drucksache 19/ 16430
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Meistverbrauchte Arzneistoffe im Humanarzneimittelbereich 2012 (Verbrauch über 80 t/Jahr)
Metformin
20
Ibuprofen
12
Metamizol
8
Acetylsalicylsäure
7
Paracetamol
6
Iomeprol
3
Allopurinol 2
Amoxicillin 2
Metoprolol 2
Acetylcystein 1
Diclofenac 1
Gabapentin 1
Levetiracetam 1
Mesalazin 1
Valproinsäure 1
Valsartan 1
Arzneistoffe (Verbrauch unter 80 t/Jahr)
0
31
5
10
15
20
25
30
35
Verbrauch in %
Die Prozentangaben beziehen sich auf den Gesamtverbrauch an Arzneistoffen.
Quelle:
nach Ebert et al. 2014
Etwa zwei Drittel der Verbrauchsmengen in Deutschland entfallen auf 16 Wirkstoffe (Ebert et al. 2014)
(Abb. 2.1). Diese besonders häufig eingesetzten Wirkstoffe unterscheiden sich hinsichtlich der Art ihrer Wir-
kung und ihrer Wirkschwellen. Insofern lässt sich aus den Verbrauchsmengen allein noch nicht auf das Umwelt-
und Gesundheitsrisiko ihrer Rückstände in Gewässern schließen. Bei der Risikoabschätzung ist vielmehr zu
bedenken, dass Stoffe mit sehr niedriger Wirkschwelle schon bei extrem geringer Konzentration unerwünschte
Wirkungen in Gewässern haben können.
Von der Entwicklung neuer, wirksamerer Arzneistoffe geht leider nicht automatisch eine geringere Umwelt-
wirkung aus. Neue Wirkstoffe werden häufig so entwickelt, dass sie nur noch einmal täglich oder noch seltener
eingenommen werden müssen, was aber mit einer Erhöhung ihrer chemischen Stabilität und damit einer erhöhten
Verweildauer in der Umwelt einhergehen kann.
Fa
Abb. 2.1
– 22 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Meistverbrauchte Arzneistoffe im Humanarzneimittelbereich 1999 (Verbrauch über 80 t/Jahr)
Acetylsalicylsäure
16
Paracetamol
12
Providon-Iod
9
Metformin
7
Ibuprofen
5
Metamizol 3
Theophyllin 3
Allopurinol 2
Amoxicillin 2
Carbamazepin 2
Diclofenac 2
Penicillin V 2
Pentoxyfyllin 2
Piracetam 2
Ranitidin 2
Salicylsäure 2
Arzneistoffe (Verbrauch unter 80 t/Jahr)
0
5
10
15
20
25
30
30
35
Verbrauch in %
Die Prozentangaben beziehen sich auf den Gesamtverbrauch an Arzneistoffen.
Quelle:
nach BLAC 2003
5 der 16 meistverbrauchten Wirkstoffe 2012 (Abb. 2.1) sind auch als OTC-Präparate erhältlich. Dabei handelt
es sich um 4 pharmazeutische Wirkstoffe gegen Schmerzen (Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Ibuprofen, Para-
cetamol) und einen Arzneistoff gegen Husten (Acetylcystein). Die anderen 11 Arzneistoffe werden bei anderen
Indikationen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Epilepsie eingesetzt. Die 4 Schmerzmittel Acetylsalicylsäure,
Diclofenac, Ibuprofen und Paracetamol gehörten auch schon 1999 zu den meistverbrauchten Wirkstoffen
(Abb. 2.2).
Generell haben sich aber die Zusammensetzung und die Rangfolge der Gruppe der 16 meistverbrauchten
Wirkstoffe deutlich geändert. Sicherlich sind für eine Analyse der Umweltwirkungen von Medikamentenrück-
ständen die häufig eingesetzten Wirkstoffe besonders interessant. Allerdings sei an dieser Stelle nochmals be-
tont, dass von hohen Marktanteilen und Verbrauchsmengen nicht ohne Weiteres auf eine starke Umweltwirkung
bzw. von niedrigen Marktanteilen und Verbrauchsmengen auf eine geringe Umweltwirkung geschlossen wer-
den kann.
Angesichts der Gefahr von Antibiotikaresistenzen ist der Verbrauch an Antibiotika von besonderem Inte-
resse. 2011 lag er im ambulanten Versorgungsbereich bei 14 definierten Tagesdosen pro 1.000 Versicherten und
Tag. Das entspricht auf Deutschland gerechnet einer Wirkstoffmenge von 500 bis 600 t/Jahr. Damit lag der Pro-
Kopf-Verbrauch in Deutschland im Vergleich aller europäischen Länder im unteren Drittel. Der Pro-Kopf-Ver-
brauch in den Nachbarländern Schweiz, Österreich, Niederlande und Dänemark liegt in einer ähnlichen Größen-
ordnung. Hochverbrauchsregion innerhalb Deutschlands bleibt der Westen, vor allem die Regionen, die an Frank-
reich, Luxemburg und Belgien grenzen – alles Staaten mit relativ hohem Pro-Kopf-Verbrauch. In Nordrhein-
Westfalen wurde 2014 die höchste Antibiotikaverordnungshäufigkeit (19,2 definierte Tagesdosen pro 1.000
Versicherte/Tag) innerhalb Deutschlands beobachtet (BVL/Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie
2016). Die Gründe für die regionalen Unterschiede sind unklar.
Fa
Abb. 2.2
Drucksache 19/ 16430
– 23 –Drucksache 19/ 16430
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Entwicklungstrends beim Verbrauch von Humanarzneimitteln
Ebert et al. (2014) stellten fest, dass die Menge der verbrauchten Humanarzneimittel von 6.200 t im Jahr 2002 auf
8.120 t im Jahr 2012 gestiegen ist, also innerhalb von 10 Jahren um mehr als 30 %. Der Verlauf der kassenärztli-
chen Verordnungen und die entsprechenden Umsätze, die im Arzneiverordnungs-Report (Schwabe/Paffrath 2016)
dokumentiert sind, bestätigen diesen Trend.
Die Abbildungen 2.3 und 2.4 zeigen, dass sich von 1996 bis 2015 die Umsätze mehr als verdoppelten und
das Verordnungsvolumen gemessen in definierten Tagesdosen um etwa ein Drittel anstieg. Allerdings ging die
Zahl der Verordnungen bis 2004 stark zurück; seither steigt sie nur leicht an.
Der plötzliche Rückgang der Verordnungen im Gesamtmarkt (d. h. patentgeschützte Arzneimittel, Gene-
rika und rezeptfreie Arzneimittel) 2004 ist auf die Einführung des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG)14 im
November 2003 zurückzuführen, demgemäß rezeptfreie Arzneimittel aus der vertragsärztlichen Versorgung
ausgeschlossen und die Zuzahlungen der Versicherten zu rezeptpflichtigen Arzneimitteln erhöht wurden.
14
Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG)
Fa
2.1.1.3
– 24 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Kassenärztliche Verordnungen und Umsatz 1995 bis 2014; ab 2002 auch Nettokosten im Fer-
tigarzneimittelmarkt der gesetzlichen Krankenversicherungen (ab 2001 mit neuem Warenkorb)
33,6
1.700
28,5
1.500
Umsatz
1.300
21,3
17,7 17,4 18,3
1.100
18,8 19,3
22,7
24,1
23,6 23,7
21,7
22,0 21,8
21,3 21,1
26,3
24,5
27,2
27,0
26,3
28,1
25
Nettokosten
20
19,1
15
833 807
783
657
626 626 625 633 645 651
5
594 608
570 591 574
Verordnungen
1996
1998
10
749 760 761 749
700
Quelle:
23,1
26,7
35
32,8 30
31,0
939
900
500
25,3
30,4
29,7 29,7
31,5
35,3
2000
2002
2004
2006
2008
2010
2012
40
1.900
2014 2015
Schwabe/Paffrath 2016
Abb. 2.4
Entwicklung des Verordnungsvolumens nach definierten Tagesdosen für den Gesamtmarkt, Ge-
nerikamarkt und patentgeschützte Arzneimittel
45
40
Gesamtmarkt
35
30
29,4
25,8
27,7
28,5
30,5
35,3 36,1
29,1
26,0
22,7
12,7
11,5 11,4 11,6 12,1
15,9
15,9
14,1
13,9 14,8
38,3 39,6 40,2
30,3
31,7
32,8
27,4
Generika
20,4
20
15
32,3
24,7
25
17,8
patentgeschützte Arzneimittel
10
5 2,9
0
Quelle:
27,7
31,0
28,1 28,2 27,9 29,4 30,0
34,1
37,5
1996
3,3
3,8
4,1
4,4
1999
5,3
5,6
2002
5,2
4,5
4,7
2005
4,7
4,7
4,6
2008
4,5
4,2 3,8
2011
2,9
2,9
2013
2,9
2,7
2015
Schwabe/Paffrath (2016)
Bis 2040 ist nach groben Abschätzungen ein weiterer Anstieg des Medikamentenverbrauchs um rund 20 % zu
erwarten (EUWID 2015, ähnlich auch Hillenbrand et al. 2010). Als Gründe für den zunehmenden Medikamen-
tenkonsum werden zum einen das Altern der Gesellschaft aufgeführt (Abb. 2.5), zum anderen die Zunahme an
rezeptfreien Arzneimitteln auf dem Markt (Hillenbrand et al. 2010). Mit zunehmendem Alter eines Patienten
nehmen ärztliche Verordnungen hinsichtlich Menge und Wirkstoffvielfalt kontinuierlich zu (Thürmann et al.
Fa
Abb. 2.3


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Krik

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Re: Arzneimittelrückstände in Trinkwasser
« Reply #1 on: January 16, 2020, 05:15:20 AM »

Drucksache 19/ 16430
– 25 –Drucksache 19/ 16430
– 26 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Abb. 2.5
Arzneimittelverbrauch in definierte Tagesdosen (DDD) pro Jahr nach Altersgruppen (Vergleich
2009, 2010, 2013)
1.800
1.600
1.400
1.200
1.000
800
600
400
200
0
0

4
5

9
10

14
15

19
20

24
25

29
30

34
35

39
40

44
45

49
50

54
55

59
60

64
65

69
70

74
75

79
80

84
85

89
90
+
Altersgruppen in 5-Jahresschritten
DDD je Versicherter 2009
Quelle:
DDD je Versicherter 2010
DDD je Versicherter 2013
nach Fraunhofer ISI 2015, auf Basis von Daten aus Schwabe/Paffrath 2010, 2011 und 2014
Besonders eindrücklich sind die Trends der Verkaufsmengen einiger ausgewählter Medikamente, wie sie in
Abbildung 2.6 zu sehen sind. Zwischen 2001 und 2012 vervierfachte sich die Verkaufsmenge des Spitzenreiters
Ibuprofen und erreichte einen Wert von knapp 1.000 t/Jahr. Gegenüber den anderen Schmerzmitteln mit hohen
Marktanteilen wie Paracetamol, Acetylsalicylsäure (Aspirin) und Diclofenac hat sich Ibuprofen im Lauf der
Jahre aufgrund seines günstigeren Nutzen-Risiko-Profils durchgesetzt.
Die zukünftige Entwicklung der Mengen an insgesamt verbrauchten Humanarzneimitteln und deren Ein-
trag in die Gewässer entsprechen nicht unbedingt der Fortsetzung der bisherigen Trends, sondern sind von der
Entwicklung einiger Randbedingungen wie etwa der Demografie abhängig und auch davon, ob gewisse Maß-
nahmen zur Eindämmung des Arzneimittelverbrauchs ergriffen werden.
15
Der Anteil der Altersgruppe ab 65 Jahren an der Gesamtmenge der verabreichten definierten Tagesdosen macht 55 % aus, wäh-
rend die Altersgruppe selbst nur 22 % der Bevölkerung umfasst. Allerdings geht die gestiegene Lebenserwartung auch mit einer
verbesserten altersspezifischen Gesundheit einher, was den Anstieg des Medikamentenverbrauchs durch Alterung der Gesell-
schaft etwas abschwächt (Bosbach/Bingler 2008; Schwabe/Paffrath 2016).
Fa
2011), zugleich werden von älteren Menschen häufig mehrere Präparate gleichzeitig eingenommen (Poly-
pharmazie). Somit wird aufgrund des erwarteten anhaltenden demografischen Wandels in Deutschland die
Menge der abgegebenen Arzneimittel wohl auch weiterhin steigen (OECD 2011).15Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
Veränderung der Verkaufsmengen ausgewählter Arzneistoffe
1.000
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Quelle:
Ibuprofen Iomeprol
Diclofenac Sulfamethoxazol
Metoprolol
modifiziert nach Hillenbrand et al. 2015, auf Basis von Daten aus IMS Health 2013 (Daten vor 2001
stammen aus BLAC 2003, ebenfalls auf der Basis von Daten der IMS Health AG)
2.1.2 Tierarzneimittel
2.1.2.1 Umsätze
Grundsätzlich unterscheidet man bei von Menschen gehaltenen Tieren zwischen Nutztieren und Heimtieren.
Nutztiere werden aus wirtschaftlichen Gründen gehalten und dienen in Deutschland in den allermeisten Fällen
der Produktion von Lebensmitteln. Ausnahmen sind z. B. Blindenhunde oder Labortiere. Wesentlicher Zweck
von Heimtieren ist hingegen zumeist, dass sie ihrem Halter Freude bereiten. In Deutschland gab es 2016 an Nutz-
tieren 12,4 Mio. Rinder, 28,0 Mio. Schweine, 158,6 Mio. Hühner und 15,9 Mio. sonstiges Geflügel (Stichtag
1. März 2016) (Destatis 2017a). Im gleichen Zeitraum zählte man etwa 31,6 Mio. Heimtiere (Hunde, Katzen,
Kleinsäuger und Vögel).16
In der Gruppe der Nutztiere, speziell der Masttiere – sicherlich die größte Zielgruppe für Tierarzneimittel
–, wurden über einen Zeitraum von November 2010 bis Oktober 2011 über 43 Mio. Schweine gezüchtet; mehr
als die Hälfte davon in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen (Destatis 2017b). Im Bereich der Geflügelmast
wurden 2016 rund 93,8 Mio. Geflügeltiere zur Schlachtung erzeugt (Destatis 2017a). Es bestehen in Deutsch-
land große regionale Unterschiede in der sogenannten Viehbesatzdichte (Anzahl pro Fläche) und dementspre-
chend auch beim Tierarzneimittelverbrauch. In den von Tiermast geprägten Regionen im Nordwesten Deutsch-
lands sind z. B. die absoluten Verbrauchsmengen an Antibiotika weit überdurchschnittlich (BVL 2016).
Einen ersten Hinweis auf die Verbrauchsmengen von Arzneimitteln für Nutz- und Heimtiere stellen die
Umsätze dar, die beim Verkauf erzielt werden. Der Bundesverband für Tiergesundheit (BfT) erstellt jährlich
eine Statistik über die Umsätze für Tierarzneimittel in Deutschland (Abb. 2.7 u. 2.8). Dabei teilt er den Markt
grob nach Arzneistoffgruppe in folgende vier Segmente ein:
16
https://www.ivh-online.de/de/der-verband/daten-fakten.html (16.11.2017)
Fa
Abb. 2.6
– 27 –Drucksache 19/ 16430



Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Antiinfektiva: Mittel gegen Infektionen – hierzu zählen insbesondere Antibiotika (bakterielle Infektionen),
aber auch Antimykotika (Pilzinfektionen).
Antiparasitika: Mittel gegen Parasiten
Biologika: Biotechnologische und mithilfe von lebenden Zellen hergestellte Medikamente – hierzu zählen
insbesondere Impfstoffe.
Sonstige Arzneimittel: Hierzu zählen z. B. entzündungshemmende Mittel, Herz-Kreislauf-Präparate, Vita-
mine und Hormone.
Nachdem die Umsätze jahrelang leicht angestiegen waren, gingen sie 2015 gegenüber dem Vorjahr erstmalig um
1,3 % zurück. Dieser Rückgang ist insbesondere auf eine etwas nachlassende Antibiotikaanwendung und die an-
gespannte wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft zurückzuführen (BfT 2016). In den Folgejahren nahm der Um-
satz wieder zu und erreichte 2017 811 Mio. Euro.
Abb. 2.7
Umsätze auf dem Tierarzneimittelmarkt in Deutschland 2017
pharmazeutische
Spezialitäten
280 Mio. Euro
+5,4 %
Biologika
229 Mio. Euro
+3,5 %
34 %
20 %
27 %
19 %
Antiinfektiva
151 Mio. Euro
+0,1 %
Insgesamt 811 Mio. Euro; der Anstieg gegenüber dem Vorjahr betrug 2,9 %.
Quelle:
BfT (persönliche Kommunikation 23.1.2019)
Antiparasitika
151 Mio. Euro
+0,4 %
Fa

– 28 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Umsätze auf dem Tierarzneimittelmarkt in Deutschland aufgeteilt auf den Marktanteil der Nutz-
tiere und Heimtiere
70
65
60
55
50
45
40
35
30
1993 1995 1998 2000 2002 2004 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
Nutztiere
Quelle:
Heimtiere
BfT (persönliche Kommunikation 23.1.2019)
Etwa die Hälfte des Gesamtumsatzes für Tierarzneimittel entfällt je auf Nutztiere und Heimtiere (Abb. 2.8).
2017 waren die Umsätze auf dem Marktsegment der Heimtiere erstmals größer als auf dem der Nutztiere. Wäh-
rend die Umsatzanteile für Antibiotika bei Nutztieren und Heimtieren in etwa gleich sind, werden beispielsweise
die aus humantoxikologischer Sicht besonders problematischen Zytostatika (also Krebsmedikamente) vor allem
bei Heimtieren und dort insbesondere bei Hunden und Katzen eingesetzt (Hamscher et al. 2010), wohingegen
deren Anwendung an Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen, überhaupt nicht zulässig ist.
2.1.2.2
Verbrauchsmengen an Antibiotika in der Nutztierhaltung
Über Abgabe- und Verbrauchsmengen gibt es insgesamt wenige zuverlässige Daten. Aus den Umsatzzahlen
lassen sich, wie bei den Humanarzneimitteln, nur eingeschränkt Rückschlüsse auf verbrauchte Mengen ziehen.
Insbesondere im bedeutender werdenden Marktsegment der Heimtiere scheinen gegenüber dem der Nutztiere
höhere Gewinnmargen möglich, womit zumindest ein Teil der Umsatzsteigerungen erklärt werden könnte.
Immerhin werden seit 2011 Abgabemengen in der Nutztierhaltung nach § 47 Absatz 1c Satz 1 Arznei-
mittelgesetz (AMG)17 für Antibiotika und einige weitere mitteilungspflichtige Wirkstoffe18 systematisch im
»Tierarzneimittelregister zur Erfassung von Abgabemengen von Antibiotika in Deutschland« erfasst.19
Demnach wurden 2011 an Antibiotika deutschlandweit noch 1.706 t und 2015 nur noch 805 t verbraucht
(BVL 2016). Die Gesamtmenge der von pharmazeutischen Unternehmen und Großhändlern an Tierärztinnen
und -ärzte abgegebenen Menge an Antibiotika hat sich somit in dieser Zeit mehr als halbiert (Tab. 2.2). Ein-
fluss auf den Umsatzrückgang im Antibiotikasegment hatte insbesondere die 16. AMG-Novelle zum 1. April
2014. Die Gesetzesänderung beinhaltet eine Mitteilungspflicht für Tierhalter, die es den zuständigen Über-
wachungsbehörden ermöglichen soll, betriebsspezifische Kennzahlen zum Antibiotikaverbrauch zu ermit-
teln. Es können dann erstmals verbrauchssenkende Maßnahmen verordnet werden, wenn ein überdurch-
schnittlich hoher Antibiotikaverbrauch in einem Betrieb festgestellt wird. Wichtig ist, dass die Umsetzung
des seit 2006 bestehenden Verbots des Einsatzes von Antibiotika zur Leistungssteigerung in der Tierhaltung
hinsichtlich seiner Effizienz geprüft wird.
17
18
19
Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG)
Tabelle 2 des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 37/2010 über pharmakologisch wirksame Stoffe und ihre Einstufung hinsichtlich
der Rückstandshöchstmengen in Lebensmitteln tierischen Ursprungs
Antiparasitika hingegen werden trotz ihres hohen ökotoxikologischen Gefährdungspotenzials von der Mitteilungspflicht nach § 47
Absatz 1c AMG ausgenommen, weshalb derzeit keine belastbaren Zahlen zu abgegebenen Mengen und regionaler Verteilung
vorliegen. Antiparasitika werden überwiegend in der Schweinezucht eingesetzt (ca. 75 %).
Fa
Abb. 2.8
Drucksache 19/ 16430
– 29 –Drucksache 19/ 16430
Vergleich der Abgabemengen der Wirkstoffklassen von Antibiotika 2011 bis 2016
Wirkstoffklasse
Aminogly-
koside
Cephalosp.,
1. Gen.
Cephalosp.,
3. Gen.
Cephalosp.,
4. Gen.
Fenicole
Fluorchinolone
Folsäureantago-
nisten
Ionophore
Lincosamide
Makrolide
Nitroimidazole
Penicilline
Pleuromu-
tiline
Polypeptidantibi-
otika
Sulfonamide
Tetrazykline
Summe
*
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Menge in t
Differenz in t
2011 2012 2013 2014 2015 2016
47 40 39 38 25 26
2011 zu 2016
-21
2,0 2,0 2,0 2,1 1,9 2,0 0
2,1 2,5 2,3 2,3 2,3 2,3 0,2
1,5 1,5 1,5 1,4 1,3 1,1 -0,4
6,1
8,2
30 5,7
10,4
26 5,2
12,1
24 5,3
12,3
19 5,0
10,6
10 5,1
9,3
9,8 -1
1,1
-20,2
–*
17
173
–*
528
14 –*
15
145
–*
501
18 –*
17
126
–*
473
15 –*
15
109
–*
450
13 –*
11
52
–*
299
11 –*
–*
55
–*
279
9,9 –*
–*
-118
–*
-249
-4,1
127 124 125 107 82 69 -58
185
564
1.706 162
566
1.619 152
454
1.452 121
342
1.238 73
221
805 69
193
742 -116
-371
-964
Zur Wahrung des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses dürfen diese Daten nicht veröffentlicht werden,
da es i. d. R. nur einen Zulassungsinhaber gibt (nach § 6 IFG und § 9 Absatz 1(3) UIG).
Scheinbare Ungenauigkeiten oder Abweichungen bei den Mengenangaben sind durch Rundungseffekte be-
dingt.
Quelle:
nach BVL 2017
Trotz dieses starken Rückgangs übersteigen die Abgabemengen im Veterinärbereich denjenigen im humanme-
dizinischen Bereich noch immer (UBA 2014c).20 Aktuelle, detaillierte Verbrauchsmengen für andere Tierarz-
neimittel und für den Heimtierbereich liegen hingegen nicht vor.
Angesichts der bereits erwähnten Gefahr von Antibiotikaresistenzen ist eine gleichzeitige Anwendung ei-
nes Antibiotikums im Tier- und Humanbereich grundsätzlich problematisch. Das gilt im besonderen Maße für
sogenannte Reserveantibiotika, die nur bei Infektionen mit resistenten Erregern angewandt werden sollen.21
20
21
Die größten Gruppen der an Tiere verabreichten Antibiotika waren dabei 2013 Penicilline (473 t), Tetrazykline (454 t), Sulfona-
mide (152 t), Makrolide (126 t) und Polypeptidantibiotika (125 t). Des Weiteren wurden rund 12 t Fluorchinolone und rund 4 t
Cephalosporine der dritten und vierten Generation verkauft.
Die WHO (2017) gibt regelmäßig eine Liste der Essential Medicines heraus, die auch eine Aufzählung von Reserveantibiotika
enthält.
Fa
Tab. 2.2
– 30 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
– 31 –
2.1.2.3
Schätzungen des Gesamtverbrauchs an Tierarzneimitteln
Die Verbrauchsmengen von Antibiotika und anderen nach AMG mitteilungspflichtigen Wirkstoffen im Nutz-
tierbereich sind in Deutschland also bekannt; unbekannt sind hingegen die Mengen der nicht mitteilungspflich-
tigen Wirkstoffe sowie die verbrauchten Gesamtmengen von Tierarzneimitteln.
Eine Schätzung für 2003 ergab, dass der Gesamtverbrauch an Tierarzneimitteln bei 721 t lag, wobei den
mit Abstand größten Anteil daran Antibiotika (669 t) haben, gefolgt von Antiparasitika (46 t) (Schneidereit
2004). Diese Zahlen erscheinen unplausibel niedrig: Wie bereits erläutert, wurden in Deutschland 2011 allein
1.706 t Antibiotika im Nutztierbereich verbraucht und es gibt keine Anzeichen, die darauf hinweisen, dass sich
der Verbrauch zwischen 2003 und 2011 mehr als verdoppelt haben könnte.
Eine andere Schätzung auf der Grundlage einer Befragung von 60 Tierärzten ergab hingegen für den
deutschlandweiten Gesamtverbrauch an Arzneimitteln allein in der intensiven Tierhaltung im Zeitraum von
April 2000 bis Juli 2001 die Menge von 2.295,9 t (Klein-Goedicke 2005). Auf Antibiotika entfielen demnach
2.126 t und auf Antiparasitika ca. 21,8 t. Die Autorin weist auf verschiedene mögliche Fehlerquellen bei ihrer
Hochrechnung hin. In Tabelle 2.3 sind die Ergebnisse von Klein-Goedicke (2005) und von Schneidereit (2004)
gegenübergestellt. Aufgrund der unzureichenden Datengrundlage ist bei den Schätzungen von erheblichen Un-
sicherheiten auszugehen.
Es ist davon auszugehen, dass zumindest bei Heimtieren auch Arzneistoffgruppen wie z. B. Hormone,
Herzmedikamente und nichtsteroidale Antiphlogistika22 angewendet werden. Insgesamt gesehen, ist dennoch
wahrscheinlich, dass in der Tiermedizin überwiegend Antibiotika und Antiparasitika eingesetzt werden (UBA
2014b).
Tab. 2.3
Schätzungen zum Gesamtverbrauch von Tierarzneimitteln und zu Verbräuchen in der Intensiv-
tierhaltung (d. h. ohne extensive Nutz- und Heimtierhaltung)
Arzneistoffgruppe
Gesamtverbrauch
12 Monate 2003
(nach Schneidereit 2004)
Verbrauch in
intensive Tierhaltung
16 Monate 2000/2001
(nach Klein-Goedicke 2005)
Verbrauch in
t % t %
Antiinfektiva 668,8 92,8 2.126,7 92,6
Antiparasitika 46,3 6,4 21,8 0,9
147,4 6,4
sonstige gesamt k. A. k. A.
davon Hormone
davon Kardiaka
davon
nichtsteroidale
Antiphlogistika
gesamt 0,67
0,28
4,49 0,09
0,04
0,62
22
720,54
100,0
k. A.
k. A.
k. A.
2.295,9
Das sind entzündungshemmende Medikamente, die sich nicht von Sterinen ableiten.
k. A.
k. A.
k. A.
100,0
Fa
Die Anwendung von Reserveantibiotika im Tierbereich, aber auch eine vermeidbare Anwendung im Human-
bereich, birgt die Gefahr, dass sie im geringeren Maße für kritische Fälle in der Humanmedizin zur Verfügung
stehen. Tatsächlich wird von verschiedenen Seiten darauf hingewirkt, dass die für die Humanmedizin besonders
wichtigen Antibiotika im tiermedizinischen Sektor nur in verhältnismäßig geringen Mengen eingesetzt werden
(BVL/Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie 2016).
Im internationalen Vergleich zwischen 25 bzw. 26 Ländern des europäischen Wirtschaftsraums war
Deutschland 2011 und 2012 der Spitzenreiter hinsichtlich der abgegebenen Gesamtmengen an Veterinärantibi-
otika. Berücksichtigt man allerdings die Größe und Zusammensetzung der nationalen Tierbestände und ver-
gleicht statt der Gesamtmengen den durchschnittlichen Verbrauch pro Tier, lag Deutschland 2012 an fünfter
Stelle (EMA 2013 u. 2014).Drucksache 19/ 16430
– 32 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Quelle:
Klein-Goedicke 2005; Schneidereit 2004
2.1.2.4
Entwicklungstrends beim Verbrauch von Tierarzneimitteln
Für Tierarzneimittel gibt es keine verlässlichen Daten über die zurückliegende Entwicklung der in Tonnen ge-
messenen Gesamtverbräuche oder zu den Einträgen in die Umwelt. Trendaussagen lassen sich – unter Vorbehalt
– höchstens aus der Statistik über die Umsätze für Tierarzneimittel des BfT (Kap. 2.1.2.1) ableiten. Diese Daten
ermöglichen es, den bisherigen Trend im Gesamtumsatz und in den vier Segmenten Antiinfektiva, Antipara-
sitika, Biologika und sonstige Arzneimittel darzustellen (Abb. 2.9). Die Umsatzzahlen sind jahrelang moderat
gestiegen. 2014 gab es aber einen leichten Umsatzrückgang. Bemerkenswert ist, dass die Umsätze bei den An-
tiinfektiva, zu denen auch die Antibiotika zählen, im Gegensatz zu den anderen Segmenten bereits seit 2008
zurückgehen.
Abb. 2.9
Veränderung der Umsätze für Tierarzneimittel in Deutschland
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
2003
2005
2007
2009
2011
Biologika Antiparasitika
Gesamtumsatz Antiinfektiva
2013
2015
2017
pharmazeutische
Spezialitäten (sonstige)
Eigene Darstellung auf Basis von Daten des BfT, Zusammenstellung aus verschiedenen Pressemitteilungen
(www.bft-online.de [23.1.2019])
2.2
Die Eintragswege der Arzneistoffe in Oberflächengewässer und ins Grundwasser
Die Verbrauchsmengen von Arzneimitteln und deren Trends sagen nur wenig über die Konzentrationen der
Arzneimittelrückstände in Trinkwasser und Gewässern sowie über deren Wirkungen auf Gesundheit und Um-
welt aus. Als nächstes sollen noch genauer die Wege betrachtet werden, auf denen Arzneimittelrückstände in
Oberflächengewässer, Grundwasser und Trinkwasser gelangen. Die Kenntnis über Quellen und Eintragswege
ist besonders für die Diskussion von Maßnahmen zur Reduzierung von Arzneimittelrückständen in Gewässern
wichtig (Kap. 5).
2.2.1
Haupteintragspfade von Arzneimittelrückständen in Gewässer
Auf welche Weise gelangen pharmazeutische Wirkstoffe in die Umwelt? Humanarzneimittel werden insgesamt
hauptsächlich über Urin und Exkremente ausgeschieden. Allerdings gelangen äußerlich angewendete Salben
und Tinkturen beim Waschen oder Duschen auch direkt ins Abwasser. Durch die Kanalisation kommen die
Fa
k. A.: keine AngabeDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 33 –
Drucksache 19/ 16430
Abb. 2.10 Haupteintragswege für Tier- und Humanarzneimittel
Humanarzneimittel Tierarzneimittel
Ausscheidung Ausscheidung
unsachgemäße
Entsorgung
Abwasser
Gülle, Dung
Kläranlage
Klärschlamm
Boden
geklärtes Abwasser
Oberflächenwasser
Boden
Grundwasser
Trinkwasser
Quelle:
2.2.2
nach Ebert et al. 2014
Humanarzneimittel
Humanarzneimittelrückstände gelangen überwiegend über Ausscheidungen der Menschen und bei äußerli-
cher Anwendung auch mit dem Waschwasser über die Abwassernetze und Kläranlagen in die Gewässer. Als
23
24
Während der Lagerung von Wirtschaftsdünger können ein Um- oder Abbau der ausgeschiedenen Arzneistoffe erfolgen.
Andere Eintragswege, wie z. B. Gülle, die über die Kanalisation in Gewässer, oder Kontaminationen, die über Fließgewässer aus
Nachbarstaaten nach Deutschland gelangen, sind gegenüber den Haupteintragswegen von wesentlich geringerer Bedeutung.
Fa
Reststoffe in Kläranlagen. Ein Teil der im Abwasser enthaltenen Stoffe adsorbiert an den Klärschlamm, der in
Deutschland stofflich bzw. thermisch verwertet wird, ein Teil wird über die Abwasserbehandlungsprozesse ab-
gebaut, während der verbleibende Rest in die Gewässer eingeleitet wird.
Das gilt sowohl für Medikamente, die zu Hause, wie für solche, die in Arztpraxen und Krankenhäusern
angewendet werden. Nicht verbrauchte Arzneimittel werden häufig aufgehoben und gelagert. Die Entsorgung
erfolgt über den Hausmüll, über Rücknahmen bei Sonderabfallstellen, Sammelmobilen oder Apotheken. Zum
Teil werden die Arzneimittel, insbesondere die flüssigen, jedoch in Toiletten oder Spülen und Waschbecken
geschüttet und kommen auf diese Weise in das Abwassersystem.
Tierarzneimittel haben typischerweise andere Eintragswege. Sie gelangen zunächst auf und in die Böden,
entweder bei Weidehaltung direkt oder über die Ausbringung von Wirtschaftsdünger nach einer Zwischenlage-
rung23 auf Äcker und Wiesen (Ebert et al. 2014; Hannappel et al. 2014). Durch Ausschwemmungs- und Erosi-
onsprozesse oder durch Drainagen werden sie dann entweder in die oberirdischen Gewässer eingetragen oder
sie versickern ins Grundwasser (Hannappel et al. 2014). Arzneimittelrückstände mit einer hohen Sorptions-
affinität, also einer Neigung, sich an anderen Stoffen anzulagern, werden tendenziell stärker an der Feststoff-
matrix im Boden zurückgehalten. Dementsprechend verbleiben Substanzen mit einer höheren Sorptionsaffinität
(z. B. Tetrazykline) eher im Boden oder werden durch Erosionsprozesse in Oberflächengewässer ausgetragen,
während Substanzen mit einer niedrigen Sorptionsaffinität (z. B. Sulfonamide) vermehrt ins Grundwasser drin-
gen.
Die Haupteintragswege von Human- und Tierarzneistoffen sind in Abbildung 2.10 zusammenfassend dar-
gestellt.24 Weil die Eintragswege von Human- und Tierarzneimitteln sehr unterschiedlich sind, erscheint es
sinnvoll, beide Bereiche getrennt voneinander zu behandeln.Drucksache 19/ 16430
– 34 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
2.2.3
Tierarzneimittel
Im Gegensatz zu den Humanarzneimitteln, die vor allem über Abwassernetze und Kläranlagen in die Gewässer
eingetragen werden, kommen Veterinärarzneimittel überwiegend über diffuse Eintragswege in die Umwelt.
Von größter Bedeutung ist hierbei der Eintragspfad über landwirtschaftliche Flächen. Gülle und Dung – soge-
nannter Wirtschaftsdünger – wird auf Äcker oder Wiesen ausgebracht, ebenso wie Gärreste aus der Biogaser-
zeugung. Nicht zu vernachlässigen sind auch die Ausscheidungen von Weide- und Haustieren, die im Freien
gehalten werden. Mit ihnen gelangen Arzneimittelrückstände in Böden oder zuweilen direkt in Oberflächenge-
wässer.
Im Boden können die Arzneimittelrückstände vorübergehend oder langfristig immobilisiert und dabei auch
angereichert werden. Wirkstoffe mit hoher Mobilität können hingegen durch Oberflächenabfluss oder durch
Fa
Quellen kommen Haushalte, Arztpraxen, Krankenhäuser, Pflegeheime und ähnliche Einrichtungen infrage.
Es wurde allerdings gezeigt, dass nicht Krankenhäuser oder andere medizinische Einrichtungen, sondern die
privaten Haushalte die mengenmäßig bedeutendste Quelle von Arzneimittelrückständen in Gewässern sind
(Alexy et al. 2006; Le Corre et al. 2012; Ort et al. 2010; Schuster et al. 2008). Es ist naheliegend, dass
Arztpraxen eine noch deutlich geringere Rolle spielen, weil die Patientinnen und Patienten sich dort nur kurz
aufhalten. Die Bedeutung von Pflegeheimen und Psychiatrien wurde im Verbundprojekt »SAUBER+« des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) untersucht. Dessen Ergebnisse zeigen, dass auch
diese Einrichtungen in einer Gesamtschau nur einen geringen Anteil am gesamten Arzneimitteleintrag haben
(Herrmann et al. 2013a u. 2015).
Aber nicht nur ausgeschiedene Arzneimittel gelangen aus den Haushalten in die Umwelt. Eine weitere
bedeutende Quelle sind verabreichte, aber nicht oder nicht vollständig verwendete und unsachgemäß entsorgte
Medikamente. Medikamente sollten der Müllverbrennung zugeführt, nicht aber über das Abwasser beseitigt
werden. 2006 hat eine repräsentative Umfrage im Rahmen des vom BMBF geförderten Forschungsprojekts
»start – Strategien zum Umgang mit Arzneimittelwirkstoffen im Trinkwasser« (ISOE 2008) ergeben, dass jeder
siebte Bürger in Deutschland Tabletten gelegentlich ins Abwasser gibt. Nicht benutzte flüssige Arzneien werden
sogar von etwa der Hälfte der Bürgerinnen und Bürger mehr oder weniger oft auf diese Weise beseitigt. Eine
repräsentative Befragung von 2.000 Bundesbürgern im Rahmen des BMBF-Projekts »TransRisk« zeigte, dass
einige Hundert t Arzneimittel/Jahr direkt ins Abwasser entsorgt und damit in vollem Umfang als unveränderte,
aktive Wirksubstanz dem Abwassersystem zugeführt werden. Auch in dieser Umfrage gab etwa die Hälfte der
Befragten an, ihre flüssigen Arzneimittel über die Toilette oder die Spüle zu beseitigen (Götz et al. 2014).
Eine andere, nicht zu vernachlässigende Quelle von Arzneimitteln in Gewässern ist die pharmazeutische
Industrie selbst. Studien belegen, dass die Zu- und Abläufe von Kläranlagen, an die pharmazeutische Unterneh-
men angeschlossen sind, erhöhte Konzentrationen von Arzneistoffen aufweisen. Diese Verunreinigungen stam-
men aus der Produktion der Arzneimittel und werden daher auch Produktionsverluste genannt. Von Braun und
Gälli (2014) wurden beispielsweise im Rahmen einer Sondererhebung in der Schweiz Daten von (industriellen)
Abwasserreinigungsanlagen für 13 pharmazeutische Wirkstoffe ausgewertet. Für die verschiedenen Wirk-
stoffe ergaben sich jährliche Stofffrachten zwischen 1 kg und 291 kg.
2016 waren in Deutschland gut 97 % der Bevölkerung an die öffentliche Abwasserkanalisation angeschlos-
sen (Destatis 2018). Die in den Haushalten ins Abwasser entsorgten Arzneistoffe werden folglich wie die von
Menschen ausgeschiedenen Arzneimittelrückstände weit überwiegend in Kläranlagen geleitet. Nichtange-
schlossene Häuser und schadhafte Abwasserleitungen können jedoch dazu führen, dass die Stoffe direkt in den
Untergrund und von dort ins Grundwasser gelangen. Zusätzlich können bei Starkregenereignissen über Misch-
wasserüberläufe Arzneistoffe direkt in die Gewässer eingeleitet werden. Aber selbst in der Kläranlage werden
Arzneistoffe nur zum Teil eliminiert. Der Rest fließt mit dem geklärten Wasser in die Gewässer (Carballa et al.
2005; Coetsier et al. 2009; Verlicchi et al. 2012). Manche Arzneistoffe sorbieren an Schlamm und gelangen
folglich, wenn der Klärschlamm nicht verbrannt, sondern als Bodenverbesserer verwendet wird, auf Böden und
können von dort wiederum in Oberflächengewässer oder ins Grundwasser eingetragen werden.
Auch die eliminierten Arzneistoffe werden in der Kläranlage nicht zwangsläufig vollständig unschädlich
gemacht. Es können (hinsichtlich ihrer chemischen Struktur und Eigenschaften) unbekannte Transformations-
produkte entstehen, die persistent sind oder auf Lebewesen toxisch wirken (Illés et al. 2014; Trautwein et al.
2014). Es kann sogar vorkommen, dass Metaboliten oder Transformationsprodukte später in der Kläranlage
oder in der Umwelt durch weitere biotische oder abiotische Prozesse wieder in ihre ursprünglichen Wirkstoffe
rückgebildet werden (Escher/Fenner 2011).
Transformationsprodukte wurden schon vielfach in Oberflächengewässern nachgewiesen (Besse et al.
2012; Grassi et al. 2013; Heberer 2002; Kümmerer 2008 u. 2010), zum Teil auch im Grundwasser (Lopez-Serna
et al. 2013), im Trinkwasser (Houtman et al. 2014) und im Meer (Trautwein et al. 2014).Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 35 –
Drucksache 19/ 16430
2.3
Nachweise von Arzneimitteln in Trinkwasser und Gewässern
Aufgrund der zunehmenden Empfindlichkeit von Nachweismethoden und der intensiven Forschung werden
Arzneimittelrückstände inzwischen regelmäßig in Fließgewässern, aber auch in Boden- und Grundwasserpro-
ben gefunden. Es konnten bislang in Deutschland etwa 150 verschiedene Arzneistoffe in der Umwelt, überwie-
gend in Gewässern, nachgewiesen werden (UBA 2014a). Im Trinkwasser wurden bis 2011 23 Wirkstoffe und
Metaboliten entdeckt (Bergmann et al. 2011). Ein systematisches und flächendeckendes Monitoring von Arz-
neimittelrückständen in Gewässern findet bisher nicht statt. Im Folgenden sind Informationen darüber zusam-
mengestellt, welche Stoffe in welchen Konzentrationen in der Umwelt zu finden sind. Es werden wieder zu-
nächst Arzneistoffe aus dem Bereich der Humanmedizin betrachtet, danach Veterinärmedikamente.
2.3.1
Humanarzneimittel
Einen der ersten Funde von Arzneimittelrückständen in der Umwelt gab es in den 1970er Jahren in den USA.
Im Ablauf der Kläranlage am Big Blue River in Kansas City wurden 2 μg/l Clofibrinsäure nachgewiesen (Gar-
rison et al. 1976). Hignite und Azarnoff (1977) maßen sogar bis zu 50-fach höhere Konzentrationen, also bis zu
0,1 mg/l von Arzneistoffen in anderen Kläranlagenabläufen. Es folgten Nachweise von Arzneimittelrückstän-
den in Kläranlagenabläufen und Oberflächengewässern in Großbritannien Mitte bis Ende der 1980er Jahre mit
Konzentrationen im Bereich von ng/l bis μg/l (Aherne et al. 1990; Richardson/Bowron 1985). Weitere Arz-
neistoffe mit Konzentrationen im unteren μg/l-Bereich wurden mehrfach Ende der 1990er Jahre in Kläranla-
genabläufen entdeckt (Halling-Sørensen et al. 1998; Ternes 1998).
Inzwischen sind weltweit in den Abläufen von Kläranlagen, in Flüssen und auch in Meeren Wirkstoffe aus
nahezu allen Arzneistoffgruppen gefunden worden, jeweils sobald die erforderlichen analytischen Verfahren
zur Verfügung standen. Eine erste umfassende Messkampagne in Deutschland erfolgte 2000 und 2001 auf Ver-
anlassung der 53. Umweltministerkonferenz (UMK). Um ein repräsentatives Bild über das Auftreten von Arz-
neistoffen in der aquatischen Umwelt in Deutschland zu erhalten, wurden an insgesamt ca. 250 Messstellen in
Kläranlagenzu- und -abläufen, an von Klärwerken beeinflussten sowie weiteren repräsentativen Flüssen, aus
Uferfiltrat sowie aus exponierten und repräsentativen Grundwässern und Deponiesickerwässern nahezu
700 Proben auf bis zu 39 Arzneistoffe hin untersucht. Die Konzentrationen betrugen bereits damals in den Klär-
anlagenabläufen bis zu 10 μg/l, in Einzelfällen aber auch deutlich darüber (BLAC 2003) (Abb. 2.11).
25
Es existieren auch Eintragswege in die Umwelt, die eine unmittelbare Exposition von Menschen zur Folge haben können. Bei-
spielsweise ist bekannt, dass Stallstäube aus dem Nutztierbereich häufig mit Antibiotika belastet sind, sodass diese von Landwir-
ten und Tierärzten inhaliert werden (Hamscher 2008; Hannappel et al. 2014; Hirth et al. 2012). Haustiere können über ihre Aus-
scheidungen oder über den direkten Kontakt mit dem Menschen Arzneistoffe direkt in das häusliche Umfeld eingetragen (Ham-
scher et al. 2010).
Fa
Erosion (insbesondere bei Starkregenereignissen) gemeinsam mit Bodenpartikeln in Oberflächengewässer
transportiert werden.
Eine weitere Quelle von Gewässerverunreinigungen können Fischteiche und Aquakulturen sein. Wenn
Tiere dort behandelt werden, werden die Medikamente normalerweise direkt ins Wasser gegeben (Hirth et al.
2012).25Drucksache 19/ 16430
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Kläranlagenabläufe
Stoffe A
Ambroxol
Atenolol
Bezafibrat
Bispoprolol
Carbamazepin
Clenbuterol
Clofibrinsäure
Diazepam
Diclofenac
DimAminophenazon
Ibuprofen
Indometacin
Ketoprofen
Metoprolol
Naproxen
Phenazon
Propanolol
Propyphenazon
Salbutamol
Sotalol
Terbutalin
Stoffe B
Amidotrizoesäure
Clarithromycin
Cyclophosphamid
Chloramphenicol
Deh Erythromycin
Estron
Estradiol
Ethinylestradiol
Ifosfamid
Iopamidol
Iopromid
Iomeprol
Mestranol
Roxithromycin
Sulfadimidin
Sulfamethoxazol
Diese Funde gaben Anlass für weitergehende Untersuchungen zur biologischen Abbaubarkeit bzw. Persistenz
von Arzneistoffen in Kläranlagen und Flüssen, in die sie entwässern. Übereinstimmend wurde immer wieder
festgestellt, dass viele Arzneistoffe schlecht abgebaut werden (Kümmerer et al. 1996 u. 2000; Trautwein/Küm-
merer 2012). Nicht zuletzt der Nachweis der Stoffe in unterschiedlichen Umweltkompartimenten belegt ihre
Fa
– 36 –
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Krik

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Re: Arzneimittelrückstände in Trinkwasser
« Reply #2 on: January 16, 2020, 05:16:26 AM »

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
– 37 –
Abb. 2.12 Anzahl der Wirkstoffe, die in bestimmten Konzentrationsbereichen in den aufgeführten wässri-
gen Kompartimenten gefunden wurden
70
61
60
50
40
35
35
30
20
22
20
15
13
8
10
0
0
0,1–1,0 μg/l
< 0,1 μg/l
> 1,0 μg/l
Konzentrationsbereich
Oberflächenwasser
Quelle:
Bergmann et al. 2011
Grundwasser
Trinkwasser
Fa
mehr oder weniger unvollständige Elimination in der Abwasserreinigung und ihre Persistenz in der Umwelt.
Diverse Arzneistoffe aus Humanarzneimitteln haften zudem, wie bereits erwähnt, an Klärschlamm. Beispiels-
weise wurden im Schlamm Spitzenwerte von 3,5 μg/kg Trockenmasse des Antibiotikums Ciprofloxacin fest-
gestellt (Golet et al. 2003).
In einer aktuellen Übersichtsarbeit mit Fokus auf Großbritannien sind neuere Funde von Arzneistoffen in
Abwasserkompartimenten zusammengefasst (Petrie et al. 2015). Auch hier wurden diverse pharmazeutische
Wirkstoffe in Konzentrationen bis zu mehreren μg/l im Zulauf von Kläranlagen identifiziert. Eine maximale
Konzentration von 492 μg/l wurde für das Schmerzmittel Paracetamol gemessen. Paracetamol wird jedoch in
der Kläranlage gut eliminiert, sodass am Ablauf der Anlage die Konzentrationen nur noch bis zu 11 μg/l betru-
gen. Alle anderen pharmazeutischen Wirkstoffe außer dem Epilepsiemittel Gabapentin (21 μg/l) fanden sich
am Ablauf nur noch im unteren μg/l- oder ng/l-Bereich. In Oberflächengewässern beliefen sich die maximal
gemessenen Konzentrationen außer für wenige Arzneistoffe (Gabapentin, Ibuprofen, Paracetamol, Theophyllin,
Tramadol) auf unter 1 μg/l.
Die Konzentrationen von Arzneimittelrückständen in Flüssen und Meeren sind aufgrund der Verdünnung
fast immer geringer als in den Kläranlagenabläufen (Nödler et al. 2010; Trautwein et al. 2014; Writer et al.
2013). Bergmann et al. (2011) fassten in einer Studie für das UBA öffentlich verfügbare Monitoringdaten zu-
sammen. Unter anderem wurden Arzneistoffmessungen in verschiedenen Umweltkompartimenten in Europa,
darunter auch Deutschland, berücksichtigt. Bei 156 von 192 untersuchten Human- und Tierarzneimitteln lag
nach der Recherche mindestens ein Positivbefund in einem Umweltkompartiment vor. In Böden wurden fast
ausschließlich Arzneistoffe festgestellt, die in der Veterinärmedizin eingesetzt werden. In den Wasserkompar-
timenten gab es hingegen Stoffe sowohl aus der Human- als auch aus der Veterinärmedizin. Die Anzahl der
gemessenen Wirkstoffe, aufgeschlüsselt nach verschiedenen Wasserkompartimenten, zeigt Abbildung 2.12.
Gómez et al. (2006) untersuchten Krankenhausabwässer und fanden darin Antibiotika, Betablocker und
Schmerzmittel in Konzentrationen von bis zu 150 μg/l. Krankenhäuser haben in der Regel keine gesonderten
Kläranlagen, sondern sind gemeinsam mit anderen Verbrauchern an kommunale Kläranlagen angeschlossen.
Auf dem Weg dorthin werden die Krankenhausabwässer mit anderen kommunalen Abwässern vermischt und
dabei verdünnt (meist im Verhältnis von ca. 1 : 100), sodass sich in den Kläranlagenzuläufen nur noch weitaus
niedrigere Konzentrationen nachweisen lassen als direkt in den Abläufen von Krankenhäusern (Ort et al. 2010).Drucksache 19/ 16430
– 38 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
2.3.2
Tierarzneimittel
Arzneimittel aus dem Veterinärbereich können sowohl in Ausscheidungsprodukten behandelter Tiere als auch
in verschiedenen Umweltkompartimenten regelmäßig nachgewiesen werden. So finden sich beispielsweise ver-
schiedene antibiotische Wirkstoffe in Dünger, Boden, Oberflächen- und Grundwasser (Küster et al. 2013). Zu-
dem wurden auch in Gärrestproben aus Biogasanlagen Antibiotikarückstände nachgewiesen, woraus geschlos-
sen werden kann, dass die Vergärung von Wirtschaftsdünger nicht generell zu einer vollständigen Elimination
der Antibiotika führt (Ratsak et al. 2013). Auch für andere Wirkstoffe dürfte dies zutreffen.
Aus einer Zusammenstellung des UBA zu gemessenen Umweltkonzentrationen von Arzneimitteln (Berg-
mann et al. 2011) geht hervor, dass bis 2011 in Deutschland 21 verschiedene Wirkstoffe bzw. Metaboliten in
Dung oder Gülle nachgewiesen wurden. Die maximalen Konzentrationen lagen hier typischerweise im Bereich
von μg/kg bis mg/kg Trockensubstanz mit einem Spitzenwert von 203,3 mg/kg für das Antibiotikum Chlortetra-
cyclin (Bergmann et al. 2011). Insgesamt bestätigen die Daten die Annahme aus der Verbrauchsmengenanalyse,
dass überwiegend Antibiotika, aber in Einzelfällen auch andere Stoffe anderer Wirkstoffgruppen wie z. B. An-
tiparasitika eine Rolle spielen. Im Boden wurden bisher insgesamt zehn pharmazeutische Wirkstoffe entdeckt,
überwiegend Antibiotika (z. B. Tetracycline, Sulfonamide, Chinolone) mit tiermedizinischer Anwendung. Zu-
dem gab es auch vereinzelte Funde eines Antiparasitikums (Ivermectin) und eines Wachstumsförderers
(Olaquindox). Auch hier lagen die Maximalwerte im Bereich von μg/kg bis mg/kg Trockensubstanz. Die
höchste gemessene Konzentration im Boden wurde mit 3,8 mg/kg für das Antibiotikum Enrofloxacin angege-
ben (Bergmann et al. 2011).
Bisher wurden nur vereinzelt Veterinärarzneimittelrückstände in Oberflächengewässern gemessen. Das
Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV 2007) berichtet in sei-
ner Studie aus dem Jahr 2007 von insgesamt vier tiermedizinischen Wirkstoffen, allesamt Antibiotika, die nach-
weislich in Konzentrationen über 0,01 μg/l in Oberflächengewässern vorkommen. Die maximale Konzentration
wurde für das Antibiotikum Tetracyclin mit 1 μg/l gefunden (LANUV 2007).
Das Grundwasser ist ebenfalls nachweislich mit Veterinärantibiotika belastet. So wurden innerhalb dersel-
ben Studie die antibiotischen Wirkstoffe Tetracyclin (max. 0,13 μg/l), Sulfadimidin (max. 0,16 μg/l) und Sul-
fadiazin (max. 0,017 μg/l) nachgewiesen (LANUV 2007). Das UBA (2014c) bestätigt in einer Monitoringstudie
ebenfalls, dass Antibiotika und Antiparasitika vereinzelt im Grundwasser an Standorten mit hoher Viehbesatz-
dichte vorkommen. An 39 von 48 Messstellen wurden keine der in der Studie berücksichtigten Wirkstoffe nach-
gewiesen, an 7 Messstellen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen hingegen Wirkstoffe aus der Gruppe
26
27
Vgl. auch den Überblicksartikel von Capdeville/Budzinski 2011, in dem Studien zu Deutschland, USA, Kanada, Frankreich, Spa-
nien und Israel ausgewertet wurden.
Vgl. Reddersen et al. 2002 und Ergebnisse, die im Rahmen eines vom Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und
Geologie im März 2017 veranstalteten Symposiums vorgetragen wurden (www.hlnug.de/?id=11960 [15.9.2019]).
Fa
Die höchsten in Deutschland gefundenen Konzentrationen in Oberflächengewässern stammen von schwer ab-
baubaren und durch Kläranlagen kaum zu beseitigenden Röntgenkontrastmitteln. Die Werte reichen nicht selten
bis zu 100 μg/l (Ternes/Hirsch 2000). Jedoch bewegen sich die Konzentrationen der meisten Arzneistoffe in
Oberflächengewässern in Bereichen zwischen 0,1 und 1 μg/l.
Arzneistoffe werden auch im Grundwasser (Sacher et al. 2001) und in Trinkwasserressourcen (Reddersen
et al. 2002) gefunden.26 Die Konzentrationen von Arzneimittelrückständen im Grundwasser und im Rohwasser
von Wasserwerken sind zwar vielerorts noch niedrig oder unterhalb der Nachweisgrenze, es gibt aber einige
Regionen wie z. B. das hessische Ried oder Berlin, in denen einige der gemessenen Konzentrationen an Grenz-
werte herankommen oder sie bereits überschreiten. In Hessen sind mittlerweile an 24 Grundwassermessstellen
jeweils bis zu 66 verschiedene Spurenstoffe nachgewiesen worden.27 Die höchsten Konzentrationen im Roh-
wasser von Wasserwerken waren diejenigen von Analgetika (Propyphenazon, Naproxen), Röntgenkontrastmit-
teln (Iopamidol) oder Lipidsenkern (Fenofibrat). Sie bewegten sich zwischen 0,1 und 1 μg/l. Andere Schmerz-
mittel (Diclofenac, Ibuprofen), das Antibiotikum Sulfamethoxazol oder das Benzodiazepin Diazepam wurden
im Trinkwasser mit Konzentrationen unter 100 ng/l gefunden (Bergmann et al. 2011). Trautwein et al. (2014)
wiesen das Antidiabetikum Metformin im Trinkwasser nach.
Zu beachten ist auch, dass in Deutschland etwa ein Drittel des Trinkwassers aus Oberflächengewässern,
Uferfiltrat oder angereichertem Grundwasser gewonnen wird. Dieses enthält im Vergleich zum Grundwasser
zumeist höhere Konzentrationen und eine größere Anzahl an nachweisbaren Arzneistoffen. Noch immer liegen
aber die durch den Menschen mit dem Trinkwasser aufgenommenen Mengen weit unterhalb solcher, die für
therapeutische Zwecke verabreicht werden. Ob hiervon dennoch langfristig eine Gefährdung für Menschen aus-
geht, wird im Kapitel 3 beschrieben.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 39 –
Drucksache 19/ 16430
2.4
Fazit
Insgesamt werden deutlich mehr Humanarzneimittel als Tierarzneimittel verbraucht. 2012 wurden 8.120 t Hu-
manarzneistoffe abgegeben, wobei die Tendenz steigend ist. Wenige Wirkstoffe haben dabei einen besonders
hohen Anteil. Die Verbrauchsmengen der fünf Wirkstoffe Metformin, Ibuprofen, Metamizol, Acetylsalicyl-
säure und Paracetamol machten 2012 zusammengenommen rund die Hälfte der insgesamt abgegebenen Menge
an Arzneistoffen aus.
Im Bereich der Tierarzneimittel werden nur die Abgaben von Antibiotika und einigen anderen ausgewähl-
ten Wirkstoffen amtlich erfasst. 2015 waren es 805 t Antibiotika mit sinkender Tendenz. Schätzungen des Ge-
samtverbrauchs an Tierarzneimitteln bei Nutztieren sind nicht sehr zuverlässig und aus dem Heimtierbereich
liegen auch keine belastbaren Daten vor.
Arzneimittelrückstände aus der Humanmedizin gelangen typischerweise über das Abwasser in Kläranla-
gen und, weil sie dort nur teilweise eliminiert werden, in die Oberflächengewässer. Arzneimittelrückstände aus
der Veterinärmedizin kommen hingegen mit der Gülle und dem Dung aus Ställen oder bei Weidehaltung meist
direkt auf Weiden, Wiesen und Äcker. Von dort führt ihr Weg in Böden und Grundwasser oder in Oberflächen-
gewässer. Durch den Wasserkreislauf sind die verschiedenen Umweltkompartimente miteinander verbunden.
Dadurch werden die Wasser-Arzneistoff-Gemische einerseits verdünnt, andererseits gelangen die Stoffe nach
und nach auch an entfernte Orte. Noch gibt es Messstellen, an denen keine Nachweise erfolgt sind. Allerdings
verbreiten sich Arzneistoffe in der Umwelt in Deutschland derart, dass selbst im Grundwasser schon Rückstände
gemessen werden konnten.
In einem Kläranlagenzulauf wurde der Spitzenwert von 492 μg/l für das Schmerzmittel Paracetamol ge-
messen, das aber in der Kläranlage größtenteils abgebaut wird. Im Ablauf von Kläranlagen werden Wirkstoffe
häufig noch in Konzentrationen von bis zu 10 μg/l gefunden. In den Oberflächengewässern, in die die Kläran-
lagen einleiten, werden die Stoffe dann in der Regel verdünnt, sodass sich die Konzentrationen meist um min-
destens die Hälfte verringern. Veterinärarzneimittelrückstände wurden in Oberflächengewässern nur vereinzelt
nachgewiesen. Im Rohwasser von Wasserwerken sind die Konzentrationen von Arzneimittelrückständen zwar
in der Regel sehr niedrig oder unterhalb der Nachweisgrenze, es gibt in einigen Regionen aber auch Ausnahmen
und Handlungsbedarf (Kap. 2.3.1).
Fa
der Sulfonamide (Antibiotika) in sehr niedrigen (wenige ng/l) und an 2 Messstellen in denselben Ländern in
sehr hohen Konzentrationen von über 100 ng/l (UBA 2014c).FaDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
Auswirkungen von Arzneimittelrückständen auf Gesundheit und Umwelt
Arzneimittel sind chemische Stoffe, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie biologisch hochaktiv sind.
Insbesondere Antibiotika, Antiparasitika, Antimykotika und ein großer Teil der Krebsmedikamente sind darauf
ausgerichtet, ihren Zielorganismus oder die Zielzellen abzutöten. Hormonhaltige Medikamente greifen in den
Steuerungsmechanismus von Organismen ein. Wie wirken diese Stoffe, wenn sie – stark verdünnt – über das
Trinkwasser oder über andere Wege unbeabsichtigt von Menschen aufgenommen werden? Wie wirken niedrige
Dosen über lange Zeiträume? Welche Gefahren bestehen für Kinder oder für alte und kranke Menschen? Kön-
nen Antibiotikarückstände in der Umwelt unter Umständen zu Antibiotikaresistenzen führen und damit die Be-
handlungsmöglichkeit von Infektionserkrankungen einschränken? Wie wirken Arzneimittelrückstände auf die
Umwelt? Welche Schäden verursachen sie in Einzelorganismen und Lebensgemeinschaften?
Diese und ähnliche Fragen werden im Folgenden aufgegriffen. In diesem Kapitel wird sich den nachge-
wiesenen, vermuteten und befürchteten Wirkungen von Arzneistoffen im Trinkwasser und Gewässern auf die
Gesundheit von Menschen und auf die aquatische Umwelt gewidmet. Zunächst wird in Kapitel 3.1 beschrieben,
mit welchen Methoden Aussagen über eventuelle schädliche Wirkungen von Stoffen in der Umwelt auf Men-
schen (humantoxische Wirkungen) oder auf andere Organismen (ökotoxische Wirkungen) gewonnen werden
können. Dazu werden einige Grundbegriffe der Toxikologie erläutert. Daraufhin werden in Kapitel 3.2 empiri-
sche Nachweise, Hinweise und begründete Befürchtungen zusammengetragen, denen zufolge Arzneimittel-
rückstände sich negativ auf die Gesundheit einzelner Menschen und auf die öffentliche Gesundheit auswirken.
Mit öffentlicher Gesundheit ist der Gesundheitsstand der Bevölkerung insgesamt gemeint sowie die Fähigkeit
der Gesellschaft, Gesundheit zu fördern und Krankheiten zu behandeln. In Kapitel 3.3 werden die empirischen
Hinweise für negative Wirkungen auf die Umwelt gesammelt. Insgesamt wird in diesem Kapitel ein Überblick
über wissenschaftliche Studien aus den Bereichen Epidemiologie, Toxikologie, Ökotoxikologie und Ökologie
gegeben. Dargestellt werden sowohl Evidenzen als auch Risikoabschätzungen und Unsicherheitsbetrachtungen,
Wissenslücken und Forschungsbedarfe. In Kapitel 3.4 werden die Ergebnisse des Kapitels zusammengefasst.
3.1
Methodische Ansätze zur Vorhersage und
Bewertung potenziell negativer Auswirkungen
Es ist grundsätzlich schwierig, die Nebenwirkungen des Verbrauchs an Arzneimitteln für die Umwelt oder deren
Rückwirkungen auf den Gesundheitszustand einzelner Betroffener oder der Bevölkerung insgesamt abzuschät-
zen. Selbst wenn es Hinweise auf toxische Wirkungen aus Laborversuchen gibt, gelingt es nur sehr selten,
beobachtete Phänomene ursächlich auf einzelne Schadstoffe zurückzuführen. Ein wichtiger Grund hierfür ist
die hohe Anzahl unterschiedlicher in der Umwelt vorhandener Arzneistoffe sowie anderer Schadstoffe und Ein-
flussfaktoren. Effekte in der Umwelt oder bei Menschen sind typischerweise das Ergebnis eines komplexen
Zusammenspiels vieler verschiedener Faktoren; man spricht in der Ökotoxikologie von multiplen Stressoren.
Es kann vorkommen, dass sich die Stressoren gegenseitig abschwächen, aber eben auch, dass sie sich verstär-
ken, sodass es notwendig ist, die Wechselwirkungen näher zu betrachten. Bei der Vorhersage der Wirkung von
Arzneimittelrückständen in Trinkwasser und Gewässern auf den Menschen kommt noch hinzu, dass lange Zeit-
räume und vielfältige Typen von Auswirkungen, also etwa chronische Effekte oder Veränderungen des Erbgu-
tes, betrachtet werden müssen.
3.1.1
Grundbegriffe der Toxikologie
Toxizität bezeichnet die Giftigkeit oder Schädlichkeit eines Stoffes für einen Organismus. Wenn es sich um
einen menschlichen Organismus handelt, spricht man dementsprechend von Humantoxizität. Ökotoxizität be-
zieht sich hingegen auf nichtmenschliche Lebewesen und deren Populationen in der Umwelt. Man unterscheidet
zwischen akuter Toxizität, der schädigenden Wirkung nach einer Einzeldosis, und chronischer Toxizität, der
Wirkung bei anhaltender Exposition.
Bei Untersuchungen der Toxizität wird erstens geprüft, welchen Dosen des betrachteten Stoffes der Orga-
nismus über welchen Zeitraum ausgesetzt ist, und zweitens, welche Wirkungen hierdurch ausgelöst werden.
Dabei wird in der Regel versucht, andere Umgebungseinflüsse auszuschalten oder zumindest zu kontrollieren,
um den vermuteten Kausalzusammenhang zwischen Dosis und Wirkung möglichst isoliert beobachten zu kön-
nen. Unter Dosis versteht man die Menge eines Stoffes, die einem Organismus (einmalig oder mehrmalig) zu-
geführt wird. Mit Wirkung kann sowohl der beabsichtigte Effekt eines Stoffes – bei Medikamenten etwa die
therapeutische Wirkung – als auch eine unbeabsichtigte Schad- oder Nebenwirkung gemeint sein. Bei Toxizi-
tätsuntersuchungen werden Schadwirkungen gemessen. Das können Todesfolgen sein, aber auch das Auslösen
von Krebserkrankungen (bei kanzerogenen Stoffen), eine Veränderung des Erbguts (bei mutagenen Stoffen)
Fa
3
– 41 –Drucksache 19/ 16430
– 42 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode





Toxic Dose Low (TD LO ): die geringste Dosis, die zu einem schädlichen oder unerwünschten Effekt führt;
Lethal Dose (LD): die geringste Dosis, die zum Tod eines Organismus führt;
Effective Dose 50 % (ED 50 ): Dosis, die bei 50 % der im Versuch beobachteten Population eine Wirkung
auslöst;
Median Lethal Dose (LD 50 ): Dosis, bei der 50 % aller Versuchstiere sterben;
No Observed Effect Level (NOEL): höchste Menge eines Stoffes, die auch bei andauernder Aufnahme
keine beobachtbaren Wirkungen hinterlässt.
Bei gasförmigen chemischen Verbindungen oder bei im Wasser oder Boden lebenden Organismen ist es in der
Regel sinnvoller, bei der Beschreibung und Festlegung der Endpunkte statt von einer Dosis von der Konzent-
ration eines Stoffes zu sprechen, der die untersuchten Organismen über eine gewisse Zeit ausgesetzt sind. Die
in der Aufzählung genannten Endpunkte ändern sich entsprechend: Beispielsweise spricht man von Median
Lethal Concentration (LC 50 ), der Letalkonzentration in Wasser, Boden oder Luft, bei der 50 % der Versuchsor-
ganismen innerhalb eines bestimmten Beobachtungszeitraumes sterben, oder von No Observered Effect Con-
centration (NOEC), der höchsten Konzentration eines Stoffes, bei der sich noch keine Wirkung einstellt.
Um die Toxizität von Stoffen für Menschen herauszufinden, werden in der Regel Tierversuche unternom-
men. Es wird versucht, von den Ergebnissen der Tierversuche auf die Wirkung auf Menschen zurückzuschlie-
ßen. Dazu werden theoretische Modelle, statistische Datenauswertungen, Computersimulationen und Ähnliches
eingesetzt. Weil man sich bewusst ist, dass der Rückschluss fehlerbehaftet sein kann, werden bei der Bestim-
mung von Grenzwerten in der Regel Sicherheitsmargen aufgeschlagen. Von der Organisation for Economic Co-
operation and Development (OECD o. J.) wurden Richtlinien für die Bestimmung der Toxizität von Stoffen
erarbeitet, auf die beispielsweise auch die Verordnung (EG) Nr. 1907/200629 zurückgreift. Es gibt verschiedene
Maße für die Beschreibung der Gefährdung, die von einem Stoff ausgeht. Einige prominente Beispiele für Ri-
sikobewertungskonzepte sind:


28
29
30
Margin of Safety (MoS): Der MoS-Wert wird für Stoffe benutzt, die eine klare Wirkschwelle besitzen, d. h.,
die erst ab einer gewissen Dosis bzw. Konzentration einen toxischen Effekt haben. Der MoS-Wert ist defi-
niert als das Verhältnis aus der Dosierung, ab der im Tierexperiment ein Effekt festgestellt wird, dem so-
genannten Point of Departure (PoD), und der Exposition: MoS = PoD/Exposition. Je kleiner der Quotient
ist, desto größer ist das Gesundheitsrisiko. Einige EU-Länder sehen einen MoS-Wert kleiner 50 als kritisch
an, andere bereits einen MoS-Wert kleiner 100 (Lohs et al. 2009, Stichwort MoS-Werte). Diese Schwellen
sind Konventionen, also von einer Gesellschaft vorgenommene normative Setzungen; sie können grund-
sätzlich nicht naturwissenschaftlich begründet werden.30
Margins of Exposure (MoE): MoS und MoE sind ähnlich und werden zuweilen fälschlicherweise ver-
mischt. Im Gegensatz zum MoS wird der MoE für Stoffe eingesetzt, die keine Wirkschwelle haben, wie
z. B. mutagen kanzerogene Substanzen, also Stoffe, die Krebs auslösen können, indem sie das Erbgut ver-
ändern. Schon kleinste Konzentrationen können einen Schadeffekt auslösen, wenn auch nur mit einer ge-
ringen Wahrscheinlichkeit. Die Berechnungsformel des MoE ist die gleiche, allerdings wird der PoD anders
siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/Toxizit%C3 %A4tsbestimmung (15.9.2019)
zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen
Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93, der Ver-
ordnung (EG) Nr. 1488/94, der Richtlinie 76/769/EWG sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und
2000/21/EG
Auch wenn eine solche normative Setzung nicht völlig objektiv sein kann, ist sie dennoch auch nicht willkürlich. Sie erfordert
notwendigerweise ein (ethisches) Urteil, das von anderen Menschen Zustimmung, aber auch Kritik erhalten kann (Klauer et al.
2013, Kap. 7).
Fa
oder eine Störung der Fortpflanzung (bei reproduktionstoxischen Stoffen). In der Ökotoxikologie werden neu-
erdings zunehmend auch subletale Wirkungen betrachtet, wie etwa eine verringerte Bewegungsaktivität oder
eine Hemmung der Atmungsaktivität bei den Versuchsorganismen.
Es gibt verschiedene Ansätze zur Messung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen. In diesen Ansätzen werden
sogenannte Endpunkte definiert. Endpunkte sind Parameter, deren Bestimmung das Ziel (öko)toxikologischer
Untersuchungen ist und die letztlich der Risikobewertung von Stoffen dienen. Einige Beispiele für Endpunkte
sind:28Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
definiert: MoE = PoD/Exposition. Im Gegensatz zum MoS ist beim MoE bereits der PoD eine Konvention
und keine naturwissenschaftlich beobachtete Wirkschwelle. Beispielsweise wird oft bei mutagen kanzero-
genen Stoffen als PoD die Dosis genommen, die bei 25 % der Tiere zu einem Tumor geführt hat. Weil sich
beim MoE keine Wirkschwelle angeben lässt, wird typischerweise eine deutlich höhere Sicherheitsmarge
als bei MoS verwendet. Ein Stoff gilt normalerweise bereits als bedenklich, wenn der Quotient kleiner 1.000
liegt. Für Stoffe, die sowohl kanzerogen als auch genotoxisch sind, empfiehlt das Scientific Committee der
European Food Safety Authority (EFSA2012) sogar eine Schwelle von 10.000.
Acceptable Daily Intake (ADI, duldbare tägliche Aufnahmemenge):31 ADI bezeichnet die Dosis eines
Stoffes, die auch bei lebenslanger täglicher Einnahme als unbedenklich eingeschätzt wird. ADI ist damit
also ein Maß für die chronische Toxizität eines Stoffes. Er wird in der Regel in mg oder μg pro kg Körper-
gewicht angegeben. Wechselwirkungen mit anderen Stoffen werden bei der Berechnung des ADI nur teil-
weise berücksichtigt.32 Wenn es keine klare Wirkschwelle gibt, so ist bei der Bestimmung des ADI – ähn-
lich wie beim MoE – eine normative Setzung und gesellschaftliche Konvention erforderlich.
MoS und MoE können sowohl für akute wie auch für chronische Wirkungen bestimmt werden. Bei der Berech-
nung des MoE für chronische Wirkungen wird typischerweise der ADI als PoD verwendet.
3.1.2
Das PEC/PNEC-Risikobewertungskonzept
Unternehmen, die Humanarzneimittel herstellen, müssen seit dem 1. Dezember 2006 im Rahmen des Zulas-
sungsverfahrens neuer Medikamente eine Umweltrisikobewertung (Environmental Risk Assessment [ERA])
vornehmen. Die Anforderungen an die Umweltrisikobewertung sind in einem Leitfaden der European Medici-
nes Agency33 (EMA 2006) niedergelegt. Der Leitfaden legt fest, welche Arzneimittel einer Umweltrisikobe-
wertung unterzogen werden müssen, beschreibt die Prüfstrategie und den Prüfumfang und gibt die konkreten
Datenanforderungen für Umweltexposition, Verbleib und Verhalten des Wirkstoffes in der Umwelt sowie zu
dessen Ökotoxizität vor.34 Es gibt zwei Phasen, die das Vorgehen der Umweltrisikoprüfung kennzeichnen. Sie
sind schematisch in Abbildung 3.1 dargestellt.
1. In Phase I erfolgt eine generelle, grobe Expositionsabschätzung. Ziel ist es, auf einfache Weise unproble-
matische Stoffe zu identifizieren, für die dann keine tiefer gehende Prüfung notwendig ist. Dazu wird die
maximal zu erwartende Umweltkonzentration (Predicted Environmental Concentration [PEC]) berechnet.
In die Berechnung fließen die maximale Tagesdosis, der
31 Der ADI ist vergleichbar mit dem Tolerable Daily Intake (TDI). Letzterer wird aber nur im Zusammenhang mit der Aufnahme
von Stoffen verwendet, die nicht absichtlich zugesetzt wurden, wie z. B. Verunreinigungen in Lebens- oder Futtermitteln.
https://de.wikipedia.org/wiki/Erlaubte_Tagesdosis (15.9.2019)
Bis 2010 hieß die Behörde European Agency for the Evaluation of Medicinal Products – EMEA.
Vitamine, Elektrolyte, Proteine, Kohlenhydrate und Lipide müssen z. B. nicht untersucht werden, da von ihnen kein Einfluss auf
die Umwelt zu erwarten ist. Die Richtlinien besagen auch, dass Arzneimittel, die vor diesem Zeitpunkt zugelassen wurden, keiner
nachträglichen Prüfung bedürfen. Allerdings kann eine Umweltrisikoprüfung bei einer wesentlichen Änderung der Zulassung
gefordert werden.
32
33
34
Fa

– 43 –Drucksache 19/ 16430
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Schematischer Ablauf der Umweltrisikobewertung bei der Zulassung eines Arzneimittels
grobe Expositionsbetrachtung
vertiefte Umweltprüfung
Auflagen
zum Schutz
der Umwelt
PEC/PNEC > 1
PEC > 0,01 μg/l
Phase I
Phase II
PEC < 0,01 μg/l
log Kow > 4.5
Untersuchung der Persistenz,
des Bioakkumulationspotenzials
und der Toxizität
S
T
O
P
P
PEC/PNEC < 1
S
T
O
P
P
However-Klausel,
wenn Effekte unterhalb 10 ng/l
erwartet werden
log Kow: Logarithmus des n-Oktanol-Wasser-Verteilungskoeffizienten
PEC: Predicted Environmental Concentration
PNEC: Predicted No Effect Concentration
Quelle:
2.
35
36
37
38
nach UBA 2014b
Marktdurchdringungsfaktor35, der durchschnittliche Wasserverbrauch pro Kopf und Tag sowie der Ver-
dünnungsfaktor des Kläranlagenablaufs mit ein. Der Metabolismus des Wirkstoffs im menschlichen Kör-
per und dessen Elimination oder Transformation in der Kläranlage werden in dieser Phase noch nicht be-
rücksichtigt. Zusammengefasst wird in Phase I eine Art Worst-Case-Szenario der höchst möglichen Um-
weltkonzentration der Muttersubstanz durchgespielt, um eine maximale Exposition abzuschätzen.36 Wenn
dieser PEC-Wert die Schwelle 10 ng/l überschreitet, muss der pharmazeutische Wirkstoff in Phase II einer
tiefer gehenden Umweltprüfung unterzogen werden. Diese Schwelle gilt aber nicht für Stoffe, bei denen
schon Effekte unterhalb von 10 ng/l erwartet werden. In diesem Fall wird die Substanz in Phase II weiter
geprüft, auch wenn der PEC-Wert die Schwelle von 10 ng/l nicht überschreitet, wie z. B. bei Hormonpräpa-
raten.37
Bei der vertieften Umweltprüfung in Phase II soll das Risiko unerwünschter Wirkungen eines Arzneistof-
fes in Gewässern, Sedimenten und Böden abgeschätzt werden. Dabei werden die Abbaubarkeit und das
Verhalten des Stoffes in diesen Kompartimenten berücksichtigt. Es werden insbesondere für Klärschlamm-
bakterien sowie für Organismen, die geeignet sind, den Zustand der Ökosysteme insgesamt zu repräsen-
tieren – nämlich Algen, Daphnien (Wasserflöhe) und Fische –, die Konzentrationen bestimmt, bei denen
man keine negativen Umwelteffekte38 beobachten kann. Die höchste dieser Konzentrationen wird No Ob-
served Effect Concentration (NOEC) (Kap. 3.1.1) genannt. Die NOEC wird dann mit einem Sicherheits-
faktor multipliziert, um die Predicted No Effect Concentration (PNEC) abzuleiten. Gemäß dem Leitfaden
Der Marktdurchdringungsfaktor ist definiert als die durchschnittliche Anzahl der Menschen, die dieses Produkt pro Tag konsu-
mieren.
Allerdings wird auch unterstellt, dass Metaboliten und Transformationsprodukte nicht toxischer sind als die Muttersubstanz. Falls
das doch der Fall wäre, könnte der Schadeffekt doch noch größer sein als dieses Worst-Case-Szenario.
Auch für fettlösliche Stoffe gilt ein gesondertes Prüfprogramm (UBA 2014b). Sie werden unabhängig vom berechneten PEC ei-
ner eingehenderen Prüfung bezüglich Persistenz (P), Bioakkumulation (B) und Toxizität (T) unterzogen (PBT-Bewertung).
In den Standardtests für die Zulassung von Chemikalien werden verschiedene Umwelteffekte allerdings gar nicht untersucht, wie
z. B. die Reproduktion und sexuelle Entwicklung an Fischen, die endokrine Wirkung der Stoffe oder ihre Wirkungen auf das Ver-
halten von Organismen.
Fa
Abb. 3.1
– 44 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 45 –
Drucksache 19/ 16430



der Variabilität zwischen verschiedenen Arten,
der Variabilität innerhalb einer Art und
der Labor-zu-Freilandextrapolation.
Der bereits in Phase I vorläufig berechnete PEC-Wert wird nun in Phase II noch einmal präzisiert, indem
auch die Abbauprozesse im menschlichen Körper und in der Kläranlage berücksichtigt werden. Der Quo-
tient aus (präzisiertem) PEC und PNEC gibt letztendlich Aufschluss über das vom Wirkstoff ausgehende
Umweltrisiko. Ist der Wert PEC/PNEC größer 1, wird von einem Umweltrisiko ausgegangen, und es sind
gemäß dem EMA-Leitfaden Maßnahmen zum Schutz der Umwelt (Kap. 5) zu ergreifen. Bei einem Wert
PEC/PNEC kleiner 1 werden die Umweltrisiken als vertretbar angesehen und es müssen keine Maßnahmen
erfolgen.
2011 hat das UBA (Bergmann et al. 2011) in einer umfassenden Literaturrecherche eine aktuelle Bestandsauf-
nahme der in Deutschland und im europäischen Ausland vorliegenden Monitoringdaten zum Vorkommen und
Verhalten von Arzneimitteln in der Umwelt erarbeitet und in eine Datenbank eingespeist. Sie enthält Nachweise
von 274 Human- und Veterinärarzneistoffen, die in Kläranlagenabläufen oder Oberflächengewässern, im
Grundwasser, Trinkwasser, Klärschlamm, Wirtschaftsdünger, Boden oder Sediment nachgewiesen wurden. Die
Auswertung der Datenbank ergab, dass nur für 70 Wirkstoffe hinreichende Informationen über ökotoxikologi-
schen Wirkkonzentrationen vorhanden waren, um die gemessen Umweltkonzentrationen zu bewerten. Noch
geringer war die Anzahl der Wirkstoffe, für die PNEC-Werte vorlagen. Schließlich konnten 19 Wirkstoffe mit
gesicherter und neun Wirkstoffe mit mangelhafter Datenlage identifiziert werden, für die aufgrund der gemes-
senen Umweltkonzentrationen eine Gefährdung des Ökosystems in mindestens einem Gewässerabschnitt in
Deutschland befürchtet werden muss.40 , 41
Das zur Einschätzung der Gefährlichkeit notwendige ökotoxikologische Wissen ist also für viele Arz-
neistoffe noch unzureichend. Eine besondere Aufmerksamkeit sollte Arzneistoffen geschenkt werden, für die
(1) derzeit aufgrund unzureichenden Monitorings noch keine Umweltkonzentrationen vorliegen oder (2)
aufgrund mangelnden ökotoxikologischen Wissens keine zuverlässige Risiko- und Gefährdungsabschätzung
vorgenommen werden kann, für die aber (3) aufgrund der Zunahme der Verbrauchsmengen ein hohes Gefähr-
dungspotenzial erwartet werden kann (Bergmann et al. 2011).
3.1.3
Methoden zur Bewertung von Kombinationswirkungen
Die in Kapitel 3.1.1 beispielhaft genannten Endpunkte TD LO , LD, ED 50 , LD 50 , NOEL, die etwas komplexeren
Bewertungskonzepte MoS, MoE, ADI sowie das anspruchsvolle PEC/PNEC-Bewertungskonzept der EMA
(2006) beziehen sich auf einzelne Stoffe und bewerten auf die eine oder andere Weise das Risiko schädlicher
Wirkungen auf Gesundheit oder Umwelt. Sie sind aber nicht ohne Weiteres geeignet, um Kombinationswirkun-
gen verschiedener Stoffe zu erfassen und entsprechende Risiken abzuschätzen. Im Folgenden werden nun einige
Ansätze zur Bewertung von Kombinationswirkungen vorgestellt.
Die Untersuchung und Bewertung toxikologischer Auswirkungen von Stoffgemischen auf Mensch und
Umwelt ist schwierig, weil es zum einen eine unüberschaubar große Zahl an denkbaren Stoffgemischen gibt
und weil zum anderen auch nichtstoffliche Stressoren, wie z. B. die Temperatur, die Lichtverhältnisse oder der
pH-Wert, Einfluss auf die Toxizität eines Gemisches in der Umwelt haben. Die Komplexität multipler Stresso-
ren bleibt eine große Herausforderung für die Toxikologie und Ökotoxikologe, wird aber zunehmend zum
Thema von Forschungsvorhaben. Von O'Brien und Dietrich (2004) wurde die provokante These aufgestellt,
dass die Erforschung von Kombinationswirkungen so schwierig ist und so viel Zeit und Geld benötigt, dass es
39
40
41
Bei der Festlegung von Pestizidaufnahmegrenzwerten wird im Gegensatz zu Arzneimitteln allerdings ein höherer Extrapolations-
faktor von 100 verwendet, bei Vorliegen von Genotoxizität gar ein Faktor von 1.000. Die Höhe der Sicherheitsfaktoren wird in
der Literatur immer wieder kritisch diskutiert und es wird versucht, diese mit Extrapolationsversuchen und Modellrechnungen zu
untermauern (Falk-Filipsson et al. 2007; Schneider et al. 2002 u. 2004; Vermeire et al. 2001).
In der UBA-Datenbank sind vielfach sogenannte Altstoffe, also Stoffe aufgeführt, die vor 2006 in den Verkehr gebracht wurden,
für die nach der damaligen gesetzlichen Regelung keine Umweltrisikobewertung erforderlich war. In der Phase nach 2006 wurden
wesentlich mehr als 19 Wirkstoffe einer Umweltrisikobewertung unterzogen, nur wurden diese Wirkstoffe nicht in der Umwelt
nachgewiesen und erscheinen deshalb nicht in der Datenbank.
Bereits der SRU (2007) hat anhand von Daten aus 2004 für 10 Stoffe eine Überschreitung des kritischen PEC/PNEC-Schwellen-
wertes von 1 festgestellt.
Fa
der EMA (2006) wird normalerweise ein Sicherheitsfaktor von 10 verwendet.39 Damit sollen drei Arten
von Unsicherheit berücksichtigen werden und zwar Unsicherheiten aufgrund:Drucksache 19/ 16430
– 46 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode



Die Einzelkomponenten haben einen ähnlichen Wirkmechanismus.
Die Einzelkomponenten haben einen unterschiedlichen Wirkmechanismus.
Es gibt komplexere Wechselwirkungen zwischen den Einzelkomponenten.
Für die ersten beiden Grundtypen gibt es spezifische Strategien, um die Toxizität eines Stoffgemisches vorher-
zusagen, wenn man die Toxizität der Einzelkomponenten kennt.
Wenn die Einzelkomponenten ähnliche Wirkmechanismen haben und wenn man keine weitergehenden
Informationen über die Wechselwirkung der Stoffe hat, erscheint es sinnvoll, bei der Abschätzung der Gesamt-
wirkung des Gemisches anzunehmen, dass sich die Dosen bzw. Konzentrationen des Gemisches addieren. Al-
lerdings muss man dabei gegebenenfalls die unterschiedliche Wirkkraft der Stoffe berücksichtigen. Diese Vor-
gehensweise bei der Vorhersage der Toxizität von Stoffgemischen bezeichnet man mit dem Begriff Concentra-
tion Addition (CA).
Für Gemische, bei denen sich die Einzelwirkungen nicht gegenseitig beeinflussen, etwa weil sie auf unter-
schiedliche Organe wirken, ist es hingegen sinnvoll anzunehmen, dass sich die Wahrscheinlichkeiten des Eintre-
tens der Effekte addieren. Wenn beispielsweise Stoff A die Leber schädigt, sodass dies bei einer Population von
125 Individuen dazu führt, dass nach einer Woche 10 % sterben bzw. nur noch 90 % am Leben sind, und Stoff B
die Atmung beeinträchtigt, sodass in derselben Zeit 20 % der Individuen sterben und 80 % überleben, so kann man
davon ausgehen, dass beide Stoffe in Kombination zu einer Überlebensrate von 72 % (125 Indivi-
duen x 90 % x 80 % = 90 Individuen) führen. Das heißt, eine letale Wirkung tritt bei 28 % der Individuen auf.
Diese Vorgehensweise wird als Independent Action (IA) bezeichnet.
Beide Vorgehensweisen gehen von der Annahme aus, dass die Toxizität des einen Stoffes von derjenigen des
anderen Stoffes nicht beeinflusst wird. Sie wurden beide als Standardverfahren zur Risikobewertung in regulato-
rischen Kontexten vorgeschlagen. Tatsächlich bestehen Schadstoffcocktails selten nur aus Stoffen mit ähnlichen
Wirkmechanismen oder völlig unabhängigen Wirkmechanismen. Vielmehr beeinflussen sich die Wirkmechanis-
men meistens gegenseitig auf komplexe und oft unbekannte Weise (BIO Intelligence Service 2013).42 In einer
Reihe von Untersuchungen wird sich nun mit der Frage beschäftigt, welche Vorhersagestrategie in Fällen, bei
denen die Wirkmechanismen und deren gegenseitige Beeinflussung unklar sind, geeigneter ist.
Im Forschungsprojekt »Pharmas« (2012), in welchem eine Software für Risikoabschätzung von Arznei-
mittelmischungen erarbeitet wurde, wurden Arzneimittelmischungen in sieben Kläranlagenabflüssen in vier eu-
ropäischen Ländern untersucht. Alle Abflüsse zeigten hohe Umweltrisiken. Im Ergebnis trat nur selten Mi-
schungstoxizität auf, die viel höher lag (größer als Faktor 5) als von CA vorhergesagt; in der Regel kann CA
also als ein gutes Prognosemodell gelten.
Insgesamt erscheint also CA grundsätzlich als eine sinnvolle Methode, um die Toxizität von pharmazeuti-
schen Mischungen auf der Basis der Toxizität der einzelnen Substanzen vorherzusagen. Kortenkamp et al.
(2009) weisen allerdings darauf hin, dass bei Gemischen von hochwirksamen und weniger wirksamen Substan-
zen die tatsächliche Toxizität mit der CA-Methode nicht selten unterschätzt wird. Für Mischungen von Arznei-
mitteln, bei denen der Verdacht besteht, dass Wirkstoffe unterschiedliche Wirkungsmechanismen haben, sollten
sowohl CA als auch IA in einem Hybrid- oder Zweistufenansatz eingesetzt werden (Vasquez et al. 2014).
Zur Vorhersage von Wechselwirkungen von toxisch wirkenden Stoffen werden zunehmend mathematisch-
statistische Modelle verwendet. Mit diesen Modellen werden große Mengen empirischer Daten über die Toxi-
zität von Gemischen ausgewertet und statistische Zusammenhänge zwischen der Toxizität von Komponenten
einerseits und von Gemischen andererseits hergestellt. Beispiele hierfür sind die bereits vielfach angewendete
Combination-Index-Isobologram-Equation-Methode, mit der sich gegenseitig verstärkende (synergistische),
additive und gegenseitig abschwächende (antagonistische) Effekte von Wirkstoffmischungen ermitteln ließen,
und die sogenannten QSAR-Modelle (Modelle der quantitativen Struktur-Wirkungs-Beziehung), mit denen
summarische Risikoquotienten von bis zu 100 Arzneimittelrückständen in Klinikabwässern ermittelt werden
konnten (Bergmann et al. 2011).
42
Einen Überblick über die beiden Vorgehensweisen IA und CA geben Kortenkamp et al. 2009.
Fa
vielleicht wirtschaftlicher wäre, bestehende Kläranlagen zu modernisieren, um den Eintrag von pharmazeuti-
schen Mischungen in Gewässer zu verhindern.
Um Kombinationswirkungen konzeptionell zu erfassen, wurde schon vor mehr als 50 Jahren eine Unter-
scheidung von drei Grundtypen der Wechselwirkungen von Stoffmischungen eingeführt (Bliss 1939;
Loewe/Muischnek 1926; Plackett/Hewlett 1948 u. 1952):Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 47 –
Drucksache 19/ 16430
3.2
Auswirkungen von Arzneimittelrückständen auf die menschliche Gesundheit
Arzneistoffe und deren Abbauprodukte, die in die Umwelt gelangt sind, können auf die eine oder andere Weise
wieder in einen menschlichen Organismus kommen. Wenn sich solche Rückstände im Trinkwasser befinden,
nehmen Menschen sie beim Trinken und Essen mit auf. Ein anderer Weg, den Arzneimittelrückstände nehmen
können, geht über Lebensmittel tierischen Ursprungs. Tiere enthalten zuweilen Rückstände, wenn sie mit Me-
dikamenten behandelt wurden oder belastete Futterpflanzen gefressen haben. Auch ein Transfer pharmakolo-
gisch wirksamer Stoffe in Lebensmittel nichttierischen Ursprungs kann nicht ausgeschlossen werden. Arznei-
mittelrückstände tierischen Ursprungs können in Pflanzen akkumulieren, die mit sogenanntem Wirtschaftsdün-
ger, also Gülle oder Dung, behandelt wurden (BfR 2011; Chitescu et al. 2014). Man muss also davon ausgehen,
dass Arzneistoffe nicht nur in der Umwelt vorhanden sind, sondern dass sie auch in gewissen Mengen vom
Menschen mit dem Trinkwasser oder mit der Nahrung aufgenommen werden. Auch andere Expositionspfade
etwa über die Atemluft oder die Haut können nicht ganz ausgeschlossen werden. Beispielsweise können in
Tierställen Antibiotika über den Staub inhaliert werden.
3.2.1
Akute Gesundheitsgefährdungen durch Trinkwasser
Verschiedene Institutionen und Experten haben übereinstimmend festgestellt, dass derzeit der Genuss von
Trinkwasser in Deutschland unbedenklich ist: Akute Gesundheitsgefährdungen sind nach heutigem Wissens-
stand durch Arzneimittel im Trinkwasser »nahezu ausgeschlossen« (ISOE 2008, S. 11) oder zumindest »sehr«
oder »äußerst unwahrscheinlich« (SRU 2007; WHO 2011). Das Risiko ist »sehr gering, wenn nicht unbedeu-
tend« (Pharmas 2012) bzw. es besteht »keine konkrete Gesundheitsgefahr« (Ebert et al. 2014). Bezogen auf
einzelne Wirkstoffe gibt es weitere Stellungnahmen:

Das britische Drinking Water Inspectorate (DWI 2007) betrachtete das Risiko von Arzneimittelrück-
ständen im Trinkwasser mithilfe deterministischer und probabilistischer Modelle basierend auf einem ein-
fachen Ansatz der EMA. Es wurden die sogenannten Expositionsraten ermittelt, d. h. das Verhältnis der
geschätzten Trinkwasserkonzentration eines Stoffes und der minimalen therapeutischen Dosis. Analysiert
wurden Arzneimittel und illegale Drogen. Mithilfe des deterministischen Modells wurden Worst-Case-Sze-
narien untersucht, in die die jeweils höchsten gemessenen Konzentrationen eingingen. Die MoS für die
meisten Arzneimittel und Drogen lag über 1.000. Nur für 10 Substanzen – 4 davon illegale Drogen – waren
die MoS unter 1.000. Nur in einem Fall lag sie unter dem kritischen Wert von 100. Wenn die MoS-Raten
nicht mit einem deterministischen Modell für ein Worst-Case-Szenario, sondern mit einem realistischeren
probabilistischen Modell berechnet werden, kamen bis auf einen alle Mittelwerte der MoS über 1.000 und
nur für Tetrahydrocannabinol – eine psychoaktive Substanz – unter 1.000, aber noch über dem kritischen
Wert von 100. Die Autoren schlossen hieraus, dass von Arzneimittelrückständen im Trinkwasser kein sig-
nifikantes Risiko für Menschen ausgeht.
› Von der französischen Agence nationale de sécurité sanitaire de l'alimentation, de l'environnement et du
travail (ANSES 2013) wurde für das Antiepilepktikum Carbamazepin und das Antibiotikum Danofloxacin
im Trinkwasser ein vernachlässigbares Gesundheitsrisiko ermittelt.
› Das UBA (Ebert et al. 2014) führt zu den im Trinkwasser gefundenen Schmerzmitteln Diclofenac, Ibu-
profen und Phenazon sowie dem Antibiotikum Sulfamethoxazol und dem Hormon 17α-Ethinylestradiol
aus, dass sich die gefundenen Konzentrationen im Trinkwasser im Bereich von Bruchteilen eines μg/l be-
wegen. Dies sind Konzentrationen, die Größenordnungen unter denen liegen, bei denen eine Arzneimittel-
wirkung auf den Menschen feststellbar ist. Die im Trinkwasser nachgewiesenen Mengen sind Hundert bis
1 Mio. Mal niedriger als die therapeutische Tagesdosis. Trinkwasserhygienisch sind diese Arzneimittelspu-
ren zwar unerwünscht, für den Menschen besteht aber dadurch nach heutigem Stand des Wissens keine
konkrete Gesundheitsgefahr.
Fa
Wie in den Kapiteln 3.2.2 und 3.3.2 erläutert wird, liegt die Schwelle für ökotoxikologische Wirkungen
chronischer Expositionen zum Teil mehrere Größenordnungen unter denen akuter Expositionen. Untersuchun-
gen zur chronischen Niedrigdosiswirkung von Pharmaka in Mischungen liegen derzeit nicht vor.
Das Problem der gemeinsamen Wirkung von Mehrkomponentenmischungen von Chemikalien in der Um-
welt ist nicht auf Arzneimittel beschränkt. Typische Gemische in der Umwelt enthalten auch eine Vielzahl von
Chemikalien aus anderen regulatorischen Bereichen wie z. B. Industriechemikalien, Pflanzenschutzmittel und
Biozide. Petersen et al. (2014) untersuchten elf Pharmaka in einer Mischung zusammen mit Bioziden, po-
lyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen und Alkylphenolen auf Algentoxizität. Die Toxizität des
Gemisches konnte gut mit CA vorhergesagt werden.Drucksache 19/ 16430

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Ähnlich formulierte auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU 2007): Die tägliche bzw. le-
benslange Aufnahme von unterschiedlichen Wirkstoffen durch Trinkwasser liegt mindestens um den Fak-
tor 1.000 niedriger als diejenigen Konzentrationen, ab denen eine therapeutische Wirkung eintreten würde.
In etwa 90 % der Fälle differierten sie sogar um mindestens den Faktor 150.000.
In die gleiche Richtung geht auch die Einschätzung der Expertinnen und Experten des EU-Projekts »Phar-
mas« (2012): Es könnten zwar besonders empfindliche Untergruppen in der Bevölkerung existieren, aber
es wäre unwahrscheinlich, dass diese durch Humanpharmazeutika in der Umwelt beeinflusst werden.
Völlig ausgeschlossen werden Risiken für den Menschen durch Arzneistoffe in der Literatur jedoch nicht, vor
allem aufgrund von Wissenslücken bei Kombinations- und Langzeitwirkungen geringer Dosen, insbesondere
auch im Hinblick auf empfindliche Menschen (BIO Intelligence Service 2013). Vorsorgliche Maßnahmen und
weitere Beobachtungen, auch angesichts des tendenziell steigenden Arzneimittelverbrauchs, sind nach Ebert et
al. (2014) notwendig. Anlass zur Besorgnis bereiten Funde von antibiotikaresistenten Keimen in Gewässern,
deren Ursache und Herkunft bisher ungeklärt ist (Kap. 3.2.3). Weil zu erwarten ist, dass die Konzentrationen
von Arzneimittelreststoffen im Wasser weiter zunehmen werden, ist eine gewisse Achtsamkeit auch bei weite-
ren Stoffen geboten, selbst wenn bei den heute zu beobachtenden, sehr geringen Konzentration keine Beweise
für gesundheitliche Auswirkungen auf den Menschen existieren: Antiparasitika, Antimykotika, Hormone und
Antikrebsarzneimittel (Zytostatika), die über die Umwelt aufgenommen werden, könnten sich in Zukunft unter
Umständen als problematisch für die menschliche Gesundheit erweisen (BIO Intelligence Service 2013; Küm-
merer et al. 2016).
3.2.2
Langzeit- und Niedrigdosiswirkungen
Es könnte prinzipiell sein, dass Arzneistoffe, auch wenn sie in sehr kleinen Dosen, dafür aber über sehr lange
Zeiträume aus der Umwelt in den menschlichen Körper gelangen, dort eine unerwünschte Wirkung entfalten.
Eine chronische Niedrigdosisexposition gegenüber Arzneimitteln erfolgt über das Trinkwasser und durch Rück-
stände in Blatt- und Hackfrüchten, Fischereierzeugnissen, Fleisch- und Milchprodukten (BIO Intelligence Service
2013). Die Aufnahme von Arzneimittelrückständen über Lebensmittel aus tierischer Produktion wird kontrolliert,
allerdings fehlt es heute nach wie vor noch an validen Daten über andere Expositionspfade; diese Wissenslücke
sollten in naher Zukunft geschlossen werden (Boxall et al. 2012). Für chronische Wirkungen von Arzneistoffen
auf Menschen gibt es zurzeit noch keine empirische Evidenz:
› Houtman et al. (2014) berechneten für 42 Arzneimittel die Gefährdung, die in den Niederlanden vom le-
benslangen Genuss von Trinkwasser ausgeht, welches diese Stoffe in Spuren enthält. Es wurde auch die
Kombinationswirkung der Stoffmischung mit dem CA-Ansatz berechnet. Die Wissenschaftler kamen zu
dem Schluss, dass die lebenslange Gesamtdosis nur im Bereich einiger Milligramm liegt. Das entspricht
weniger als 10 % der therapeutischen Dosis, die einem Patienten an einem Tag verabreicht wird. Das Risiko
von Gesundheitsschäden erschien den Autoren daher vernachlässigbar gering.
› Cunningham et al. (2009) befassten sich mit 44 pharmazeutischen Wirkstoffen aus rund 22 allgemeinen
pharmakologischen Klassen, die ein breites Spektrum der Anwendungsfelder von Arzneimitteln repräsen-
tieren. Es wurden die PEC/PNEC-Verhältnisse ermittelt, die sich für die USA und die EU bei lebenslangem
Konsum des dortigen Trinkwassers und der dortigen Fische ergeben. Die PEC/PNEC-Verhältnisse lagen
für alle Verbindungen deutlich kleiner 1, variierend von 7 x 10 -2 bis 6 x 10 -11 . Dies weist darauf hin, dass
von diesen Arzneistoffen keine chronische Wirkung ausgeht und der lebenslange Genuss des Wassers und
der Fische keine nennenswerte Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellt.
3.2.3
Antibiotika und Antibiotikaresistenzen
Vor der Entdeckung von Penicillin waren Infektionskrankheiten eine Geißel der Menschheit. Dank der Antibi-
otika konnten diese Krankheiten stark zurückgedrängt werden. Als Antibiotika werden Arzneimittel bezeichnet,
die gegen krankheitserregende Bakterien wirken. Zielorganismus ist in diesem Fall also nicht der Körper des
Menschen, sondern es sind die Bakterien mit spezifischen Angriffspunkten. Daher sind Antibiotika für den
Fa

– 48 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 49 –
Drucksache 19/ 16430




Tierhaltung: Antibiotikaresistenzen können sich bei Tieren bilden, die mit Antibiotika behandelt werden.
Die entsprechenden antibiotikaresistenten Keime werden dann von Menschen, die deren Fleisch verzehren,
aufgenommen. Die Keime können sich aber auch durch tierische Ausscheidungen verbreiten und wurden
schon an Gemüse und in Oberflächengewässern gefunden.
Unmittelbare Übertragung von Mensch zu Mensch: Wenn sich resistente Keime in einem mit Antibiotika
behandelten Menschen entwickelt haben, kann dieser die Keime an andere Menschen in seinem persönli-
chen Umfeld direkt übertragen.
Tourismus: Menschen können durch Reisen resistente Erreger in Gebiete transferieren, in denen sie zuvor
noch nicht vorkamen.
Gesundheitseinrichtungen: In Krankenhäusern kommen sehr viele verschiedene Keime vor und resistente
Keime können dort von Patienten auf andere Patienten übertragen werden. Darüber hinaus besteht die be-
gründete Vermutung, dass Antibiotikarückstände in Gewässern der Entstehung und Verbreitung von Anti-
biotikaresistenzen Vorschub leisten (Keen/Montforts 2012).
Die Medien beschäftigte im Mai 2017 der (in der Fachpresse schon seit Jahren bekannte) Fall von mutmaßlichen
Antibiotikaresistenzen, die sich im Abwasser von Pharmafabriken in Hyderabat (Indien) entwickelt hatten.45
Im Trinkwasser von Hyderabat lassen sich schon resistente Keime nachweisen, die vermutlich aus diesen Ab-
wässern stammen (z. B. Patoli et al. 2010).
Noch größere Aufmerksamkeit erhielt ein Betrag des NDR-Magazins Panorama im Februar 2018, in dem
von Nachweisen multiresistenter Keime in niedersächsischen Bächen, Flüssen und Badeseen berichtet wurde.46
Die Art und Vielfalt der Keime hatten die Wissenschaftler, die die Proben untersuchten, überrascht. Weil es
43
44
45
46
Die Erklärung hierfür ist, dass Bakterien sogenannte Prokaryonten, d. h. kernlose Organismen, sind und Menschen sogenannte
Eukaryonten, also Zellen mit Zellkern aufweisen. Aufgrund der fundamental unterschiedlichen biochemischen und zellphysiolo-
gischen Funktionsweisen beider Zelltypen wirken Antibiotika nur auf Prokaryonten. Allerdings gibt es auch im Körper von Men-
schen Bakterien, beispielsweise in der Darmflora, die wichtige Funktionen ausüben. Wenn Antibiotika Nebenwirkungen haben,
sind diese in der Regel darauf zurückzuführen, dass diese nutzbringenden Bakterien im Menschen mit geschädigt werden.
Beispielsweise können Tetrazykline, wenn sie im Kindesalter gegeben wurden, zu Verfärbungen der Zähne oder Störungen der
Zahnschmelzbildung führen. Chloramphenicol kann bei Säuglingen das Grey-Syndrom (Störung des Stoffabbaus in der Leber,
was im Extremfall tödliche Wirkungen haben kann; https://de.wikipedia.org/wiki/Grey-Syndrom [15.9.2019]) und in seltenen
Fällen auch eine aplastische Anämie auslösen, weshalb die Anwendung bereits stark eingeschränkt wurde. Bei Erythromycin und
anderen Antibiotika ist eine Verstärkung der Wirkung und Nebenwirkung anderer Arzneistoffe bei deren gleichzeitiger Einnahme
bekannt. Von einigen Antibiotika (z. B. manchen Penicillinen) weiß man, dass sie allergische Reaktionen auslösen können. Infor-
mationen, ob hierfür auch die Aufnahme mit dem Trinkwasser relevant sein könnte, existieren allerdings nicht.
In einem Industriegebiet im Norden der Stadt werden im großen Maßstab Antibiotika, auch für den europäischen Markt, herge-
stellt. Die Abwässer der dortigen Produktionsanalagen gelangen illegal teilweise ungeklärt in die Umwelt, sodass erhebliche Kon-
zentrationen von Antibiotika in den dortigen Gewässern gemessen werden können
(https://www.tagesschau.de/ausland/antibiotika-113.html [15.9.2019])
https://faktenfinder.tagesschau.de/inland/keime-wasser-101.html (3.5.2018),
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Gefaehrliche-Keime-in-Baechen-Fluessen-und-Seen,keime302.html (15.9.2019)
Fa
Menschen zumeist gut verträglich,43 auch wenn bei einigen Antibiotika unerwünschte Nebenwirkungen auf-
treten können.44
Eine ernstzunehmende Gefahr für die öffentliche Gesundheit geht jedoch zunehmend von Antibiotikare-
sistenzen aus (EFSA/ECDC 2016; Hannappel et al. 2014; O'Neill 2014 u. 2016; WHO 2014), wenn also die
Krankheitserreger unempfindlich gegenüber einer Antibiotikabehandlung werden. Antibiotikaresistenzen kön-
nen entstehen, wenn die Arzneien unsachgemäß angewendet werden und beispielsweise die Therapie vorzeitig
beendet wird, sodass die Erreger nicht vollständig abgetötet werden. Bakterien vermehren sich schnell und
wandeln dabei ihr Erbgut. Das unzureichend dosierte Antibiotikum übt einen Selektionsdruck auf die Bakterien
aus, was die Entstehung von Resistenzen begünstigt. Resistenzen können aber auch außerhalb des menschlichen
oder tierischen Organismus beispielsweise in Krankenhäusern oder Tierställen entstehen, wenn Antibiotika dort
in Konzentrationen vorkommen, die einen Selektionsdruck auf die Vermehrung der Erreger ausüben.
Weltweit wird beobachtet, dass bestimmte pathogene Bakterien zunehmend gegen mehrere Antibiotika
gleichzeitig resistent, also multiresistent geworden sind. Bei manchen Patienten kann somit nicht schnell genug
ein wirksames Antibiotikum gefunden werden, sodass sie an der Infektion womöglich sterben.
Antibiotikaresistenzen können sich über verschiedene Wege ausbreiten. Laut dem European Centre for
Disease Prevention and Control (ECDC 2015) können dabei vier zentrale Pfade unterschieden werden:Drucksache 19/ 16430
– 50 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
3.2.4
Hormonelle Wirkungen
Hormonell wirksame Stoffe, auch endokrin wirksame Stoffe genannt,48 nehmen unter den Chemikalien und
Arzneistoffen insofern eine Sonderrolle ein, als sie zum Teil in sehr niedrigen Dosen wirken. Arzneimittel mit
hormonellen Wirkungen greifen in der Regel gezielt in die Funktion des Hormonsystems ein. Auf eine endo-
krine Wirkung zielen beispielsweise Präparate zur Empfängnisverhütung (wie die Antibabypille mit dem syn-
thetischen Wirkstoff Ethinylestradiol), zur Behandlung von Wechseljahrbeschwerden und hormonabhängigem
Krebs, aber auch Medikamente zur Behandlung von Krankheiten der Schilddrüse und des Nervensystems. Auch
bestimmte Antidepressiva wie selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) besitzen eine endokrine
Wirkung als Nebeneffekt (EC 2013). In der industriellen Tierzucht werden Hormonpräparate unter anderem als
Mittel zur Steuerung der Brunst bei der künstlichen Besamung eingesetzt.
Endokrin wirksame Stoffe geben aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften in besonderer Weise Anlass
zur Sorge. Das drückte sehr klar die Direktorin des National Institute of Environmental Health Sciences, Linda
Birnbaum, aus, als sie am 25. Februar 2010 vor dem Subcommittee on Energy and Environment (2010) des US-
amerikanischen Repräsentantenhaus zu den Risiken von endokrin wirksamen Stoffen im Trinkwasser für
Mensch und Umwelt angehört wurde. Sie wies zunächst darauf hin, dass in den letzten 50 Jahren Erkrankungen
zugenommen haben, die durch endokrin wirksame Stoffe ausgelöst werden können. Sie nannte unter anderem
die Zunahme von Brust- und Prostatakrebs zwischen 1969 und 1986, eine Vervierfachung der extrauterinen
Schwangerschaften in den USA zwischen 1970 und 1987 und ein Rückgang der aktiven, befruchtungsfähigen
Samenzellen im männlichen Sperma weltweit um 42 % zwischen 1940 und 1990. Diesen Beobachtungen stellte
sie die zahlreichen Beobachtungen von endokrin wirksamen Stoffen in Gewässern einerseits und Abnormitäten
der sexuellen Entwicklung bei Amphibien und Fischen andererseits gegenüber. Birnbaum sah darin einen Grund
zur Besorgnis über endokrin wirksame Substanzen im Trinkwasser und deren potenzielle Wirkung auf die
menschliche Gesundheit und hob vier Risikofaktoren endokrin wirksamer Stoffe hervor:




Wirkung schon bei niedrigen Dosen: Weil endokrine Stoffe als Boten- und Signalstoffe fungieren, genügen
schon extrem geringe Mengen, um Wirkungen zu erzeugen.
Große Bandbreite der Effekte: Hormonelle Signale steuern alle Organe und Prozesse. Wenn das endokrine
System durch Substanzen von außen gestört wird, können die Effekte sehr vielfältig sein und sie sind kaum
alle vorherzusagen.
Zeitliche Verzögerung der Effekte: Es kommt nicht selten vor, dass die Wirkungen der endokrinen Stoffe
erst lange Zeit nach der Exposition auftreten. Das trifft insbesondere für Entwicklungs- und Wachstums-
prozesse zu, weil sie durch endokrine Systeme gesteuert werden.
Allgegenwärtigkeit der Exposition: Sehr viele natürliche und künstliche Stoffe haben endokrine Wirkungen
und viele dieser Stoffe kommen fast überall in der Umwelt vor – insbesondere auch im Wasser. Nicht nur
endokrin wirksame Arzneimittel können in den menschlichen Körper gelangen, sondern auch endokrin
wirksame Substanzen, die in Kosmetika, Sonnenschutzmitteln und Pflegemitteln vorkommen und über die
Haut oder das Trinkwasser aufgenommen werden. Die Konzentrationen in der Umwelt sind insgesamt so
hoch, dass eine Exposition des Menschen und ein biologischer Effekt nicht unplausibel erscheinen.
47 Beispiele für aktuelle Forschungsprojekte zur Entstehung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen unter http://www.hy-
reka.net/ (15.9.2019), https://forschungsinfo.tu-dresden.de/detail/forschungsprojekt/14381 (15.9.2019)
48 Man spricht oft auch von endokrinen Stoffen. Endokrin bedeutet wörtlich nach innen abgebend und bezeichnet die Eigenschaft
von Hormondrüsen, die Hormone direkt, also ohne speziellen Ausführungsgang in den Blutkreislauf abzugeben.
Fa
bislang keine systematischen Kontrollen der Gewässer auf solche Erreger und wenig Forschungen über Entste-
hung und Ausbreitung antibiotikaresistenter Keime in Gewässern gibt,47 sind das Ausmaß der Belastungen und
die eventuell davon ausgehenden Gesundheitsgefahren noch weitgehend unklar.
Klar ist aber, dass die zunehmenden Antibiotikaresistenzen insgesamt ein ernstes Thema sind. In einer
aktuellen Studie im Auftrag der britischen Regierung wird geschätzt, dass Antibiotikaresistenzen schon heute
jährlich etwa 50.000 Menschen in Europa und den USA das Leben kosten. Global geht man von rund
700.000 Fällen aus (O'Neill 2016). Als Folge zunehmender Resistenzentwicklungen prognostizieren Experten
eine Verzehnfachung der Todeszahlen im Jahr 2050 in Europa und den USA. In anderen Regionen dürfte der
Zuwachs noch höher ausfallen, insgesamt geht man für die Zeit nach 2050 von rund 10 Mio. Todesfällen jähr-
lich aufgrund von Antibiotikaresistenzen aus (O'Neill 2015 u. 2016).Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 51 –
Drucksache 19/ 16430


Webb et al. (2003) verglichen die im deutschen Trinkwasser gefundenen Konzentrationen von Arzneimit-
telrückständen mit deren therapeutischen Dosen. Die Mengen, die über lange Zeit durch den täglichen
Trinkwasserkonsum aufgenommen werden, lagen um mindestens drei, zumeist aber mehr Größenordnun-
gen darunter. Für einige Substanzen war es auch möglich, die Exposition durch Trinkwasser mit ADI-
Werten (Kap. 3.1.1) zu vergleichen, die im Kontext der Produktion von Nahrungsmittel ermittelt wurden.
Auch hier lagen die Trinkwasserwerte unterhalb dieser ADI-Werte. Die Wissenschaftler zogen daraus den
Schluss, dass von endokrin wirksamen Stoffen im Trinkwasser keine substantiellen Risiken ausgehen.
Caldwell et al. (2010) schätzten das Risiko von Östrogenen im Trinkwasser, die aus Medikamenten stam-
men, auf Kinder in den USA ab. Sie fanden heraus, dass die Exposition der Kinder gegenüber derartigen
Östrogenen um den Faktor 730.000 bis 480.000-mal niedriger lag als die gegenüber natürlichen Östrogenen
in Kuhmilch. Die Gesamtexposition eines Kindes gegenüber Östrogenen im Trinkwasser war immer noch
150-mal niedriger als die Östrogenbelastung durch Milch. Caldwell et al. (2010) folgerten, dass Östrogene,
die gegebenenfalls im Trinkwasser vorhanden sind, keine nachteiligen Auswirkungen auf US-Bürgerinnen
und Bürger haben, einschließlich Kinder und anderer sensibler Bevölkerungsgruppen.
3.2.5
Schäden der Erbsubstanz oder von Embryonen
durch Zytostatika
Zytostatika werden in der Krebstherapie verwendet. Sie greifen durch unterschiedliche Mechanismen in den Zyk-
lus von sich teilenden Zellen ein und führen so zum Tod von entarteten Krebszellen, aber auch von gesunden
teilungsaktiven Zellen. Manche Zytostatika, insbesondere sogenannte Alkylanzien, können die Erbsubstanz ver-
ändern. Das kann wiederum eine Krebserkrankung auslösen. Es stellt sich daher die Frage, ob eine solche Gefahr
für Menschen auch von Zytostatikarest- und -abbaustoffen im Wasser ausgeht. Problematisch ist, dass für Zytos-
tatika – ähnlich wie bei endokrin wirksamen und kanzerogenen Stoffen – keine Dosis angegeben werden kann,
unterhalb der sie mit Sicherheit keine genotoxische Wirkung haben. Beim Umgang mit ihnen sind daher besondere
Vorsichts- und Schutzmaßnahmen erforderlich (Eitel et al. 2004).
Aufgrund der geringen Verbrauchsmengen sind die in der Umwelt gemessenen Konzentrationen der Zy-
tostatika sehr niedrig (meist im Bereich ng/l) (z. B. Buerge et al. 2006). Dies ist der Grund, warum für sie trotz
ihrer hohen Wirksamkeit und Gefährlichkeit bisher nur bei Neuzulassungen eine Umweltrisikoabschätzung ge-
mäß dem Leitfaden der EMA (2006) durchgeführt wurde, obwohl von einigen Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftlern gefordert wird, auch Zytostatika zu prüfen, deren Zulassung bereits länger zurück liegt (Kümme-
rer et al. 2016; Kap. 3.1.2).
In wissenschaftlichen Studien wurden die Risiken, die von Zytostatikarückständen in der Umwelt auf die
menschliche Gesundheit ausgehen, trotz der hohen Toxizität von Zytostatika als gering eingeschätzt, jedoch
auch nicht völlig ausgeschlossen:


In einer Untersuchung zum Krebsrisiko durch die lebenslange Aufnahme der beiden bedeutenden Zytosta-
tika Cyclophosphamid und Ifosfamid aus unbehandeltem Oberflächenwasser in den höchsten lokal gemes-
senen Konzentrationen errechneten Kümmerer und Al-Ahmad (2010) bei Ifosfamid 1.000-fach bzw. bei
Cyclophosphamid 10.000-fach geringere Aufnahmemengen als in der Krebstherapie üblich. Die Autoren
folgerten dennoch, dass eine Erhöhung des Krebsrisikos, insbesondere im Hinblick auf Neugeborene und
Kinder, nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, weil der Wirkmechanismus von Zytostatika in der
Therapie ein anderer ist als der Mechanismus der Schadwirkung auf die Erbsubstanz. Sie empfehlen, den
Eintrag der beiden Stoffe und anderer krebserzeugender Arzneimittel in die Umwelt zu reduzieren (Küm-
merer/Al-Ahmad 2010).
Auch im Projekt »Pharmas« wurden Zytostatika untersucht. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
kommen zu dem Ergebnis, dass akute nachteilige Auswirkungen auf Menschen, die diesen Stoffen unbe-
absichtigt ausgesetzt sind, »sehr unwahrscheinlich« sind, obwohl die Konzentrationen von Zytostatika in
der Umwelt noch weitgehend unbekannt sind (Pharmas 2012).
Fraglich ist, ob Zytostatika in der Umwelt unter Umständen Schädigungen von Embryonen (Teratogenität) her-
vorrufen können. Hierzu sind aber keine Studien bekannt, sodass dazu derzeit keine empirischen Aussagen
gemacht werden können.
Fa
Es gibt aber auch einige wissenschaftliche Untersuchungen, die – zumindest derzeit und in spezifischen Kon-
texten – keine Gefährdung durch endokrin wirksame Stoffe im Trinkwasser sehen:Drucksache 19/ 16430
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Neurotoxische Wirkungen
Mit Neurotoxizität wird die schädigende Wirkung von Stoffen auf Nervenzellen oder Nervengewebe bezeich-
net. Eine solche Wirkung könnte theoretisch von Rückständen von Neuropharmaka in der Umwelt ausgehen,
die etwa über Trinkwasser in einen menschlichen Organismus aufgenommen werden. Hierzu gibt es aber nur
vereinzelte Studien. Bercu et al. (2008) untersuchten das Risiko einer Aufnahme von drei Neuropharmaka durch
das Trinkwasser bei Kindern. Es wurden Margin-of-Safety-Werte zwischen 147 und 642 berechnet, was bedeu-
tet, dass kein relevantes Risiko für die Gesundheit der Kinder besteht (Bercu et al. 2008).
Im Trinkwasserprojekt »ToxBox« des UBA (2014c) soll die Neurotoxizität als einer der wichtigsten Pa-
rameter im regulatorischen Bereich behandelt werden, weil aufgrund des stetigen Anstiegs von neurodegenera-
tiven Erkrankungen zu erwarten ist, dass Neuropharmaka zukünftig in größeren Mengen in die Umwelt gelan-
gen.
3.2.7
Kombinationswirkungen
Wenn in der Umwelt Arzneistoffe gefunden werden, dann typischerweise nicht vereinzelt, sondern gemeinsam
mit anderen, natürlich vorkommenden, aber auch künstlichen Wirkstoffen (BIO Intelligence Service 2013).
Gründe hierfür sind die große Vielfalt simultan in Human- und Tiermedizin eingesetzter Stoffe, die Vielzahl
der verwendeten Chemikalien überhaupt und die Tatsache, dass die Ausgangssubstanzen durch chemische
und/oder physikalische Prozesse in Abbauprodukte und Metaboliten umgewandelt werden. Insofern ist es auch
wichtig, nicht nur die Wirkungen jedes Wirkstoffs einzeln, sondern auch ihre Kombinationswirkung zu betrach-
ten. Aus der Ökotoxikologie, die sich mit schädlichen Wirkungen von Stoffen auf nichtmenschliche Organis-
men beschäftigt, weiß man, dass die Ökotoxizität einer Mischung fast immer höher ist als die Wirkungen der
einzelnen Komponenten für sich genommen (Kortenkamp et al. 2009) (Kap. 3.3.5). Eine Mischung kann selbst
dann eine erhebliche ökotoxische Wirkung aufweisen, wenn alle Bestandteile nur in geringen Konzentrationen
vorhanden sind und einzeln keine signifikanten ökotoxischen Wirkungen haben (Kortenkamp et al. 2009). Es
gibt gute Gründe anzunehmen, dass diese beiden Prinzipien auch im Bereich der Humantoxizität von Arznei-
mittelrückständen gelten. Allgemein gibt es jedoch einen Mangel an Daten zu Mischungswirkungen von Arz-
neimitteln untereinander und in Kombination mit anderen relevanten organischen Schadstoffen wie z. B. endo-
krin wirksamen Stoffen (BIO Intelligence Service 2013).


3.3
In der Übersicht von Vasquez et al. (2014) über Studien zu ökotoxischen und humanen Effekten von Arz-
neimittelmischungen aus den Jahren 2000 bis 2014 finden sich mehrere, bei denen negative Effekte bei
Algen, Bakterien, Tieren, menschlichen Zelllinien (u. a. von Embryonen und Tumoren) teilweise schon bei
Konzentrationen auftraten, wie sie in der Umwelt vorgefunden werden können.
Das Team im Forschungsprojekt »Tomixx«49 untersuchte sowohl die ökotoxischen als auch die humanto-
xischen Wirkungen von Wirkstoffmischungen, wobei letztere aus In-vitro- und Tiermodellen abgeleitet
wurden. Es zeigte sich, dass sich pharmazeutische Wirkstoffe einzeln anders verhalten als in Mischungen:
Einzeln waren Wirkstoffe bis zu 50 mg/l nicht mutagen, während bei gleichzeitiger Testung mehrerer Wirk-
stoffe mutagene Effekte schon bei 10 mg/l je Wirkstoff auftraten. Auch Synergieeffekte wurden beobachtet.
Ähnliche Ergebnisse wurden im EU-Projekt »Cytothreat« (Filipic 2013) gefunden.
Auswirkungen von Arzneimittelrückständen auf die Umwelt
In den 1990er Jahren wurde auf dem indischen Subkontinent ein drastischer Rückgang mehrerer Geierpopula-
tionen beobachtet. Zunächst vermutete man, dass die Geier einer Infektionskrankheit erlagen. Bei Analysen von
Gewebeproben wurde jedoch der Wirkstoff Diclofenac gefunden. Diclofenac ist ein preisgünstiges und in Süd-
asien weit verbreitetes Schmerzmittel, mit dem auch Rinder behandelt wurden. Kühe werden von Hindus ver-
ehrt und dürfen von ihnen nicht verzehrt werden. Tote Rinder werden auch nicht entsorgt, sondern einfach
liegen gelassen, weshalb ihr Fleisch oft von Geiern gefressen wird. Bei gezielten Untersuchungen fand man
heraus, dass schon geringe Mengen von Diclofenac bei indischen Geiern zum Tode durch Nierenversagen
führen (Oaks et al. 2004). Zwar wurde die Anwendung von Diclofenac bei Haustieren in Indien verboten,
nachdem man den Zusammenhang erkannt hatte, aber weil alternative Arzneimittel teurer sind, wird Diclofenac
weiterhin illegal verwendet.50 Anders als die indischen Altweltgeier reagieren Neuweltgeier, die einer anderen
biologischen Familie angehören, deutlich weniger empfindlich bzw. gar nicht auf denselben Wirkstoff (Rattner
49
50
http://www.eng.ucy.ac.cy/tomixx/results.html (15.9.2019)
https://de.wikipedia.org/wiki/Indiengeier (15.9.2019)
Fa
3.2.6
– 52 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode


– 53 –
Drucksache 19/ 16430
3.3.1
Akute Wirkungen
Die meisten pharmazeutischen Wirkstoffe besitzen eine hohe Abbaustabilität, damit sie nicht bereits bei der
Aufnahme in den Körper zerfallen, sondern ihre Wirkung optimal entfalten können. Diese hohe Stabilität hat
jedoch zur Folge, dass Arzneistoffe häufig auch in der Umwelt nur sehr schlecht abgebaut werden und dort ihre
biologische Wirkung lange Zeit beibehalten.
In einer umfassenden Studie im Auftrag der EU-Kommission (EC 2013) wird eine Reihe von Beispielen
ökotoxischer Wirkungen von Arzneimitteln in umweltrelevanten Konzentrationen genannt (siehe auch Brodin
et al. 2013; Caldwell et al. 2008; Kidd et al. 2007; Liebig et al. 2010; Petrovic et al. 2002; Porsbring et al. 2009;
Ratsak et al. 2013):







51
52
53
Das Verhütungsmittel Ethinylestradiol beeinträchtigt die Vermehrung von exponierten Fischpopulationen
schon in sehr geringen Konzentrationen (größer/gleich 1 ng/l) nachhaltig.
Verschiedene Antibiotika verschieben die Zusammensetzung der mikrobiellen Lebensgemeinschaft im Bo-
den und beeinträchtigen deren physiologische Funktionen.
Das Antimykotikum Clotrimazol beeinträchtigt schon in picomolaren (Umwelt-)Konzentrationen
(10 120 mol/l, was 350 pg/l entspricht) die Chlorophyllproduktion und das Wachstum von Algen.
Das angstlösende Medikament Oxazepam bewirkt eine Verhaltensänderung beim Flussbarsch.
Das Antiparasitikum Bimectin Plus (mit den Wirkstoffen Ivermectin und Clorsulon) wirkt stark toxisch auf
Dunginsekten.
Eine ähnliche Wirkung wie Diclofenac konnte für Altweltgeier in klinisch wirksamen Dosen bei dem Wirkstoff Ketoprofen ge-
zeigt werden (Naidoo et al. 2010).
Richtlinie 2013/39/EU zur Änderung der Richtlinien 2000/60/EG und 2008/105/EG in Bezug auf prioritäre Stoffe im Bereich der
Wasserpolitik
Richtlinie 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik
Fa
et al. 2008). Auch wenn in dem Beispiel der Wirkung von Diclofenac auf indische Geier das Umweltmedium
Wasser keine große Rolle spielt, zeigt die Untersuchung, dass unerwartete Belastungspfade unter Umständen
zu fatalen ökotoxischen Wirkungen in der Umwelt führen können.51
Dass Mikroverunreinigungen insbesondere durch Arzneimittel ein ernstzunehmendes Problem für die Um-
welt und insbesondere für Gewässer darstellen, wurde von der Politik grundsätzlich bereits anerkannt. So stellt
die Europäische Union in den Erwägungsgründen zur Richtlinie 2013/39/EU52 fest: »(1) Die chemische Ver-
schmutzung von Oberflächengewässern stellt eine Gefahr für die aquatische Umwelt dar, die zu akuter und
chronischer Toxizität für Wasserlebewesen, zur Akkumulation von Schadstoffen in den Ökosystemen, zur Zer-
störung von Lebensräumen und zur Beeinträchtigung der biologischen Vielfalt führen kann, sowie für die
menschliche Gesundheit dar. ... (15) Die Kontamination des Wassers und des Bodens mit Arzneimittelrück-
ständen ist ein zunehmend auftretendes Umweltproblem.«
In Deutschland hat sich die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA, das Koordinierungsgre-
mium der Umweltministerien der Länder und des Bundes für den Bereich Wasser) seit 2014 mit dem Thema
Mikroschadstoffe näher beschäftigt und einen Bericht vorgelegt, der im März 2016 von der Umweltministerkon-
ferenz beschlossen wurde. Darin stellt die LAWA (2016) bereits erste Überschreitungen von Umweltqualitätsnor-
men (UQN) fest, die nach Vorgaben der Richtlinie 2000/60/EG53 abgeleitet wurden, allerdings bisher nur Vor-
schlagscharakter haben: »Wie Gewässeruntersuchungen und durchgeführte Modellierungen zeigen, weist das breit
angewandte Schmerzmittel Diclofenac in Bezug auf den ökotoxikologisch abgeleiteten UQN-Vorschlag in Ab-
hängigkeit des Anteils an gereinigtem Abwasser weitverbreitet Überschreitungen in deutschen Fließgewässern
auf. In deutlich geringerem Ausmaß werden Überschreitungen von UQN-Vorschlägen durch die Wirkstoffe Cla-
rithromycin und in Einzelfällen auch durch Sulfamethoxazol in Fließgewässern mit extrem hohem Abwasseranteil
festgestellt. Bei Carbamazepin wird in konventionell gereinigtem Abwasser eine Konzentration im Bereich des
UQN-Vorschlags vorgefunden, sodass Überschreitungen in kleinen Gewässern mit extrem hohem Abwasseranteil
nicht ausgeschlossen werden können.«
Die LAWA (2016) konstatiert zugleich, dass bisher nur für wenige Human- bzw. Tierarzneimittelstoffe
ökotoxikologisch abgeleitete Bewertungsmaßstäbe entwickelt wurden. Falls in Zukunft weitere Umweltquali-
tätsnormen festgelegt würden, müsste man dementsprechend damit rechnen, dass weitere Grenzüberschreitun-
gen festgestellt würden.Drucksache 19/ 16430
– 54 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
3.3.2
Langzeit- und Niedrigdosiswirkungen
Es gibt eine Reihe von Studien, bei denen die Unterschiede zwischen akuten und chronischen Wirkungen im
Fokus stehen. Sie stimmen darin überein, dass chronische Wirkungen schon bei deutlich niedrigeren Konzent-
rationen bzw. Dosen auftreten können, und es zeigte sich bei einigen Pharmaka, dass deren chronische Wirkun-
gen teilweise um mehrere Größenordnungen stärker waren als deren akute Wirkungen.




Der SRU (2007) führt aus, dass das Antiepileptikum Carbamazepin, das Schmerzmittel Diclofenac und der
Lipidsenker Clofibrinsäure bei Krustentieren und Fischen bei einer Exposition über 96 h in Konzentratio-
nen von 35 bis 1.000 mg/l akut wirksam waren. Bei einer Verabreichung über 7 bis 21 Tage zeigten diese
Substanzen aber schon in deutlich geringeren Konzentrationen von 0,005 bis 25 mg/l chronische Wirkun-
gen.
Der SRU (2007) weist weiter darauf hin, dass in der Umwelt auftretende Konzentrationen von Antibiotika
und Steroidhormonen im Test auf Bakterien zwar keine akute Wirkung zeigten, bei Langzeitexposition aber
durchaus. In Bezug auf Hormone könnte dies auch für die Gesundheit des Menschen relevant sein, da en-
dokrin wirksame Stoffe auch Metabolismus, Wachstum und Virulenz pathogener Bakterien beeinflussen
können (García-Gómez et al. 2012).
Galus et al. (2013) stellten fest, dass umweltrelevante Konzentrationen von vier Arzneimitteln bei chroni-
scher Exposition von Zebrafischen deren Entwicklung sowie mehrere Organsysteme beeinflusst. Beobach-
tet wurden Auswirkungen auf die Fortpflanzung und die Histologie von Leber und Niere. Eine geringe
Exposition gegenüber 500 ng/l der getesteten Stoffe erhöhte die Sterblichkeit von Zebrafischembryos.
Eine umfassende Übersicht von Boxall et al. (2012) zeigt die Unterschiede in den Wirkungen von neun
Arzneimitteln gegenüber Fischen und Wirbellosen anhand sechs verschiedener Endpunkte, nämlich
(Abb. 3.2):
1.
2.
3.
4.
5.
6.
akute Wirkung
chronische Wirkung
biochemische Reaktionen
histologische Veränderungen
physiologische Effekte
Verhaltenseffekte
Effekte im Hinblick auf die Endpunkte 2 bis 6 können bereits bei Konzentrationen auftreten, die um bis zu
sechs Größenordnungen niedriger liegen als die Konzentrationen, bei denen akute Effekte (Endpunkt 1)
auftreten. Die Bedeutungen der mit den Endpunkten 2 bis 6 gemessenen Wirkungen für das Überleben von
Populationen und für Ökosystemfunktionen sind wenig bekannt. Es wäre wichtig, diese Beziehungen bes-
ser zu verstehen, um das Risiko für aquatische Ökosysteme besser abschätzen und bewerten zu können.
54
Ausnahmen sind die sogenannten Prodrugs, die sich dadurch auszeichnen, dass bei ihnen die Metaboliten die Wirksubstanz sind.
Fa
Für eine Reihe anderer Arzneistoffe, wie z. B. bei vielen Impfstoffen, können Umweltrisiken aufgrund ihrer
niedrigen Persistenz in der Umwelt oder der geringeren Ökotoxizität der Verbindungen eher vernachlässigt
werden. Eindeutige Effekte sind für sie nur in Konzentrationen zu erwarten, die deutlich oberhalb von in der
Umwelt nachgewiesener Konzentrationen liegen. Daher ist derzeit das Umweltrisiko als gering bis vernachläs-
sigbar anzusehen (BIO Intelligence Service 2013).
In ähnlicher Weise stellt der SRU (2007) fest, dass in der Regel die anhand von akuten Toxizitätstests für
aquatische Organismen ermittelten Wirkschwellen deutlich höher sind als die in der Umwelt gemessenen Stoff-
konzentrationen. Dies gilt allerdings nicht für die Wirkung von Antibiotika auf Umweltbakterien und für die
Wirkung von Steroidhormonen auf aquatische Organismen (SRU 2007).
Die Wirkungen von Metaboliten können sich deutlich von denen der Ausgangssubstanz unterscheiden. Die
vielen Metaboliten von Humanarzneimitteln sind zwar weitgehend bekannt, ihre ökotoxischen Wirkungen je-
doch kaum, u. a. weil keine Reinsubstanzen der Metaboliten verfügbar sind, die für Tests erforderlich wären.
Bei den Tierarzneimitteln sind nur die Metaboliten der Tetracyclingruppe gut untersucht (Bergmann et al.
2011). Obwohl Metaboliten von Pharmaka in der Regel ökotoxikologisch weniger wirksam sind als die Aus-
gangssubstanz,54 kann das nicht verallgemeinert werden; beispielsweise sind für Pestizide Fälle bekannt, bei
denen es sich umgekehrt verhält (Boxall et al. 2012).Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Wirkkonzentrationen von Arzneimitteln in biologischen Endpunkten
1.000
100
10
1
0,1
0,01
0,001
0,0001
0,00001
Quelle:
3.3.3
Oxytetracycline
Naproxen
0,000001
akute Wirkung histologische Veränderungen
chronische Wirkung Verhaltenseffekte
biochemische Reaktionen physiologische Effekte
Boxall et al. 2012
Hormonelle Wirkungen
Viele Arzneistoffe mit hormonellen Wirkungen sind problematisch für die Umwelt. Beispielsweise können sie
schon bei äußerst geringen Konzentrationen die Geschlechtsorgane männlicher Fische verändern (Kap. 2.3.1).
In der Folge können die Tiere sich nicht mehr fortpflanzen; die Populationen werden geschwächt oder brechen
gar zusammen. Zwar liegen die in der Umwelt gemessenen Konzentrationen endokriner Stoffe in der Regel
niedriger als deren Effektschwellen, es gibt aber auch Ausnahmen z. B. im Abstrom von Klärwerken oder in-
tensiv genutzten Weiden. Weil endokrin wirksame Stoffe auch auf Wachstums- und Entwicklungsprozesse wir-
ken, ist auf die chronischen Wirkungen ein besonderes Augenmerk zu legen.


Die lebenslange Exposition von Zebrafischen mit 5 ng/l Ethinylestradiol hatte einen starken Einfluss auf
den Fortpflanzungserfolg – und dies bei einer Konzentration, die mindestens eine Größenordnung niedriger
war als bei Kurzzeittests. Die Empfindlichkeit der Fische gegenüber endokrinen Stoffen kann in den ver-
schiedene Fortpflanzungs- und Entwicklungsstadien unterschiedlich sein und hängt zudem von Dauer und
Zeitpunkt der Exposition ab (Nash et al. 2004).
1,6 mg/l Ethinylestradiol führten zu einer akuten (96 h) Sterblichkeit in Höhe von 50 % bei einem Süßwas-
serfisch, aber schon 10 ng/l chronisch (21 d) führten zu Veränderungen im Hormonhaushalt – das ist eine
um den Faktor 160.000 geringere Konzentration. Die gleiche Konzentration führte bei einer anderen Fisch-
art nach vier Wochen zu krankhaften Gewebeveränderungen in Leber und Niere von Larven und Jungtieren.
Fa
Abb. 3.2
Drucksache 19/ 16430
– 55 –Drucksache 19/ 16430

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Verlängerte man die Exposition auf mehrere Monate, beobachtete man bei noch niedrigeren Konzentratio-
nen (5 ng/l, 210 d) eine Störung der Eiproduktion des Nachwuchses der Fische. Bei Schnecken wurde ab
1 ng/l (180 d) Imposex beobachtet, d. h. die Ausbildung weiblicher Geschlechtsorgane bei männlichen Tie-
ren und umgekehrt (SRU 2007).
Laurenson et al. (2014) zeigen auf, dass die langfristigen voraussichtlichen Umweltkonzentrationen
(Kap. 3.1.2) von Ethinylestradiol (EE2) in mehr als 99 % der untersuchten Oberflächengewässer in den
USA stromab von Kläranlagen niedriger waren als eine aquatische PNEC von 0,1 ng/l. Ähnliche Ergebnisse
ergaben sich für andere pharmazeutische Östrogene, also trotz der entsprechenden Laborergebnisse ist der-
zeit keine Gefährdung der Fischpopulationen durch EE2 erkennbar.
Säfholm et al. (2014) stellen fest, dass auch Gestagene in umweltrelevanten Konzentrationen (1 und 10 ng/l)
reproduktionstoxisch auf Amphibien wirken.
3.3.4
Neurotoxische Wirkungen
Bei Pflanzenschutzmitteln und Bioziden wurde festgestellt, dass sie bei Fischen z. B. in der Leber akkumulieren,
Nervenzellen oder Nervengewebe schädigen können oder das Schwimmverhalten negativ verändern (z. B.
Deka/Mahanta 2016). Grundsätzlich kann eine Gefahr für Fische und andere aquatische Lebewesen auch von
Rückständen von Neuropharmaka in Gewässern ausgehen. Es wurden hierfür in der Literatur aber bisher keine
empirischen Belege gefunden.
3.3.5
Umweltwirkungen von Zytostatika
Allgemein gibt es zu den Wirkungen von Zytostatika auf die Organismen in der Umwelt nur wenige Veröffent-
lichungen (Booker et al. 2014). In diesen wird wiederum nur eine kleine Zahl an Wirkstoffen behandelt (Küm-
merer et al. 2016).

Im Rahmen des Projekts »Pharmas« (2012) wurden akute und subakute toxische Wirkungen dreier Zytos-
tatika (5-Fluorouracil, Cyclophosphamide und Cisplatin) auf Algen, Wasserflöhe, Zebrafische (Adulte und
Embryos) untersucht. Es zeigte sich, dass das Zytostatikum Cisplatin in einer frühen Entwicklungsphase
Embryonen von Zebrafischen und das Schlüpfen der Jungtiere beeinflusst. Für das Zytostatikum 5-Flu-
orouracil (5-FU) wurden Auswirkungen bei erwachsenen Fischen bei Konzentrationen beobachtet, die nied-
riger lagen als sie bei Embryonen und Larven gemessen werden konnten, was auf höhere Anfälligkeit der
erwachsenen Fische schließen lässt. Allerdings konnten diese Effekte erst bei Konzentrationen von mehre-
ren Hundert μg/l oder sogar mehreren mg/l festgestellt werden, die weitaus höher liegen als diejenigen, die
in europäischen Gewässern bisher gemessen wurden (Pharmas 2012).
Dieses Ergebnis könnte als Indiz dafür gewertet werden, dass von Zytostatika zumindest im Moment noch keine
Umweltrisiken ausgehen. In anderen Studien, bei denen mit anderen Endpunkten, also das Umweltrisiko auf an-
dere Weise zu messen versucht wurde, kommt man zu kritischeren Einschätzungen:
› Im Projekt »Cytothreat« (Filipic 2013) wurden komplette Lebenszyklen von Zebrafischen beobachtet. Es
zeigten sich genotoxische Effekte bei deutlich geringeren Konzentrationen als im Projekt »Pharmas« (2012).
Die Effekte traten schon bei Konzentrationen ab 10 μg/l auf. Bei Wasserflöhen wurde eine signifikante Ver-
ringerung der Fortpflanzung durch vier Zytostatika in Konzentrationen von einigen Hundert ng/l bis μg/l be-
obachtet, während eine signifikante Erhöhung der DNA-Schäden bei noch niedrigeren Konzentrationen be-
reits nach 24 Stunden für alle vier Stoffe gefunden wurde. Eine chronische Zwei-Generationen-Toxizitätsstu-
die zeigte zudem histopathologische Veränderungen in Leber und Nieren, Induktion der Mikrokerne55 in
Blutzellen und Veränderungen der Genexpression in der Leber von Fischen, die nur 10 ng/l des Zytostatikums
5-FU ausgesetzt waren. Hieraus ergaben sich hohe PEC/PNEC-Verhältnisse von 37 bzw. 232, die deutlich
über dem kritischen Wert von 1 lagen (Kap. 3.1.2), sodass das Umweltrisiko als vertretbar angesehen werden
kann und keine Maßnahmen erfolgen müssen.
› In Untersuchungen von Parrella et al. (2014) traten akute ökotoxische Effekte von Zytostatika bei Kon-
zentrationen im mg/l-Bereich auf, am stärksten für Cisplatin und Doxorubicin. Bei den chronischen Tests
zeigten Cisplatin und 5-FU für alle Testorganismen das höchste toxische Potenzial bei einer Konzentration
in der Größenordnung von μg/l. Die in den Tests festgestellten niedrigen effektiven Konzentrationen deuten
55
Das Auftreten von Mikrokernen in Zellen ist ein Hinweis auf Schäden im genetischen Apparat.
Fa

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Re: Arzneimittelrückstände in Trinkwasser
« Reply #3 on: January 16, 2020, 05:17:37 AM »

– 56 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
auf ein potenzielles Umweltrisiko durch Zytostatika hin, denn die bisher in der Umwelt gefunden Konzent-
rationen lagen zwar noch in der Größenordnung von ng/l, aber die Tendenz ist steigend.
Von Zounkova et al. (2010) wurden in Ökotoxizitätstests drei Zytostatika und einige ihrer Humanmetabo-
liten untersucht. Die EC 50 -Werte56 für akut toxische Wirkungen lagen zwischen 44 μg/l und 200 mg/l. Alle
drei Muttersubstanzen waren genotoxisch in Konzentrationen von 40 bis 330 mg/l. Die Metaboliten zeigten
dabei eine geringe bis keine Toxizität. Nur ein Metabolit war in hohen Konzentrationen genotoxisch. Die
beobachteten EC 50 -Konzentrationen lagen nahezu in der Höhe von Werten, wie sie in Krankenhausabwäs-
sern gemessen werden.
Einfache ökotoxikologische Tests sind für die Risikobewertung von Krebsmedikamenten offensichtlich nicht
sehr geeignet, weil die Wirkmechanismen sehr komplex sein können und von den Tests möglicherweise nicht
erfasst werden. Ähnlich wie bei endokrinen Stoffen sollten ihre Wirkungen über den gesamten Lebenszyklus
oder besser noch über mehrere Generationen hinweg beobachtet werden. Das gilt besonders für Alkylanzien,
die auf das Erbgut wirken. Um das ökotoxische Risiko von Krebsmedikamenten genau zu untersuchen, regen
Besse et al. (2012) an, Tests von Gemischen im niedrigen ng/l-Bereich durchzuführen und weniger Tests an
Einzelstoffen.
3.3.6
Kombinationswirkungen
Das UBA (Bergmann et al. 2011) führte mehrere Untersuchungen an, die zeigen, dass Wirkstoffgemische ver-
schiedentlich zu ökotoxischen Wirkungen führen, die aus dem Verhalten der Einzelwirkstoffe nicht prognostizier-
bar waren, und dass die Wirkungen der Gemische die der Einzelstoffe häufig übersteigen. Mehrere Wirkstoffe,
die einzeln in einer Konzentration unterhalb ihrer individuellen NOEC auftreten, könnten daher in einer Stoffmi-
schung einen ökotoxischen Effekt erst auslösen bzw. zusätzliche Wirkstoffe auch unterhalb ihrer NOEC einen
bereits bestehenden Effekt verschlimmern. Grundsätzlich sind Arzneimittel in der Umwelt immer auch im Kontext
mit anderen, natürlich vorhandenen und anthropogenen Stoffen zu betrachten (Crane et al. 2006).
Im Folgenden sind einige Studienergebnisse aufgeführt, die Kombinationswirkungen von Arzneimittelrück-
ständen in Gewässern betreffen:





56
Die Toxizität einer Mischung von 26 Pharmazeutika, inklusive Antibiotika, aus Abflüssen von sieben eu-
ropäischen Kläranlagen wurde gegenüber Algen, Invertebraten und Fischen anhand der Methoden der
CA und IA (Kap. 3.1.3) berechnet. Es zeigte sich, dass Antibiotika die deutlichsten Wirkungen auf Blau-
algen hatten, was mit deren (beabsichtigter) antibakterieller Wirkung zusammenhängt. Es ergaben sich Ri-
sikoquotienten (Kap. 3.1.3) der Abwässer von 16 bis 45; als kritisch gelten Werte größer/
gleich 1. Die 10 wirksamsten Komponenten der Mischung waren für 99 % der Mischtoxizität verantwort-
lich. Es konnte allerdings nur die akute Toxizität ermittelt werden, weil für die Berechnung chronischer
Toxizität die Datenlage nicht ausreichend war (Pharmas 2012).
Eine Mischung von 14 Arzneimitteln (davon 7 Antibiotika) im Abfluss einer Kläranlage wies keine signi-
fikanten Effekte auf Bakteriengemeinschaften auf. Erste Effekte wurden erst bei 10-facher Konzentration
gefunden. Das Fazit der Autoren (Pharmas 2012): Die Umweltrisikobewertung von Mischungen mit Anti-
biotika sollte auf Blaualgentests basieren, und lokale Bedingungen, wie die Verdünnungsfaktoren der Vor-
fluter, sollten in eine realistische Risikoabschätzung einbezogen werden.
Pharmazeutische Mischungen, wie sie in kommunalen Abwässern vorkommen, zeigten einen negativen
Einfluss auf die Immunkompetenz von Schnecken (Gust et al. 2013). Unter Immunkompetenz wird die
generelle Fähigkeit eines Organismus verstanden, auf antigene Reize adäquat zu reagieren.
Untersuchungen zur Wirkung gepulster – also in Abständen wiederholter – Expositionen aquatischer Or-
ganismen gegenüber Arzneimitteln sind bisher nicht bekannt. Bei Pestiziden wurde jedoch bei einer aufei-
nanderfolgenden Exposition zweier verschiedener Pestizide eine signifikant erhöhte Sterblichkeit von
Bachflohkrebsen beobachtet (Ashauer et al. 2007). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass entsprechende
Untersuchungen auch für Arzneistoffe notwendig wären.
Mischexpositionen können zu überadditiven (= synergistischen) Wirkungen führen. Von Cleuvers (2003)
wurde beispielsweise nachgewiesen, dass die kombinierte Exposition gegenüber Clofibrinsäure und
Carbamazepin bei Daphnia magna (Wasserfloh) stärkere als nur rein additive Wirkungseffekte zur Folge
Effective Concentration 50 % (EC 50 ): Stoffkonzentration im Wasser, bei der 50 % der Versuchsorganismen innerhalb eines be-
stimmten Beobachtungszeitraumes einen Effekt zeigen (Kap. 3.1.1).
Fa

– 57 –Drucksache 19/ 16430
3.4
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
hatte. So trat bei einer Einzelwirkstoffexposition eine Reduzierung der Mobilität der Daphnien um 1 bzw.
16 % auf, die Mischexposition bei gleicher Stoffkonzentration führte dagegen zu einer Mobilitätsabnahme
von 95 %.
In den Projekten »SchussenAktiv«, »SchussenAktivplus« und »SchussenAktivplus+« (Triebskorn 2017)
wurde der Ausbau der Kläranlage Langwiese bei Ravensburg mit einer vierten Reinigungsstufe (Aktiv-
kohle) am Bodenseezufluss Schussen begleitet. In diesem Rahmen wurde die Kombinationswirkung ver-
schiedener Mikroverunreinigungen auf das aquatische Ökosystem mit verschiedenen Methoden untersucht,
wobei es sich auch, aber nicht nur um Arzneimittelrückstände handelte (Thellmann et al. 2017; Triebskorn
2017). Um eine Inzidenzkette von der Präsenz potenziell hormonell wirksamer Substanzen bis hin zu tat-
sächlichen Wirkungen bei Freilandorganismen zu knüpfen, wurden Wirkuntersuchungen an Fischen (Dö-
bel, Schneider und Forellen) sowie Flohkrebsen durchgeführt, die entweder aus dem Freiland entnommen
oder in Bypasssystemen dem Wasser der Schussen ausgesetzt wurden. Es konnten Wirkzusammenhänge
zwischen der Präsenz von Spurenstoffen in Umweltkompartimenten, toxischen und endokrinen Effekten
bei exponierten Organismen und dem Zustand der Lebensgemeinschaft in der Schussen hergestellt werden.
Insgesamt legen die Untersuchungen den Schluss nahe, dass Mikroverunreinigungen, zu denen auch die
durch Arzneimittelrückstände gehören, in ihrer Kombinationswirkung tatsächlich die Lebensgemeinschaf-
ten von Fischen und anderen aquatischen Organismen beeinträchtigen.
Fazit
Ein akutes oder chronisches Gesundheitsrisiko durch Arzneistoffe im Trinkwasser kann derzeit auf Basis der
bestehenden Studien ausgeschlossen werden. In Kapitel 3.2.1 wurde geklärt, dass im Trinkwasser zwar zuneh-
mend Arzneistoffe nachgewiesen werden können, aber die durch den Menschen mit dem Trinkwasser aufge-
nommenen Mengen derzeit weit unterhalb der Mengen liegen, die für therapeutische Zwecke verabreicht wer-
den. Weil aber prinzipiell Risiken für den Menschen durch Arzneistoffe, die über die Umwelt aufgenommen
werden, nicht völlig ausgeschlossen werden können, ist Achtsamkeit geboten, falls unerwarteter Weise doch
Hinweise auf gesundheitsschädliche Wirkungen von Arzneimittelrückständen in der Umwelt auftreten sollten.
Ein solcher unerwarteter Fund waren etwa die Nachweise antibiotikaresistenter Keime in deutschen Gewässern,
von denen im Februar 2018 die Medien berichtet hatten (Kap. 3.2.3).
In Oberflächengewässern finden sich deutlich höhere Konzentrationen von Arzneimittelrückständen als
im Trinkwasser. Aquatische Organismen sind daher in der Regel höheren Expositionen ausgesetzt, und es gibt
einige Hotspots für Medikamentenrückstände. Insofern sind aquatische Organismen ungleich stärker gefährdet
als Menschen. 33 % der Humanarzneistoffe und 45 % der Tierarzneimittel besitzen eine hohe Ökotoxizität.
Mögliche Schäden sind beispielsweise Beeinträchtigungen des Stoffwechsels, der Fortpflanzungsfähigkeit und
des Wachstums, aber auch Verhaltensänderungen und im Extremfall der Tod von Organismen. Tatsächlich
bergen Antiparasitika, Antimykotika, Antibiotika, Zytostatika und hormonell wirksame Stoffe Umweltrisiken
bei Konzentrationen, die in der aquatischen Umwelt durchaus zu finden sind. Risikofaktoren sind – neben der
unmittelbar toxischen Wirkung – die Persistenz von Stoffen in der Umwelt und deren Akkumulation in Orga-
nismen. Chronische Wirkungen von Arzneistoffen auf Lebewesen sind schon bei Konzentrationen ab 1 ng/l
beobachtbar und damit mehrere Größenordnungen unterhalb von Konzentrationen, bei denen akute Wirkungen
aufzutreten beginnen.
Solche Werte werden in Laborversuchen ermittelt. Dort können die Umweltbedingungen und vor allem
die Exposition kontrolliert und die Wirkungen genau erfasst werden, sodass zwischen ihnen ein klarer Zusam-
menhang hergestellt werden kann. Um die Gefährdung abzuschätzen, die von Stoffen für tierische Organismen
in der realen Umwelt ausgeht, muss von solchen Laborversuchen auf die Wirklichkeit hochgerechnet werden.
Das geschieht in der Regel mit computergestützten Modellen und ist mit Unsicherheiten behaftet. Die in Kapi-
tel 3.3.6 erwähnten Arbeiten von Triebskorn (2012 u. 2017) gehen jedoch weiter und sind ein starkes Indiz, dass
auch im Freiland – bei allen Schwierigkeiten von Feldversuchen – Arzneimittelrückstände kombiniert mit an-
deren Mikroverunreinigungen, aquatische Lebensgemeinschaften beeinträchtigen.
Dennoch sind die wirklich im Freiland bestehenden Umweltrisiken von Arzneimittelrückständen zumeist
noch unklar und die Datenlage zu Umweltrisiken und zu konkreten Umweltschäden ist noch unzureichend.
Aufgrund der großen Stoffvielfalt und der komplexen Wirkweisen von Stoffgemischen ist das Wissen über das
Vorkommen von Arzneimittelrückständen in der Umwelt und über die Wirkungen auf aquatische Organismen
und Menschen immer noch lückenhaft.
Es stellt sich die Frage, ob die zusammengetragenen Hinweise auf Risiken durch Arzneimittelrückstände
in Trinkwasser und Gewässern nur Anlass zur latenten Sorge geben oder ob nicht bereits aus Gründen der
Vorsorge konkreter Handlungsbedarf besteht. Diese Frage geht über die bloße Bewertung des Gesundheits- und
Fa

– 58 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 59 –
Drucksache 19/ 16430
Fa
Umweltrisikos hinaus und ist von gesamtgesellschaftlicher Tragweite, die im folgenden Kapitel ausführlich
diskutiert wird, aber letztlich im Rahmen einer Technikfolgenanalyse nicht endgültig beantwortet werden kann.FaDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
Das Vorsorgeprinzip:
gesellschaftliche Zielkonflikte zwischen Gesundheit, Tierwohl und Umweltschutz
Die Bedeutung von Medikamenten für die menschliche Gesundheit und das Tierwohl ist unbestritten. Aber die
Rückstände der Medikamente gelangen auf die eine oder andere Weise in die Umwelt, insbesondere in die
Gewässer, und es gibt durchaus ernstzunehmende Hinweise darauf, dass sie dort unerwünschte Wirkungen ent-
falten. Zwar wurden in Deutschland bisher noch keine konkreten, nachweisbaren Schäden für Menschen durch
Arzneimittelrückstände im Trinkwasser festgestellt, aber es wurden bereits im Labor und sogar im Feld negative
Wirkungen auf aquatische Lebewesen beobachtet, und es ist davon auszugehen, dass bereits heute und in stär-
kerem Maße zukünftig von ihnen Gefahren zumindest für die Umwelt ausgehen (Kap. 3). Es gibt also gesell-
schaftliche Zielkonflikte zwischen erwünschtem Medikamenteneinsatz einerseits und den potenziell negativen
Wirkungen von Medikamentenrückständen im Wasser auf die Umwelt andererseits.
Was muss getan werden? Wenn man sich diese Frage in Bezug auf Arzneimittelrückstände in Trinkwasser
und Gewässern stellt, geht es nicht so sehr darum festzustellen, was man tun muss, um konkreten Schäden und
nachweislichen Gefahren zu begegnen – Gefahrenabwehr –, sondern die Frage zielt auf Vorsorge bzw. um die
konkrete Ausgestaltung des Vorsorgeprinzips: Reicht es, nur wachsam zu bleiben? Ist es angebracht, stärker als
bisher die potenziellen Gefahrenquellen für die Umwelt systematisch zu beobachten, Umweltveränderungen zu
dokumentieren und eine Art Frühwarnsystem zu installieren? Oder sollten bereits jetzt nicht nur einzelne
Schritte, sondern in breiteren Umfang aufeinander abgestimmte Maßnahmen unternommen werden, um Arz-
neistoffeinträge in die Gewässer zu verringern?
Kapitel 4.1 behandelt zunächst allgemein das Vorsorgeprinzip. Es wird erläutert, wie es rechtlich verankert
ist – insbesondere im Gemeinschaftsrecht der EU – und es werden einige grundlegende Begriffe im Zusammen-
hang mit dem Vorsorgeprinzip wie Risiko, Unsicherheit, Nichtwissen etc. erläutert. Dabei wird deutlich, dass
das Vorsorgeprinzip auf unterschiedliche Weise ausgelegt werden kann und dass bei Anwendung des Prinzips
Abwägungsentscheidungen zu fällen sind. Schließlich wird das Vorsorgeprinzip enger auf den Problemkomplex
der Arzneimittelrückstände in Trinkwasser und Gewässern bezogen.
Um das Vorsorgeprinzip auf das Problem der Arzneistoffe im Wasser anwenden und gute Abwägungsent-
scheidungen treffen zu können, ist es sinnvoll, sich mit den gesellschaftlichen Ziel- und Interessenkonflikten
auseinanderzusetzen, die mit dem Arzneimittelkonsum einhergehen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die
verschiedenen, teilweise gegenläufigen, rechtlich geschützten Interessen einzelner Menschen, juristischer Per-
sonen und der Gesellschaft als Ganzes. Die Gegenstände, auf die sich solche rechtlich geschützten Interessen
beziehen, werden Schutzgüter genannt. Gesundheit ist ein solches Schutzgut, aber auch die Umwelt und das
Trinkwasser. Die verschiedenen im Kontext von Medikamentenrückständen in der Umwelt relevanten Schutz-
güter sind Gegenstand von Kapitel 4.2
In Kapitel 4.3 werden die Gesetze betrachtet, die die Zulassung, den Handel und die Verwendung von
Arzneimitteln regeln. Im Gegensatz zu Kapitel 4.1, das sich allgemein mit dem Vorsorgeprinzip und dessen
Materialisierung im Gemeinschaftsrecht der EU befasst, stellt Kapitel 4.3 stärker auf die konkreten Möglich-
keiten zur Bewältigung der Interessenkonflikte im Problemfeld Arzneistoffe im Wasser ab.
In Kapitel 4.4 wird in einer Diskursfeldanalyse empirisch untersucht, wie das Thema »Arzneimittelrück-
stände im Wasser« und die entsprechenden gesellschaftlichen Zielkonflikte in öffentlichen und politischen Dis-
kursen angesprochen werden. In Kapitel 4.5 wird ein Fazit gezogen.
4.1 Das Vorsorgeprinzip
4.1.1 Handeln unter Unsicherheit und Nichtwissen
Es ist in allen Bereichen, also auch bei politischen Entscheidungen zu Regelungen im Zusammenhang mit Arz-
neimittelrückständen, völlig normal und in aller Regel unvermeidbar, dass man unter Unsicherheit handelt und
entscheidet. In den wenigsten Fällen kennt man alle intendierten und nichtintendierten Folgen einer Handlung
(Sigel 2007; Sigel et al. 2010). Allerdings kann der Grad der Unsicherheit und des Nichtwissens über die Hand-
lungsfolgen unterschiedlich sein (zu den Begriffen Unsicherheit, Nichtwissen, Risiko siehe Kasten). Wie man
am besten mit Risiken umgeht, hängt von der Situation, insbesondere von Wahrscheinlichkeitsvermutungen
bezüglich der Nutzenerwartungen und Schadensbefürchtungen ab. Fraglich ist fast immer auch, ob besser sofort
gehandelt werden soll oder ob man noch abwarten kann. Es gibt Situationen, in denen es sinnvoll erscheint, vor
einer Entscheidung zunächst einmal mehr Informationen zu sammeln, und andere, in denen konkrete, befürch-
tete oder zumindest erahnte Gefährdungen zum zeitnahen Handeln nötigen.
Fa
4
– 61 –Drucksache 19/ 16430
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Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Sicherheit, Unsicherheit, Nichtwissen und Risiko
Die Begriffe Unsicherheit, Nichtwissen, Risiko etc. werden in der Literatur uneinheitlich verwendet (Brown et
al. 2005; Faber et al. 1992; Funktowicz/Ravetz 1990; Klauer/Brown 2004; Knight 1921; Walker et al. 2003;
einen Überblick bietet Sigel 2007). Im Rahmen dieses Berichts werden folgende Definitionen verwendet, die
sich an Brown et al. (2005), Hubig (1994), Klauer/Brown (2004) und insbesondere an Sigel (2007) anlehnen:
Sicherheit: Ein Akteur ist sicher, wenn er seinem Wissen in Bezug auf eine konkrete Fragestellung volles Ver-
trauen schenkt.
Unsicherheit: Ein Akteur ist unsicher, wenn er seinem Wissen in Bezug auf eine konkrete Fragestellung kein
volles Vertrauen schenkt.
Gewusstes Nichtwissen: Ein Akteur ist gewusst nichtwissend, wenn er in Bezug auf eine konkrete Fragestellung
über kein vollständiges Wissen verfügt. Der Akteur ist sich jedoch seines Nichtwissens bewusst und in der
Lage, zumindest Bezugspunkte seines fehlenden Wissens zu benennen. Man kann hier auch noch unterscheiden,
inwieweit der Akteur weiß, ob und wie er seine Wissenslücken schließen kann – ob er beispielsweise aufgrund
logischer Überlegungen zu dem Schluss kommt, dass er eine bestimmte Frage niemals mit Sicherheit beantwor-
ten kann.
Ungewusstes Nichtwissen: Ein Akteur ist ungewusst nichtwissend, wenn er in Bezug auf eine konkrete Frage-
stellung über kein ausreichendes Wissen verfügt, sich jedoch dieses Nichtwissens nicht bewusst ist.
Der Begriff Risiko soll in diesem Bericht – angepasst an den Sprachgebrauch des gesellschaftlichen und wis-
senschaftlichen Diskurses um Arzneimittelrückstände im Wasser – nicht präzise gefasst, sondern umgangs-
sprachlich verwendet werden. Risiko herrscht dann, wenn es zu einem unerwünschten Ereignis kommen kann
oder wenn die Gefahr besteht, dass ein gewünschtes Ereignis womöglich nicht eintritt. Unsicherheit kann man
als einen Oberbegriff für Risiko und Nichtwissen57 betrachten.58
Dann werden die Erwartungswerte der Nutzen und Kosten der Handlungsalternativen ermittelt. Die Alternative
mit dem besten aggregierten Erwartungswert wird zur Auswahl vorgeschlagen (Laux 1998).
Eine andere Strategie ist die der Gefahrenabwehr. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen zur Vermeidung
oder Reduzierung von konkreten Gefahren für Menschen, Tiere, Sachen oder die Umwelt. Dabei sollten sich
die Ursachen der Gefahren nach Möglichkeit lokalisieren und eingrenzen lassen. Es geht beispielsweise um
Gefahren, die von technischen Anlagen ausgehen, und um entsprechende Gegenmaßnahmen wie z. B. den
Brandschutz.59
Die auf Wahrscheinlichkeitsabschätzungen beruhende Entscheidungstheorie sowie die auf konkrete, prin-
zipiell bekannte Gefahren ausgerichtete Gefahrenabwehr sind wichtige und weit verbreitete Strategien des Ri-
sikomanagements. Mit ihnen alleine kann aber die Gesellschaft nicht angemessen auf die Risiken in komplexen
57
58
59
Wehling (2006, S. 146) hat sich mit verschiedenen Dimensionen von Nichtwissen auseinandergesetzt. Er geht von einer »Mehrdi-
mensionalität von Nichtwissensphänomenen« aus und betrachtet die zeitliche Stabilität des Nichtwissens, das (Nicht-)Wissen des
Nichtwissens sowie die Intentionalität und die Vermeidbarkeit des Nichtwissens.
In den Definitionen wird nicht der Begriff der Wahrscheinlichkeit verwendet, der ansonsten sehr oft zur Beschreibung von Unsi-
cherheitssituationen herangezogen wird. So versteht etwa der Wirtschaftswissenschaftler Frank Knight (1921) unter Risiko eine
Entscheidungssituation, in der der Akteur alle möglichen Ereignisse und auch deren Eintrittswahrscheinlichkeiten kennt. In Risi-
kosituationen lassen sich dann Wahrscheinlichkeitsrechnungen anstellen und beispielsweise Erwartungswerte ermitteln. Unsicher-
heit definiert Knight (1921) als eine Situation, in der zwar alle Ereignisse bekannt sind, nicht aber alle ihre Eintrittswahrschein-
lichkeiten. In diesem Bericht wird diese auf Wahrscheinlichkeiten beruhende Begriffsfassung jedoch nicht verwendet, weil die
Bestimmung von Wahrscheinlichkeiten im betrachteten Problemkontext oft mit großen Schwierigkeiten verbunden ist.
Die Gefahrenabwehr spielt vor allem im Polizeirecht eine große Rolle (https://de.wiki
pedia.org/wiki/Gefahrenabwehr [15.9.2019]).
Fa
Beim Handeln und Entscheiden unter Unsicherheit sind Risiken zu berücksichtigen bzw. zu managen.
Hierbei gibt es unterschiedliche Strategien und Herangehensweisen. Eine davon, das sogenannte Bernoulli-
Prinzip, ist in der Wissenschaft und insbesondere in der ökonomischen Entscheidungstheorie weit verbreitet.
Beim Bernoulli-Prinzip wird angenommen, dass alle Handlungsalternativen mit deren Folgen und Wahrschein-
lichkeiten bekannt sind (Eisenführ/Weber 2003, S. 220). In der Nomenklatur von Frank Knight (1921) handelt
es sich also um Risikosituationen (siehe Kasten).Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 63 –
Drucksache 19/ 16430
4.1.2
Vorsorgeprinzip, Nichtwissen und Evidenz
Angesichts zahlreicher neuartiger technologischer und Umweltrisiken mit teilweise systemischen Zügen (Renn
et al. 2007; WBGU 1999) wird seit längerem der Aspekt des Nichtwissens im umweltpolitischen und im wis-
senschaftlichen Diskurs thematisiert (z. B. Kluge/Schramm 1990; Rayner 2014; Sigel 2007; Sigel et al. 2010;
Stehr 2003; Wehling 2001 u. 2006). Für einige neuartige Risiken und deren Langfristfolgen ist »nur wenig oder
überhaupt kein Wissen vorhanden« (Wehling 2001). Einiges kann man sicherlich der Kategorie des gewussten
Nichtwissens zuordnen, anderes dem Bereich des Noch-nicht-Gewussten. Schließlich gibt es wohl auch Berei-
che des Nichtwissbaren (Faber et al. 1992; Hubig 1994; WBGU 1999).
Bei der Ausgestaltung des Vorsorgeprinzips in Prozessen der Regulierung von Umweltrisiken wird das
Nichtwissen zu einer zentralen Bezugsgröße. Damit stellt sich in der Praxis das Problem, welche konkrete Wis-
sensbasis bzw. welche Evidenz61 erforderlich ist, um beim gesellschaftlichen bzw. politischen Management
von Risiken das Vorsorgeprinzip anwenden zu können. Böschen (2014) zufolge reicht das Spektrum der Vor-
schläge »von einer strikt evidenzbasierten bis hin zu einer konsequent nichtwissensorientierten Ausgestaltung
des Vorsorgeprinzips«. Eine strikt evidenzbasierte Definition des Vorsorgeprinzips bedeutet, dass dieses nur
dann zur Anwendung kommen darf, wenn nicht nur hypothetisch eine Möglichkeit von Schadensereignissen
existiert, sondern diese nachweisbar ist. Eine nichtwissensorientierte Anwendung des Vorsorgeprinzips hinge-
gen würde bedeuten, dass »schon auf die Äußerung eines Verdachts möglicher Gefährdungen mit regulativen
Maßnahmen« reagiert wird (Böschen 2014). Beides sind extreme Positionen, die für die hier betrachteten Prob-
lemkontexte unangemessen erscheinen.
Von Schomberg (2012) hält einerseits eine stärkere Objektivierung durch eine gewisse Evidenzbasierung
für notwendig. Nach seiner Einschätzung ist es nicht angebracht, wenn sich die Einführung und Anwendung
des Vorsorgeprinzips alleine auf die Risikowahrnehmung eines Teils der Gesellschaft stützen. Andererseits
weist er darauf hin, dass Vorsorgemaßnahmen immer einen provisorischen Charakter haben und nach einer
(gelegentlichen) Überprüfung verschärft oder gelockert werden können. Das kann ihm zufolge etwa dann der
Fall sein, wenn das wissenschaftliche Wissen über das Risiko soweit zugenommen hat, dass Ungewissheiten
nun in Risikokalküle übersetzt oder Grenzwerte für Schadwirkungen festgelegt werden können.
60
61
Zum Konzept der Urteilskraft und zur Rolle von Heuristiken zur Stärkung der Urteilskraft vgl. Klauer et al. 2013, Kap. 7.
Man spricht von (empirischer) Evidenz, wenn Theorien aufgrund empirischer Untersuchungen, Erhebungen oder Daten bestätigt
werden. Unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen haben durchaus unterschiedliche Kriterien, wie die Evidenz einer Theorie
festgestellt bzw. konstruiert werden kann (Engelen et al. 2010).
Fa
Situationen, wie sie für den Gesundheits- und Umweltschutz typisch sind, reagieren (Sander 2015, S. 54):
»Staatliche Schutzaufgaben verlangen zusätzlich nach vorsorglichen und Risiko reduzierenden Maßnahmen.«
In den 1980er Jahren wurde daher das sogenannte Vorsorgeprinzip entwickelt (Goldstein/Carruth 2004).
Beispielsweise spielte das Vorsorgeprinzip eine wichtige Rolle bei Diskussionen von Maßnahmen gegen den
Klimawandel, dessen Evidenz und schädliche Auswirkungen lange Zeit – zuweilen noch heute – von Kritike-
rinnen und Kritikern bezweifelt wurden. Das Vorsorgeprinzip wird auch in der Medizin verwendet, um bei
unzureichendem Wissen vernünftige Maßnahmen zur Abwehr gesundheitlicher Bedrohungen ergreifen zu kön-
nen (Resnik 2004).
Das Vorsorgeprinzip gründet auf dem Anspruch, mögliche Belastungen oder Schäden für die menschliche
Gesundheit bzw. für die Umwelt trotz unvollständiger Wissensbasis und Unsicherheiten über deren Ausmaß und
tatsächlichen Eintritt möglichst von vornherein zu vermeiden. Das Vorsorgeprinzip kommt insbesondere dann
zum Tragen, wenn eine klassische Risikobewertung mit Wahrscheinlichkeiten und Erwartungswerten aufgrund
unvollständiger bzw. mehrdeutiger Informationen über Schäden oder aufgrund fehlender Kenntnis über Kau-
salzusammenhänge zwischen Ursache und negativer Wirkung nicht möglich ist, also Unsicherheit bzw. gewuss-
tes Nichtwissen besteht (Kern 2010; siehe auch Kasten). Während die Gefahrenabwehr darauf abzielt, prinzipi-
ell bekannte, nachweisliche Gefahren zu vermeiden, ist das Vorsorgeprinzip in der Praxis darauf ausgerichtet,
unsichere oder gar unbekannte Gefahren zu erahnen und möglichst zu verringern (Sanden 2011).
Im Falle der Problematik von Humanarzneimittelrückständen im Wasser steht dem offensichtlichen Nut-
zen der Arzneimittel für die Patienten die unsichere Gefahr von negativen Wirkungen auf die Umwelt und die
öffentliche Gesundheit gegenüber. Bei Abwägungsentscheidungen unter Unsicherheit besteht die Gefahr, dass
sichere Wirkungen gegenüber unsicheren Wirkungen ein übermäßiges Gewicht erhalten, letztere vielleicht so-
gar ganz vernachlässigt werden. Das Vorsorgeprinzip ist eine Heuristik, die hilft, dass gewusstes Nichtwissen
hinreichend bei Entscheidungen berücksichtigt wird. Insofern kann das Vorsorgeprinzip dazu beitragen, die
Urteilskraft der Entscheidungsträger bei den schwierigen Abwägungsentscheidungen im Kontext von Pharma-
karückständen im Wasser zu stärken.60Drucksache 19/ 16430
– 64 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
4.1.3
Die Verankerung des Vorsorgeprinzips im Recht
Ein Mangel an umfassender wissenschaftlicher Gewissheit wird zuweilen als Grund für das Nichthandeln der
Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik angeführt. Mit dem Vorsorgeprinzip lässt sich argumentieren, dass das
Aufschieben von Maßnahmen zur vorsorglichen Vermeidung von eventuellen Schäden nicht mehr durch wis-
senschaftliche Unsicherheit entschuldbar ist (Holbrook/Briggle 2013; von Schomberg 2005). Durch das Vor-
sorgeprinzip werden für nichtstaatliche, vor allem aber für staatliche Akteure Verantwortlichkeiten begründet.
Insofern ist zu betrachten, wo das Vorsorgeprinzip für den Kontext von Arzneimittelrückständen im Wasser bereits
heute im Recht verankert ist und damit solche Verantwortlichkeiten rechtlich geregelt sind.
Das Vorsorgeprinzip ist in unterschiedlichen Handlungsbereichen, insbesondere in der Umwelt- und Ge-
sundheitspolitik, als zentrales Instrument bei unzureichendem Wissen in zahlreichen Regionen der Welt fest
etabliert (Tickner 2002). Im europäischen und deutschen Recht zur technischen Sicherheit spielt ebenso wie im
Stoff- und Umweltrecht der Vorsorgeaspekt eine zentrale Rolle (Sander 2015). Das schließt auch das europäi-
sche und deutsche Arzneimittelrecht ein. Dort wurde mit der Einführung der Nutzen-Risiko-Abwägung in die
Zulassung »die Wende von der Gefahrenabwehr zur Risikovorsorge vollzogen« (Hart 2005; Köck 2003).62 Im
Bereich der Gesundheitspolitik herrscht hinsichtlich der Anwendung des Vorsorgeprinzips großer Konsens und
sie ist weitgehend operationalisiert (Böhm 1996, S. 110 ff.; Godt 1998). Weil für das Thema der Arzneimittel-
rückstände in Trinkwasser und Gewässern das Gemeinschaftsrecht der EU besonders relevant ist, wird im Fol-
genden hierauf der Fokus gelegt.
Als einer der drei Grundsätze, auf denen jede Umweltpolitik beruhen sollte, ist das Vorsorgeprinzip seit
1992 im Artikel 174 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union (92/C 191/01) verankert (von Schom-
berg 2005): »Die Umweltpolitik der Gemeinschaft zielt unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gege-
benheiten in den einzelnen Regionen der Gemeinschaft auf ein hohes Schutzniveau ab. Sie beruht auf den
Grundsätzen der Vorsorge ...«
Zwar ist das Vorsorgeprinzip im EU-Vertrag verankert, doch wird es dort nicht allgemein verbindlich
definiert. Erläuterungen zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips gibt die Mitteilung der EU-Kommission (EC
2000) aus dem Jahr 2000; weitere Präzisierungen und Kontur erhielt es durch eine Reihe von Urteilen des Eu-
ropäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Gerichts der Europäischen Union (EuG) (Kern 2010).
Die Anwendung des Vorsorgeprinzips kann zur Umkehr der Beweislast zulasten des Risikoverursachers
führen: Bei Stoffen, bei denen grundsätzlich von einer Gefährlichkeit ausgegangen wird, wie z. B. im Fall von
Arzneimitteln und Pestiziden, ist vor der Vermarktung ein Zulassungsverfahren zu durchlaufen. Hier muss der
Hersteller die Ungefährlichkeit der Stoffe durch wissenschaftliche Untersuchungen eigenverantwortlich nach-
weisen (Kern 2010). Eine Gefährlichkeitsannahme, die mit der innerhalb der EU geltenden vergleichbar ist, gibt
es im Chemikalienrecht der USA beispielsweise nicht; dort ist kein Zulassungsverfahren, sondern lediglich ein
Anmeldeverfahren für chemische Stoffe vorgeschrieben, da dort grundsätzlich die Vermutung der Ungefähr-
lichkeit der Stoffe gilt.63 Der Staat besitzt nur dann einen Eingriffsvorbehalt und kann die Vermarktung ein-
schränken oder untersagen, wenn eine Gefährlichkeit bzw. ein Risiko der betreffenden Substanz nachgewiesen
wird. Für eine Regulierung muss also Evidenz für den tatsächlich entstandenen Schaden vorliegen, die Beweis-
last liegt somit beim Risikoträger (Kuhn 2010).
62
63
Eine gute Übersicht über die Einbindung des Vorsorgeprinzips etwa in die internationale Politik der Vereinten Nationen, der
OECD und der Europäischen Union bietet Escalante de Cózar (2005). Ein Beispiel aus der internationalen Wirtschafts- und Ge-
sundheitspolitik ist das Hormonfleisch-Urteil des Appellationsgerichts der World Trade Organization. In seinem Urteil vom
18. Januar 1998 hat das Gericht den Standpunkt der gesundheitlichen Vorsorge der Europäischen Gemeinschaft ausdrücklich
gestützt und den Standpunkt der klagenden, nordamerikanischen Parteien nicht geteilt, dass es sich um ein Handelshemmnis han-
delt, wenn in der EU mit Hormonen produziertes Fleisch nicht vermarktet werden darf (Godt 1998).
Für Arzneimittel gibt es aber auch in den USA ein Zulassungsverfahren.
Fa
Ähnlich wie von Schomberg hält auch Böschen (2014) eine am Vorsorgeprinzip orientierte Politik nur für
sinnvoll, wenn Entscheidungen nicht allein auf den Verdacht möglicher Gefährdungen getroffen werden, son-
dern durchaus konkrete Hinweise vorliegen (Böschen 2014): »Gerade die in modernen Gesellschaften wach-
sende Unsicherheitserfahrung [erfordert] die Rückkehr zu Konzepten eindeutiger Evidenzkonstruktion«. Man
habe mit einer Pluralisierung der Wissensperspektiven hinsichtlich der Charakterisierung möglicher Gefähr-
dungslagen und Risiken zu rechnen. Letztlich bedarf es institutionalisierter und transparenter Verfahrensweisen
der Evidenzkonstruktion und Risikovorsorge, um trotz der Heterogenität der Perspektiven zu legitimen, guten
Entscheidungen zu kommen.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 65 –
Drucksache 19/ 16430
4.1.4
Schlussfolgerungen für das Problem der Arzneimittelrückstände in Trinkwasser
und Gewässern – Strategien zur Beschaffung von Informationen
Arzneistoffe werden in zunehmendem Maße im Wasser gefunden. In der Debatte darüber, ob daraus konkreter
Handlungsbedarf abzuleiten ist und Maßnahmen im Sinne der Umweltvorsorge zu ergreifen sind, herrscht große
Uneinigkeit: Es sei bisher wissenschaftlich nicht geklärt, mit welcher Wahrscheinlichkeit und in welchem Aus-
maß mögliche Schäden eintreten können (Keil et al. 2008). Vielmehr bestehe »weitgehend Unkenntnis über den
zeitlichen Verlauf zwischen Exposition und möglicher Wirkung und über die Anzahl jener Personen, die tat-
sächlich von einer Exposition über den Wasserpfad betroffen sind. Völlig unzureichend ist derzeit das Wissen
über die genauen Zusammenhänge innerhalb der Kausalketten von Ursache(n) und Wirkungen« (Grummt
2006). Diese Feststellung trifft im Wesentlichen noch heute zu (Kap. 3). Entsprechend ist unklar, von welcher
Art Risiko für welches Schutzgut ausgegangen werden muss (ISOE 2008). Aufgrund der bestehenden Unsi-
cherheiten in der Risikobewertung oder unterschiedlicher Einschätzungen der vorhandenen Evidenz herrscht
Dissens über die Verhältnismäßigkeit konkreter in der Diskussion befindlicher Vorsorgemaßnahmen, die der
Verringerung von Arzneistoffen in Gewässern dienen sollen (Ebert et al. 2014).
Die Abwägungsentscheidungen, die bei der konkreten Anwendung des Vorsorgeprinzips und beim Ergrei-
fen von Vorsorgemaßnahmen zu treffen sind, hängen stark vom Wissensstand und vom Vertrauen in diesem
Wissensstand ab. Insbesondere zu den Nebenwirkungen von Human- und Tierarzneimitteln auf die Umwelt
gibt es einige Fakten und begründete Vermutungen, aber auch große Wissenslücken, Zweifel und Unsicherhei-
ten. Die Nebenwirkungen auf die menschliche Gesundheit werden dabei zumindest aufmerksamer beobachtet
und untersucht als die auf die Umwelt. Teil einer Strategie zum Umgang mit Arzneimittelrückständen ist si-
cherlich die Beschaffung von mehr Informationen. Zwei Phasen können grob unterschieden werden, in denen
Wissen über die intendierten Wirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier und insbesondere über die
nichtintendierten Nebenwirkungen von Medikamenten gesammelt wird:
1.
2.
Die Phase der Entwicklung und Zulassung von Medikamenten vor ihrer Markteinführung: Bereits vor der
Zulassung müssen nach derzeitiger Rechtslage sowohl Human- als auch Veterinärarzneimittel auf direkte
oder indirekte Nebenwirkungen für die menschliche Gesundheit geprüft werden. Hierbei müssen umfang-
reiche Studien zu Wirkungen und Nebenwirkungen durchgeführt werden. Bei der Neuzulassung von Hu-
manmedikamenten muss aber auch eine Umweltrisikobewertung vorgenommen werden, wodurch auch
Informationen über evtl. Schäden durch Arzneimittelrückstände in Trinkwasser und Gewässern zusam-
mengetragen werden. Allerdings kann auch ein hohes Umweltrisiko die Zulassung von Humanarzneimit-
teln nach derzeitiger Rechtslage nicht verhindern. Das dabei verwendete PEC/PNEC-Risikobewertungs-
konzept wurde in Kapitel 2.1.2 beschrieben. Bei Tiermedikamenten muss eine Nutzen-Risiko-Abschät-
zung vorgenommen werden, die sich an das PEC/PNEC-Risikobewertungskonzept anlehnt, jedoch die für
Tierarzneimittel relevanten Eintragswege und Anwendungsmuster berücksichtigt (Kap. 4.4.2).
Die Phase der sogenannten Pharmakovigilanz nach der Markteinführung: Außerdem gibt es für Humanarz-
neimittel ein ausgearbeitetes System der sogenannten Pharmakovigilanz, mit dem auch nach der Marktein-
führung das Auftreten von Nebenwirkungen systematisch erfasst und beobachtet wird. In der Veterinär-
medizin spricht man von der Nachmarktkontrolle, die ähnliche Funktionen erfüllt (Kap. 4.4.2). Für Hu-
manarzneimittel gibt es eine zentrale Meldestelle, der Ärztinnen und Ärzte das Auftreten von noch nicht
Fa
Innerhalb der EU stellt sich mittlerweile nicht mehr die Frage, ob der Vorsorgegrundsatz in einem be-
stimmten Bereich anzuwenden ist oder nicht, vielmehr hängt das Ergreifen bzw. Nichtergreifen von Maßnah-
men mit der politischen, normativen Entscheidung zusammen, welches Risikoniveau für die Gesellschaft ak-
zeptabel ist (Kern 2010; von Schomberg 2005). Bei der Anwendung des Vorsorgeprinzips besitzen die Behör-
den demnach einen gewissen Ermessensspielraum, der allerdings immer in Verbindung mit dem angestrebten
Schutzniveau, dessen Wahl die geltenden Normen für Gesundheits- und Umweltschutz bestimmt, in Verbin-
dung stehen sollte (von Schomberg 2005). Leitlinien (und Auseinandersetzungen) bei Anwendung des Vorsor-
geprinzips betreffen zum einen Fragen der Verhältnismäßigkeit, also ob getroffene Maßnahmen dem angestreb-
ten Schutzniveau entsprechen, und zum anderen, ob diese Maßnahmen in nichtdiskriminierender Weise einge-
setzt werden, d. h. in vergleichbaren Situationen gleiche Normen und Maßnahmen angewendet werden (von
Schomberg 2005). Des Weiteren sollten die auf dem Vorsorgeprinzip beruhenden Maßnahmen daraufhin ge-
prüft werden, welche Kosten und Nutzen mit einer Handlung bzw. deren Unterlassung einhergehen (EC 2000).
Um das angestrebte Schutzniveau zu gewährleisten, sollten die unter dem Vorsorgeprinzip getroffenen Maß-
nahmen aufrechterhalten werden, solange wissenschaftliche Unsicherheit besteht. Sobald neue wissenschaftli-
che Informationen vorliegen, können die Maßnahmen überprüft und gegebenenfalls abgeändert werden (EC
2000).Drucksache 19/ 16430
– 66 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Ein entsprechendes Vigilanzsystem zur Beobachtung von unerwünschten Wirkungen von Human- und/oder Tier-
medikamenten auf die Umwelt auch nach der Markteinführung existiert bisher nicht. Das UBA (Ebert et al. 2014)
fordert aber eine solche Überwachung umweltrelevanter Human- und Tierarzneimittel, um Belastungsschwer-
punkte und ökologische Auswirkungen zu erkennen und damit die Risikobewertung (auch von Altarzneistoffen)
zu verbessern.
4.2
Relevante Schutzgüter
In einer freien Gesellschaft ist es grundsätzlich das Recht jedes Einzelnen, seine Wünsche und Interessen frei
zu verfolgen. Aber die Wünsche und Interessen verschiedener Personen können in Konflikt miteinander geraten.
Mit gesellschaftlichen und insbesondere rechtlichen Normen wird deshalb versucht, Konfliktsituationen zu re-
geln, welchen Interessen Vorrang gegeben wird oder wie ein Interessenausgleich erfolgen kann. Im Zuge der
Entwicklung gesellschaftlicher Normen und des Rechtssystems haben einige typische Interessen gesellschaftli-
che Anerkennung erfahren und wurden rechtlich geschützt. Diese rechtlich geschützten Interessen einzelner
Menschen, juristischer Personen und der Gesellschaft werden Schutzgüter genannt (Cansier 1995; Renn et al.
2007). Die Identifizierung und Klassifizierung von Schutzgütern können bei der Analyse von Interessenkon-
flikten hilfreich sein, weil sie es ermöglichen, komplexe Konfliktsituationen zu systematisieren und oft auch zu
vereinfachen.64
Angelehnt an die Arbeiten von Dreyer und Kuhn (2014 u. 2015) im 2015 abgeschlossenen BMBF-Ver-
bundvorhaben »SAUBER+«, in dem das Thema Arzneimittel im Wasserkreislauf untersucht wurde, lassen sich
im Kontext des Problems von Arzneimittelrückständen im Wasser folgende zentralen Schutzgüter identifizie-
ren, die miteinander in Konflikt geraten können:




Gesundheit des Menschen
Tiergesundheit
Umwelt
Trinkwasser
4.2.1
Menschliche Gesundheit
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO 1946) definierte Gesundheit als »ein(en) Zustand vollständigen kör-
perlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen«. Der
Schutz der Gesundheit ist im deutschen Grundgesetz (GG) verankert und genießt damit einen sehr hohen
Schutzstatus. In Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG heißt es: »Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver-
sehrtheit.«
Das Schutzgut Gesundheit beinhaltet zunächst den Schutz der Gesundheit eines jeden Individuums inklu-
sive der Fürsorge für Kranke – die individuelle Gesundheit (Böhm 1996, S. 100 ff.; Hermes 1987, S. 43 ff.). Es
umfasst darüber hinaus auch den Schutz der öffentlichen Gesundheit. Damit ist die staatliche bzw. öffentliche
Sorge um den Schutz und Erhalt der Gesundheit der Gesamtbevölkerung – der kollektiven Gesundheit – ge-
meint.65 Zur öffentlichen Gesundheit gehören unter anderem die Seuchenhygiene, die Schulhygiene, die So-
zialmedizin, das Impfwesen, die adäquate Versorgung mit Arzneimitteln und die Aufklärung der Bevölkerung
in Gesundheitsangelegenheiten. Das Problem der zunehmenden Antibiotikaresistenzen fällt ebenso in diesen
Bereich.
64
65
Es gibt keine ausgefeilte Systematik der Schutzgüter und es kann durchaus vorkommen, dass es Überschneidungen zwischen
Schutzgütern gibt oder gewisse rechtlich normierte Interessen sich nicht adäquat unter einem einzigen Schutzgut subsumieren
lassen.
Zwar dient die Sorge um die öffentliche Gesundheit letztlich auch der individuellen Gesundheit, aber die Unterscheidung er-
scheint sinnvoll, weil die Ziele der öffentlichen Gesundheitsvorsorge wie z. B. Vermeidung von Epidemien oder die Förderung
von Vorsorgeuntersuchungen häufig abstrakter sind als diejenigen auf individueller Ebene.
Fa
beschriebenen Nebenwirkungen und gegebenenfalls auch von Wechselwirkungen mit anderen Medikamen-
ten oder spezifische Fallkonstellationen mitteilen – in Deutschland ist dies das BfArM. Das Wissen über
unerwünschte Wirkungen eines Medikaments wird gesammelt und fließt in die Produktinformationen ein.
In besonderen Fällen müssen auch Rückrufaktionen gestartet werden.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
Tiergesundheit
Tierschutz ist ein gesellschaftliches Anliegen, das in Deutschland seit der Aufnahme des Artikels 20a in das
GG im Jahr 2002 gemeinsam mit dem Umweltschutz zu einem Staatsziel geworden ist. In Artikel 20a GG heißt
es: »Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen
und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von
Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.«
Näheres, insbesondere der Umgang mit und die Haltung von Tieren, wird im Tierschutzgesetz (TierSchG)
geregelt. Soweit Tiere aufgrund eines Nervensystems als empfindungsfähig gelten, sollen ihnen möglichst we-
der Leid noch Qualen zugefügt werden. § 1 Satz 2 TierSchG besagt: »Niemand darf einem Tier ohne vernünf-
tigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen.«
Nur in Fällen, in denen andere Schutzgüter dies rechtfertigen, sind entsprechend der Verordnung (EU)
63/201066 Ausnahmen möglich.67 Die Schweiz, ein Land mit vergleichbarer Kultur, geht mit seinem Tier-
schutzgesetz sogar etwas weiter. Dort ist die Würde des Tieres gesetzlich festgeschrieben, wodurch ein Eigen-
wert des Tieres anerkannt wird. In Artikel 1 des Schweizer Tierschutzgesetzes steht: »Zweck dieses Gesetzes
ist es, die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen.«
In Artikel 2a des Schweizer Tierschutzgesetzes wird der Begriff der Würde erläutert als (siehe auch WBA
2015, S. 59): »Eigenwert des Tieres, der im Umgang mit ihm geachtet werden muss.«68
Der Schutz vor Leid, Schmerzen und Schaden oder weitergehend der Schutz der Würde der Tiere sind
wichtige Aspekte des Schutzgutes Tiergesundheit, aber nicht die einzigen. Hinter dem Interesse am Schutz der
Gesundheit, insbesondere von Nutztieren, verbergen sich durchaus auch wirtschaftliche Interessen. Ein erkrank-
ter Tierbestand kann einen Landwirt vor erhebliche wirtschaftliche Probleme stellen. Die Behandlung des Be-
standes mit Medikamenten nach einer Erkrankung oder die Prophylaxe können allein schon aus wirtschaftlichen
Gründen geboten sein. Die heutige industrielle Tierproduktion ist ohne eine intensive Begleitung durch Tier-
ärztinnen und Tierärzte nicht denkbar.
4.2.3
Umwelt
Der Schutz der Umwelt ist mit dem Artikel 20a GG (»Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere«)
anerkannt und genießt somit einen hohen Rang. Mittlerweile ist es gesellschaftlicher Konsens, dass die Mensch-
heit zu ihrer Aufrechterhaltung die Natur benötigt und eine strukturell und funktionell intakte Umwelt auch für
zukünftige Generationen erhalten werden muss. Im Grundsatz bedeutet dies, dass eventuelle Auswirkungen
menschlichen Handelns auf die Umwelt minimiert und möglichst keine – zumindest keine dauerhaften – Schä-
den verursacht werden sollen. Aus § 15 Absatz 1 und 2 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG)69 ergibt
sich die Verpflichtung, vermeidbare Eingriffe in Natur- und Landschaft zu unterlassen bzw. unvermeidbare
Eingriffe durch Ersatzmaßnahmen zu kompensieren.
In vielen Gesetzen wird nicht die Umwelt insgesamt als Schutzgut gefasst, sondern es werden (etwa bei
der Umweltprüfung in der Bauleitplanung entsprechend § 1 Absatz 6 Nr. 7 Baugesetzbuch [BauGB]) mit der
Tierwelt, der Pflanzenwelt, der Landschaft und den drei Umweltmedien Wasser, Boden, Luft sowie dem Klima
Teilbereiche der Umwelt als Schutzgüter angesprochen. Aufgrund der langen Tradition des Naturschutzes in
Deutschland sind Tiere und Pflanzen bei der Auseinandersetzung mit der Umwelt im gesellschaftlichen Be-
wusstsein besonders stark verankert. Es geht darüber hinaus aber auch um den Artenschutz und den Schutz von
Lebensräumen (z. B. Schutzgebiete nach der Richtlinie 92/43/EWG70).
Wasser ist Teil der Umwelt und Basis jeglichen Lebens. Insofern sind Wasser und Gewässer wesentlicher
Teil des Schutzgutes Umwelt. Da der Boden nicht vermehrbar ist, Schädigungen des Bodens oft irreversibel
sind und zudem ein enger Zusammenhang zu den übrigen abiotischen Schutzgütern besteht, gilt er ebenfalls als
eigenständiges Schutzgut. Böden sind zur dauerhaften Sicherung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des
66
67
68
69
70
Verordnung (EU) 63/2010 zur Festsetzung der Ausfuhrerstattungen für Geflügelfleisch
Im EU-Recht ist beispielsweise die Verpflichtung zu Harm-Benefit-Analysen bei Tierexperimenten festgeschrieben.
Der Begriff des Eigenwerts impliziert, dass die Gesundheit der Tiere nicht in erster Linie deshalb geschützt wird, weil es den
Menschen nützt, sondern allein schon um der Tiere selbst willen. Albert Schweitzer (1991) hat mit dem ethischen Konzept der
»Ehrfurcht vor dem Leben« eine Begründung vorgeschlagen, warum Menschen die Würde von Tieren achten sollen, unabhängig
davon, ob sie davon einen Nutzen haben oder nicht. Schweitzer argumentiert, dass alle Pflanzen und Tiere leben wollen. Aber nur
ein Mensch kann sich in die Situation von anderen Lebewesen hineinversetzen, nur ein Mensch kann damit zum Anwalt allen
Lebens werden.
Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG)
Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen
Fa
4.2.2
– 67 –Drucksache 19/ 16430
– 68 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
4.2.4
Trinkwasser
Das Schutzgut Trinkwasser ist in Deutschland im Vergleich zu den anderen genannten Schutzgütern verfas-
sungsrechtlich weniger stark verankert; es wird im GG nicht explizit angesprochen. Dennoch gilt die Reinheit
des Trinkwassers als ein hohes gesellschaftliches Gut, nicht zuletzt, weil es eine Voraussetzung für Gesundheit
ist. Der Reinheitsanspruch ist in der Trinkwasserverordnung (TrinkwV)71 verbrieft. In § 4 Absatz 1 TrinkwV
von 2001 heißt es: »Trinkwasser muss so beschaffen sein, dass durch seinen Genuss oder Gebrauch eine Schädi-
gung der menschlichen Gesundheit insbesondere durch Krankheitserreger nicht zu besorgen ist. Es muss rein und
genusstauglich sein.«
In § 6 Absatz 3 TrinkwV ist ferner ein sogenanntes Minimierungsgebot festgeschrieben,72 das das Verbot
von Schädigungen der Gesundheit noch einmal verschärft: »Konzentrationen von chemischen Stoffen, die das
Trinkwasser verunreinigen oder seine Beschaffenheit nachteilig beeinflussen können, sollen so niedrig gehalten
werden, wie dies nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik mit vertretbarem Aufwand unter Berück-
sichtigung von Einzelfällen möglich ist.«
Durch dieses Minimierungsgebot ist also in Deutschland nicht nur dafür Sorge zu tragen, dass Krankheits-
erreger, Schwermetalle und Umweltgifte aus dem Trinkwasser zu entfernen sind; es sind auch solche Fremd-
stoffe zu minimieren, von denen man nicht von vorneherein sicher sagen kann, dass sie unbedenklich sind und
keine Verunreinigung darstellen (Hässelbarth 1986).
In Deutschland sind Fremdstoffe im Trinkwasser auch dann gesellschaftlich unerwünscht, wenn keine
konkrete Gefährdung von ihnen ausgeht. Diese sogenannte Trinkwasserästhetik stellt ein gegenüber der Trink-
wasserverordnung weiter verschärftes Beurteilungskriterium dar. Demnach soll Trinkwasser möglichst natur-
belassen sein. Fremdstoffe sollen darin überhaupt nicht enthalten sein, egal ob sie eine schädliche Wirkung
entfalten oder nicht (Dieter/Schmidt 2011; Dreyer/Kuhn 2014; ISOE 2008). Beispielsweise reflektiert die
DIN 2000 diesen gesellschaftlichen Anspruch.73 Gemäß dieser Norm zur Trinkwasserversorgung soll das
Trinkwasser appetitlich sein, möglichst aus dem Grundwasser stammen und nicht aufbereitet werden; soweit
eine Aufbereitung notwendig ist, soll sie sich an natürlichen Prozessen orientieren.
4.2.5
Konflikte zwischen Schutzgütern
Schutzgüter repräsentieren jeweils gesellschaftliche Interessen bzw. Interessen gesellschaftlicher Gruppen. Da-
bei ist es nicht verwunderlich, sondern durchaus zu erwarten, dass verschiedene Schutzgüter miteinander kon-
kurrieren. Bei der Beurteilung von Arzneimittelrückständen in Trinkwasser und Gewässern, also nichtintendier-
ten Nebenwirkungen von Medikamenten, kommt es zu einem Interessenkonflikt zwischen dem Anspruch auf
sauberes Trinkwasser und sauberer aquatischer Umwelt einerseits und dem Hauptzweck von Medikamenten
andererseits, dem Schutz der Gesundheit von Menschen und Tieren. Darüber hinaus können Arzneimittelrück-
stände in Trinkwasser und Gewässern auch Nebenwirkungen auf die individuelle und öffentliche Gesundheit
haben. Es kann also sogar zu Konflikten innerhalb des Schutzgutes Gesundheit kommen, wenn beispielsweise


Rückstände von Arzneimitteln im Trinkwasser negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen
hätten oder
Antibiotika in Gewässern die Bildung von resistenten Keimen befördern.
Die in Kapitel 3 angeführten, teilweise nachgewiesenen und teilweise befürchteten Wirkungen von Arzneimit-
telrückständen in Gewässern auf die aquatische Umwelt sind auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips dahinge-
hend zu diskutieren, ob nicht bereits heute Handlungsbedarf besteht. Bevor diese Diskussion aufgegriffen wird,
werden hier die Gesetze und Verordnungen vorgestellt, die im Wesentlichen die Zulassung, den Handel und die
71
72
73
Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Trinkwasserverordnung – TrinkwV)
Das Minimierungsgebot der TrinkwV ist weitaus stärker gefasst als die entsprechende Rechtsvorschrift der EU. In der Richtlinie
98/83/EG beschränkt sich das Minimierungsgebot nämlich auf Nitrat.
Durch eine Norm werden Anforderungen an Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren festlegt. In Deutschland ist das DIN e.V.
die nationale Normungsorganisation. Dort können von jedermann Anträge auf Normung gestellt werden, die dann veröffentlicht,
diskutiert und gegebenenfalls verabschiedet werden. Die Anwendung von DIN-Normen ist freiwillig. Nur wenn Normen in Ge-
setze oder Verträge aufgenommen werden, entfalten sie eine rechtliche Bindungskraft (www.din.de/de/ueber-normen-und-stan-
dards/basis
wissen [15.9.2019]).
Fa
Naturhaushalts gemäß § 1 Absatz 3 Nr. 2 BNatSchG nach Möglichkeit so zu erhalten, dass sie ihre Funktion im
Naturhaushalt erfüllen können. Im Kontext des Immissionsschutzrechts kommt Luft als weiteres Schutzgut
hinzu.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 69 –
Drucksache 19/ 16430
4.3
Der rechtliche Rahmen für die Zulassung und
das Inverkehrbringen von Medikamenten
Herstellung, Verteilung und Verwendung von Arzneimitteln sind gesetzlich sehr genau geregelt. Ein offensicht-
licher Grund hierfür sind die große Bedeutung von Medikamenten für die Gesundheit und Lebensqualität von
Menschen sowie zugleich die großen Gefahren, ebenfalls für Gesundheit und Lebensqualität, die von einem
unsachgemäßen Umgang mit ihnen oder auch von unerwarteten Nebenwirkungen ausgehen. Im Folgenden soll
ein grober Überblick über die Gesetze und Verordnungen gegeben werden, die die Zulassung und das Inver-
kehrbringen von Medikamenten regeln. Dabei wird ein Schwerpunkt auf die Verfahren gelegt, mit denen die
Umweltwirkungen von Human- und Tierarzneimitteln bewertet werden (Kap. 4.3.1 u. 4.3.2), und es werden
speziell die Regelungen im Bereich Trinkwasser- und Gewässerschutz betrachtet (Kap. 4.3.3).
4.3.1
Bewertung und Berücksichtigung von Umweltrisiken – Humanarzneimittel
Die Zulassung und das Inverkehrbringen von Humanarzneimitteln werden auf EU-Ebene durch das europäische
Humanarzneimittelrecht und national durch das AMG normiert. Diese Regelungen sollen den innereuropäi-
schen Handel von Arzneimitteln erleichtern, indem sie das Zulassungsverfahren und die Zulassungsbedingun-
gen vereinheitlichen und dabei zugleich die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln
sicherstellen. Innerhalb der EU wird derzeit die Zulassung von Humanarzneimitteln durch die Richtlinie
2001/83/EG74 sowie die sie ändernden bzw. ergänzenden Richtlinien 2004/27/EG75, 2009/53/EG76,
2010/84/EU77, 2011/62/EU78 und Verordnungen (EG) 1901/200679 und (EG) 1394/200780 geregelt.
Seit der ersten Änderung der Richtlinie 2001/83/EG durch die Richtlinie 2004/27/EG wird zwingend die
Prüfung möglicher Risiken für die Umwelt verlangt. Praktisch umgesetzt werden konnte diese Forderung nach
einer Umweltrisikoprüfung allerdings erst 2006 mit der Verabschiedung eines entsprechenden und EU-weit
gültigen Bewertungskonzepts (EMA 2006). Auf nationaler Ebene nimmt das UBA diese Bewertung vor. We-
sentlicher Teil des Konzepts ist das in Kapitel 3.1.2 beschriebene PEC/PNEC-Umweltrisikobewertungsverfah-
ren (Kampa et al. 2007; Rönnefahrt et al. 2012).
Die Umweltrisikoprüfung muss grundsätzlich nur für diejenigen Arzneimittel durchgeführt werden, die
neu in Verkehr gebracht werden sollen oder für die eine Veränderung in der Darreichungsform beantragt wird,
die zu einer höheren Verbrauchsmenge führen könnte. Für bereits vor Inkrafttreten dieser Regelung zugelassene
Arzneimittel, wie z. B. Diclofenac oder Carbamazepin, muss sie nicht nachträglich erfolgen. Dies hat zur Folge,
dass für einen Großteil der seit Jahrzehnten vermarkteten sogenannten Altarzneimittel kaum Informationen dar-
über vorliegen, wie sie sich in der Umwelt verhalten und welche Auswirkungen möglich sein könnten (Ebert et
al. 2010; Silva et al. 2011).
Über die Zulassung entscheidet das BfArM bzw. entsprechend auf europäischer Ebene die EMA auf der
Grundlage einer Nutzen-Risiko-Abwägung. Das Umweltrisiko wird allerdings nicht in die endgültige Beurtei-
lung einbezogen. Selbst wenn die Risikobewertung ergibt, dass mit der vorgesehenen Anwendung des betref-
fenden Arzneimittels die Umwelt erheblich geschädigt wird, kann die Zulassung für ein Humanarzneimittel
nicht verweigert werden. Es können allenfalls Auflagen für das Inverkehrbringen und die Anwendung proble-
matischer Arzneistoffe erlassen werden, um die Risiken zu begrenzen. In der Praxis beschränken sich diese
Auflagen aber bisher auf Hinweise zu den ermittelten Umweltrisiken und zur Entsorgung nicht verbrauchter
Medikamente auf Packungsbeilagen und Fachinformationen für Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und
74
75
76
77
78
79
80
Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel
Richtlinie 2004/27/EG zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimit-
tel
Richtlinie 2009/53/EG zur Änderung der Richtlinie 2001/82/EG und der Richtlinie 2001/83/EG in Bezug auf Änderungen der
Bedingungen für Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln
Richtlinie 2010/84/EU zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimit-
tel hinsichtlich der Pharmakovigilanz
Richtlinie 2011/62/EU zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimit-
tel hinsichtlich der Verhinderung des Eindringens von gefälschten Arzneimitteln in die legale Lieferkette
Verordnung (EG) 1901/2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinien
2001/20/EG und 2001/83/EG sowie der Verordnung (EG) Nr. 726/2004
Verordnung (EG) 1394/2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der
Verordnung (EG) Nr. 726/2004
Fa
Verwendung von Arzneimitteln regeln. Damit wird der rechtliche Rahmen skizziert, in dem ein Interessenaus-
gleich bei Zielkonflikten zwischen oder innerhalb von Schutzgütern stattfinden kann.Drucksache 19/ 16430
– 70 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
4.3.2
Bewertung und Berücksichtigung von Umweltrisiken – Tierarzneimittel
Im Bereich der Tierarzneimittel gibt es seit längerer Zeit weitreichendere Regelungen zum Schutz der Umwelt
als im Humanarzneimittelbereich. Das Inverkehrbringen von Tierarzneimitteln durch die EU-Mitgliedstaaten
wird durch die Richtlinie 2001/82/EG81 mit Änderungen durch die Richtlinie 2004/28/EG82 geregelt. Eine
Umweltprüfung für Veterinärarzneimittel wurde europaweit erstmals 1992 mit der 18. Novelle der Richtlinie
81/852/EWG83 eingeführt. Seit der Novellierung 2004 müssen bei der Neuzulassung von Tierarzneimitteln84
die Umweltrisiken im Rahmen einer umfassenden Nutzen-Risiko-Abwägung mitberücksichtigt werden. Bei
dieser Abwägung werden dem Nutzen eines Medikaments (Wirksamkeit) dessen Risiken (Schädlichkeit) ge-
genübergestellt (Schmidt 2003; Kern 2010). Berücksichtigt wird »jedes Risiko im Zusammenhang mit der Qua-
lität, Sicherheit und Wirksamkeit des Tierarzneimittels für die Gesundheit von Mensch und Tier und jedes Ri-
siko unerwünschter Auswirkungen auf die Umwelt« (Artikel 1 Nr. 19 Richtlinie 2001/
82/EG). Es wird dabei unterschieden zwischen Hauptrisiken und speziellen Risiken. Zu den Hauptrisiken zählen
Risiken
81
82
83
84
Richtlinie 2001/82/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel
Richtlinie 2004/28/EG zur Änderung der Richtlinie 2001/82/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel
Richtlinie 81/852/EWG über die analytischen, toxikologisch-pharmakologischen und tierärztlichen oder klinischen Vorschriften
und Nachweise über Versuche mit Tierarzneimitteln
Einschließlich Generika und bibliografischer Zulassungen. In ähnlicher Weise wie bei den Humanarzneimitteln müssen auch
Tierarzneimittel, die vor Einführung der Umweltrisikoprüfung auf den Markt gekommen sind, nicht im Nachhinein auf ihre Um-
weltwirkungen hin überprüft wurden (Rechenberg 2006).
Fa
Apotheker. Diese Tatsache relativiert die Effektivität der Umweltrisikoprüfung, auch wenn die Prüfung Infor-
mationen liefert, die für den weiteren Prozess der Regulierung hilfreich sein können (Götz et al. 2011; Kampa
et al. 2007; Küster/Adler 2014; Rechenberg 2006).
Die Entscheidung des Europäischen Parlaments, Umweltkriterien nicht mit in die Zulassungsentscheidung
aufzunehmen, wurde im Bericht des EU-Wirtschaftskommissars Erkki Liikanen (2003, S. 3) über die Sitzung
des Parlaments am 16. Dezember 2003 wie folgt dargestellt: »The possible effects of the use of medicinal prod-
ucts on the environment are important. The question needed to be addressed carefully as, at the end of the day,
the availability of certain medicines was at stake. The compromise amendments, which require an environmen-
tal impact assessment and possible mitigating measures, but leave the criteria for granting the marketing au-
thorisation untouched is to be seen as a well-balanced solution.«
In der jetzigen Ausgestaltung der Gesetzgebung wird also der Schutz der Umwelt nicht als gleichwertiges
Schutzziel aufgefasst und dem Schutz der menschlichen/öffentlichen Gesundheit ein höherer Stellenwert bei-
gemessen (Kern 2010, S. 251). Kern (2010) kritisiert dies und macht darauf aufmerksam, dass gemäß Artikel 95
Absatz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Konsolidierte Fassung 2006) die Rechts-
angleichung zur Herstellung des Binnenmarktes im Arzneimittelsektor sowohl gesundheitsschützende als auch
umweltschützende Aspekte berücksichtigen muss. Beide Schutzgüter besitzen demnach einen hohen Schutzsta-
tus. Daher müssen Umweltschutz und Schutz der öffentlichen Gesundheit grundsätzlich als gleichrangig gese-
hen werden. Im Falle einer Situation, in der die Schutzgüter kollidierten, muss laut Kern (2010, S. 251) der
Konflikt folglich durch Abwägung aufgelöst werden: »Der europäische Gesetzgeber versucht diese Kollisions-
lage zwischen den Schutzgütern Mensch/öffentliche Gesundheit und Umwelt dadurch zu lösen, dass bereits auf
der ersten Ebene eine Präferenz zugunsten des Menschen eingeräumt wird, indem Risiken für die Umwelt nicht
zulassungsgestaltend berücksichtigt werden, sondern das zulassungsentscheidende Nutzen-Risiko-Verhältnis
des Humanarzneimittels allein unter Betrachtung der Wirkungen und Nebenwirkungen beim Menschen ermit-
telt wird.«
Umweltrisiken werden jedoch nicht nur bei der Zulassung unzureichend berücksichtigt, auch im Bereich
der Kontrolle der Medikamente nach der Markteinführung gibt es erhebliche Defizite. Das derzeitige staatliche
System zur Beobachtung und zentralen Erfassung von Nebenwirkungen (Pharmakovigilanzsystem; Näheres
Kap. 4.4.2) zielt auf solche Nebenwirkungen, die im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht entdeckt werden
konnten. Allerdings erfasst es nur nichtintendierte Wirkungen auf die menschliche Gesundheit. Es ist nicht
darauf ausgerichtet, Daten zum Vorkommen von Arzneimittelrückständen in der Umwelt und zu deren mögli-
chen Wirkungen in der Umwelt zu sammeln. Und es gibt aktuell auch keine Möglichkeit, diese Informationen
vom Arzneimittelproduzenten einzufordern, denn die zulassende Behörde kann nach Erteilung der Zulassung
vom Zulassungsinhaber keine erneute Durchführung von Umweltrisikobewertungsstudien und die Beschaffung
von weiteren Umweltrisikodaten einfordern (Rönnefahrt et al. 2012).Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
für die Zielart (also Nebenwirkungen des Medikaments im engeren Sinne),
für den Anwender,
für den Verbraucher und
für die Umwelt.
Zu den speziellen Risiken gehört z. B. die Entstehung antimikrobieller Substanzen, also von Substanzen, die die
Vermehrungsfähigkeit oder Infektiosität von Mikroorganismen reduzieren, sie abtöten oder inaktivieren.
Bei der Nutzenbewertung wird grundsätzlich zwischen dem direkten Nutzen, als der therapeutischen Wir-
kung und der Steigerung der Lebensqualität für das behandelte Tier, und dem indirekten Nutzen, z. B. einer
Kostensenkung oder Ertragserhöhung für den Landwirt, unterschieden. In die Nutzen-Risiko-Abwägung darf
allerdings nur der direkte Nutzen einfließen (EMA 2009, S. 10 ff). Die Nutzen-Risiko-Abwägung führt dazu,
dass bei einem Medikament mit hohem therapeutischem Nutzen Risiken für die Umwelt eher toleriert werden
als bei einem Medikament mit geringer Wirksamkeit (Kern 2010, S. 186).85
Die Abschätzung der Umweltrisiken erfolgt in Deutschland durch das UBA. Das UBA folgt dabei dem
Leitfaden EMA (2006). Analog zum PEC/PNEC-Risikobewertungskonzept für Humanarzneimittel (Kap. 3.1.2)
wird zunächst eine Abschätzung der Umweltexposition durchgeführt, wobei jedoch die für Tierarzneimittel
relevanten Eintragswege und Anwendungsmuster beachtet werden (Phase I). Ergibt die Expositionsabschät-
zung eine zu erwartende Umweltkonzentration von größer 1 μg/l (aquatische Umwelt) bzw. größer 100 μg/kg
(Boden), dann ist eine vertiefte Umweltprüfung (Phase II) durchzuführen, an deren Ende (wiederum ähnlich
zur Umweltprüfung von Humanarzneimitteln) die Wahrscheinlichkeit einer Umweltgefährdung anhand eines
Risikoquotienten beziffert wird. Ist dieser Risikoquotient größer 1, werden Maßnahmen zur Risikovermeidung
und -minderung erforderlich (EMA 2008).
Wenn das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) als Zulassungsbehörde für
Tierarzneimittel bei der Nutzen-Risiko-Abwägung zu dem Schluss kommt, dass von der Anwendung des Arz-
neimittels ein unvertretbares Risiko für die Umwelt ausgeht, kann sie die Zulassung verweigern (Kern 2010;
Kolossa-Gehring et al. 2004; Rechenberg 2006), was aber in der Praxis noch nicht vorgekommen ist (Ebert
et. al 2014). Auch wenn die Zulassung nicht verweigert wird, können umweltschützende Auflagen verhängt
werden, die darauf abzielen, das Umweltrisiko des Arzneimittels zu verringern oder bestenfalls zu beseitigen.
Derartige Risikominderungsmaßnahmen können beispielsweise sein:




eine Verschreibungspflicht,
Auflagen bezüglich der Anwendung des Arzneimittels,
Auflagen zum Umgang mit dem behandelten Tier und/oder seinen Ausscheidungsprodukten oder
Auflagen zur Entsorgung von nicht verabreichten Arzneimitteln.
Die Möglichkeit, Auflagen zu verhängen, ist allerdings kein sehr wirksames Instrument, denn bisher wurden
keine Sanktionen gesetzlich verankert, die die Einhaltung solcher Auflagen sicherstellen (Kern 2010). Auch
wurden bislang national und EU-weit nur selten überhaupt Auflagen erteilt. Zwei dieser seltenen Auflagen sind:


Bei einigen Antiparasitika dürfen Tiere mehrere Tage nach der Behandlung nicht auf die Weide, um so die
auf den Weideflächen im Dung lebenden Insekten vor Antiparasitikarückständen zu schützen.
Ein Präparat in der Schweinezucht, das den Wirkstoff Tilmicosin enthält, muss den folgenden Hinweis in
die Fachinformationen aufnehmen (Küster et al. 2013, S. 24): »›Präparat‹ darf nur einmal pro Produktions-
zyklus über den vorgeschriebenen Behandlungszeitraum im gesamten Bestand angewendet werden, da nur
mit einer geringen Abbaurate der ausgeschiedenen ›Präparat‹-Rückstände zu rechnen ist. Das Präparat darf
nicht in Gewässer gelangen, da es für im Wasser lebende Organismen gefährlich ist.«
Besondere Regelungen existieren für die tiermedizinische Abgabe und Anwendung von Antibiotika. Beispiels-
weise dürfen Antibiotika seit 2006 nur noch zur Behandlung von kranken Tieren eingesetzt werden und nicht
mehr zur Wachstumsförderung (Artikel 11 Absatz 2 Verordnung [EG] Nr. 1831/2003 über Zusatzstoffe zur
85
Bislang existiert kein wissenschaftliches Konzept, das festlegt, wie die Umweltbewertung systematisch in der Nutzen-Risiko-
Bewertung berücksichtigt werden soll (UBA 2016b). Der Leitfaden der EMA (2008) enthält keine spezifische Anleitung zur Ver-
rechnung der Umweltrisiken mit den anderen Risiken.
Fa




– 71 –Drucksache 19/ 16430
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Re: Arzneimittelrückstände in Trinkwasser
« Reply #4 on: January 16, 2020, 05:18:36 AM »


Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
4.3.3
Regelungen im Gewässer-, Grund- und Trinkwasserschutz
Verbindliche Grenzwerte (z. B. Umweltqualitätsnormen) für Arzneistoffe in Oberflächen-, Trink- und Grund-
wasser existieren momentan weder auf europäischer Ebene noch in Deutschland. Das europäische Wasserrecht
(insbesondere die Richtlinie 2000/60/EG und deren ergänzende Richtlinien, unter anderem die Richtlinie
2006/118/EG87) liefert grundsätzlich Möglichkeiten für eine Regulierungsstrategie in Bezug auf Umweltrisi-
ken von Arzneimitteln im Wasser. Insbesondere könnten Arzneimittel in die sogenannte Liste der prioritären
Stoffe aufgenommen werden, für die dann Umweltqualitätsnormen definiert werden müssen. Diese Möglichkeit
wurde aber erst 2013 mit der Überarbeitung der Richtlinie 2013/39/EU geschaffen. Seither sind folgende phar-
mazeutische Wirkstoffe bzw. Wirkstoffgruppen auf der sogenannten Beobachtungsliste (Durchführungsbe-
schluss (EU) 2015/49588): 17α-Ethinylöstradiol (EE2), 17β-Östradiol (E2), Estron (E1) und Diclofenac sowie
die Makrolidantibiotika (als relevante Stoffe werden aufgeführt: Erythromycin, Clarithromycin, Azithromycin).
Sie werden nun zunächst einem standardisierten, europaweiten Monitoring über mindestens 1 Jahr unterzogen,
insbesondere um zu prüfen, ob die Qualitätsziele analytisch überprüft werden können und sie zukünftig als
prioritär eingestuft werden sollten. Die gesammelten Daten sollen als Grundlage für Risikobewertungsverfahren
dienen. Sofern sich hieraus ein Risiko für die aquatische Umwelt ableiten lässt, wird der entsprechende Stoff in
die Liste der prioritären Stoffe der Richtlinie 2000/60/EG aufgenommen, sodass nachfolgend gegebenenfalls
Minderungsmaßnahmen umzusetzen sind (Hillenbrand et al. 2016).
Zusätzlich hat die EU-Kommission vom europäischen Gesetzgeber den umfassenden Auftrag erhalten,
binnen 2 Jahren eine Strategie zur Begrenzung von Umweltrisiken durch Arzneimittel vorzulegen. Die EU-
Kommission soll gemäß Artikel 8c Richtlinie 2013/39/EU »möglichst innerhalb von 2 Jahren ab dem 13. Sep-
tember 2013 einen strategischen Ansatz gegen die Verschmutzung von Gewässern durch pharmazeutische
Stoffe [entwickeln]. Dieser strategische Ansatz umfasst gegebenenfalls Vorschläge zur stärkeren Berücksichti-
gung – soweit erforderlich – der Umweltverträglichkeit von Arzneimitteln im Rahmen des Verfahrens für das
Inverkehrbringen von Arzneimitteln. Im Rahmen dieses strategischen Ansatzes schlägt die EU-Kommission
gegebenenfalls bis zum 14. September 2017 Maßnahmen vor, die gegebenenfalls auf EU-Ebene und/oder der
Mitgliedstaaten zu ergreifen sind, um die möglichen Umweltauswirkungen von pharmazeutischen Stoffen, ins-
besondere derjenigen [die auf der Beobachtungsliste stehen], mit dem Ziel anzugehen, Einleitungen, Emissio-
nen und Verluste solcher Stoffe in die aquatische Umwelt unter Berücksichtigung der Erfordernisse der öffent-
lichen Gesundheit und der Kosteneffizienz der vorgeschlagenen Maßnahmen zu verringern.«
Die Entwicklung der geforderten Strategie hat sich erheblich verzögert, sie sollte eigentlich im Rahmen
der Roadmap der EU-Kommission zum »Strategic approach to pharmaceuticals in the environment« im ersten
Quartal 2018 vorgelegt werden. Im Rahmen der Vorbereitung der Strategie wurde eine öffentliche Anhörung
86
87
88
In der Landwirtschaft wurden Antibiotika dazu verwendet, die Futterverwertung und das Wachstum von Nutztieren zu fördern.
Sie wirken auf Bakterien im Darm von Schweinen und Geflügel und im Pansen von Wiederkäuern (siehe auch https://de.wikipe-
dia.org/
wiki/Wachstumsf%C3 %B6rderer [15.9.2019]).
Richtlinie 2006/118/EG zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung und Verschlechterung
Durchführungsbeschluss (EU) 2015/495 zur Erstellung einer Beobachtungsliste von Stoffen für eine unionsweite Überwachung
im Bereich der Wasserpolitik gemäß der Richtlinie 2008/105/EG
Fa
Verwendung in der Tierernährung).86 Antibiotika dürfen darüber hinaus nur im Rahmen einer ordnungsgemä-
ßen Behandlung durch den zuständigen Tierarzt verschrieben oder abgegeben werden. Ferner unterliegen alle
Tierarzneimittel, die zur Anwendung bei Lebensmittel liefernden Tieren bestimmt sind, dem Grundsatz der
Verschreibungspflicht (Artikel 67 Richtlinie 2001/82/EG).
Die staatliche Nachmarktkontrolle (Pharmakovigilanz) bei Tierarzneimitteln dient aber anders als bei den
Humanarzneimitteln ausdrücklich auch der Sammlung von Umweltdaten zur Ermittlung von möglichen Um-
weltproblemen. Die von den Mitgliedstaaten ermittelten Daten werden an andere Mitgliedsstaaten und die
Agentur weitergegeben und in einer Pharmakovigilanzdatenbank gespeichert. Änderungen in der Beurteilung
eines Umweltrisikos nach der Zulassung in dem Sinne, dass entweder ein Umweltrisiko zum ersten Mal ermit-
telt wird oder ein höheres als bisher angenommenes Risiko vermutet wird, können eine Neubewertung des
Nutzen-Risiko-Verhältnisses nach sich ziehen. Die Erfassung über herkömmliche Berichtsmethoden der Phar-
makovigilanz gestaltet sich aber häufig als sehr schwierig, da Tierärztinnen und -ärzte sowie Tierhalterinnen
und -halter in den meisten Fällen das nötige Wissen fehlt, um die Verbreitung der zur Behandlung verwendeten
Wirkstoffe in der Umwelt sowie mögliche Umweltwirkungen beurteilen zu können (Kern 2010; Kirsch 2014).Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 73 –
Drucksache 19/ 16430
4.4
Arzneimittelrückstände im Wasser im medialen Diskurs
Arzneimittelrückstände sind – wie andere Umweltprobleme auch – letztendlich ein gesellschaftliches Problem.
Ihr Eintrag und ihr Verbleib in der Umwelt sind sowohl mit individuellen Verhaltensweisen als auch mit in-
dustriellen und wirtschaftlichen Praktiken verknüpft. Doch obwohl Arzneimittelkonsumenten einen individuel-
len Beitrag zum Problem leisten, bleiben die damit einhergehenden Zielkonflikte im öffentlichen Diskurs meist
implizit. Dies zeigt sich in der medialen Berichterstattung zum Thema, wie sie in diesem Kapitel kurz umrissen
wird.
89
90
91
92
93
94
95
96
97
https://ec.europa.eu/info/consultations/public-consultation-pharmaceuticals-environ
ment_en (15.9.2019)
Richtlinie 98/83/EG über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch
Richtlinie (EU) 2015/1787 der Kommission vom 6. Oktober 2015 zur Änderung der Anhänge II und III der Richtlinie 98/83/EG
über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (konsolidierte Fassung)
https://www.umweltbundesamt.de/dokument/liste-nach-gow-bewerteten-stoffe (15.9.2019)
mit Verweis auf die zumeist verwendeten europäischen Grenzwerte (http://ec.europa.
eu/sanco_pesticides/public/index.cfm [15.9.2019])
Richtlinie 2008/105/EG über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung und anschließenden Auf-
hebung der Richtlinien des Rates 82/176/EWG, 83/513/EWG, 84/156/EWG, 84/491/EWG und 86/280/EWG sowie zur Änderung
der Richtlinie 2000/60/EG
Richtlinie 2009/90/EG zur Festlegung technischer Spezifikationen für die chemische Analyse und die Überwachung des Gewäs-
serzustands gemäß der Richtlinie 2000/60/EG
Richtlinie 2014/101/EU zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen derGe-
meinschaft im Bereich der Wasserpolitik
Verordnung zum Schutz der Oberflächengewässer (Oberflächengewässerverordnung – OGewV)
Fa
durchgeführt.89 Trotzdem ist festzuhalten, dass es bisher in den politischen Verhandlungen über die Fortschrei-
bung der Richtlinie 2013/39/EU nicht gelungen ist, verbindliche Umweltqualitätsnormen und damit Handlungs-
pflichten für pharmazeutische Wirkstoffe zu beschließen.
Die Richtlinie 98/83/EG90 wird gerade überarbeitet und mit ihr die Qualitätsstandards für Trinkwasser.
Bislang sind in der Richtlinie 98/83/EG und der Richtlinie (EU) 2015/178791 keine Arzneimittel berücksichtigt.
In Deutschland wird zur Risikoeinschätzung für das Trinkwasser seit 2003 der vom UBA eingeführte ge-
sundheitliche Orientierungswert herangezogen (Bergmann 2011; UBA 2012). Das UBA hat dazu 2003 nach
bestem Wissen die gefährlichen Stoffe identifiziert und ihnen Orientierungswerte zugeordnet. Diese werden in
μg Wirkstoff pro l Trinkwasser angegeben und sind ein Vorsorgewert zum Schutz der menschlichen Gesundheit
(UBA 2012). Sowohl die Liste der Wirkstoffe als auch die Orientierungswerte werden regelmäßig aktualisiert.
Entsprechend richten sowohl die Wasserwerke als auch die Wasserbehörden ihre Aufmerksamkeit auf diese
Stoffe, auch wenn für sie keine formalen Regelungen (beispielsweise keine Meldepflicht und Pflicht zur Über-
wachung) bestehen. Derzeit befinden sich 28 Arzneimittel bzw. deren Metabolite auf dieser 48 Stoffe umfas-
senden Liste.92 Eine zweite, vergleichbare Liste mit Pflanzenschutzmitteln wird vom Bundesinstitut für Risi-
kobewertung (BfR 2009) geführt.93
Im Zuge der Umsetzung der Richtlinien 2000/60/EG, 2008/105/EG94, 2009/90/EG95, 2014/101/EU96
sowie 2013/39/EU in die Oberflächengewässerverordnung (OGewV)97 hat der Bundesrat (2016) am 18. März
Dezember 2016 einen Beschluss gefasst und die Bundesregierung gebeten, hinsichtlich der Belastung von Ober-
flächengewässern mit Arzneimitteln tätig zu werden, insbesondere sich für eine bessere Information und Kenn-
zeichnung einzusetzen, aber auch die finanzielle Verantwortung zu klären.
Eine weitere Initiative, die der Vorbereitung von formalen Regelungen dienen kann, ist die Erarbeitung
einer »nationalen Mikroschadstoffstrategie des Bundes« durch das Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz und nukleare Sicherheit (BMU). In dessen Rahmen führt das BMU einen Stakeholderdialog durch. Ne-
ben Arzneistoffen werden auch andere Mikroschadstoffe wie Pflanzenschutzmittel, Biozide, Waschmittel und
Kosmetika, Industrie und Haushaltschemikalien betrachtet. Der Dialog hat zum Ziel, »einen Rahmen für einen
Maßnahmenmix zu erarbeiten, der geeignet erscheint, der Belastung der Gewässer durch Mikroschadstoffe ent-
gegenzuwirken und die Bereitschaft der Stakeholder zur Durchführung der Maßnahmen zu ermitteln«. Der Sta-
keholderdialogprozess mündete in Empfehlungen für »Minderungsstrategien an den Quellen, in der Anwen-
dung und auf der Basis nachgeschalteter Maßnahmen« (BMUB/UBA 2017). Empfohlen wird auch eine Vorge-
hensweise festzulegen, wie bestimmt wird, welche Spurenstoffe überhaupt als so relevant erachtet werden sol-
len, dass für sie konkrete Maßnahmen zu ergreifen sind (BMUB/UBA 2017, S. 12).Drucksache 19/ 16430
– 74 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode



Im BMBF-geförderten Verbundprojekt »ASKURIS« untersuchten Bauer und Wenzel (2015) die Darstel-
lung von Gefahren und Risiken anthropogener Spurenstoffe und Krankheitserreger in Bezug auf Trinkwas-
ser und Gewässer. In einer Einzelfallstudie zur Berliner Wasserversorgung wurde der mediale Diskurs an-
hand von 126 Zeitungsartikeln qualitativ und statistisch ausgewertet (1.1.2012 bis 19.6.2013). 98
Sunderer et al. (2014) vom Frankfurter Institut für sozialökologische Forschung (ISOE) analysierten im Rah-
men derselben BMBF-Fördermaßnahme im Projekt »TransRisk« (»Charakterisierung, Kommunikation und
Minimierung von Risiken durch neue Schadstoffe und Krankheitserreger im Wasserkreislauf«) die überre-
gionale Berichterstattung in deutschen Tages- und Wochenzeitungen von 2000 bis 2012 (270 Artikel). Hier
lag der Fokus auf der Frage, welche Botschaften die Medien zu Wasserverunreinigungen durch Spuren-
stoffe im Allgemeinen und Arzneimittelrückstände im Besonderen kommunizieren.
Am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Leipzig wurde die öffentliche Berichterstattung über
Arzneimittelrückständen und Mikroverunreinigungen in der deutschen Presse bis einschließlich 2015
(Schulte-Römer/Söding (2019) untersucht (444 Artikel).99
4.4.1
Entwicklung und Ton der Berichterstattung
Arzneimittelrückstände im Wasser werden in der Presse insgesamt eher wenig, in den letzten Jahren aber ver-
stärkt thematisiert, oftmals im Lokalteil (Sunderer et al. 2014, S. 16) und in Regional- und Lokalzeitungen
(Schulte-Römer/Söding (2019). Baur und Wenzel (2015) führen den starken Lokalbezug darauf zurück, dass
»Wasser ein regionales Produkt ist und stets und fast ausschließlich durch regionale Faktoren, wie z. B. regio-
nale geologische Verhältnisse, regionale Landwirtschaft und andere Wirtschaftsunternehmen sowie regionale
Bevölkerungsmerkmale beeinflusst wird« (Bauer/Wenzel 2015, S. 20). Hinzu kommt, dass Arzneimittelrück-
stände häufig im Kontext Abwasserwirtschaft behandelt werden, die regional organisiert ist (Abb. 4.2).
Im Zeitverlauf betrachtet, hat sich die Berichterstattung bei Artikeln über konkrete Gewässerverunreini-
gungen hin zur abstrakteren Erfassung der allgemeinen Problemlage Arzneimittelrückstände bzw. Mikroverun-
reinigungen entwickelt. So finden sich seit Mitte der 1990er Jahre vereinzelte Berichte über Gewässerverunrei-
nigungen durch Hormone oder spezifische Arzneimittel. Beispielsweise berichtete Löhr (1995) in der taz. die
tageszeitung schon früh über »Sexualhormone in der Umwelt« und die Arzneimittelbelastung der Elbe: »Wie
Untersuchungen der Umweltbehörde ergaben, scheiden Herzpatienten den Wirkstoff Clofibrinsäure, der in ih-
ren Tabletten enthalten ist, fast unvermindert wieder aus.« Der Begriff Arzneimittelrückstände taucht ab 1995
vereinzelt auf, während die allgemeineren, über Arzneimittelspuren hinausgehenden Problembeschreibungen
»Mikroverunreinigungen« und »Spurenstoffe« erst ab 2005 in Presseberichten zu finden sind. In den letzten 10
Jahren hat die Berichterstattung über das Phänomen der Arzneimittelrückstände und Spurenstoffe im Wasser
stark zugenommen (Abb. 4.1).
Die qualitative Medienanalyse zeigt, dass die deutsche Presse das Problem weitgehend sachlich und nur
selten dramatisierend beschreibt (Baur/Wenzel 2015, S. 23; Schulte-Römer/Söding 2019; Sunderer et al. 2014,
98
99
ASKURIS (»Anthropogene Spurenstoffe und Krankheitserreger im urbanen Wasserkreislauf – Bewertung, Barrieren und Risiko-
kommunikation«) ist ein Verbundprojekt der 2015 abgeschlossenen BMBF-Fördermaßnahme »Risikomanagement von neuen
Schadstoffen und Krankheitserregern im Wasserkreislauf« (RiSKWa) (www.bmbf.
riskwa.de/index.php [15.9.2019]).
Die Artikelsuche erfolgte mit der Datenbank Nexis, die 269 deutschsprachige Print- und Onlinemedien enthält, von denen aber
Wochenzeitungen, Fachpresse, Agenturmeldungen, schweizerische Medien und Onlinequellen nicht berücksichtigt wurden. Ge-
sucht wurde im gesamten Zeitraum bis 2015 mit den Suchbegriffkombinationen Wasser UND Arzneimittelrückstände ODER
Medikamentenrückstände ODER Arzneimittelreste ODER Medikamentenreste ODER Arzneimittelrest ODER Medikamentenrest
ODER Mikroverunreinigung ODER Mikroverunreinigungen ODER Spurenstoffe ODER Spurenstoff ODER Mikroschadstoffe
ODER Mikroschadstoff.
Fa
Der Mediendiskurs ist insofern relevant, als er die gesellschaftliche Problemwahrnehmung prägt und po-
litische Lösungsansätze öffentlich vermittelt. Allerdings ist der Diskurs über Arzneimittelrückstände im Wasser
nicht sehr ausgeprägt, nicht zuletzt, weil Informationen auf diesem Problemfeld selten Nachrichten mit Neu-
heitswert sind. Zunächst sind die Rückstände kein neues, sondern höchstens ein neu erkanntes Phänomen, das
uns zudem auf unabsehbare Zeit erhalten bleiben wird. Zudem sind ihre negativen Wirkungen auf die Umwelt
noch nicht sehr gut erforscht und aufgrund komplexer und langfristiger Wirkungszusammenhänge schwer nach-
zuweisen. Entsprechend fällt die öffentliche Berichterstattung zum Thema, entgegen journalistischer Normen
wie Neuheit, Dramatisierung und Personalisierung (Boykoff/Boykoff 2007), weitgehend nüchtern aus, wie die
Ergebnisse der im Folgenden dargestellten Analysen der deutschen Tagespresse zeigen.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 75 –
Drucksache 19/ 16430
Abb. 4.1
Artikel zu Arzneimittelrückständen und Spurenstoffen im Wasser in der deutschen Presse (Arti-
kel pro Jahr)
120
100
80
60
40
20
0
Quelle:
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Schulte-Römer/Söding 2019, n = 444
Sunderer et al. (2014, S. 17) sehen mit Blick auf politische Kommunikationsstrategien eine Herausforderung
darin, mit medialen Mitteln ein Problembewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen, »ohne den guten Ruf des
Trinkwassers durch eine Überdramatisierung zu gefährden«. In ihrer Medienanalyse unterscheiden sie zwischen
Artikeln mit nachrichtlichem Charakter (63 % der Artikel), wissenschaftlich-argumentativen (22 %) und bera-
tend-handlungsleitenden Artikeln (17 %), die »zumindest an manchen Stellen« die Verbrauchersicht einnehmen
und konkrete Verhaltenstipps oder falsche Verhaltensweisen explizit thematisieren (Sunderer et al. 2014, S. 16
f.).
4.4.2
Inhalte der Berichterstattung
Konkrete Hinweise auf Medikamente oder einzelne Wirkstoffe sind in der Regel zentraler Bestandteil der Medi-
enberichterstattung (Sunderer et al. 2014, S. 11). Schulte-Römer und Söding (2019) zeigen, dass Arzneimittel in
über 80 % der Fälle auch dann explizit erwähnt werden, wenn Artikel die allgemeine Problematik der Spurenstoffe
und Mikroverunreinigungen im Wasser behandeln.
Die Anlässe zur Berichterstattung über Pharmarückstände im Wasser in der Tagespresse variieren. The-
matische Aufhänger reichen von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, Berichten über den Umweltzustand
lokaler Gewässer und politische Beschlüsse bis hin zu Veranstaltungsberichten und Meldungen über die Erpro-
bung neuer technischer Verfahren in der Abwasserbehandlung. Thematisch lassen sich sechs übergeordnete
Kategorien unterscheiden (Abb. 4.2).
Fa
S. 17). Ein Zusammenhang zwischen Berichterstattung, politischer Ausrichtung und Zielgruppen einzelner Me-
dien lässt sich nicht ausmachen – die Boulevardpresse berichtet nicht auffälliger als bürgerliche Wochenzeitun-
gen und die Autoren scheinen »um eine ausgeglichene, sachliche Darstellung bemüht«, auch wenn sie von
Störfällen oder Krisen der Wasserversorgung berichten (Bauer/Wenzel 2015, S. 27). Die Studie von Schulte-
Römer und Söding (2019) ergab auch, dass Artikel zwar offen auf Unsicherheiten bezüglich der möglichen
Wirkungen von Arzneimittelrückständen verweisen, dieses Nichtwissen aber ebenfalls weitgehend neutral und
weniger als gesellschaftliches Problem darstellen, sondern eher als Forschungsbedarf und Expertenproblem
rahmen (siehe auch Zehr 2000).Drucksache 19/ 16430
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Thematische Aufhänger der Berichterstattung über Arzneimittelrückstände im Wasser
Forschung und
Entwicklung
14 %
Leserinformation
3 %
Umwelt
24 %
Politik
14 %
neues Thema
17 %
Wasserwirtschaft
28 %
Eigene Erhebung, Erscheinungszeitraum 1995 bis 2015, n = 444
Die größte Zahl der Artikel zur Problematik behandelt Themen der Wasserwirtschaft (28 %) wie z. B. die Er-
probung neuer Abwassertechnologien, den Bau einer vierten Reinigungsstufe oder Jahresberichte regionaler
Abwasserverbände, die am Rande auch auf die neue und kostspielige Herausforderung der Pharmarückstände
verweisen. Einen ähnlich großen Anteil der Berichterstattung (24 %) bilden umweltbezogene Artikel über den
ökologischen Zustand konkreter Gewässer, bei denen die Auswirkungen von Arzneimittelrückständen und an-
deren Spurenstoffen auf Wasserorganismen, insbesondere Fische, thematisiert werden. Vereinzelt finden sich
auch längere Reportagen über die Problematik in spezifischen Gewässern wie der Spree, dem Rhein oder dem
Bodensee. In den übrigen Artikel werden Arzneimittelrückstände im Kontext politischer Entscheidungen oder
Debatten (14 %), als Gegenstand von wissenschaftlicher Forschung und Technologieentwicklung (14 %) oder
als »neues Risiko« (17 %) thematisiert. Dabei wird die Neuartigkeit des Risikos entweder auf die erstmalige
Wahrnehmbarkeit von Spurenstoffen dank neuer Mess- und Analysemethoden bezogen, und/oder im Sinne ei-
ner wachsenden Gefahr dargestellt (z. B. falls die Konzentration von Spurenstoffen im Wasserzyklus zunimmt
durch deren Akkumulation, sinkende Wassermengen aufgrund von Klimawandel oder durch wachsenden Arz-
neimittelkonsum in einer alternden Gesellschaft). Dieser relativ geringe Anteil der Artikel, bei denen das Thema
als neu verhandelt wird, ist kaum verwunderlich, da der Nachrichtenwert des Phänomens als solches eher gering
ist. Dies gilt insbesondere, da die Artikelautorinnen und -autoren überwiegend auf Dramatisierungen verzichten
und stattdessen auf Nichtwissen verweisen. Seit 2003 finden sich vereinzelt (3 %) sehr kurze Infotexte, die
Leserinnen und Leser gezielt über die umweltgerechte Entsorgung von Arzneimitteln informieren, aber nicht
weiter auf das Problem anthropogener Spurenstoffe eingehen. Betrachtet man das Themenspektrum im Zeitver-
lauf, fällt auf, dass der relative Anteil umweltbezogener Aufhänger über die Jahre leicht abgenommen und der
Anteil der Artikel mit lösungsorientiertem Wasserwirtschaftsbezug zugenommen hat.
Der Grund für die Zunahme der Artikel mit Abwasser- und Kläranlagenbezug kann durch die wachsende
Präsenz der Arzneimittelproblematik im Fachdiskurs der Wasserwirtschaft sowie die Berichterstattung über
Forschungs- und Technikprojekte zur Entwicklung und Erprobung vierter Reinigungsstufen erklärt werden.
Vermittelt durch Expertinnen und Experten ist die öffentliche Problemdarstellung somit zunehmend von Refle-
xionen über neue Abwassertechnologien und die Umrüstung von Kläranlagen geprägt. Die Inhaltsanalyse zeigt
auch, dass in Artikeln, die technische Lösungen verhandeln, überdurchschnittlich oft die Ursachen für Spuren-
stoffe im Wasser nicht weiter thematisiert werden
Somit wird die Leserschaft zwar einerseits über die Fachdiskussion um eine vierte Reinigungsstufe und
deren gesellschaftliche Kosten und Nutzen informiert, andererseits jedoch wird der Blick auf technisch-infra-
strukturelle Lösungsansätze verengt. Hinweise auf grundlegendere gesellschaftliche Diskussionen, Zielkon-
flikte, alternative Maßnahmen und Ansätze, die ein Umdenken im Arzneimittelkonsum, in der Pharmaindustrie
Fa
Abb. 4.2
– 76 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 77 –
Drucksache 19/ 16430
4.5
Fazit
Arzneimittel dienen unbestritten der Gesundheit von Menschen und Tieren. Weil aber von den Arzneimittel-
rückständen in Trinkwasser und Gewässern gewisse Gefahren ausgehen, kommt es zu einem Zielkonflikt zwi-
schen dem Schutz der menschlichen Gesundheit und der Tiergesundheit einerseits und dem Schutz der Umwelt
und des Trinkwassers andererseits. Auch wenn die menschliche Gesundheit ein hohes Gut ist, das es unmittelbar
zu schützen gilt, darf nicht übersehen werden, dass auch der Schutz des Trinkwassers und der Umwelt mittelbar
der menschlichen Gesundheit dient. Es gilt Wege zu finden, durch die alle Schutzinteressen angemessen be-
rücksichtigt werden können.
Das Vorsorgeprinzip kann hierbei als Orientierungshilfe oder Heuristik aufgefasst werden, die hilft, den
Zielkonflikt zwischen den verschiedenen Schutzgütern zu bewältigen und Entscheidungen trotz vorhandener
Unsicherheiten zu leiten. Das Prinzip besagt insbesondere, dass eine mangelnde wissenschaftliche Sicherheit
über die potenziellen Schäden nicht ein Unterlassen oder Aufschieben von Maßnahmen zur vorsorglichen Ver-
meidung rechtfertigt. In Deutschland und Europa ist das Vorsorgeprinzip bereits fest im Arzneimittel-, Umwelt-
und Stoffrecht sowie in anderen Rechtsbereichen verankert.
Die Verhältnismäßigkeit konkreter Vorsorgemaßnahmen zur Verringerung von Arzneistoffen hängt stark
vom Wissensstand über die nichtintendierten Nebenfolgen der Human- und Tierarzneimitteln und dem Ver-
trauen in dieses Wissen ab. Deshalb gehört zu einer umfassenden Strategie zum Umgang mit Arzneimittelrück-
ständen sicherlich die Beschaffung von mehr Informationen über die Nebenwirkungen von Human- und Tier-
arzneimitteln auf die Umwelt. Neben einer verstärkten Grundlagenforschung zu den verschiedenen Umwelt-
wirkungen von pharmazeutischen Wirkstoffen ist die systematische Beobachtung der Nebenwirkungen von
Medikamenten in der Umwelt, die sogenannte Ökopharmakovigilanz, eine mögliche Maßnahme im Zuge einer
Fa
oder Landwirtschaft bedeuten (Kap. 5), finden sich nur sehr vereinzelt. Explizite Hinweise auf das Vorsorge-
prinzip sind ebenfalls selten und werden überwiegend von Akteurinnen und Akteuren aus Wissenschaft und
Politik ins Spiel gebracht. Darüber hinaus erklären oder legitimieren Akteurinnen und Akteure der Wasserwirt-
schaft ihr präventives Handeln immer wieder mit Verweis auf erwartete Änderungen in der EU-Gesetzgebung
bzw. konkret der Richtlinie 2000/60/EG. Dies ist insofern ein vorausschauendes Vorgehen, da bisher nur wenige
bedenkliche Stoffe auf der EU-Beobachtungsliste für künftige Regulierungen stehen (Kap. 4.4.3 u. 5.3.4).
Erstaunlich ist auch, dass die Adressaten der Berichterstattung die Mikroverunreinigungen in Gewässern
durch Arzneimittelkonsum und falsche Entsorgung von Medikamenten zwar mitverursachen, Presseartikel
diese Zusammenhänge und die damit verbundenen individuellen Handlungsoptionen aber nicht immer deutlich
machen. So stellten Sunderer et al. (2014) fest, dass Verhaltensänderungen, wie z. B. die ordnungsgemäße Ent-
sorgung von Medikamenten über den Hausmüll oder Apotheken, in weniger als 20 % der Artikel als Lösungs-
ansätze thematisiert werden. Sunderer et al. (2014, S. 15) schlussfolgern: »Bezüglich der Belastung durch Me-
dikamentenrückstände könnten Verbraucher der Ansicht sein, dass diese vor allem durch Abwässer der Phar-
maindustrie oder den Medikamenteneinsatz in der Nutztierhaltung verursacht wird«.
Sunderer et al. (2014, S. 13) zeigen weiter, dass nur knapp die Hälfte der ausgewerteten Artikel den Drei-
schritt von Ursachen zu Folgen bis hin zu Lösungen macht und Hinweis auf Folgen und Gefahren in etwa einem
Fünftel der Artikel gänzlich fehlen: »Die Leserinnen und Leser werden hier also völlig im Unklaren gelassen,
warum sie sich mit dem Thema Spurenstoffe im Wasser auseinandersetzen sollten«.
Wo mögliche und tatsächliche Folgen erwähnt werden (60 % der Artikel; Sunderer et al. 2014, S. 12),
geschieht dies in der Regel auf sachliche Art und Weise und oftmals mit Verweis auf wissenschaftliche Unsi-
cherheiten und Nichtwissen. Wo Umweltwirkungen näher konkretisiert werden, ist am häufigsten von hormo-
nellen Veränderungen und insbesondere Geschlechtsumwandlungen und Unfruchtbarkeit bei Fischen die Rede,
aber auch von Verhaltensänderungen und Organschäden. Fische sind neben allgemeineren Verweisen auf Was-
serorganismen die am häufigsten genannten Leidtragenden von Arzneimittelrückständen im Wasser. Mögliche
Gefahren für den Menschen werden in etwa einem Drittel der Artikel erwähnt (Sunderer et al. 2014, S. 12).
Neben einer möglichen Beeinträchtigung der männlichen Fruchtbarkeit und einem erhöhten Krebsrisiko wird
hier auch über die Entwicklung antibiotikaresistenter Bakterien und Keime berichtet. Insgesamt aber, das zeigen
auch Schulte-Römer und Söding (2019), werden mögliche Folgen für den Menschen meist entschärft, entweder
mit Verweis auf unterschrittene Grenzwerte und die bedenkenlos gute Trinkwasserqualität oder durch Hinweise
auf unzureichende wissenschaftliche Evidenz. Ein möglicher Zielkonflikt zwischen individueller und öffentli-
cher Gesundheit wird im öffentlichen Mediendiskurs somit höchstens ansatzweise thematisiert. Ebenso wenig
wird die Priorisierung des Schutzziels menschliche Gesundheit gegenüber anderen Schutzzielen kritisch hinter-
fragt oder gar infrage gestellt.Drucksache 19/ 16430
– 78 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Fa
umfassenden Strategie zur Verringerung der Risiken durch Arzneimittelrückstände im Wasser. Diese und wei-
tere Maßnahmen werden im folgenden Kapitel behandelt.
Der mediale Diskurs über Arzneimittelrückstände in der Tagespresse gibt zunehmend die wasserwirt-
schaftliche Perspektive auf das Thema wieder. In den eher technisch ausgerichteten Artikeln werden Arznei-
mittelrückstände und Spurenstoffe als technisch zu lösender neuer Fakt behandelt. Nichtwissen, Umweltwir-
kungen und Betroffene sind in diesem Zusammenhang eher nebensächlich und das Problem wird zunehmend
abstrakt beschrieben mit Begriffen wie Spurenstoffe oder Mikroverunreinigungen. Zielkonflikte zwischen
menschlicher individueller Gesundheit und anderen Schutzzielen werden nur in wenigen Einzelfällen explizit
gemacht und dann auch gleich wieder relativiert. Die Handlungsoptionen privater Haushalte werden oft gar
nicht aufgezeigt, sondern eher wird auf eine verbesserte Abwasserreinigungstechnik sowie lösungsorientierte
Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten verwiesen, insbesondere auf die Umrüstung von Kläranlagen und
eine Erprobung vierter Reinigungsstufen. Das Vorsorgeprinzip wird vereinzelt als öffentliche Legitimation für
innovative Maßnahmen im Abwasserbereich herangezogen. Die Zielkonflikte zwischen dem Schutz der indivi-
duellen Gesundheit durch Medikamente und dem Schutz der Umwelt sowie dem Schutz der öffentlichen Ge-
sundheit spielen also so gut wie keine Rolle im medialen Diskurs.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 79 –
Drucksache 19/ 16430
Maßnahmen zur Verringerung der Risiken durch Arzneimittelrückstände im
Wasser
5.1 Vorgehen bei der Beschreibung und der vergleichenden Bewertung der
Maßnahmen
Maßnahmen zur Verringerung der Risiken von Arzneistoffen in Gewässern können an unterschiedlichen Stellen
ansetzen. Weil es schwierig und im großen Maßstab gar unmöglich ist, die Stoffe aus den Gewässern zu entfer-
nen, geht es in erster Linie darum, sie erst gar nicht hineingelangen zu lassen. Tier- und Humanarzneimittel
haben allerdings unterschiedliche Eintragspfade (Kap. 5.2.2), sodass sich dementsprechend auch andere An-
satzpunkte für Maßnahmen ergeben. Insofern ist zu erwarten, dass es für beide Gruppen von Arzneimitteln
spezifische Maßnahmen geben wird. In diesem Kapitel soll ein Überblick darüber gegeben werden, welche
konkreten Maßnahmen zur Diskussion stehen.
Neben Medikamentenrückständen findet man auch noch viele weitere Mikroschadstoffe im Wasser: Be-
schichtungen von Kleidung, Reste von Haushaltschemikalien, Auswaschungen aus Baustoffen, Schmierstoffe
aus Gewerbe und Industrie, Reifenabrieb sowie Pflanzenschutzmittel sind nur einige Beispiele für Stoffe, die
in mehr oder weniger geringen Mengen in Gewässer gelangen und dort mitunter schädliche Wirkungen entfalten.
Einige Maßnahmen gegen Arzneimittelrückstände, insbesondere die sogenannte vierte Reinigungsstufe von Klär-
anlagen, hilft gleichzeitig gegen eine Vielzahl anderer Mikroschadstoffe. Insofern ist die Diskussion um Maß-
nahmen, die Arzneistoffe aus Gewässern entfernen, teilweise verknüpft mit der Diskussion um Strategien gegen
Mikroschadstoffe im Allgemeinen.
Tatsächlich werden aktuell verschiedene Ansätze diskutiert, um die Belastungen von Gewässerökosyste-
men und Trinkwasserressourcen mit Arzneimittelrückständen und Mikroverunreinigungen zu verringern bzw.
diese ganz zu verhindern. Mögliche Strategien sind:




erst gar keine oder zumindest weniger belastende Stoffe in die Umwelt entlassen, indem man den Arznei-
mittelverbrauch reduziert oder umweltbelastende Arzneimittel durch umweltneutrale Arzneimittel substi-
tuiert;
die Menge möglicher Austräge von belastenden Rückständen in die Umwelt verringern, etwa durch eine
zusätzliche vierte Reinigungsstufe zur weitergehenden Spurenstoffelimination in großen Kläranlagen;
die Qualität der Stoffe so verändern, dass Schäden vermieden werden, etwa bei der Entwicklung neuer
Medikamente, oder
die kontaminierenden Stoffe zumindest aus dem Trinkwasser fernhalten, etwa durch eine aufwändigere
Trinkwasseraufbereitung.
Parallel zu den Überlegungen, wie sich Wasserverunreinigungen vermeiden lassen, gilt es, mehr über die
Wirkungen von Arzneimittelrückständen in Gewässern zu lernen, indem die Situation systematisch beobach-
tet und erforscht wird.
Eine gute Gesamtstrategie wird voraussichtlich aus einer Kombination verschiedener Maßnahmen bestehen
und wird zudem das Problem der Arzneimittelrückstände in den Kontext der Diskussion um Mikroverunreinigun-
gen im Wasser insgesamt stellen. Zunächst müssen aber die einzelnen Bausteine einer umfassenden Strategie für
sich betrachtet werden. Um die Darstellung zu vereinheitlichen und die unterschiedlichen Maßnahmen besser mit-
einander vergleichen zu können, werden sie in Anlehnung an Hillenbrand et al. (2015) nach folgenden einheitli-
chen Kriterien beschrieben, charakterisiert und bewertet:
› Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus: Zunächst wird jede Maßnahme mit Blick auf ihr Anwen-
dungsgebiet und ihre Wirkungsweise beschrieben. Gegebenenfalls werden auch Varianten der Maßnahme
vorgestellt. Außerdem wird erläutert, wie ausgereift eine Maßnahme ist, ob sich eine Maßnahme beispiels-
weise bereits in der Umsetzung befindet oder ob es sich um einen neuen Ansatzpunkt handelt, bei der die
konkrete Umsetzung erst noch geplant werden muss.
› Wirkung: Soweit entsprechende Informationen und Daten verfügbar sind, wird die Wirkung der jeweiligen
Maßnahme beschrieben. Bei technischen Maßnahmen, die den Eintrag von Wirkstoffen in die Gewässer
verringern, kann man die Wirkung in der Regel gut messen. Gegebenenfalls kann sogar der Wirkungsgrad
einer Anlage und das Gesamtminderungspotenzial angegeben werden. Bei Informationsmaßnahmen oder
Fa
5Drucksache 19/ 16430
– 80 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
› Kosten: Hinsichtlich der Maßnahmenkosten werden, soweit möglich, Informationen zu Investitions- und
Betriebskosten gegeben. Transaktionskosten wie z. B. Kontrollkosten bei Behörden und Aushandlungskos-
ten zwischen verschiedenen Akteurinnen und Akteuren können bei der Umsetzung von Maßnahmen eben-
falls von Bedeutung sein. Dazu liegen in der Regel jedoch keine zuverlässigen Informationen vor.
› Handlungsbedarf: Schließlich wird erläutert, welche Voraussetzungen noch zu erfüllen sind, damit die
Maßnahme praktisch eingesetzt werden kann, falls man sich für sie entscheidet. Um deutlich zu machen,
dass der geschilderte Handlungsbedarf nicht als Forderung verstanden werden sollte, die entsprechende
Maßnahme in jedem Fall umzusetzen, wird der Handlungsbedarf im Konjunktiv beschrieben.
Für jede Maßnahme wurde ein Maßnahmensteckbrief erarbeitet, der die wichtigsten Informationen jeweils zu-
sammenfasst. Der Kasten gibt einen Überblick über alle in dieser Studie betrachteten Maßnahmen. Der Kasten
wie auch die Beschreibung der verschiedenen Maßnahmen in den folgenden Kapiteln wurden nach den drei
wichtigsten Feldern gegliedert, in denen Maßnahmen stattfinden können: der Wasserwirtschaft, dem Gesund-
heitssystem sowie der Landwirtschaft und Tierhaltung.
Maßnahmen zur Verringerung der Risiken durch Arzneimittelrückstände im Wasser
Maßnahmen in der Wasserwirtschaft
W1:
W2:
W3:
W4:
Verbesserte kommunale Abwasserbehandlung durch eine vierte Reinigungsstufe
Dezentrale Behandlung von Abwässern aus Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen
Vermeidung der Einleitung von Rückständen aus der Produktion von Arzneimitteln
Regulierungen im Wasserrecht und verstärktes Monitoring von Arzneimitteln in Grundwasser und Ge-
wässern
Maßnahmen im Gesundheitssystem
G1:
a) Berücksichtigung von Umweltrisiken bei der Zulassung von Humanarzneimitteln und b) Erweiterung
des Pharmakovigilanzsystems um ein umfassendes Umweltinformationssystem
G2: Green Pharmacy – umweltfreundlichere Arzneimittel
G3: Vermeidung von Arzneimittelbedarf durch Gesundheitsförderung und Prävention
G4: Sensibilisierung von Ärztinnen und Ärzten, Patientinnen und Patienten für die Umweltwirkungen von
Arzneimittelrückständen
G5: Verschreibung angepasster Verbrauchsmengen
G6: Einführung eines Umweltklassifikationssystems für Arzneistoffe und Medikamente
G7: Einheitlich geregelte, klar kommunizierte und sichere Entsorgung von Altmedikamenten
G8: Sammlung von Röntgenkontrastmitteln in Urinsammelbehältern
Maßnahmen in Landwirtschaft und Tierhaltung
L1:
L2:
L3:
L4:
Einführung eines Systems zur Bestimmung von Verbrauchsmengen
Erweiterung des Pharmakovigilanzsystems um ein umfassendes Umweltinformationssystem
Aus- und Weiterbildungsangebote sowie Informationskampagnen zu Umweltaspekten des Einsatzes von
Tierarzneimitteln
Weitere Maßnahmen zur Minderung der Einträge von Tierarzneimitteln und zur Entlastung der Umwelt
Der Umfang der Informationen, die zu den verschiedenen Maßnahmen verfügbar sind und für eine Beurteilung
herangezogen werden können, hängt nicht zuletzt vom Umsetzungsstatus und vom Reifegrad der Maßnahmen
ab. Zu der vierten Reinigungsstufe gibt es beispielsweise bereits eine Vielzahl von Studien, Forschungsarbeiten
und sogar praktische Erfahrungen aus dem Betrieb von großtechnischen Anlagen. Erfahrungen zu anderen Maß-
nahmen existieren zum Teil auf regionaler Ebene wie auch im innereuropäischen Ausland. Die Informationslage
Fa
bei regulatorischen Maßnahmen, die finanzielle Anreize setzen, kann die Wirkung nur allgemein beschrie-
ben und die Wirksamkeit grob abgeschätzt werden. Neben den direkten Auswirkungen auf die Belastung der
Gewässer mit Arzneimittelrückständen werden weitere Effekte der Maßnahmen auf die Umwelt beschrieben.
Ein wichtiges Beispiel hierfür sind der mit den Maßnahmen verbundene Energieverbrauch, aber auch die
mögliche zusätzliche Verbesserung der Gewässerqualität durch die Rückhaltung oder Elimination weiterer
Schadstoffe, wie z. B. von Feinstpartikeln aus anderen Quellen.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 81 –
Drucksache 19/ 16430
5.2
Maßnahmen in der Wasserwirtschaft
Die Versorgung mit Wasser und die Beseitigung von Abwasser sind neben der Versorgung mit Strom und
anderen Energieformen und der Verkehrsinfrastruktur ein wichtiger Teil der Daseinsvorsorge. Die Daseinsvor-
sorge wird in Deutschland als eine Gemeinschaftsaufgabe verstanden, die vom Staat selbst oder von Unterneh-
men unter einer mehr oder weniger ausgeprägten staatlichen Kontrolle zu erbringen ist. Die staatlichen, kom-
munalen und privaten Akteure, die in Deutschland mit der Ver- und Entsorgung von Wasser sowie mit dem
Management von Gewässern betraut sind, werden im Rahmen dieses Berichts unter dem Begriff der Wasser-
wirtschaft zusammengefasst.
Die Ansatzpunkte von Maßnahmen in der Wasserwirtschaft reichen von Verbesserungen der Abwasser-
reinigungstechnik über eine Ausweitung des Monitorings bis zur Anpassung des Wasserrechtes.
5.2.1
W1: Verbesserte kommunale Abwasserbehandlung durch eine vierte
Reinigungsstufe
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus
Kommunale Kläranlagen verfügen üblicherweise über eine mechanische und eine biologische Reinigungsstufe.
Mit der Richtlinie 91/271/EWG über die Behandlung von kommunalem Abwasser wurde in Siedlungsgebieten
mit mehr als 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, die sich im Einzugsbereich empfindlicher Gebiete wie
Nord- und Ostsee befinden, eine dritte Reinigungsstufe verbindlich. In der dritten, chemischen Reinigungsstufe
werden mit abiotisch-chemischen Verfahren der pH-Wert des Wassers eingestellt, Krankheitserreger abgetötet
sowie Phosphor, Stickstoff und gegebenenfalls auch Eisen und Mangan gefällt und entnommen. Medikamen-
tenrückstände werden aber durch eine biologische Aufbereitung und auch die dritte, chemische Reinigungsstufe
nur in begrenztem Maße zurückgehalten. Im Ablauf konventioneller Kläranlagen wurden noch über 100 Arz-
neistoffe gefunden. Mikroverunreinigungen können aber durch eine vierte Reinigungsstufe zu einem Großteil
eliminiert werden.
Die in der vierten Reinigungsstufe eingesetzten Verfahren werden grundsätzlich nach ihrem Wirkmecha-
nismus in oxidative, adsorptive und physikalische Verfahren unterteilt (Abegglen/Siegrist 2012) (Abb. 5.1). Mit
physikalischen Verfahren kann eine sehr hohe Reinigungsleistung erreicht werden. Bei den physikalischen Ver-
fahren wird das Abwasser unter Druck durch eine ultrafeine Membran gepumpt. Ein Teil des Wassers verbleibt
vor der Membran und enthält die zurückgehaltenen Stoffe in hoher Konzentration. Dieses Konzentrat muss
weiterbehandelt und entsorgt werden. Die physikalischen Verfahren sind derzeit noch mit sehr hohen Kosten
und hohem Energieeinsatz verbunden, weswegen sie sich noch nicht für eine routinemäßige Anwendung in
kommunalen Kläranlagen eignen (Gawel et al. 2015, S. 36) und in diesem Kapitel nicht näher behandelt werden.
Ihr Einsatz bei der Teilstrombehandlung besonders belasteter Abwässer wird aber durchaus diskutiert
(Kap. 5.2.2).
Die oxidativen und adsorptiven Verfahren können weiterhin nach den eingesetzten Betriebsmitteln unter-
schieden werden: Bei den oxidativen Verfahren kommt als Oxidationsmittel vor allem Ozon zum Einsatz, was
gegebenenfalls noch durch UV-Strahlung oder Wasserstoffperoxid ergänzt wird. Bei den adsorptiven Verfahren
wird als Betriebsstoff Aktivkohle verwendet, wobei noch zu unterscheiden ist, ob es sich um granulierte Aktiv-
kohle oder Pulveraktivkohle handelt. Welche Verfahrenstechnik im konkreten Fall am besten ist, hängt von den
lokalen Bedingungen ab, wie z. B. Zusammensetzung des Abwassers (Gewerbe, Siedlung, Regenwasserüber-
lauf), Hauptverunreinigungen und lokal vorhandene Anlagenausgestaltung.
Fa
der nichttechnischen Maßnahmen ist unterschiedlich, je nachdem, ob es entsprechende Studien und Forschungs-
projekte hierzu gab. Die Beschreibung der Maßnahmen und die Steckbriefe bilden den Ausgangspunkt für
Überlegungen zu einer umfassenden Strategie zum Umgang mit Arzneimittelrückständen im Wasser in Kapi-
tel 6.Drucksache 19/ 16430
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Verfahren zur Spurenstoffelimination
Mechanismus
Betriebsmittel
Anw endungsform
Ozon
Ozon und
UV-Bestrahlung
oxidativ
nach-
geschalteter
Reaktor
Ozon und
Wasserstoffperoxid
Wasserstoffperoxid
und UV-Bestrahlung
Titandioxid und
UV-Bestrahlung
AOP
Eisen-II und
Wasserstoffperoxid
granulierte
Aktivkohle
Verfahren zur
Mikroschadstoff-
elimination
nach-
geschalteter
Aktivkohlefilter
einem
Filter nach-
geschaltet
adsorptiv
simultan
Pulver-
aktivkohle
physikalisch
nachgeschaltet
mit Führung im
Gegenstrom-
prinzip
Dosierung in
separater Ad-
sorptionsstufe
Dosierung
vor einem Filter
Nanofiltration
Umkehrosmose
nach dem heutigen Kenntnisstand für den Einsatz in Kläranlagen geeignet
AOP = Advanced Oxidation Processes (erweiterte Oxidationsverfahren)
Quelle:
modifiziert nach Hillenbrand et al. 2015
Eine vierte Reinigungsstufe mit Ozonung oder Aktivkohle wurde an vielen Versuchsanlagen großtechnisch
erprobt und ist anwendungsreif. Erfahrungen existieren vor allem in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen
und Baden-Württemberg. In der Schweiz trat am 1. Januar 2016 ein neues Gewässerschutzgesetz100 in Kraft, das
vorschreibt, dass an belasteten Gewässern in den nächsten 20 Jahren eine vierte Reinigungsstufe eingebaut wer-
den muss. Eine Umsetzung ist an rund 100 von insgesamt ca. 750 Anlagen (Eawag 2015) entsprechend folgen-
der Kriterien vorgesehen:




in den größten Kläranlagen der Schweiz ab 80.000 angeschlossener Einwohnerinnen und Einwohner (E ang );
in Kläranlagen ab 24.000 E ang im Einzugsgebiet von Seen zum Schutz der Wasserressourcen;
Anlagen ab 8.000 E ang , die in ein Gewässer mit hohem Abwasseranteil einleiten zum Schutz der aquatischen
Ökosysteme bzw. bei besonderen hydrogeologischen Verhältnissen;
von den Kantonen ausgewählte Anlagen (Einleitung in besonders belastete Gewässer in ökologisch sensib-
len Gebieten bzw. mit Relevanz für die Trinkwasserversorgung) ab 1.000 E ang (erst ab 2021).
Wirkung
Sowohl mit Ozon als auch mit Aktivkohle kann eine Vielzahl von (jeweils unterschiedlichen) Mikroschadstof-
fen eliminiert werden. Die Höhe der Eliminationsrate je Substanz wird im Wesentlichen durch die Dosierung
100
Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG)
Fa
Abb. 5.1
– 82 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 83 –
Drucksache 19/ 16430

Bei der Anwendung von Aktivkohle wird auch der chemische Sauerstoffbedarf (CSB) im Kläranlagenab-
lauf abgesenkt (Hillenbrand et al. 2015).
Fa
des eingesetzten Betriebsstoffes (Ozon oder Aktivkohle), die Eigenschaften des Mikroschadstoffs sowie die
Zusammensetzung der insgesamt im Abwasser gelösten organischen Stoffe bestimmt (Abegglen/Siegrist 2012;
Metzger et al. 2012) (Abb. 5.2 u. 5.3). Einige der Substanzen können bereits mit einer vergleichsweise geringen
Dosis weitgehend aus dem Abwasser entfernt werden. Bei anderen Substanzen sind erheblich größere Mengen an
Betriebsstoffen notwendig, um eine ähnlich hohe Elimination zu erreichen. Zudem führt die vierte Reinigungsstufe
auch zu einer Reduktion der mikrobiellen Belastung des Vorfluters.
Nach Metzger et al. (2012) kann mit einer Pulveraktivkohledosiermenge von 10 mg/l rund ein Viertel der
nach einer biologischen Behandlung im Abwasser verbleibenden Mikroschadstoffe zu über 80 % aus dem Ab-
wasser entfernt werden. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Arzneistoffe. Ein weiteres Drittel der Sub-
stanzen lässt sich mit Anwendung der gleichen Dosiermenge im Mittel zu etwa 70 % entfernen. Durch höhere
Dosierungsmengen kann die Elimination verbessert werden. Manche Substanzen sind aber mit Aktivkohle
kaum oder überhaupt nicht herauszufiltern (Abb. 5.3).
Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Ozonbehandlung (Abb. 5.2). Stoffe, die mit Aktivkohle schlecht
entfernbar sind, sind es oftmals auch bei Ozonung (Abb. 5.4). Zu diesen Stoffen gehört z. B. das Röntgenkon-
trastmittel Iopromid.
Grundsätzlich ist die Elimination von Mikroschadstoffen stark von der Zusammensetzung der insgesamt im
Abwasser gelösten organischen Stoffe abhängig, sodass an verschiedenen Kläranlagenstandorten deutlich un-
terschiedliche Dosiermengen notwendig sein können, um die gleichen Eliminationsleistungen zu erreichen (Hil-
lenbrand et al. 2015).
Es bleibt festzuhalten, dass mit beiden Verfahrenstechniken ein breites Spektrum an Mikroschadstoffen
reduziert werden kann. Darüber hinaus können einige sekundäre Reinigungseffekte erzielt werden:Drucksache 19/ 16430
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Einfluss der Ozondosis auf die Elimination ausgewählter Mikroverunreinigungen
Carbamazepin
Diclofenac
Sulfapyridin
Naproxen
Sotalol
Trimethoprim
Clindamycin
Propanolol
Clarithromycin
Sulfamethoxazol
Bezafribat
Metoprolol
Atenolol
Primidon
Iopromid
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
Eliminierung in %
Ozondosis in g O 3 /g DOC
1,2
Quelle:
Hollender et al. 2009
0,79 ± 0,02
0,62 ± 0,05
0,40 ± 0,05
100
Fa
Abb. 5.2
– 84 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode



Bei Anwendung von Pulveraktivkohle reduzieren sich bei einer zusätzlichen Zugabe von Fällmitteln (Me-
tallsalzen) auch die Gesamtphosphorwerte im Ablauf (Metzger/Kapp 2008; Metzger et al. 2012). Hierdurch
kann beispielsweise für den Kläranlagenbetreiber, bei dauerhafter Unterschreitung des vorgegebenen
Schwellenwertes, die Entrichtung der Abwasserabgabe für die Phosphorbelastung entfallen.
Der Einsatz von Ozon bewirkt durch die desinfizierende Eigenschaft des Ozons eine Keimreduzierung im
Kläranlagenablauf (Abegglen et al. 2009).
Zusätzliche positive Reinigungseffekte ergeben sich außerdem durch die notwendige Nachbehandlung so-
wohl bei Ozonung als auch bei Aktivkohle. Der letzte Schritt in einer vierten Reinigungsstufe ist zumeist
ein Sandfilter. Hierdurch werden die Kohlenstoff- und Phosphorkonzentration im Abstrom weiter reduziert
(Hillenbrand et al. 2015).
Darüber hinaus führt die Anwendung von Aktivkohle oder Ozon zu einer Minderung der Geruchsbelastung
(Metzger et al. 2012) sowie zu einer Entfärbung des Abwassers (Abegglen 2009).
Abb. 5.3
Spurenstoffentnahme bei unterschiedlichen Dosiermengen in einer Pulveraktivkohlereinigungs-
stufe mit nachgeschalteter Filtration im Klärwerk Mannheim
Iopromid
Iopamidol
Amidotrizoesäure
Metoprolol
Carbamazepin
Bezafibrat
Diclofenac
Sulfamethoxazol
Gabapentin
0
10
20
30
40
50
60
Entnahme in %
Pulveraktivkohledosis in mg/l
30 (n = 1; Darstellung = Einzelwert)
20 (n = 2; Darstellung = Mittelwert)
10 (n = 4; Darstellung = Medianwert)
Quelle:
modifiziert nach Metzger et al. 2012
70
80
90
100
Fa

Drucksache 19/ 16430
– 85 –Drucksache 19/ 16430
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Elimination von Spurenstoffen mit Pulveraktivkohle und Ozon
100
80
60
40
20
0
0
20
40
60
80
100
Elimination Ozonung in %
Punktförmig dargestellt ist jeweils die Elimination einer Einzelsubstanz. Sofern Eliminationsraten bei unter-
schiedlichen Dosiermengen ermittelt wurden, wird der jeweilige Mittelwert dargestellt.
Quelle:
Hillenbrand et al. 2015, auf Basis von Daten aus Abegglen/Siegrist 2012
Die Wirkungen einer vierten Reinigungsstufe auf die Gewässerökologie wurden von Triebskorn (2017) in einer
mehrjährigen Studie empirisch untersucht. Es wurde der Zusammenhang zwischen Mikroschadstoffkonzentra-
tionen (insbesondere auch Diclofenac) in einem Vorfluter und dem Gesundheitszustand von Gewässerorganis-
men vor und nach Ausbau einer Kläranlage mit einer vierten Reinigungsstufe erforscht. Es zeigte sich, dass mit
Pulveraktivkohle nicht nur die Mikroschadstoffe weitgehend zurückgehalten, sondern dass auch schon bereits
nach einem Jahr die Fischgesundheit und die Integrität der makrozoobenthischen Lebensgemeinschaft flussab-
wärts deutlich verbessert werden konnte. Durch diese Form der vierten Reinigungsstufe können also negative
Wirkungen von Mikroverunreinigungen auf Fische und wirbellosen Tiere in aquatischen Ökosystemen signifi-
kant reduziert werden (Triebskorn 2017).
Den positiven Wirkungen der vierten Reinigungsstufe stehen ein erhöhter Energieverbrauch (John-
son/Sumpter 2015), ein hoher Verbrauch an Betriebsmitteln (Aktivkohle), eine Erhöhung des Klärschlamman-
falls und die Entsorgungsproblematik des mit Aktivkohle vermischten Klärschlammes gegenüber. Insbesondere
beim Einsatz einer Ozonierung ist zudem die Bildung möglicher Umwandlungsprodukte, also von Metaboliten,
zu bedenken, die unerwünschte Wirkungen entfalten können. Beispielsweise eignen sich Abwässer nicht für
eine Behandlung mit Ozon, wenn sie Bromid enthalten, das durch Ozon in potenziell krebserregendes Bromat
umgewandelt werden kann. Mittels eines Tests kann aber im Vorfeld beurteilt werden, ob ein Abwasser für eine
Ozonbehandlung geeignet ist oder nicht. Um das Risiko der Bildung von Metaboliten zu mindern, ist eine Nach-
behandlung des Abwassers nötig, beispielweise in einem Sandfilter.
Über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Methoden der erweiterten Abwasseraufbereitung gibt es
eine wissenschaftliche Debatte (für eine Übersicht siehe Prasse et al. 2015).
Kosten
Zur Abschätzung der Kosten einer vierten Reinigungsstufe liegen mehrere Studien vor (Mertsch et al. 2013;
Schwentner et al. 2013; Türk et al. 2013). Diese Studien bildeten die Basis für die Abschätzung der notwendigen
Aufwendungen für die Nachrüstung der kommunalen Kläranlagen in Deutschland der sogenannten Größen-
klasse 5, also Anlagen einer Größe von mehr als 1 Mio. Einwohnerwerte, von Gawel et al. (2015). Die Autoren
differenzieren dabei zwischen den Behandlungsverfahren der Ozonung und Pulveraktivkohleadsorption. Die
Fa
Abb. 5.4
– 86 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 87 –
Drucksache 19/ 16430
101
Die Angaben über die Anzahl der Kläranlagen der Größenklasse 5 bei Gawel et al. (2015) und bei Hillenbrand et al. (2015 u.
2016) (Tab. 5.2) weichen leicht voneinander ab, weil sie sich auf unterschiedliche Quellen und Jahre beziehen.
Fa
Gesamtjahreskosten (Investition und Betrieb) für die 247 Kläranlagen der Größenklasse 5 betragen 492 Mio.
Euro, wenn Aktivkohle verwendet wird, und 362 Mio. Euro bei Ozonung (Gawel et al. 2015).101
Hillenbrand et al. (2015 u. 2016) haben die Kosten einer vierten Reinigungsstufe für Kläranlagen der Grö-
ßenklassen 3, 4 und 5 berechnet. Sie haben umfangreiche Kostenrechnungen durchgeführt, die auf Daten von
bereits realisierten Anlagen aufbauen, die aus der Datenbank stammen, die im Zuge der Berichterstattung zur
Richtlinie 91/271/EWG aufgebaut wurde. Mit einer Regressionsanalyse wurden die spezifischen Kosten in Ab-
hängigkeit von der Größenklasse geschätzt. Die Kosten reichen von 0,124 Euro/m 3 Abwasser für Anlagen der
Größenklasse 3 bis 0,051 Euro/m 3 für Anlagen der Größenklasse 5. Für alle Kläranlagen der Größenklasse 3
bis 5 in Deutschland zusammen ergeben sich Jahreskosten von rund 1,3 Mrd. Euro (Tab. 5.2). Diese Kosten
beinhalten die Einrichtung einer Spurenstoffeliminationsstufe inkl. der Einrichtung einer zusätzlichen Nachbe-
handlungsstufe an allen Standorten. Zu beachten ist, dass diese Hochrechnungen mit erheblichen Unsicherhei-
ten behaftet sind und sich durch technischen Fortschritt Kosteneinsparungen ergeben können (Hillenbrand et
al. 2015 u. 2016).Drucksache 19/ 16430
Grö-
ßen-
klasse
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Spezifische Kosten und berechnete Jahreskosten für einen flächen-
deckenden Ausbau der vierten Reinigungsstufe in Deutschland ab Größenklasse 3
Einwohner-
werte
Anzahl Jahresab-
Kläranla- wasser-
gen
menge in
Mio. m3
spezifische
Kosten
in Euro/m3
Jahreskosten
in Mio. Euro
Spuren- Nach- Spuren- Nach-be- Summe
stoff-stufe behand- stoff-stufe hand-
lungs-
lungs-
stufe
stufe
3 5.001–
10.000 896 542 0,124 0,10 67 54 121
4 10.001–
20.000 784 876 0,108 0,08 95 70 165
20.001–
50.000 810 1.816 0,092 167 145 312
50.001–
100.000 294 1.339 0,079 106 107 213
100.001–
200.000 117 918 0,069 64 46 110
200.001–
500.000 83 1.412 0,059 83 71 154
500.001–
1.000.000 18 739 0,051 37 37 74
> 1.000.000 11 1.305 66 65 131
685 595 1.280
5
Gesamtkosten (netto)
Quelle:
0,05
modifiziert nach Hillenbrand et al. 2015
Vergleicht man die Ergebnisse der Hochrechnungen von Hillenbrand et al. (2015) und Gawel et al. (2015),
indem man allein die Kosten für den Ausbau von Anlagen der Größenklasse 5 betrachtet, so sieht man, dass sie
in derselben Größenordnung liegen. Die Jahreskosten bei Hillenbrand et al. (2015) betragen 469 Mio. Euro
(Spurenstoffelimination inkl. Nachbehandlung).
Bei Hillenbrand et al. (2016) wurden die Datenlage für die Kostenrechnung aktualisiert und die Kosten
weiter differenziert, sodass sich 220 Mio. Euro (Pulveraktivkohle) bzw. 200 Mio. Euro (Ozon) ergeben, plus
215 Mio. Euro, sofern alle Anlagen mit einer zusätzlichen Nachbehandlungsstufe ausgerüstet werden
(Tab. 5.3). Bei Gawel et al. (2015) liegen die Jahreskosten bei 492 Mio. Euro (Aktivkohle) bzw. 362 Mio. Euro
(Ozon).
Fa
Tab. 5.1
– 88 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Aktualisierte Jahreskosten in Euro für einen flächendeckenden Ausbau der vierten Reinigungs-
stufe in Deutschland ab Größenklasse 3 differenziert nach Behandlungsmethode
Größen-
klasse
Einwohnerwerte
Spurenstoffstufe
Pulver-
aktivkohle
in Euro granulierte Ak-
tivkohle
in Euro
Ozonung
in Euro
Nachbehandlungs-
stufe
in Euro
3 5.001–10.000 76 50 58 52
4 10.001–20.000 104 78 81 68
20.001–50.000 174 152 140 142
50.001–100.000 107 107 88 105
10.001–100.000 385 336 309 315
100.001–200.000 62 71 53 46
200.001–500.000 74 98 65 68
500.001–1.000.000 31 47 28 35
> 1.000.000 56 89 50 66
Summe GK 5 223 305 196 215
Summe GK 3, 4 u. 5 684 691 562 582
Nachbehandlung GK 3, 4 u. 5 582 582 582 ↵
1.267 1.274 1.145
5
Summe inklusive
Nachbehandlung
Quelle:
Hillenbrand et al. 2016
Gawel et al. (2015) beschränken sich nicht nur darauf, die Kosten einer vierten Reinigungsstufe abzuschätzen,
sie machen auch einen konkreten Vorschlag, wie eine Finanzierung erfolgen könnte. In ihrem sogenannten
Leipziger Modell schlagen sie, aufbauend auf Gawel et al. (2011 u. 2014) vor, die Abwasserabgabe zu refor-
mieren, indem ihr Lenkungszweck ertüchtigt und ihr Aufkommen erhöht wird. Mit dem erhöhten Aufkommen
können dann die Investitionskosten für die vierte Reinigungsstufe bezuschusst werden. Nach Einschätzung der
Autorinnen und Autoren bleiben die Belastungen für die Abgabeschuldner und Gebührenzahler noch verhält-
nismäßig (Gawel et al. 2015, S. 6).
Handlungsbedarf
Eine vierte Reinigungsstufe ist derzeit vor allem für große Kläranlagen in der Diskussion. Sie könnte die Fracht
an Mikroschadstoffeinträgen insgesamt deutlich reduzieren und insbesondere dort sinnvoll sein, wo Wasserres-
sourcen und Ökosysteme vorbelastet oder besonders zu schützen sind (z. B. Trinkwassergewinnungsgebiete,
Badegewässer, Seen).
Die Schweiz ist Vorreiter für ein entsprechendes Vorgehen. Die Einführung einer vierten Reinigungsstufe für
gefährdete Gewässer ist dort bereits gesetzlich vorgeschrieben und ein praktikables Finanzierungsmodell wurde
eingeführt.
Ein flächendeckender Rückhalt von Arzneistoffen im Abwasser könnte mit der vierten Reinigungsstufe
allein allerdings nicht gewährleistet werden. Auch wäre die Reinigungsleistung bei einigen Wirkstoffen, wie
z. B. Röntgenkontrastmitteln, nur beschränkt. Tierarzneimittel und andere Mikroschadstoffe haben zudem auch
andere Eintragspfade in die Gewässer und werden durch die Abwasserreinigung grundsätzlich nicht erfasst.
Insofern könnte die Einführung einer vierten Reinigungsstufe zwar ein wichtiges, aber nicht das einzige Element
einer umfassenden Strategie gegen Pharmakarückstände und andere Mikroverunreinigungen in Gewässern sein.
Weitere Elemente werden im Folgenden vorgestellt und diskutiert.
Fa
Tab. 5.2
Drucksache 19/ 16430
– 89 –Drucksache 19/ 16430
– 90 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Status: Es gibt bereits zahlreiche Forschungs- und Demonstrationsprojekte, sodass die Maßnahme als technisch
erprobt betrachtet werden kann. Zudem ist sie in der Schweiz bereits gesetzlich verankert.
Wirkung: erhebliche zusätzliche Elimination der Arzneimittelrückstände, je nach Schadstoff, Verfahren (Aktiv-
kohle oder Ozonung) und Dosierung von 20 bis fast 100 %; neben Arzneistoffen werden auch weitere Mik-
roschadstoffe reduziert; zusätzlicher Energieverbrauch
Kosten: von 0,124 Euro/m 3 Abwasser für Anlagen der Größenklasse 3; bis 0,051 Euro/m 3 Abwasser für Anla-
gen der Größenklasse 5; Jahreskosten für alle Kläranlagen der Größenklasse 5 rund 360 bis 435 Mio. Euro;
Jahreskosten für alle Kläranlagen der Größenklasse 3 bis 5 in Deutschland rund 1,15 bis 1,3 Mrd. Euro/Jahr
Handlungsbedarf: Es bestünde rechtlicher Anpassungsbedarf, der die technische Umsetzung der Maßnahme
unterstützt und ihre Finanzierung regelt.
5.2.2
W2: Dezentrale Behandlung von Abwässern aus Krankenhäusern und anderen
Gesundheitseinrichtungen
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus
Die dezentrale Reinigung der Abwässer aus Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen, wie z. B.
Kur- und Rehakliniken oder Alten- und Pflegeheimen, in einer gesonderten Kläranlage statt der Einleitung in
eine kommunale Kläranlage ist dann überlegenswert, wenn die Arzneimittelrückstände hier in wesentlich hö-
heren Konzentrationen vorliegen oder wenn eine vierte Reinigungsstufe für die kommunale Kläranlage nicht
geplant ist. 102 Die dabei angewendeten Verfahren der weitergehenden Abwasserbehandlung (Kap. 5.2.1) wie
Ozonung, Aktivkohlebehandlung und Membrantechnologie haben eine Breitbandwirkung auf verschiedene
Mikroschadstoffe. Der Bau einer eigenen Kläranlage gestaltet sich einfacher, wenn er bereits beim Bau der
gesamten Gesundheitseinrichtung eingeplant wird, als wenn die Anlage in einen bestehenden Altbau integriert
werden muss.
Es existieren bereits einige Pilotprojekte in Deutschland wie die Anlagen am Marienhospital Gelsenkir-
chen (Technologie: Membran + Ozon + Aktivkohle) und im Kreiskrankenhaus Waldbröl (Membran + Ozon).
In der Schweiz wurden beispielsweise am Kantonspital Winterthur Erfahrungen gesammelt (Membran + Ozon
+ Aktivkohle), in Dänemark am Herlev-Hospital Kopenhagen (Membran + Ozon + Aktivkohle + UV), in den
Niederlanden in Zwolle (Membran + Aktivkohle + UV+ H 2 O 2 oder Ozon) und am Reinier-de-Graaf-Klinikum
Delft (Membran + Ozon).
Wirkung
Erfahrungen mit einer Membranbelebungsanlage 103 , ergänzt durch eine Ozonung und eine Aktivkohlefiltration,
im Kreiskrankenhaus Waldbröl zeigen, dass für alle untersuchten Leitsubstanzen – mit Ausnahme der jodierten
Röntgenkontrastmittel – eine sehr gute Elimination (in der Regel größer 90 %) erzielt werden kann. Eine nen-
nenswerte Reduktion der jodierten Röntgenkontrastmittel konnte nur mit sehr hohen Ozondosen oder alternativ
mit sehr kurzen Standzeiten für die Aktivkohlefilter (also häufigem Filterwechsel) erzielt werden. 104 Beide
Maßnahmen wurden jedoch im vorliegenden Fall als unverhältnismäßig teuer bewertet. Effektiver wäre es, die
Kontrastmittel mit der unten beschriebenen Maßnahme der gesonderten Sammlung des mit Kontrastmittel be-
lasteten Urins zu kombinieren (Kap. 5.4.8). Die Gesamtmenge der eliminierten Humanarzneistoffe bzw. Mik-
roschadstoffe ist schwierig zu bestimmen und stark standortabhängig.
Im Reinier-de-Graaf-Klinikum Delft wurde die Abwasserbeseitigung in neuartiger und effektiver Weise
mit Abfallentsorgung und biogasbasierter Energieerzeugung kombiniert (Pharmafilter 2012). Dabei werden ge-
schredderte Abfälle zunächst mit dem Abwasser der Behandlung zugeführt. Die Biomasse wird dann durch
102 Die sogenannte Teilstrombehandlung von Abwässern, wie beispielsweise die getrennte Sammlung und Behandlung von mit
Röntgenkontrastmitteln belasteten Urins, ist hiervon zu unterscheiden und wird in Kapitel 5.3.8 behandelt.
103 Eine Membranbelebungsanlage ist eine Kombination einer Belebungsanlage mit einem Membranverfahren zur Abtrennung des
Klärschlamms vom gereinigten Wasser.
104 http://sauberplus.de/index.php/downloads/finish/1-veroeffentlichungen/ppt_
sauber.pdf (15.9.2019)
Fa
Maßnahmensteckbrief W1: Verbesserte kommunale Abwasserbehandlung durch eine vierte
ReinigungsstufeDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 91 –
Drucksache 19/ 16430
Kosten
Für die Anlage in Waldbröl wurden detaillierte Kostenrechnungen für die Behandlung des Abwasserstroms mit
den verschiedenen Verfahren durchgeführt. Für die Behandlung mit der Membranbelebungsanlage und einer
anschließenden Ozonung betragen die Kosten 4,92 Euro/m3 Abwasser (Mauer 2011). Der größte Anteil entfällt
dabei auf den Bau und Betrieb der Membranbelebungsanlage; die Kosten für die Ozonung betrugen
0,71 Euro/m3 Abwasser. Wird eine Aktivkohlefiltration eingesetzt, fallen Kosten von 0,95 Euro/m3 Abwasser
an.
Bei der kombinierten Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung am Reinier-de-Graaf-Klinikum Delft ist
eine Zuordnung der Kosten zu Abwassermengen nicht sinnvoll möglich, da für eine Gesamtbeurteilung weitere
positive Umwelt- und Gesundheitseffekte mitberücksichtigt werden müssten.
Handlungsbedarf
Die dezentrale Behandlung von Abwässern von großen Gesundheitseinrichtungen könnte unter besonderen Um-
ständen sinnvoll sein, beispielsweise wenn die Abwässer stark mit Spurenstoffen belastet sind und die Einrich-
tung bereits eine eigene Kläranlage besitzt oder die aufnehmende kommunale Kläranlage aus irgendwelchen
Gründen auf absehbare Zeit nicht mit einer vierten Reinigungsstufe ausgerüstet werden soll. Wie das Beispiel
der kombinierten Abwasser- und Abfallbehandlung am Reinier-de-Graaf-Klinikum Delft zeigt, könnten tech-
nische Innovationen und neuartige Konzepte, die auf die besondere Situation von Gesundheitseinrichtungen
zugeschnitten sind, neue Anwendungspotenziale erschließen.
Maßnahmensteckbrief W2: Dezentrale Behandlung von Abwässern aus Krankenhäusern und
anderen Gesundheitseinrichtungen
Status: Die Maßnahme ist grundsätzlich technisch machbar. Ob die notwendigen baulichen Maßnahmen tat-
sächlich möglich sind, hängt vom Standort ab. Die Maßnahme wurde an verschiedenen Pilotstandorten in
Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und in Dänemark getestet.
Wirkung: Es können je nach Technik Eliminationsraten höher 90 % erreicht werden.
Kosten: 190 bis 310 Euro/Patient
Handlungsbedarf: Die Sinnhaftigkeit der Maßnahme ist einzelfallbezogen zu prüfen.
5.2.3
W3: Vermeidung der Einleitung von Rückständen aus der Produktion von
Arzneimitteln
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus
Arzneimittel werden von Pharmaunternehmen in Produktionsanlagen hergestellt, die in Deutschland hinsicht-
lich Hygiene, Qualitätskontrolle und Sicherheit hohen Anforderungen entsprechen müssen. Dennoch kommt es
nicht nur im Ausland (Fick et al. 2009) vor, dass in den Oberflächengewässern unterhalb der Produktionsstan-
dorte relativ hohe Konzentrationen an Arzneistoffen gemessen werden (Hug et al. 2015, dort Sample H2 an der
Holtemme). Mutmaßlich handelt es sich um Produktionsrückstände, die in das Abwasser gelangt sind und von
den Kläranlagen nicht oder nicht vollständig reduziert werden konnten (Werner Brack, UFZ, persönliche Mit-
teilung).
Grundsätzlich gibt es zwei Ansatzpunkte, um die Einleitung von Produktionsrückständen in die Gewässer
zu verhindern: Es könnten die Produktionsverfahren so verändert werden, dass dort keine Rückstände anfallen
oder sie bereits an der Produktionsstätte vollständig zurückgehalten werden, oder es könnten die Abwässer der
Produktionsanlage besser geklärt werden, indem auch bei den Betriebskläranlagen Maßnahmen einer weiterge-
henden Spurenstoffelimination eingesetzt werden. Hierbei können nicht nur Aktivkohle und Ozonung zum Ein-
satz kommen wie bei den vierten Reinigungsstufen kommunaler Kläranlagen, sondern auch in Abhängigkeit
von der Belastungssituation andere wie z. B. Membranfilteranlagen und UV-Bestrahlung.
Fa
Membranmodule abgetrennt und durch Ultrafiltration werden sämtliche Schlammstrukturen und kolloidalen
Stoffe aus dem Wasser entfernt. Es schließen sich dann noch eine Ozonbehandlung und Aktivkohlefilter an, um
Arzneimittelrückstände weitgehend zu eliminieren (Siemens-Division Industry 2013).Drucksache 19/ 16430
– 92 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Die wesentliche Wirkung dieser Maßnahme wäre eine deutliche Reduktion oder vollständige Vermeidung der
Einleitung von Rückständen der Arzneimittelproduktion in die Gewässer. Die Effektivität der erweiterten Spu-
renstoffelimination ist ähnlich wie bei vierten Reinigungsstufen kommunaler Kläranlagen, die bereits in Kapi-
tel 5.3.1 beschrieben wurde.
Kosten
Über die Kosten veränderter Produktionsverfahren, bei denen von vorneherein keine Produktionsrückstände ins
Abwasser gelangen (etwa indem sie aufgefangen und verbrannt werden), können keine Aussagen getroffen
werden. Die Kosten einer erweiterten Spurenstoffelimination sind wiederum ähnlich wie bei den vierten Reini-
gungsstufen kommunaler Kläranlagen (Kap. 5.3.1).
Maßnahmensteckbrief W3: Vermeidung der Einleitung von Produktionsrückständen von Arz-
neimitteln
Status: Produktionsverfahren werden kontinuierlich unter anderem auch hinsichtlich einer Reduktion von Ab-
fall- bzw. Abwassermengen optimiert. Reinigungstechniken sind verfügbar und erprobt.
Wirkung: Die Wirkung veränderter Produktionsverfahren ist nicht abschätzbar. Die Wirkung nachgelagerter
Betriebskläranlagen mit einer weitergehenden Spurenstoffelimination ist, weil sie auf die spezifischen Prob-
lemstoffe zugeschnitten ist, mindestens so gut wie die Reinigungsleistung vierter Reinigungsstufen kommunaler
Kläranlagen.
Kosten: Die Kosten sind ebenfalls nicht abschätzbar.
Handlungsbedarf: Die Anpassung von Produktionsverfahren und/oder die Ertüchtigung der Anlagen zur Reini-
gung der Produktionsabwässer könnte durch veränderte rechtliche Rahmenbedingungen der Arzneimittelpro-
duktion und ökonomische Anreize unterstützt werden.
Handlungsbedarf
Weil sich die Produktionsanlagen von Arzneimitteln stark unterscheiden, wäre zunächst die Belastungssituation
genau zu analysieren und es wäre zu differenzieren, ob es sich um einen Indirekteinleiter handelt – also einen
Einleiter, dessen Abwässer gemeinsam mit Haushaltsabwässern in einer kommunalen Kläranlage gereinigt wer-
den – oder um einen Direkteinleiter, der die Abwässer in einer eigenen Anlage behandelt. Vorhandene Daten
beispielsweise aus Anlagen- und Stoffkatastern wären zu berücksichtigen, Datenlücken zu identifizieren und zu
schließen und die gewonnenen Daten transparent aufzubereiten. Messprogramme und Berichtspflichten, die spe-
zifisch auf die hergestellten Stoffe und Produktionsrückstände ausgerichtet sind, wären, soweit erforderlich, ziel-
gerichtet auszugestalten. Aus branchenspezifischen Best-Practice-Beispielen könnten dann konkrete Empfehlun-
gen zum Vorgehen abgeleitet werden.
Unterstützend könnten etwa im WHG und den Landeswassergesetzen rechtliche Rahmenbedingungen, ge-
gebenenfalls begleitet von finanziellen Anreizinstrumenten, geschaffen werden, die z. B. entsprechende Aufla-
gen bei der Anlagengenehmigung ermöglichen und so die Entwicklung und Anwendung saubererer Produkti-
onstechnologien oder effektiverer Abwasserreinigungstechnologien befördern.
5.2.4
W4: Regulierungen im Wasserrecht und verstärktes Monitoring von Arzneistoffen
in Grundwasser und Gewässern
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus
Bisher gibt es für Arzneistoffe in Oberflächen-, Grund- und Trinkwasser weder EU-weit noch in Deutschland
rechtsverbindliche Grenzwerte. Als Folge hiervon gibt es auch für wenige Stoffe ein systematisches Monitoring,
denn das ist aufwändig und wird meist nur dann unternommen, wenn es entsprechende Grenzwerte gibt, die zu
überwachen sind.
Grundsätzlich könnte aber die Richtlinie 2000/60/EG oder deren ergänzende Richtlinien als Ausgangs-
punkt für Regulierungen der Umweltrisiken durch pharmazeutische Wirkstoffe in Gewässern herangezogen
werden. Insbesondere könnten Arzneistoffe in die Liste der prioritären Stoffe aufgenommen und für diese Um-
weltqualitätsnormen, also Grenzwerte im Gewässer, festgelegt werden (BIO Intelligence Service 2013; UBA
Fa
WirkungDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 93 –
Drucksache 19/ 16430



Ein verstärktes Monitoring von Abwasserströmen, insbesondere von Regenentlastungsbauwerken nach
Niederschlagsereignissen,105 würde eine verbesserte Abschätzung der Wirkung der Arzneimittelrück-
stände auf die aquatische Umwelt ermöglichen (Emschergenossenschaft et al. (2015). Untersuchungen von
Kleinkläranlagen haben ergeben, dass auch sie eine nicht zu vernachlässigende Quelle von Einträgen von
Arzneistoffen in das Grundwasser sein können, die stärker beobachtet werden sollte (UBA 2013).
Angesichts von Antibiotikafunden im Grundwasser wird vom Bundesministerium für Ernährung und Land-
wirtschaft eine Kontrolle des Grundwassers in Deutschland auf Antibiotika für unverzichtbar gehalten. Ins-
besondere in Regionen mit hoher Viehbesatzdichte sollte in einer zwischen Bund und Ländern abgestimm-
ten Vorgehensweise ein systematisches Monitoring erfolgen (Hannappel et al. 2016). Bei besonders starken
Konzentrationen sollte versucht werden, die Quellen ausfindig zu machen und die Verursacher zum Han-
deln zu bewegen. Eine Möglichkeit wäre auch, bei neuen Großtieranlagen das Monitoring der Umwelt-
medien als Auflage für die Genehmigung zu erlassen (Hannappel et al. 2016).
Eine klare Rechtsgrundlage für den Schutz des Grundwassers könnte erreicht werden, wenn, wie vom UBA
(2016b) vorgeschlagen, ein summarischer Grenzwert von 100 ng/l für die Gesamtkonzentration aller Arz-
neimittel im Grundwasser – sowohl für Tier- als auch für Humanarzneimittel unabhängig von ihrer nach-
gewiesenen Ökotoxizität und sonstigen Umweltwirkung – im WHG bzw. den zugehörigen Verordnungen
festgeschrieben würde (Hannappel et al. 2016, S. 141).
Wirkung
Die Aufnahme von Stoffen in die Liste der prioritären Stoffe ist eine sehr wirksame regulatorische Maßnahme,
denn für die betreffenden Stoffe sind Umweltqualitätsnormen zu definieren und bei deren Überschreitung kon-
krete Minderungsmaßnahmen zu konzipieren und umzusetzen. Auch die Aufnahme von Stoffen auf die Be-
obachtungsliste ist eine wirksame vorbereitende Maßnahme. Der Ansatz erscheint allerdings nicht geeignet, um
eine unüberschaubare Vielzahl von Stoffen zu regulieren, weil zunächst immer für jeden einzelnen Stoff nach-
gewiesen werden muss, dass er ökotoxikologisch bedenklich ist (UBA 2010).
Allgemein ist eine Verbreiterung der Wissensgrundlage hinsichtlich des Vorkommens von Arzneistoffen
im Wasser und deren Umweltwirkungen ein wichtiger Schritt der Vorsorge, dessen konkrete Wirkung aber
schwer im Vorhinein abgeschätzt werden kann. Umgekehrt ist aber klar, dass diese Informationen notwendige
Voraussetzung für das Erkennen und die Vermeidung der negativen Wirkungen sind.
Kosten
Über die Kosten eines intensiveren Monitorings von Arzneistoffen in Oberflächen-, Grund- und Trinkwasser
können keine pauschalen quantitativen Aussagen getroffen werden. Wenn Synergien zum Gewässermonitoring
nach der Richtlinie 2000/60/EG genutzt werden können, muss kein völlig neues Monitoringsystem aufgebaut
werden, sondern lediglich das bestehende erweitert werden, weshalb die entsprechenden Kosten vergleichs-
weise gering wären. Wenn aber das Messnetz dichter, die Messrhythmen kürzer und wesentlich mehr Stoffe
betrachtet werden sollen, ist auch mit deutlich höheren Kosten zu rechnen.
105 Bei starken Regenfällen können Kläranlagen die Wassermassen nicht aufnehmen. Wenn die Regenwasserrückhaltebecken vollge-
laufen sind, gelangen ungeklärte Abwässer über Regenentlastungsbauwerke direkt in die Gewässer.
Fa
2016a) (Kap. 4.4.3). Bisher sind nur die Wirkstoffe 17α-Ethinylöstradiol (EE2), 17β-Östradiol (E2), Estron
(E1), Diclofenac sowie die Makrolidantibiotika Erythromycin, Clarithromycin und Azithromycin auf der soge-
nannten Beobachtungsliste und werden zunächst für ein Jahr systematisch in den Gewässern gemessen (Hillen-
brand et al. 2016). Zwar musste die EU-Kommission 2017 im Rahmen der Richtlinie 2013/39/EU einen strate-
gischen Ansatz entwickeln, in dessen Rahmen sie Maßnahmen vorschlägt, um die Umweltwirkungen von Arz-
neistoffen auf die aquatische Umwelt und die öffentliche Gesundheit zu verringern. Allerdings gibt es derzeit
keine Planungen, in naher Zukunft Arzneistoffe auf die Liste der prioritären Stoffe zu setzen (zumindest sofern
die Untersuchungen von Stoffen der Beobachtungsliste nicht ergeben, dass europaweit Handlungsbedarf be-
steht; Kap. 6.4.3).
Abgesehen von den derzeitigen Regelungen gibt es einige weitere Ansatzpunkte für regulatorische Maß-
nahmen in diesem Problemfeld, die in erster Linie auf eine Verbesserung der Informationslage durch ein syste-
matisches Monitoring abzielen:Drucksache 19/ 16430
– 94 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Status: Im Rahmen der Richtlinie 2000/60/EG und den ergänzenden Richtlinien werden einige wenige Arz-
neistoffe beobachtet. Um die Beobachtungsliste oder die Liste der prioritären Stoffe zu erweitern, muss für die
entsprechenden Stoffe die ökotoxikologische Bedenklichkeit nachgewiesen werden.
Wirkung: Es ist zu erwarten, dass die Regulierung von konkreten Stoffen durch Grenzwerte ebenso wie die
Einführung eines summarischen Grenzwertes von 100 ng/l für Arzneimittel im Grundwasser ein verstärktes
Monitoring nach sich zieht. Ein verbessertes Wissen um Vorkommen und Wirkung von Arzneistoffen in der
Umwelt dient wiederum einer verbesserten Vorsorge.
Kosten: Die Kosten einer Intensivierung des Monitorings im Rahmen des bestehenden Messnetzes der Richtli-
nie 2000/60/EG erscheinen gering, eine Ver-dichtung des Messnetzes verursacht voraussichtlich höhere Kosten.
Handlungsbedarf: Es könnten Grenzwerte für konkrete Stoffe und ein summa-rischer Grenzwert im WHG bzw.
in den zugehörigen Verordnungen eingeführt werden.
Handlungsbedarf
Den genannten regulatorischen Maßnahmen ist gemein, dass der Gesetzgeber auf Länder-, nationaler oder EU-
Ebene aktiv werden müsste. Die Einführung eines summarischen Grenzwertes von beispielsweise 100 ng/l für
Arzneimittel im Grundwasser in das WHG bzw. den entsprechenden Verordnungen hätte zur Folge, dass ein
Monitoring von Arzneimitteln im Grundwasser eingerichtet werden müsste. Langfristig wäre dann davon aus-
zugehen, dass Grenzwertüberschreitungen auftreten würden, auf die dann mit verschiedenen Strategien und
konkreten Maßnahmen zur Eintragsminderung reagiert werden müsste (Hannappel et al. 2014, 2016).
5.3
Maßnahmen im Gesundheitssystem
Die Maßnahmen im Gesundheitssystem haben, anders als Maßnahmen zur Gewässerreinigung, das gemeinsame
Ziel, den Eintrag von Arzneistoffen in die Umwelt von vorneherein zu vermeiden. Arzneimittel werden von
Pharmaunternehmen hergestellt, von Ärztinnen und Ärzten verordnet, über Apotheken vertrieben und von Pa-
tientinnen und Patienten zuweilen mithilfe von Pflegepersonal eingenommen. Diese grobe Beschreibung des
Gesundheitssystems enthält bereits die wesentlichen Ansatzpunkte für Maßnahmen in diesem Bereich. Zu be-
achten ist dabei, dass Krankenhäuser, Reha- und Kurklinken, Alten- und Pflegeheime sowie Arztpraxen zwar
zentrale Orte des Gesundheitssystems sind und hier bestimmte einrichtungsspezifische Arzneistoffe verstärkt
zum Einsatz kommen, dennoch aber die meisten Medikamente im häuslichen Umfeld von den Patienten eigen-
ständig eingenommen bzw. angewendet werden.
5.3.1
G1: a) Berücksichtigung von Umweltrisiken bei der Zulassung von
Humanarzneimitteln und b) Erweiterung des Pharmakovigilanzsystems um ein
umfassendes Umweltinformationssystem
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus
Sowohl bei Human- als auch bei Tierarzneimitteln wird im Rahmen des Zulassungsverfahrens das Umweltri-
siko geprüft. Allerdings wird nur bei Tierarzneimitteln, nicht aber bei Humanarzneimitteln ein potenzielles Um-
weltrisiko als Kriterium in eine abschließende Nutzen-Risiko-Abwägung einbezogen. Somit ist ein Umweltri-
siko für Humanarzneimittel nicht zulassungsrelevant (Kap. 4.4.1 u. 4.4.2). Zudem liegen häufig keine Daten zu
den Umweltwirkungen vor, weil viele Arzneimittel, die man im Wasser findet, bereits zugelassen worden wa-
ren, bevor eine Umweltprüfung für Arzneimittelprodukte gesetzlich vorgeschrieben wurde bzw. bevor Leitfä-
den in Kraft traten, die den Antragstellern halfen, eine gute Umweltrisikobewertung durchzuführen.
Auch wenn die positiven Wirkungen von Humanarzneimitteln auf die Gesundheit von Menschen unzwei-
felhaft einen sehr hohen Stellenwert haben, wären folgende Maßnahmen bedenkenswert:
a) Berücksichtigung der Umweltrisiken in der Nutzen-Risiko-Abwägung bei der Zulassung von Humanarz-
neimitteln: Damit soll ermöglicht werden, dass besonders ausgeprägte Umweltrisiken, die sich letztlich
auch negativ auf die menschliche Gesundheit auswirken können, zumindest im Rahmen des Zulassungs-
verfahrens beachtet werden und in besonderen Fällen auch nach der Markteinführung noch regulatorische
Fa
Maßnahmensteckbrief W4: Regulierungen im Wasserrecht und
verstärktes Monitoring von Arzneistoffen in Grundwasser und
GewässernDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
Konsequenzen haben können, selbst wenn eine Zulassung nicht verwehrt wird (BIO Intelligence Service
2013; UBA 2016a).
Erweiterung des Pharmakovigilanzsystems um ein umfassendes Umweltinformationssystem für Arz-
neistoffe: Grundsätzlich kann die Überwachung der Umweltwirkungen von Human- wie auch Tierarznei-
mitteln nach der Zulassung sinnvoll sein (Kap. 4.2.4).106 Das derzeitige Pharmakovigilanzsystem für Hu-
manarzneimittel beschränkt sich auf die Aufdeckung von unerwünschten medizinischen Nebenwirkungen
auf den Menschen. Dieses System könnte erweitert werden, um auch die Nebenwirkungen von Medika-
menten und deren Rückständen auf die Umwelt zu erfassen. Es könnte bei einer zentralen, öffentlichen
Stelle ein Umweltinformationssystem – ähnlich dem medizinischen Vigilanzsystem für Medikamente –
aufgebaut werden.
Das Umweltinformationssystem könnte neben dem präparatebezogenen Vigilanzsystem auch ein sogenanntes
Monografiesystem für Arzneistoffe umfassen. Monografien sind qualitätsgesicherte Zusammenstellungen aller
relevanten Umweltinformationen zu einem Wirkstoff, die regelmäßig aktualisiert werden. Wirkstoffmonogra-
phien können auch die Altstoffproblematik abdecken und bieten unter anderem die Möglichkeit, validierte
Stoffdaten und Informationen zugänglich zu machen. Dies würde z. B. Länderbehörden oder Wasserversorgern
die Prognose, das Management und die Priorisierung von Problemstoffen deutlich erleichtern.
Für die Erstellung und Aktualisierung der Monografien müssten gesetzliche Regelungen geschaffen wer-
den, die insbesondere die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten regeln. Beispielsweise könnte der Zulas-
sungsinhaber der Präparate, die einen bestimmten Wirkstoff enthalten, dazu verpflichtet werden, die entspre-
chende Monografie auszuarbeiten, zu pflegen und der Stelle, die das Umweltinformationssystem betreibt, zur
Verfügung zu stellen. Gegebenenfalls könnten auch Pharmaverbände hierbei Aufgaben übernehmen.
Das Umweltinformationssystem für Arzneistoffe sollte einerseits wissenschaftliche Erkenntnisse über Um-
weltrelevanz, Dosierungen und Darreichungsformen sammeln, die aus dem Zulassungsverfahren stammen. Es
sollte andererseits auch gesicherte Informationen aus anderen Quellen, beispielsweise über negative Umwelt-
wirkungen nach Unfällen, Havarien oder Zufallsfunden aufnehmen, um auf dieser Basis gegebenenfalls auch
zielgerichtet Untersuchungen beauftragen oder veranlassen zu können.
Die Informationen des Systems sollten – anders als die Daten aus den Zulassungsverfahren bisher – nicht
nur den Gesundheitsbehörden und den beteiligten Unternehmen, sondern auch den Wasserbehörden, anderen
Wissenschaftlern, Wasserversorgern, Umweltverbänden und anderen interessierten Stellen zugänglich gemacht
werden. Erfahrungen mit der Organisation und Konzeption von Umweltinformationssystemen, die z. B. im Zu-
sammenhang mit der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 oder der europäischen Pflanzenschutz- und Biozidge-
setzgebung gesammelt wurden, könnten beim Aufbau des Umweltinformationssystems für Arzneistoffe genutzt
werden (BIO Intelligence Service 2013; UBA 2016a).
Wirkung
Der Einbezug der Ergebnisse von Umweltrisikoprüfungen als ein Kriterium in die Nutzen-Risiko-Abwägung
bei der Zulassung von Humanarzneimitteln hat eine Signalwirkung, von der zu erwarten ist, dass sie den ge-
samten Prozess der Medikamentenentwicklung insgesamt beeinflusst. Das gilt selbst dann, wenn die Umwelt-
risiken deutlich geringer gewichtet werden als der medizinische Nutzen der Medikamente für die Gesundheit
der Behandelten.
Die systematische Beobachtung der Umweltwirkungen von Arzneistoffen nach ihrer Markteinführung
durch ein Umweltinformationssystem kann helfen, Belastungsschwerpunkte und zuvor unbekannte Auswirkun-
gen auf Gewässerökosysteme und die Umwelt insgesamt zu erkennen, um frühzeitig Maßnahmen ergreifen zu
können (UBA 2016a u. 2016b).
Kosten
Die administrativen Kosten eines modifizierten Zulassungsverfahrens für Humanarzneimittel sind voraussicht-
lich nicht erheblich. Die volkswirtschaftlichen Folgekosten einer Veränderung des Zulassungsverfahrens, die
sich letztendlich auf den Entwicklungsprozess von Medikamenten auswirken, können allerdings nicht abge-
schätzt werden und könnten erheblich sein.
Die Kosten für den Aufbau eines Umweltinformationssystems für Arzneistoffe in Ergänzung zum be-
stehenden Pharmakovigilanzsystem für Humanarzneimittel werden als moderat erachtet.
106 Gegebenenfalls sind Synergien mit bestehenden Überwachungssystemen der Gewässer nach nationalem oder europäischem Recht
zu prüfen und auszunutzen.
Fa
b)
– 95 –

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Krik

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Re: Arzneimittelrückstände in Trinkwasser
« Reply #5 on: January 16, 2020, 05:20:15 AM »

Drucksache 19/ 16430
– 96 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Status: Bei Humanarzneimitteln wird ein potenzielles Umweltrisiko bei der Zulassung zwar erhoben, aber nicht
als Kriterium in eine abschließende Nutzen-Risiko-Abwägung einbezogen, weshalb sie die Zulassung nicht
verhindern können. Das bestehende Pharmakovigilanzsystem von Humanarzneimitteln erfasst lediglich die un-
mittelbaren Nebenwirkungen auf die Gesundheit von Menschen. Nebenwirkungen, die über die Umwelt indi-
rekt Menschen und andere Lebe-wesen beeinträchtigen können, werden nicht erfasst.
Wirkung: Eine Veränderung des Zulassungsverfahrens mit dem Ziel der Berücksichtigung von Umweltrisiken
hat eine Signalwirkung für die Entwicklung neuer Medikamente. Ein effektives Informationssystem, das Infor-
mationen über Umweltwirkungen von Arzneistoffen systematisch sammelt und interessierten Kreisen zur Ver-
fügung stellt, kann die Grundlage für frühzeitige Maßnahmen gegen negative Umweltwirkungen sein.
Kosten: Eine Veränderung des Zulassungsverfahrens hat geringe administrative Kosten. Die volkswirtschaftli-
chen Kosten und der Nutzen können nicht abgeschätzt werden. Von der Einführung eines Umweltinformations-
systems sind nur moderate Kosten zu erwarten.
Handlungsbedarf: Die Veränderung des Zulassungsverfahrens würde die An-passung des gesetzlichen Rah-
mens auf nationaler und europäischer Ebene er-fordern. Die Einführung eines Umweltinformationssystems für
Arzneistoffe würde insbesondere die Schaffung einer zuständigen zentralen Stelle notwendig machen. Die Be-
reitstellung der Informationen und der Zugang zu ihnen müssten rechtlich geregelt werden.
Handlungsbedarf
Eine Veränderung des Zulassungsverfahrens für Humanarzneimittel mit dem Ziel, Umweltrisiken auch im Rahmen
der Nutzen-Risiko-Abschätzung berücksichtigen zu können, würde eine Veränderung der gesetzlichen Grundlagen
erfordern, also des Humanarzneimittelrechts auf EU-Ebene und national des AMG.
Der Handlungsbedarf bei der Etablierung eines Umweltinformationssystems bestünde im Wesentlichen
in der Schaffung und Finanzierung einer zentralen Stelle, die Informationen über Umweltrisiken von Medi-
kamenten sammelt, gegebenenfalls ein Monitoringsystem entwickelt und ergänzend spezifische Untersuchun-
gen veranlasst. Die Pflichten zur Bereitstellung der Informationen, insbesondere derjenigen, die im Rahmen des
Zulassungsverfahrens erhoben wurden, wie auch das Recht auf Zugang zu diesen Informationen, bedürften
entsprechender rechtlicher Regelungen.
5.3.2
G2: Green Pharmacy – umweltfreundlichere Arzneimittel
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus der Maßnahme
Die Grundidee einer Green Pharmacy liegt darin, bei der Neuentwicklung von Medikamenten bzw. Wirkstoffen
nicht nur die therapeutische Wirkung sowie mögliche medizinische Nebenwirkungen im Blick zu haben, son-
dern auch auf möglichst geringe unerwünschte Umweltwirkungen zu achten. Bislang spielt die biologische Ab-
baubarkeit von Wirkstoffen in der Umwelt bei der Medikamentenentwicklung nahezu keine Rolle (ISOE 2008).
Durch gezielte Eingriffe in die molekulare Struktur sollen Arzneistoffe so verändert werden, dass sie im mensch-
lichen Körper stabil genug sind, um dort ihre Wirksamkeit zu entfalten, gleichzeitig aber in der Umwelt schnell
abgebaut werden (Kümmerer 2010). Diese Herangehensweise wird bei der Medikamentenentwicklung bereits
heute zur Optimierung des Verhältnisses von Wirksamkeit und Nebenwirkungen eingesetzt. Im Rahmen einer
Green Pharmacy gilt es, im Optimierungskalkül die Umweltwirkungen ebenfalls mit zu berücksichtigen (ISOE
2008).
Das UBA und entsprechende Stellen auf europäischer Ebene empfehlen nachdrücklich die Entwicklung
alternativer umweltschonender Medikamente (beispielsweise Ebert et al. 2014; Lyons 2014). Entsprechende
FuE-Vorhaben werden mit öffentlichen Mitteln gefördert. Ein Beispiel hierfür ist ein vorbereitendes Projekt der
Arbeitsgruppe um den Lüneburger Chemiker Klaus Kümmerer, bei dem versucht wurde, die Struktur des be-
sonders schwer abbaubaren Antibiotikums Ciprofloxacin so zu verändern, dass es bei gleicher Wirkung besser
abbaubar ist (DWA 2015). Die praktische Umsetzung der Idee einer Green Pharmacy ist sehr anspruchs- und
voraussetzungsvoll (Crawford et al. 2017).
Fa
Maßnahmensteckbrief G1: a) Berücksichtigung von Umweltrisiken bei der Zulassung von
Humanarzneimitteln und b) Erweiterung des Pharmakovigilanzsystems um ein umfassendes
UmweltinformationssystemDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 97 –
Drucksache 19/ 16430
Wenn die Substitution eines Medikamentes durch ein ebenso wirksames, gleichzeitig aber umweltverträgliche-
res möglich ist, sind die langfristigen Wirkungen sehr positiv. Die gezielte Suche nach Alternativstoffen bietet
sich für solche Medikamente an, von denen negative Umweltwirkungen bekannt sind und die in hohen Mengen
konsumiert werden. Es steht aber nicht zu erwarten, dass kurzfristig eine große Zahl derartiger Erfolgsfälle
realisierbar sein wird. Green Pharmacy hat eine langfristige Perspektive: Es geht darum, Umweltwirkungen bei
der Entwicklung von neuen bzw. bei der Weiterentwicklung von alten Medikamenten systematisch mit zu be-
rücksichtigen.
Kosten
Die Entwicklung und Zulassung neuer oder veränderter Medikamente sind in der Regel sehr zeit- und kosten-
intensiv. Dabei ist schwer abzuschätzen, welche zusätzlichen Kosten durch die systematische Berücksichtigung
von Umweltwirkungen entstehen.
Handlungsbedarf
Ein wichtiger Anreiz für die Entwicklung umweltverträglicher Medikamente wurde bereits durch die Richtlinie
2001/83/EG sowie die sie ändernde Richtlinie 2004/27/EG geschaffen, die eine Prüfung möglicher Auswirkun-
gen auf die Umwelt bei der Zulassung von Humanarzneimittel vorsehen. Auch wenn – zumindest bisher – ne-
gative Umweltwirkungen kein Versagensgrund einer Zulassung darstellen, könnte allein schon die Tatsache,
dass Umweltwirkungen im Rahmen des Zulassungsverfahrens erhoben werden, ein Anstoß sein, diese Art der
Nebenwirkungen bei der Entwicklung bereits mit in den Blick zu nehmen (Kap. 5.3.1).
Die zuvor beschriebenen Entwicklungsziele einer Green Pharmacy werden teilweise bereits in der aktu-
ellen Entwicklung von Arzneistoffen und -hilfsstoffen verfolgt (Kümmerer/Schramm 2008). Um diesen An-
satz zu fördern, könnten Forschungsförderungsprogramme (wie z. B. die Förderinitiative »Nachhaltige Phar-
mazie« der Deutschen Bundesstiftung Umwelt [DBU])107 eingerichtet und Anreizmechanismen geschaffen
werden. Beispielsweise steht bereits jetzt als Anreizinstrument zur Verfügung, dass für Green Pharmaceuticals
aufgrund ihres erhöhten Forschungs- und Entwicklungsbedarfs im Rahmen der Patentierung ergänzende
Schutzzertifikate (Supplementary Protection Certificates [SPC]) gewährt werden, die den Patentschutz um bis
zu 5 Jahre verlängern (Verordnung (EWG) 1768/92108, kodifiziert durch Verordnung (EG) 469/2009109). Ein
weiterer Anreiz könnte geschaffen werden, indem Neuentwicklungen, die zwar im Vergleich zu zugelassenen
Arzneimitteln keine verbesserte Wirkung, aber eine höhere Umweltverträglichkeit aufweisen, einen Aufschlag
auf den sogenannten Festbetrag erhalten. Dieser Festbetrag eines Arzneimittels wäre der maximale Betrag, den
die gesetzlichen Krankenkassen für dieses Arzneimittel bezahlen.
Mittelfristig könnten die Rahmenbedingungen für eine Green Pharmacy verbessert werden, wenn bei der
Zulassung von Medikamenten die Umweltwirkungen tatsächlich eine Rolle spielen würden. Allein schon die
Möglichkeit einer Versagung der Zulassung oder der Zulassung unter Auflagen könnte einen Entwicklungs-
schub auslösen.
107 https://www.dbu.de/index.php?menuecms=2687 (15.9.2019); verglichen mit den bei der Entwicklung von neuen Arzneimitteln
üblichen Summen, hatte die Förderinitiative der DBU nur ein bescheidenes Volumen und damit nur beschränkte Anreizwirkun-
gen.
108 Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel
109 Verordnung (EG) Nr. 469/2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (kodifizierte Fassung)
Fa
WirkungDrucksache 19/ 16430
– 98 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Status: Forschungsarbeiten zur Herstellung von umweltfreundlicheren Arzneistoffen sind im Gange.
Wirkung: Die systematische Berücksichtigung von Umweltwirkungen bei der Entwicklung von Medikamenten
führt langfristig zu Verringerungen der Gewässerbelastungen.
Kosten: Mehrkosten der systematischen Berücksichtigung von Umweltwirkungen bei Entwicklung neuer Me-
dikamente sind schwer abzuschätzen.
Handlungsbedarf: Es ergibt sich primär Forschungs- und Entwicklungsbedarf; Regulierungen und Anreizme-
chanismen könnten die Rahmenbedingungen verbessern.
5.3.3
G3: Vermeidung von Arzneimittelbedarf durch Gesundheitsförderung und
Prävention
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus der Maßnahme
Wenn es gelingt, eine Erkrankung von vorneherein zu vermeiden, ist eine Therapie und somit auch eine Medi-
kamentengabe überflüssig. Es gibt zahlreiche Ansätze zur Förderung von Gesundheit bzw. zur Verhinderung
von Krankheiten, die an dieser Stelle genannt werden können. Bei der Prävention unterscheidet man drei Stufen:



Primärprävention: Die Vermeidung der Erkrankung z. B. durch Impfung und Gesundheitsberatung.
Sekundärprävention: Die Früherkennung und frühzeitige Behandlung, z. B. durch Screeningprogramme.
Tertiärprävention: Die Vermeidung der Verschlimmerung (Progredienz) bei bereits manifesten Erkrankun-
gen, z. B. durch strukturierte Disease-Management-Programme, die Komplikationen vorbeugen sollen.
Viele Maßnahmen im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention erfordern die Zusammenarbeit zwi-
schen verschiedenen Leistungserbringern der Sektoren Ambulanz, stationäre Versorgung, Rehabilitation und
Pflege. Oft ist es auch hilfreich, wenn darüber hinaus z. B. Krankenkassen, Arbeitgeber oder Sportvereine ein-
bezogen werden.
Wirkung
Alle Ansätze zur Gesundheitsvorsorge und zur Prävention wirken sich indirekt auf den Arzneimittelbedarf aus.
Sie können dazu beitragen, dass gegebenenfalls umwelttoxische Wirkstoffe gar nicht erst an Patientinnen und
Patienten abgegeben werden. Allgemein ist es schwierig, die positiven Umweltwirkungen dieser Maßnahmen
quantitativ abzuschätzen.
Zur Illustration, welche Gestalt ein integriertes Gesundheitsmanagement in einer Region annehmen kann,
soll ein in der Zwischenzeit verstetigtes Modellprojekt im Kinzigtal beschrieben werden.110 Dort wurde ein
integriertes Versorgungssystem eingeführt. Im Zentrum eines Netzwerks aus Ärztinnen und Ärzten, Therapeu-
tinnen und Therapeuten, Apothekerinnen und Apothekern sowie Vereinen steht ein Unternehmen, das eine
Vielzahl gesundheitsfördernder Maßnahmen aus den Bereichen Sport, Kultur, Unterhaltung, Gesprächskreise,
Vorträge sowie Feste anbietet. Die Angebote stehen den Versicherten von drei großen Krankenversicherungen
offen, die insgesamt mehr als die Hälfte der Bevölkerung abdecken. Durch das Netzwerk konnte die Zusam-
menarbeit zwischen dem ambulanten und stationären Sektor im Gesundheitswesen und dadurch die Versorgung
der Patientinnen und Patienten verbessert werden.
In einem wissenschaftlichen Begleitprojekt wurde gezeigt, dass durch eine stärkere Verzahnung der Sektoren
die Verschreibung bzw. Einnahme von Medikamenten gesenkt werden konnte. 2008 haben Versicherte, die am
Programm »Gesundes Kinzigtal« teilnahmen, im Vergleich zu den Versicherten in Baden-Württemberg 2,9 %
weniger Arzneimittel erhalten. Die Kosten für Arzneimittel konnten damit pro Versicherten um 11 Euro/Jahr ge-
senkt werden (Köstner et al. 2011).
Kosten
Über die Kosten können keine konkreten Angaben gemacht werden.
110 https://www.gesundes-kinzigtal.de/ (15.9.2019)
Fa
Maßnahmensteckbrief G2: Green Pharmazy – umweltfreundlichere ArzneimittelDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 99 –
Drucksache 19/ 16430
Das Netzwerk »Gesundes Kinzigtal« ist ein Best-Practice-Beispiel. Die Übertragung dieser oder ähnlicher An-
sätze integrierter Versorgungssysteme auf weitere Regionen würde entsprechende Initiativen aus dem Gesund-
heitssystem erfordern. Die Krankenkassen könnten hierbei – wie am Beispiel »Gesundes Kinzigtal« – eine Vor-
reiterfunktion übernehmen. Anstöße und Anreize durch die Politik, etwa durch entsprechende Förderpro-
gramme, sind aber auch denkbar. Eine Umsetzung dieser Ansätze in die Regelversorgung bedürfte dann einer
konzertierten Aktion vieler Akteure des Gesundheitssystems. Vor allem aber müssten in der Bundesgesund-
heitspolitik hierfür die finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Maßnahmensteckbrief G3: Vermeidung von Arzneimittelbedarf durch Gesundheitsförderung
und Prävention
Status: Es existieren Pilotprojekte und regionale Umsetzungen, wie z. B. die Initiative »Gesundes Kinzigtal«.
Wirkung: Mit der Initiative »Gesundes Kinzigtal« konnte der Medikamentenverbrauch um knapp 3 % gesenkt
werden. Primär zielt die Initiative allerdings auf eine Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung insgesamt
– die Verringerung der Umweltbelastung durch Medikamente ist dabei ein positiver Nebeneffekt.
Kosten: keine konkreten Angaben möglich
Handlungsbedarf: Anstöße und Anreize zur Bildung von integrierten Vorsorgesystemen könnten z. B. von
Krankenkassen oder aus der Politik kommen. Für eine bundesweite Umsetzung in der Regelversorgung wären
die finanziellen und strukturellen Rahmenbedingen zu schaffen.
5.3.4
G4: Sensibilisierung von Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten
für die Umweltwirkungen
von Arzneimittelrückständen
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus der Maßnahme
Laut einer bundesweiten Repräsentativbefragung mit über 2.000 Befragten im Rahmen des vom BMBF geför-
derten Projekts »TransRisk« gab nahezu die Hälfte der Befragten an, dass sie noch nie etwas von der Proble-
matik von Medikamentenrückständen im Wasser gehört haben (DECHEMA 2015). Gleichzeitig setzen Maß-
nahmen zur Reduktion der Arzneistoffeinträge in die Gewässer, die auf Verhaltensänderungen von Ärztinnen
und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern, Patientinnen und Patienten abzielen, ein gewisses Problembe-
wusstsein voraus. Dementsprechend ist es das Ziel, mit Informationsmaßnahmen ein solches Bewusstsein zu
schaffen. Erfahrungen hierzu gibt es mit Aufklärungsbroschüren auf regionaler Ebene (z. B. Landesapotheker-
verband Baden-Württemberg e.V. 2007; Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Würt-
temberg/BMBF-Forschungsprojekt »SchussenAktivPlus« 2013; Umweltministerium von Nordrhein-Westfalen
2015) wie auch im europäischen Ausland. Das UBA hat hierzu ein Handbuch (Götz et al. 2011) erarbeitet, in
dem zielgruppenspezifische Kommunikationsstrategien für die wichtigsten Akteursgruppen im Gesundheits-
system dargestellt werden, und einen weiteren Bericht (Götz et al. 2017) vorgelegt, in dem Vorschläge für die
Umsetzung der Empfehlungen des Handbuches unterbreitet werden.
Wirkung
Der Effekt von Informationsmaßnahmen zur Sensibilisierung der Bevölkerung sowie von Ärztinnen und Ärz-
ten, Apothekerinnen und Apothekern wurde im Rahmen des Projekts »Den Spurenstoffen auf der Spur«111 in
Dülmen (Nordrhein-Westfalen) als Teil des umfassenden EU-Projekts »noPILLS in water« näher untersucht
(Lippeverband 2013). Es zeigte sich, dass das medizinische Fachpersonal, die Patientinnen und Patienten und
die allgemeine Bevölkerung grundsätzlich empfänglich für das Problem der Belastung von Gewässern durch
Medikamentenrückstände sind. Dennoch scheint es den Informationsmaßnahmen zuweilen an schlüssigen Bot-
schaften und substanziellen Inhalten zu mangeln (Emschergenossenschaft et al. 2015).
111 http://www.dsads.de/worum-geht-es/
Fa
HandlungsbedarfDrucksache 19/ 16430
– 100 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Die Kosten für Informationsmaßnahmen, die von beruflichen Fortbildungen für Fachpersonal bis hin zu Auf-
klärungskampagnen zur sachgerechten Entsorgung von Arzneimittelrestbeständen reichen können, werden von
ISOE (2008) auf unter 10 Mio. Euro/Jahr geschätzt.
Handlungsbedarf
Aufgrund der hohen Komplexität der Problematik von Arzneimittelrückständen in Gewässern und des verhält-
nismäßig geringen Wissensstandes der Bevölkerung käme der Sensibilisierung der Bevölkerung und des medi-
zinischen Fachpersonals eine grundsätzliche Bedeutung zu. Gleichzeitig wäre es wichtig, die Begrenztheit des
Handlungsspielraums aufzuzeigen, damit keine falschen Erwartungen geweckt würden. Eine Erhebung der An-
forderungen an die Kommunikation, eine Entwicklung der notwendigen zentralen Botschaften und die Einbe-
ziehung von Umweltaspekten in die Aus- bzw. Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und
Apothekern wäre eine Voraussetzung für erfolgreiche Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen.
Maßnahmensteckbrief G4: Sensibilisierung für die Umweltwirkungen von Arzneimittelrück-
ständen
Status: Vorstudien und erste Erfahrungen in Projekten auf regionaler und teilweise auch auf nationaler Ebene
Wirkung: Generelle Sensibilisierung in Bezug auf das Thema Mikroschadstoffe in der Umwelt ist Vorausset-
zung für entsprechendes Handeln von Patientinnen und Patienten und medizinischem Fachpersonal. Bisherigen
Informationsmaßahmen mangelt es oft an klaren Botschaften, weshalb deren Erfolg noch nicht durchschlagend war.
Erfahrungen zu intensiven regionalen Informationsmaßnahmen wurden im Rahmen von Pilotprojekten gesam-
melt.
Kosten: etwa 10 Mio. Euro/Jahr
Handlungsbedarf: Es könnten verbesserte, an Zielgruppen angepasste Informationsmaßnahmen entwickelt wer-
den. Umweltaspekte könnten in die Aus- und Weiterbildung von medizinischem Personal einbezogen werden.
5.3.5
G5: Verschreibung angepasster Verbrauchsmengen
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus der Maßnahme
Die Größe der Verpackungen von Medikamenten wird auf Basis klinischer Studien vom Hersteller festgelegt
und beantragt und muss von den Behörden zugelassen werden. Dennoch bleiben derzeit bei Patientinnen und
Patienten aufgrund vorkonfektionierter und unter Umständen nicht therapiegerechter Packungsgrößen nicht sel-
ten Arzneimittel nach Therapieende übrig (ISOE 2008; Touraud 2008). Es besteht die Gefahr, dass diese un-
sachgemäß über Toilette oder Waschbecken entsorgt werden und dann die Gewässer belasten. Überreste von
Medikamenten könnten von vorneherein vermieden werden, wenn die Ärztin oder der Arzt nach einer gründli-
chen Anamnese Medikamente in der Menge verschreibt, wie sie für die Therapie auch benötigt werden. Ergän-
zend müssten Apotheken in der Lage sein, durch kleinere oder variable Packungsgrößen die Medikamente in
der verordneten Quantität abzugeben. Individualisierte Verordnungen und therapiebezogene Medikamentenab-
gabe können zudem die Patientinnen und Patienten dazu motivieren, die Verordnungen der Ärztin oder des
Arztes genauer einzuhalten, weil die Therapiedauer mit der Menge der Medikamente korrespondiert.
Der Ansatz, Medikamente in den genau benötigten Quantitäten zu verordnen und auszugeben, wird für
Antibiotika bereits in Großbritannien, den Niederlanden, Tschechien, Israel und den USA praktiziert (Kardas
et al. 2008). Die Maßnahmen in diesen Ländern hatten vor allem einen medizinischen Grund: Bei Antibiotika
besteht die Gefahr von zunehmenden Resistenzen, falls das Medikament nicht bis zum geplanten Therapieende
eingenommen wird. Nichtsdestotrotz erscheint auch aus Gründen des Gewässerschutzes eine Übertragung auf
Deutschland und eine Ausweitung auf andere Arzneistoffe mit schlechter Umweltverträglichkeit sinnvoll. Per-
spektivisch ist zu erwarten, dass personalisierte Therapien in der Medizin eine größere Bedeutung und Verbrei-
tung erlangen.
Fa
KostenDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 101 –
Drucksache 19/ 16430
Die Verschreibung individuell angepasster Verbrauchsmengen führt zu einer leichten Verringerung der verord-
neten Arzneimittelmengen und zu einer Vermeidung von nichtverbrauchten Medikamentenresten, ohne dass
die Wirksamkeit der ärztlichen Behandlung reduziert wird. Es kann hierdurch einer unsachgemäßen Entsorgung
vorgebeugt werden.
Kosten
Die personalisierte Verschreibung angepasster Verbrauchsmengen führt nur dann zu einer Verringerung der
Abgabemengen, wenn auch die Konfektionierung der Medikamente angepasst wird. Das erfordert Umstellun-
gen im Herstellungsprozess – vor allem bei der Verpackung der Arzneimittel – und im Handel. Es gibt für die
hierfür anfallenden Kosten keine Schätzungen.
Handlungsbedarf
Die Größe der Verpackungen bedarf der Genehmigung durch die Behörden im Rahmen der Zulassung. Insofern
sind einerseits eine Sensibilisierung der Behörden, damit sie im Rahmen ihrer gesetzlichen Möglichkeiten in-
dividualisierte Abgabemengen zulassen, und andererseits finanzielle Anreize für Hersteller und Apotheken not-
wendig, damit Medikamente in individuellen Konfektionierungen auch tatsächlich angeboten werden. Zugleich
müsste durch Informationskampagnen erreicht werden, dass sich die Möglichkeit der Verschreibung individu-
alisierter Verbrauchsmengen in der Verschreibungspraxis der Ärztinnen und Ärzte niederschlägt.
Maßnahmensteckbrief G5: Verschreibung angepasster Verbrauchsmengen
Status: Erfahrungen in anderen Ländern vorhanden
Wirkung: geringe Verminderung der Einträge von Arzneimittelrückständen in Gewässer durch Verringerung
der verordneten Arzneimittelmengen; Effekte auf mögliche unsachgemäße Entsorgungen
Kosten: Kosten insbesondere durch Anpassung der Konfektionierungsgrößen
Handlungsbedarf: Es wäre eine Sensibilisierung der Zulassungsbehörden für die Möglichkeit individualisierter
Abgabemengen erforderlich. Zusätzlich könnten finanzielle Anreize geschaffen werden, um Hersteller für die
Mehrkosten der Umstellung der Konfektionierung zu kompensieren. Weiterhin wären Informationsmaßnahmen
für Ärztinnen und Ärzte zu ergreifen.
5.3.6
G6: Einführung eines Umweltklassifikationssystems für Arzneistoffe und
Medikamente
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus der Maßnahme
Ein wichtiges Informationsinstrument für Ärztinnen und Ärzte könnte ein Umweltklassifikationssystem für
Arzneistoffe und Medikamente nach schwedischem Vorbild sein. Dort wurde 2004 ein Klassifikationssystem
eingeführt, bei dem Medikamente in verschiedene Umweltgefährdungsklassen eingeordnet werden. Initiator
des Klassifikationssystems war der Läkemedelsindustriföreningen (LIF; Verband der pharmazeutischen Indust-
rie), nachdem der Stockholms läns landsting (Stockholmer Gemeinderat) 2003 alle Pharmaproduzenten aufge-
fordert hatte, Umweltdaten zu ihren Produkten zu liefern, um deren Umweltgefährdungspotenzial einstufen zu
können. Das Umweltklassifikationssystem ist die Grundlage für eine sogenannte Wise List, in der empfehlens-
werte Arzneimittel für häufige Erkrankungen aufgeführt werden. Eine Empfehlung wird ausgesprochen, wenn
medizinische Wirkung, Kosten und Umweltwirkung in einem sinnvollen Verhältnis zueinanderstehen (Stock-
holms läns landsting 2014). Die Wise List ist eine im Internet abrufbare Broschüre mit mehr als 650 empfeh-
lenswerten Arzneimitteln.112
Das Klassifikationssystem bewertet ein Arzneimittel basierend auf den Ergebnissen von Umweltprüfungen
der Hersteller, die seit 2006 auf dem schwedischen Onlinemedizinportal gesammelt und veröffentlicht werden.
Es verwendet folgende Kriterien (Stockholms läns landsting 2014):
112 http://klokalistan2.janusinfo.se/20191/ (16.11.2016)
Fa
WirkungDrucksache 19/ 16430


Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Umweltrisiko: toxikologische Wirkung auf aquatische Organismen wird in vier Stufen bewertet. Die Be-
wertung erfolgt nach dem PEC/PNEC-Verhältnis (Kap. 3.1.2):
– vernachlässigbar (insignificant): bei PEC/PNEC ≤ 0,1
– niedrig (low): bei PEC/PNEC > 0,1 – ≤ 1
– gemäßigt (moderate): bei PEC/PNEC > 1 – ≤ 10
– hoch (high): bei PEC/PNEC > 10
– unsicher (cannot be excluded): bei unsicherer Datenlage
Umweltrelevanz: Entsprechend den PBT-Kriterien aus der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006113 wird die
Umweltrelevanz eingeschätzt nach der Persistenz des Stoffes in der Umwelt (P), der Bioakkumulation in
Organismen (B) und der Toxizität für Organismen (T) (Kap. 5.1.2). Für jedes Kriterium werden Punkte
vergeben und dann summiert, sodass die Summe zwischen 0 und 9 liegt.
– Persistenz: Angabe in nur zwei Stufen, 0 = keine Persistenz, 3 = Persistenz
– Bioakkumulation: Angabe in nur zwei Stufen, 0 = keine Bioakkumulation, 3 = Bioakkumulation
– Toxizität: Angabe in vier Stufen mit den Werten von 0 = keine Toxizität, 1 = niedrige Toxizität, 2 =
mittlere Toxizität, 3 = hohe Toxizität
Definierte Tagesdosen: Es wird die definierte Tagesdosis, also die durchschnittliche Dosis des Wirkstoffes
für einen Erwachsenen an einem Tag angegeben (Kap. 2.1.1.1).
Das Ziel des Umweltklassifikationssystems ist, Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern über
die Umwelteigenschaften von Arzneimitteln zu informieren und für einen umweltgerechten Umgang mit Arz-
neimitteln zu sensibilisieren, ohne die therapiegerechte Arzneimittelwahl bei der Behandlung der Patientinnen
und Patienten negativ zu beeinflussen. Wünschenswert wäre, wenn das Klassifikationssystem in ein internetba-
siertes Umweltinformationssystem (Kap. 5.3.1) eingebettet wäre, das Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen
und Apothekern schnell und einfach über die wesentlichen Umwelteigenschaften von Arzneistoffen Auskunft
gibt.
Wirkung
Die Einführung des Umweltklassifikationssystems in Schweden steigerte das Problembewusstsein der Ärztin-
nen und Ärzte sowie der Bevölkerung allgemein. In der Folge ging der Anteil an unsachgemäß entsorgten Arz-
neimitteln von zuvor 2 % des Gesamtverbrauchs deutlich zurück und Verschreibungen umweltfreundlicher Me-
dikamente nahmen zu (Vollmer 2010).
Unabhängig von dem schwedischen Beispiel sehen Goetz und Strelau (2013) sowie Vidaurre und Turcotte
(2011) ein Umweltklassifikationssystem als nützliche Maßnahme zur Reduktion von Einträgen umweltrelevan-
ter Arzneistoffe in die Gewässer an. Es ist ein hoher Zuspruch aller Akteurinnen und Akteure zu erwarten,
sofern die Umsetzung benutzerfreundlich erfolgt.
Kosten
Über die Kosten der Einführung eines Umweltklassifikationssystems in Schweden liegen keine Informationen
vor. Die erwarteten Kosten für Deutschland werden als verhältnismäßig gering eingeschätzt.
Handlungsbedarf
Ein nationales Umweltklassifikationssystem für Arzneistoffe würde die Einrichtung einer zentralen Stelle bei-
spielsweise beim UBA oder beim BfArM erfordern. Diese Stelle müsste mit dem notwenigen Fachpersonal
ausgestattet werden. Neben der Einrichtung und Pflege des Klassifikationssystems könnte die Stelle auch ein
Informationssystem etwa in Form einer benutzerfreundlichen Datenbank zur Verfügung stellen, das Ärztinnen
und Ärzte bei der Medikamentenauswahl und der Abwägung zwischen Gesundheitswirkung und Umweltwir-
kung unterstützt (UBA 2012). Falls gleichzeitig eine zentrale, öffentliche Stelle eingerichtet würde, die ein
Umweltinformationssystem für Arzneistoffe in der Umwelt aufbauen würde – wie in Maßnahme G1 beschrie-
ben (Kap. 5.3.1), wäre zu prüfen, ob diese Stelle auch mit der Aufgabe der Einführung und Pflege eines Um-
weltklassifikationssystems betrachtet werden könnte.
113 Anhang XIII und Artikel 57d Verordnung (EG) Nr. 1907/2006.
Fa

– 102 –Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 103 –
Drucksache 19/ 16430
Status: In Schweden existieren bereits mehrjährige Erfahrungen.
Wirkung: Sensibilisierung für das Thema Arzneimittelrückstände in Gewässern und für Möglichkeiten zur Ein-
tragsreduktion
Kosten: verhältnismäßig geringe Kosten
Handlungsbedarf: Es wäre eine zentrale Stelle zur Einführung und Pflege eines Umweltklassifikationssystems
zu schaffen.
5.3.7
G7: Einheitlich geregelte, klar kommunizierte und sichere Entsorgung von
Altmedikamenten
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus der Maßnahme
Abgelaufene oder ungebrauchte Arzneimittel sollten nicht über Toilette oder Spüle entsorgt werden, weil so die
Wirkstoffe direkt über das Abwasser in die Gewässer gelangen. In Deutschland stehen bereits verschiedene
Wege zur Verfügung, Arzneimittel umweltbewusst und sicher zu beseitigen. Der einfachste Weg geht über den
Hausmüll, falls dieser verbrannt wird. Hausmüll wird heute nicht mehr unbehandelt deponiert, sondern entwe-
der verbrannt oder zumindest vor der Deponierung mechanisch-biologisch vorbehandelt. Durch die Verbren-
nung werden die Wirkstoffe zerstört oder inaktiviert. Bei einer mechanisch-biologischen Vorbehandlung ge-
schieht das nicht oder zumindest nicht vollständig. Daher sollten in letzterem Fall für Altmedikamente andere
Entsorgungswege gewählt werden, wie Schadstoffmobile, Recyclinghöfe oder Apotheken (DECHEMA
2015).114
Trotz gut verfügbarer Entsorgungsmöglichkeiten besteht aber offensichtlich Handlungsbedarf insbeson-
dere hinsichtlich einer umfassenden Information der Verbraucherinnen und Verbraucher: Bei einer bundeswei-
ten Repräsentativbefragung mit über 2.000 Befragten, die im Rahmen des BMBF-Projekts »TransRisk« durch
das ISOE (Götz et al. 2014) vorgenommen wurde, gaben lediglich 15 % der Befragten an, dass sie alte Medika-
mente immer über den Restmüll entsorgen. 42 % verwenden diesen Entsorgungsweg nie; 47 % der Befragten
entsorgen flüssige Arzneimittel zum Teil immer, zum Teil selten über die Spüle oder die Toilette, bei den festen
Arzneimitteln sind es noch 20 % (Götz et al. 2014). In einer früheren Studie von Götz und Deffner (2010) wurde
der durch unsachgemäße Entsorgung über das Abwasser eingetragene Anteil der Gesamtverbrauchsmengen auf
etwa 3 bis 4 % geschätzt.
Bis 2009 gab es deutschlandweit ein Rücknahmesystem, an dem rund 16.000 Apotheken beteiligt waren
und das auf einem Vertrag zwischen dem Apothekerverband und dem Entsorger Vfw Remedica basierte, der
im Sommer 2009 aufgekündigt wurde (Die Zeit 2009). Das System war zunächst herstellerfinanziert. Aufgrund
von Änderungen der Verpackungsverordnung115 mussten ab 2009 Umverpackungen lizenziert werden und
entsprechend über gelbe oder blaue Tonnen entsorgt werden (Apotheke Adhoc 2015). Somit stieg der Aufwand
für die Abfalltrennung. Das Sammelsystem wurde dennoch kostenpflichtig mit einer geringeren Anzahl an Apo-
theken fortgeführt. Es gab zwischenzeitlich Bemühungen, das System wieder auszuweiten, die Ende 2016 je-
doch scheiterten, weil dessen Finanzierung nicht befriedigend gelöst werden konnte. Das Rücknahme- und Ent-
sorgungssystem von Remedica nutzten zuletzt 5.070 Apotheken (Apotheke Adhoc 2017).116
Den rechtlichen Rahmen für ein Altarzneisammelsystem gibt die Richtlinie 2004/27/EG vor, nach der die Mit-
gliedsstaaten entsprechend geeignete Systeme implementieren müssen. In Deutschland werden Altmedika-
mente mit Ausnahme der Zytostatika/Zytotoxika als ungefährliche Abfälle zum Siedlungsabfall gezählt und
114 Es gibt allerdings in Deutschland keine einheitliche Regelung zur Entsorgung von Arzneimitteln, vielmehr unterscheiden sich die
Möglichkeiten der umweltgerechten und sicheren Entsorgung von Region zu Region. Im Rahmen des wissenschaftlichen Begleit-
vorhabens der BMBF-Fördermaßnahme »RiSKWa« wurde von der DECHEMA eine Informationswebseite erstellt, die für alle
Kommunen in Deutschland die empfohlenen Entsorgungsmöglichkeiten aufführt (http://arzneimittelentsorgung.de/#section1
[15.9.2019]).
115 Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen (Verpackungsverordnung – VerpackV)
116 In Österreich bietet seit Januar 2015 die Reclay Österreich GmbH in Kooperation mit dem Pharmagroßhändler Remedica Öster-
reich und mit Kwizda Pharmahandel über Apotheken ein österreichweites Rücknahme- und Verwertungssystem für Altmedika-
mente an. Die zu entsorgenden Arzneimittel werden über Sammelsäcke bedarfsgerecht aus den Apotheken abgeholt und in Müll-
verbrennungsanlagen entsorgt (Recyclingportal 2014).
Fa
Maßnahmensteckbrief G6: Einführung eines Umweltklassifikationssystem für MedikamenteDrucksache 19/ 16430
– 104 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Wirkung
Der Effekt dieser Maßnahmen wird aufgrund der großen Gesamtmenge an Arzneistoffen als signifikant einge-
schätzt: Im Projekt »Strategien zum Umgang mit Arzneimittelwirkstoffen im Trinkwasser – start« wurde abge-
schätzt, dass einige hundert Tonnen von Medikamenten unsachgemäß über Ausguss oder Toilette entsorgt wer-
den (Götz/Deffner 2010; ISOE 2008). Auch wenn dies nicht völlig verhindert werden kann, könnte durch eine
Effizienzverbesserung der Entsorgung unverbrauchter Arzneimittel erhebliche Reduktionen der Frachten in die
Gewässer realisiert werden.
Kosten
Zu den mutmaßlich geringen Kosten einer verbesserten Information über eine umweltfreundliche, sichere Ent-
sorgung von abgelaufenen oder ungebrauchten Medikamenten liegen keine genauen Schätzungen vor.
Handlungsbedarf
Trotz prinzipiell flächendeckend vorhandener umweltfreundlicher Entsorgungswege für Altmedikamente,
kommt es noch in erheblichem Maße zur unsachgemäßen Entsorgung ins Abwasser. Um Abhilfe zu schaffen,
könnten breit angelegten Informations- und Kommunikationskampagnen bei der Bevölkerung für Klarheit und
für ein Problembewusstsein sorgen (UBA 2012, S. 144 u. 148). Die Wiederetablierung des Rücknahme- und
Verwertungssystem, das bereits einmal existierte, wäre zwar grundsätzlich denkbar, erscheint jedoch angesichts
der bestehenden Entsorgungsmöglichkeiten redundant.
Maßnahmensteckbrief G7: Einheitlich geregelte, klar kommunizierte und sichere Entsorgung
von Altmedikamenten
Status: Es existieren bereits umweltgerechte und sichere Entsorgungswege, die aber zum Teil nicht genügend
genutzt werden. Welche Entsorgungswege dies sind, ist nicht bundeseinheitlich.
Wirkung: Verringerung der Frachten an Arzneistoffen in die Gewässer bis zu 320 t/Jahr
Kosten: geringe Kosten für begleitende Informationsmaßnahmen
Handlungsbedarf: Es wären breit angelegten Informations- und Kommunikationskampagnen zu organisieren.
5.3.8
G8: Sammlung von Röntgenkontrastmitteln in Urinsammelbehältern
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus der Maßnahme
Die dezentrale Erfassung von Röntgenkontrastmitteln ist in Pilotversuchen bereits getestet worden.118 Die Mit-
wirkung der Patientinnen und Patienten ist für den Erfolg dieser Maßnahme ausschlaggebend. Es werden mobile
Behälter ausgegeben, mit der Bitte, den Urin ca. 24 h darin zu sammeln. Dieses Verfahren ist in die bestehende
117 Beispielsweise UBA 2015 oder auf der Internetseite des Projekts »RisKWa« (https://arz
neimittelentsorgung.de/home/ [15.9.2019])
118 Ein Beispiel für eine in mancher Hinsicht vergleichbare Maßnahme ist die bereits seit über 2 Jahrzenten vorgeschriebene
Amalgamabscheidung in Zahnarztpraxen (Anhang 50 AbwV).
Fa
dürfen daher über den Hausmüll entsorgt werden – auch wenn dieser nicht verbrannt wird und es dadurch zu
Einträgen ins Grundwasser und Gewässer kommen kann.
Zu den verschiedenen umweltgerechten und sicheren Entsorgungswegen gibt es bereits eine Vielzahl von
Informationsbroschüren und Hinweise im Internet.117 Zum Teil werden zusätzlich die empfehlenswerten Ent-
sorgungswege als Vorsichtsmaßnahme auf den Beipackzetteln aufgeführt. Da trotz der bereits verfügbaren In-
formationshinweise und der bisherigen Informationskampagnen die umweltgerechten und sicheren Entsor-
gungswege den Bürgerinnen und Bürgern teilweise nicht bekannt sind und Altmedikamente nach wie vor über
Waschbecken oder die Toilette entsorgt werden (EUWID 2014), wären gut sichtbare Entsorgungshinweise auf
den Medikamentenpackungen empfehlenswert. Eine einheitliche und klar kommunizierte bundesweite Entsor-
gungsempfehlung könnte zudem verhindern, dass es bei der Bevölkerung zu Unklarheiten und Missverständ-
nissen kommt.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 105 –
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Re: Arzneimittelrückstände in Trinkwasser
« Reply #6 on: January 16, 2020, 05:21:28 AM »


Drucksache 19/ 16430
Wirkung
In zwei Studien wurden die verschiedenen Erfassungskonzepte von Röntgenkontrastmitteln untersucht und mitei-
nander verglichen. In beiden Studien wurde die Sammlung mit mobilen Urinbehältern als beste Möglichkeit be-
funden.
In der Studie von Pineau et al. (2005) wurden mobile Behälter an die Patientinnen und Patienten ausgege-
ben, unter der Maßgabe, ihren Urin ca. 24 Stunden separat zu sammeln. Der Erfassungsgrad wurde in dieser
Studie für die Schwerpunktstationen von zwei Berliner Krankenhäusern119 mit 7,6 bzw. 47,5 % der verbrauch-
ten Jodmenge (in Röntgenkontrastmitteln) ermittelt. Insgesamt wird nach Schuster et al. (2006) bei umfassender
Umsetzung ein Gesamterfassungsgrad von 50 % für alle Berliner Krankenhäuser prognostiziert; dies entspricht
ca. 25 % der gesamten Jodmenge im Berliner Abwasser. Der Erfassungsgrad ist dabei stark abhängig von der
Patientenakzeptanz und der Klinikgröße – je größer die Klinik, desto geringer ist der realisierte Erfassungsgrad
(Schuster et al. 2006).
Auch in der zweiten, rein rechnerischen Studie (Hunziker BETATECH 2009) wurden unterschiedliche
Maßnahmen wie die Ozonierung und der Einsatz auf der Kläranlage, eine spezielle Krankenhausabwasserauf-
bereitung, der Einsatz von Vakuumtoiletten und die Ausgabe von Urinsammelbeuteln auf Patientenebene mit-
einander verglichen. Dabei schneidet der Sammelbeutel sowohl bezüglich der eliminierbaren Fracht als auch
des Kosten-Nutzen-Verhältnisses am besten ab. Die Eliminationsleistung für die betrachtete Leitsubstanz Iobi-
tridol wird mit 68 % abgeschätzt.
Das Pilotprojekt »MindER«120 zur Sammlung des Patientenurins mittels entsprechender Beutel, das
2015/2016 in einer Radiologiepraxis und in der Uniklinik in Ulm durchgeführt wurde, zeigt folgende Ergeb-
nisse: Etwa 80 % aller Röntgenuntersuchungen mit Kontrastmitteln erfolgen ambulant. Von diesen ambulanten
Patientinnen und Patienten waren in der 9-wöchigen Studie ca. 20 bis 25 % zur Teilnahme bereit und zeigten
insgesamt eine sehr hohe Akzeptanz für die dezentrale Sammlung. Für die Teilnahmebereitschaft sind demnach
auch die wahrgenommene Verhaltenskontrolle und die Erwartung des Arztes bzw. der Ärztin von Bedeutung.
Die Akzeptanz der Patientinnen und Patienten und damit auch der Erfassungsgrad des Urins durch eine Kom-
bination von Maßnahmen können erhöht werden, wenn Urinbeutel mit separaten – möglichst wasserlosen –
Toiletten und Urinalen in den Praxen und Schwerpunktstationen kombiniert werden. Denn der erste Toiletten-
gang nach der Untersuchung findet meist dort statt und dabei werden schon etwa 30 bis 40 % der Röntgenkon-
trastmittel ausgeschieden (Niederste-Hollenberg et al. 2016 u. 2018).
Kosten
Die Kosten für Sammlung und Entsorgung setzen sich aus den Materialkosten (laufende Kosten) bzw. den
Personalkosten für Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Radiologiemitarbeiterinnen und -mitarbeiter sowie den
Entsorgungsdienst zusammen. Der Arbeitsaufwand je Patient wird im Routinebetrieb mit einem Bedarf des
ärztlichen Personals von 1 min, der Pflegekraft von 14 min, der Radiologie von 1 min und dem Entsorgungs-
dienst von 1 min abgeschätzt (Schuster et al. 2006). Die Kosten liegen demnach bei 380 bis 720 Euro je kg Jod
bzw. bei 11 bis 22 Euro je Patient, wobei knapp 80 % der Gesamtkosten auf Personalkosten zurückzuführen
sind. Die im Projekt »MindER« abgeschätzten Kosten liegen mit 70 bis 80 Euro/kg Jod um einen Faktor 5
darunter. In der Liestal-Studie wird das Kosten-Nutzen-Verhältnis der dezentralen Sammlung als sehr gut ein-
geschätzt.
119 Station 61 der Charité, Campus Virchow-Klinikum bzw. Station 6 der Maria Heimsuchung Caritas-Klinik Pankow.
120 www.minder-rkm.de (15.9.2019)
Fa
Logistik von Krankenhäusern gut einzugliedern, da derartige Sammelbehälter auch aus medizinischen Gründen
schon jetzt genutzt werden. Der Urin immobiler Patientinnen und Patienten in stationärer Behandlung wird
bereits heute durch das Pflegepersonal gesammelt, aber teilweise auch der Urin mobiler stationärer sowie am-
bulanter Patientinnen und Patienten. Sinnvollerweise sollte der gesammelte Urin insgesamt einer getrennten
Entsorgung zugeführt werden, indem er etwa in Behältern mit gelbildenden Substanzen verfestigt und dann
gemeinsam mit dem Restmüll verbrannt wird. Behälter ohne Gelbilder müssen einer Sonderabfallverbrennung
zugeführt werden (Schuster et al. 2006).
Neben den mobilen Sammelbehältern können in den Röntgenabteilungen oder den Schwerpunktstationen
mit hohem Anteil an Röntgenpatienten auch Trenntoiletten eingesetzt werden, was allerdings bauliche Verän-
derungen der Sanitärräume erfordert und im Altbestand oft problematisch ist.Drucksache 19/ 16430
– 106 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Damit eine Urinsammlung bei Krankenhauspatientinnen und -patienten, denen Röntgenkontrastmittel verab-
reicht wurden, flächendeckend durchgesetzt werden kann, müssten Krankenhausbetreibern vom Gesetzgeber
Auflagen gemacht werden, die zudem durch finanzielle Kompensationen bzw. Anreize begleitet werden könn-
ten. Zudem müssten organisatorische Maßnahmen wie die Benennung von Verantwortlichen (etwa den Um-
weltbeauftragten) und Ansprechpartnern ergriffen sowie ein Kontrollsystem eingeführt werden. Weiterhin wäre
das medizinische Personal sowie die Patientinnen und Patienten umfassend zu informieren und für die Proble-
matik der Arzneimittelrückstände im Wasser zu sensibilisieren, weil deren Mitarbeit eine wesentliche Voraus-
setzung für den Erfolg ist (Niederste-Hollenberg et al. 2016 u. 2018; Schuster et al. 2006).
Maßnahmensteckbrief G8: Sammlung von Röntgenkontrastmitteln in Urinsammelbehältern
Status: Urinsammlung ist bereits in viele Krankenhausabläufe integriert und es gibt Urinsammelbehälter für
ambulante Patientinnen und Patienten. Die Urinsammlung müsste ausgeweitet und mit einem Entsorgungskon-
zept für den gesammelten Urin gekoppelt werden. Einzelne Machbarkeitsstudien wurden durchgeführt.
Wirkung: In Röntgenschwerpunktstationen können durchschnittlich ca. 50 % des verabreichten Jods in Kon-
trastmitteln eliminiert werden. Der Erfassungs-grad für Röntgenkontrastmitteln von stationären und ambulanten
Patientinnen und Patienten über mobile Behälter wird mit etwa 25 bis 30 % abgeschätzt.
Kosten: In verschiedenen Studien sind konkrete Kostenschätzungen vorgenommen worden. Das Kosten-Nut-
zen-Verhältnis der dezentralen Sammlung wird als sehr gut eingeschätzt.
Handlungsbedarf: Es müssten finanzieller Anreize bzw. Kompensationen für die Maßnahmenträger geschaffen
und Informationen für medizinisches Personal sowie Patientinnen und Patienten bereitgestellt werden.
5.4
Maßnahmen in Landwirtschaft und Tierhaltung
der Zulassung von Tierarzneimitteln werden Umweltaspekte in der Nutzen-Risiko-Abschätzung als ein Krite-
rium einbezogen. Bei einem unvertretbar hohen Risiko für die Umwelt kann grundsätzlich die Zulassung ver-
weigert werden oder es können Auflagen verhängt werden. In der Praxis wurde allerdings bisher noch für kein
Medikament aus Umweltgründen die Zulassung verweigert, und es wurden nur in sehr wenigen Fällen Auflagen
erteilt (Kap. 4.3.2).
Generell unterliegen alle Medikamente für Tiere, die der Produktion von Lebensmitteln dienen, der Ver-
schreibungspflicht. Für Antibiotika, die mit einem Verbrauch von 1.706 t für 2011 und 805 t für 2015 die größte
Gruppe der Tierarzneimittel darstellen (BVL 2016), wurden weitere Regelungen implementiert, die tatsächlich
zu einem deutlichen Rückgang im Verbrauch geführt haben (Kap. 2.1.2.2). Insbesondere müssen Tierhalter seit
2014 mitteilen, wie viele Antibiotika sie verbraucht haben. Die Behörden können bei überdurchschnittlichem
Verbrauch betriebsspezifische Maßnahmen anordnen. Bereits seit 2006 dürfen in der EU Antibiotika nicht mehr
zur Wachstums- und Leistungsförderung, sondern nur zur Krankheitsbehandlung eingesetzt werden.121
Trotz dieser bereits ergriffenen Maßnahmen gelangen in Deutschland noch immer erhebliche Mengen von
Tierarzneimittelrückständen ins Grundwasser und in Gewässer (Kap. 2), weshalb es sinnvoll ist, sich vor Augen
zu führen, welche weitergehenden Maßnahmen in Landwirtschaft und Tierhaltung in Betracht kommen. Das
sind insbesondere:


L1: Einführung eines Systems zur zuverlässigen Bestimmung von Verbrauchsmengen von Tierarzneimit-
teln, nicht nur von Antibiotika
L2: Erweiterung des Pharmakovigilanzsystems um ein umfassendes Umweltinformationssystem für Tier-
arzneimittel
121 Kritiker gehen jedoch davon aus, dass weiterhin Antibiotika zum Zweck der Leistungssteigerung in der Mast tierärztlich verord-
net werden (Seher 2011). Nach Schätzungen von Blaha (2013) sind in Deutschland 10 bis 30 % der Einsatzmenge von Antibiotika
in der Tiermedizin »dem Sicherheitsbedürfnis der Landwirte geschuldet«; so werden diese Mittel nicht nur zur Behandlung bakte-
rieller Krankheiten in Geflügel-, Schweine- und Kälberbeständen eingesetzt, sondern auch zu deren Verhinderung. Birkel (2013)
verweist darauf, dass Antibiotika auch eingesetzt werden, um Einfluss auf bestimmte Körperfunktionen der Tiere zu nehmen, und
Haffmans (2014, S. 72) stellt hierzu die grundlegende Frage: »Wo fängt die Notwendigkeit zum Arzneimitteleinsatz an, wo hört
sie auf?«
Fa
HandlungsbedarfDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

Drucksache 19/ 16430
L3: Aus- und Weiterbildungsangebote sowie Informationskampagnen zu Umweltaspekten des Einsatzes
von Tierarzneimitteln
L4: Weitere Maßnahmen zur Minderung der Einträge von Tierarzneimitteln und zur Entlastung der Umwelt
Diese Maßnahmen werden nun näher erläutert. Es wird deutlich werden, dass die ersten drei Maßnahmen L1,
L2 und L3 vor allem auf eine Verbesserung der Informationsbasis zielen und damit nur indirekt zu einer Min-
derung von Tierarzneimitteleinträgen in die aquatische Umwelt beitragen. L4 umfasst mehrere kleinere Maß-
nahmen, die hingegen unmittelbar eine Minderungswirkung haben. In einigen Fällen kann diese Minderungs-
wirkung aber eher als positiver Nebeneffekt betrachtet werden, weil die Maßnahme in erster Linie das Nähr-
stoffmanagement zu beeinflussen sucht. Insofern wäre die Entwicklung weiterer Maßnahmen zur Minderung
von Tierarzneimitteleinträgen ins Wasser und in die Umwelt allgemein wünschenswert.
5.4.1
L1: Einführung eines Systems zur Bestimmung von Verbrauchsmengen
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus
Die Abgabemengen von Antibiotika und einiger weiterer mitteilungspflichtiger Wirkstoffe in der Nutztierhal-
tung werden seit 2011 gemäß dem AMG systematisch im »Tierarzneimittelregister zur Erfassung von Abgabe-
mengen von Antibiotika in Deutschland« erfasst (Kap. 2.1.2.2). Für Antiparasitika, Schmerzmittel und Hormone
gibt es hingegen fast keine Verbrauchszahlen, obwohl auch sie ein hohes ökotoxikologisches Gefährdungspo-
tenzial besitzen (UBA 2016b). Ein neu zu schaffendes System zur Erfassung von Verbrauchsmengen für Tier-
arzneimittel sollte auf dem System für Antibiotika und den bestehenden Datenbanken von Wirtschaft und Be-
hörden im Rahmen der Dokumentationspflichten (z. B. Stallbuch, Arzneimittelabgabe- und -anwendungsbe-
lege) aufbauen. Das System sollte auch Informationen über Zieltierarten und Indikationen enthalten (UBA
2016b).
Ergänzend können die Identifikation und das Monitoring von Hotspots (Gewässer oder andere Orte, an
denen Veterinärarzneistoffe in hohen Konzentrationen gemessen wurden) eine wichtige Grundlage für die Kon-
zeption und Planung von Maßnahmen zur Reduktion von Arzneistoffeinträgen aus der Landwirtschaft sein
(Hannappel et al. 2014). Außerdem wäre es wichtig, dass die Einhaltung des seit 2006 bestehenden Verbots des
Einsatzes von Antibiotika zur Leistungssteigerung in der Tierhaltung effektiv kontrolliert wird.
Wirkung
Der Aufbau eines Systems zur Bestimmung von Verbrauchsmengen für alle Gruppen von Tierarzneimitteln
sowie die Identifikation und das Monitoring von Hotspots haben keinen direkten Einfluss auf die Einträge von
Arzneimittelrückständen in die Gewässer. Aber sie sind wichtige Voraussetzungen für die zielgerichtete Pla-
nung konkreter Reduzierungsmaßnahmen, weil sie eine verbesserte Bewertung des Umweltrisikos von Tierarz-
neimitteln ermöglichen.
Kosten
Die Kosten des Systems zur Bestimmung von Verbrauchsmengen dürften in derselben Größenordnung liegen
wie die des bestehenden Systems zur Erfassung der Antibiotikaverbräuche. Weil im Grunde dieselben Struktu-
ren verwendet werden, sind sogar Synergien zu erwarten. Über die Kosten für die Identifikation und das Moni-
toring von Hotspots liegen keine Informationen vor.
Handlungsbedarf
Es müssten in erster Linie das AMG bzw. die entsprechenden EU-Richtlinien angepasst werden, um die regu-
latorische Grundlage für ein System zur Bestimmung der Verbrauchsmengen von Tierarzneimitteln analog dem
für Antibiotika zu schaffen. Das Monitoring von Hotspots könnte grundsätzlich auch ohne eine Änderung der
gesetzlichen Grundlage etwa vom UBA oder von Länderbehörden unternommen werden.
Maßnahmensteckbrief L1: Einführung eines Systems zur Bestimmung von Verbrauchsmen-
gen von Tierarzneimitteln
Status: Ein System zur Erfassung der Verbrauchsmengen von Tierarzneimitteln besteht bisher nur für Antibio-
tika.
Fa

– 107 –Drucksache 19/ 16430
– 108 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Kosten: ähnlich der Kosten des bestehenden Systems für Antibiotika
Handlungsbedarf: Das AMG bzw. die entsprechenden EU-Richtlinien wären zu novellieren.
5.4.2
L2: Erweiterung des Pharmakovigilanzsystems für Tierarzneimittel um ein
umfassendes Umweltinformationssystem
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus
Analog zu dem in Kapitel 5.4.1 beschriebenen Vorschlag des Aufbaus eines Umweltinformationssystems für
Humanarzneistoffe kann auch die Überwachung der Umweltwirkungen von Tierarzneimitteln nach der Zulas-
sung zweckmäßig sein. Das bestehende Pharmakovigilanzsystem zur zentralen Registrierung von Nebenwir-
kungen von Tierarzneimitteln kann erweitert werden, um auch Umweltnebenwirkungen zu erfassen. Diese zent-
rale Stelle sammelt dann Informationen über Wirkungen von Tiermedikamenten auf die Umwelt, die von ande-
ren Stellen bereitgestellt werden, oder sie gibt selbst Untersuchungen und Analysen in Auftrag und stellt diese
Informationen interessierten Stellen zur Verfügung (BIO Intelligence Service 2013; UBA 2016a u. 2016b).
Im Gegensatz zu Humanarzneimitteln werden bei Tierarzneimitteln Umweltrisiken bereits heute als Kri-
terium in eine abschließende Nutzen-Risiko-Abwägung einbezogen, sie sind somit zulassungsrelevant. So kön-
nen bereits bei derzeitiger Rechtslage Hersteller gegebenenfalls die Auflage erhalten, mit zusätzlichen, gezielten
Studien nach der Markteinführung schädliche Auswirkungen auf die Umwelt zu untersuchen. Es könnte unter
Umständen sogar eine erneute Nutzen-Risiko-Abwägung gefordert werden. Solche Auflagen wurden bisher
allerdings noch nicht verhängt (Kap. 4.4.2).
Wirkung
Ähnlich wie bei Humanarzneimitteln kann die systematische Beobachtung der Umweltwirkungen von Veteri-
närarzneimitteln nach ihrer Markteinführung dazu dienen, zuvor noch unbekannte Auswirkungen auf Gewäs-
serökosysteme und die Umwelt sowie Belastungsschwerpunkte zu erkennen. Auf der Grundlage solcher Infor-
mationen können dann gezielt Maßnahmen ergriffen werden (UBA 2016a u. 2016b).
Kosten
Die Höhe der Kosten eines Umweltinformationssystems für Tierarzneimittel wird als moderat eingeschätzt.
Handlungsbedarf
Der Handlungsbedarf bei der Etablierung eines Umweltinformationssystems bestünde im Wesentlichen in der
Schaffung und Finanzierung einer zentralen Stelle, die Informationen über Umweltrisiken von Medikamenten
sammelt, gegebenenfalls ein Monitoringprogramm entwickelt und ergänzend spezifische Untersuchungen ver-
anlasst. Regulierungen wären notwendig, um die verschiedenen Akteurinnen und Akteure zu verpflichten, der
zentralen Stelle die entsprechenden Informationen zukommen zu lassen. Geregelt werden müsste auch, wer
unter welchen Umständen Zugang zu den Informationen erhielte.
Maßnahmensteckbrief L2: Erweiterung des Pharmakovigilanzsystems um ein umfassendes
Umweltinformationssystem für Tierarzneimittel
Status: Ökopharmakovigilanz ist derzeit bei Tiermedikamenten prinzipiell möglich, wird aber nicht praktiziert.
Umweltschäden können bisher bei Tierarzneimitteln grundsätzlich eine Zulassung verhindern oder Auflagen
nach sich ziehen.
Wirkung: Ein Ökopharmakovigilanzsystem für Tierarzneimittel sammelt systematisch Informationen über de-
ren Umweltwirkungen und stellt sie zur Verfügung. Solche Informationen stellen z. B. eine wichtige Grundlage
für die Entscheidung über konkrete Maßnahmen gegen die Umweltwirkungen von Tierarzneimitteln dar.
Kosten: moderate Kosten
Fa
Wirkung: Ein Erfassungssystem für alle Tierarzneimittel ermöglicht eine verbesserte Bewertung des Umweltri-
sikos und eine zielgerichtete Planung von Reduzierungsmaßnahmen.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 109 –
Drucksache 19/ 16430
5.4.3
L3: Aus- und Weiterbildungsangebote sowie Informationskampagnen zu
Umweltaspekten des Einsatzes von Tierarzneimitteln
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus
Informations- und Aufklärungskampagnen haben das Ziel, die Akteurinnen und Akteure, in diesem Fall vor
allem Landwirte und Veterinärmediziner, für die Problematik der Arzneimittelrückstände aus der Landwirt-
schaft zu sensibilisieren (Hillenbrand et al. 2016). In der vom UBA (2016b) herausgegebenen Fachbroschüre
wird eine Reihe möglicher Ansatzpunkte zur verbesserten Kommunikation und Aufklärung skizziert, wie bei-
spielsweise:
› Umweltaspekte in die Aus- und Weiterbildung von Landwirtinnen und Landwirten sowie Tierärztinnen und
-ärzten integrieren: Eine Verankerung des Themas Arzneimittel in der Umwelt in die Studienpläne würde
dazu führen, dass die Absolventinnen und Absolventen der Tiermedizin und der Agrarwissenschaften als
Multiplikatoren im gesamten Sektor der Erzeugung tierischer Lebensmittel sowie auch im darüberhinaus-
gehenden Sektor der Nutz- und Heimtierhaltungen dienen. Langfristig ließe sich dadurch das Bewusstsein
der Nebenfolgen von Tierarzneimitteln auf die Umwelt stärken und letztlich die Bereitschaft der Anwen-
derinnen und Anwender zur Reduktion des Verbrauchs umweltkritischer Tierarzneimittel erhöhen. Wäh-
rend sich Ausbildungsmaßnahmen an junge, zukünftige Akteure richten, zielen Fortbildungsangebote auf
Landwirtinnen und Landwirte, Veterinärinnen und Veterinäre, die bereits aktiv sind. Sie können ebenfalls
das Bewusstsein für die Problematik stärken, aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse vermitteln und Lü-
cken in der bisherigen Fachausbildung schließen.
› Informationskampagnen zu risikomindernden Praktiken für Landwirtinnen und Landwirten sowie Tierärz-
tinnen und -ärzten: Zu diesen Personengruppen gehören die wesentlichen Akteurinnen und Akteure im
Problemfeld Tierarzneimittel in der Umwelt. Kampagnen haben zum Ziel, zunächst für das Problem zu
sensibilisieren, Verständnis für die Notwendigkeit zu erzeugen, die Tierarzneimitteleinträge in die Umwelt
zu vermeiden oder zu vermindern und darauf aufbauend darüber zu informieren, was getan werden kann.
Für einige Tier- und Arzneimittelgruppen, wie z. B. Entwurmungsmittel für Weidetiere, können auch spe-
zifische Informationsmaterialien erarbeitet und gezielt verbreitet werden. Bei der Frage, welche Kommu-
nikationsstrategien hierfür am geeignetsten sind, kann auch auf Erfahrungen aus anderen Ländern und aus
der Humanmedizin zurückgegriffen werden. Generell erscheint es dabei wichtig, Multiplikatoren zu errei-
chen. Als Verbreitungswege für Informationsmaterial bieten sich sowohl die anerkannten Fachmedien an,
die verstärkt auch online verbreitet werden. Sicherlich wäre es auch sinnvoll, wenn die Verbreitung dieser
Informationen in die Arbeit landwirtschaftlicher Beraterinnen und Berater integriert würde.

Informationskampagnen für die breitere Öffentlichkeit: Diese haben zwei Zielrichtungen: zum einen die
Halterinnen und Halter von Heimtieren sowie von nichtgewerblichen Nutztieren, zum anderen die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher, die durch ein geändertes Konsumverhalten Druck auf die Tierproduzenten er-
zeugen können. Die Kampagnen haben als unmittelbares Ziel, die Sensibilität für das Thema zu erhöhen.
Das kann auch dazu führen, dass das Thema Gegenstand öffentlicher Debatten wird. Bei Halterinnen und
Haltern von Heimtieren sowie von nichtgewerblichen Nutztieren kann zudem das Wissen über Handlungs-
möglichkeiten vergrößert werden.
Wirkung
Informationskampagnen und Aus- und Weiterbildungsangebote tragen zur Ausbildung eines Problembewusst-
seins bei Tierhalterinnen und Tierhaltern, Veterinärinnen und Veterinären sowie bei den Verbraucherinnen und
Verbrauchern von Tierprodukten bei. Die Bewusstseinsbildung ist ein erster, wichtiger Schritt zu konkreten
Maßnahmen, die das Ziel haben, die Einträge von Tierarzneimitteln und die dadurch entstehenden Belastungen
insbesondere für die aquatische Umwelt zu vermindern.
Fa
Handlungsbedarf: Es müsste eine zentrale Informationsstelle geschaffen sowie rechtliche Regelungen hinsicht-
lich der Bereitstellung der Informationen sowie des Zugangs zu ihnen getroffen werden.Drucksache 19/ 16430
– 110 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Für die Integration von Umweltaspekten in die Ausbildung von Landwirtinnen und Landwirten, Tierärztinnen
und -ärzten fallen kaum Zusatzkosten an. Zusätzliche Weiterbildungsangebote verursachen hingegen Kosten
vor allem in Form von Zeitaufwand für die Beteiligten. Die Kosten von Informationskampagnen bestehen
hauptsächlich in den Kosten für die Erarbeitung und Verbreitung des Informationsmaterials und für die Arbeit
landwirtschaftlicher Beraterinnen und Berater. Insgesamt sind die Kosten dieser Maßnahmen aber als gering zu
betrachten.
Handlungsbedarf
Die Ergänzung der Inhalte der Ausbildung von Landwirtinnen und Landwirten, Tierärztinnen und -ärzten würde
eine Anpassung von Studienplänen erfordern. Weiterbildungsangebote und Informationskampagnen könnten
beispielsweise von den Landwirtschaftskammern angestoßen und angeboten werden. Finanzielle Förderung
dieser Aktivitäten oder eigene staatliche Initiativen könnten sehr hilfreich sein. Hilfreich wäre auch, wenn Fort-
bildungen zum Thema Veterinärarzneimittel in der Umwelt gemäß den Statuten der Akademie für tierärztliche
Fortbildung als Teil der Pflichtfortbildung anerkannt würden.
Maßnahmensteckbrief L3: Aus- und Weiterbildungsangebote sowie Informationskampagnen
zu Umweltaspekten des Einsatzes von Tierarzneimitteln
Status: Es gibt in diesem Bereich bisher kaum Aktivitäten.
Wirkung: Informations- sowie Aus- und Weiterbildungsaktivitäten dienen der Ausbildung eines Problembe-
wusstseins und sind Voraussetzung für konkrete Maßnahmen zur Reduktion von Tierarzneimitteleinträgen in
die Umwelt.
Kosten: Es sind geringe Kosten zu erwarten, eine quantitative Abschätzung der Kosten erscheint aber nicht
möglich.
Handlungsbedarf: Die Ausbildungs- und Studienpläne von Landwirtinnen und Landwirten, Tierärztinnen und
-ärzten wären anzupassen. Weiterbildungsangebote müssten geschaffen und Informationskampagnen z. B. von
Landwirtschaftskammern mit finanzieller Unterstützung des Staates initiiert werden.
5.4.4
L4: Weitere Maßnahmen zur Minderung der Einträge von Tierarzneimitteln und zur
Entlastung der Umwelt
Allgemeine Beschreibung und Umsetzungsstatus
Die bisher aufgeführten Maßnahmen in der Landwirtschaft führen nicht unmittelbar zu einer Verringerung der
Einträge von Arzneimitteln aus der Landwirtschaft in die Umwelt. In der Studie des UBA (2016b) werden
einige weitere Maßnahmen zusammengetragen, wobei auch diese nicht im Kern auf die Verminderung des
Austrags von Tierarzneimitteln in die Umwelt zielen, sondern dies eher einen positiven Nebeneffekt darstellt.
Beispielsweise ist der Hauptzweck einer Aufbereitung des Wirtschaftsdüngers die Reduktion der Nährstoffein-
träge in Grundwasser und Gewässer und die Verminderung der Arzneimitteleinträge ein Zusatznutzen. Als
Maßnahmen führt das UBA (2016b) unter anderem auf:


Präventionsmaßnahmen zur Verbesserung der Tiergesundheit, wie z. B.: verstärkte Reinigung und Desin-
fektion als prophylaktische Maßnahmen zur Reduktion des Infektionsdrucks und Verhinderung der Ver-
schleppung von Erregern zwischen Ställen und Betrieben; ein risikoorientiertes Gesundheitsmanagement,
das etwa bei der Entdeckung von Infektionsgefahren und bei der Früherkennung von Erkrankungen hilft;
oder eine artgerechtere Haltung, die, wie zahlreiche Studien belegen, die Tiergesundheit fördert, indem
Stressoren reduziert und Widerstandskräfte gestärkt werden.
Verändertes Düngemanagement: Die Art, wie Wirtschaftsdünger getrennt, gelagert, aufbereitet und ver-
wendet wird, beeinflusst den Abbau und die Bioverfügbarkeit von Arzneimittelresten. Bei der Entscheidung
über die Verwendung von Wirtschaftsdünger spielen andere Aspekte normalerweise die Hauptrolle: Kos-
ten, Düngewirkung, Klimawirkungen der entstehenden Gase, Vermeidung von Gewässerbelastungen durch
Nährstoffeinträge etc. Es geht bei diesen Maßnahmen darum, bei Abwägungsentscheidungen auch die mög-
lichen Umweltwirkungen von Arzneimittelrückständen mit einzubeziehen.
Fa
KostenDeutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

Drucksache 19/ 16430
Maßnahmen zur Expositionsminderung sind z. B.: Feldstreifen, Ackerrandstreifen oder Gewässerrandstrei-
fen, die Einträge von Wirtschaftsdünger und damit auch von Arzneimittelrückständen in Gewässer redu-
zieren können; eine Anpassung der Düngeterminierung (witterungsbedingt und saisonal), was auch Tier-
arzneimittel besser in der Fläche zurückhält und so den Eintrag in Oberflächengewässer vermindert; ein
verbessertes Flächenmanagement bei Weidebetrieben, was Hotspots von Einträgen vermeidet; oder, ähn-
lich wie bei Humanarzneimitteln, Informationsmaßnahmen und Bereitstellung von Wegen für eine fachge-
rechte Entsorgung von Medikamentenresten und Altmedikamenten.
Überdenken des tierärztlichen Dispensierrechtes: Im Veterinärbereich werden Arzneimittel nicht nur über
Apotheken abgegeben, sondern Tierärztinnen und -ärzte haben ein sogenanntes Dispensierrecht. Demnach
sind sie berechtigt, für die von ihnen behandelte Tiere Arzneimittel vom Hersteller oder Großhandel zu
beziehen und an Tierhalterinnen und -halter abzugeben. Grundsätzlich werden durch das Dispensierrecht
Anreize für Tierärztinnen und -ärzte geschaffen, mehr Arzneimittel zu verschreiben und zu verkaufen. Vor
dem Hintergrund einer zunehmenden Gefährdung von Mensch und Tier durch Antibiotikaresistenzen ist
das tierärztliche Dispensierrecht in die Diskussion geraten. Das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft führte allerdings 2014 einen Fachdiskurs zur »Überprüfung des tierärztlichen Dispensier-
rechts« durch,122 in dessen Rahmen von verschiedenen Seiten Argumente für das Festhalten am bisherigen
System vorgebracht wurden. Insbesondere wurde die Einfachheit und Praktikabilität des bestehenden Ver-
fahrens des Arzneimittelvertriebs hervorgehoben (KMPG 2014).
Wirkung und Kosten
Generell können die Wirkungen und auch die Kosten der beispielhaft genannten weiteren Maßnahmen zur Min-
derung der Einträge von Tierarzneimitteln schlecht abgeschätzt werden. Bei der Beurteilung der Maßnahmen
ist auch zu berücksichtigen, dass viele von ihnen im Kern auf andere Wirkungen zielen und die Reduktion der
Einträge von Arzneimittelrückständen in Gewässern ein positiver Begleiteffekt ist.
Handlungsbedarf
Ebenso wie der Umsetzungstand ist der Handlungsbedarf bei den verschiedenen Einzelmaßnahmen unterschied-
lich. Übereinstimmung besteht dahingehend, dass die Reduktion der Einträge von Tierarzneimitteln in die Um-
welt als ein positiver Begleiteffekt angesehen werden kann, während die Hauptwirkungen der Maßnahmen an-
dere sind. Ob die Maßnahmen umgesetzt werden sollten und was dafür getan werden müsste, muss daher in
einem größeren Zusammenhang diskutiert werden, was an dieser Stelle zu weit führen würde. Hier soll nur
beispielhaft die Maßnahme eines veränderten Düngemanagements kurz diskutiert werden.
Maßnahmensteckbrief L4: Weitere Maßnahmen zur Minderung der Einträge von Tierarznei-
mitteln und zur Entlastung der Umwelt
Status: Der Umsetzungsstand der vorgestellten weiteren Maßnahmen ist unterschiedlich. Beispielsweise ist die
Einrichtung von Feldstreifen bereits er-probt und es gibt diesbezüglich Förderprogramme. Die Maßnahme eines
ver-änderten Düngemanagements hingegen steckt noch in der Konzeptionsphase. Mit einer Aufhebung des tier-
ärztlichen Dispensierrechts ist im Moment nicht zu rechnen.
Wirkung: Die Reduktion der Einträge von Tierarzneimitteln ist bei den betrachteten Maßnahmen lediglich ein
positiver Nebeneffekt.
Kosten: keine konkreten Aussagen möglich
Handlungsbedarf: Ebenso wie der Umsetzungsstand ist der Handlungsbedarf bei den verschiedenen Maßnah-
men unterschiedlich und müsste im Zusammen-hang mit dem Hauptzweck der Maßnahmen diskutiert werden.
Bei der Maßnahme des veränderten Düngemanagements beispielsweise läge der primäre Handlungsbedarf zu-
nächst bei der Entwicklung tragfähiger Konzepte.
Wirtschaftsdünger fällt bei der Tierhaltung in großen Mengen an. Dessen Ausbringung auf Felder ist eine we-
sentliche Ursache für die weit verbreiteten Nährstoffbelastungen von Grundwasser und Gewässern und zugleich
122 www.bmel.de/DE/Tier/Tiergesundheit/Tierarzneimittel/_texte/Dispensierrecht.
html;jsessionid=10D1A75254E53ED28CDD455C210DA542.1_cid358 (15.9.2019)
Fa

– 111 –Drucksache 19/ 16430
– 112 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Fa
der Hauptweg, wie Tierarzneimittelreststoffe in die Umwelt gelangen. Ein umweltadäquates Management des
Wirtschaftsdüngers ist eine der großen Herausforderungen auf dem Weg zu einer umweltgerechten, nachhalti-
gen Landwirtschaft. Der Haupthandlungsbedarf bestünde hier zunächst bei der Erarbeitung von tragfähigen
Konzepten und Modellen für ein verändertes Düngemanagement.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
Strategien zur Verringerung der Risiken durch Arzneimittelrückstände
Die Betrachtung der verschiedenen Maßnahmenoptionen in Kapitel 5 zeigt, dass verschiedene Maßnahmen zur
Verminderung von Einträgen von Arzneimittelrückständen in die Gewässer zur Verfügung stehen, die sich zu-
meist nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich vielmehr sinnvoll ergänzen können. Es stellt sich die Frage,
welche dieser Maßnahmen und, insbesondere, welche Kombinationen tatsächlich umgesetzt werden sollten.
Wie sieht also in Deutschland eine gute Gesamtstrategie für den Umgang mit Arzneimittelrückständen im Was-
ser aus? Das ist im Kern eine politische Frage, die – wissenschaftlich informiert – im Rahmen eines demokra-
tischen Entscheidungsprozesses beantwortet werden sollte. Bei ihrer Beantwortung sind folgende Aspekte zu
berücksichtigen:
› Handlungsbedarf und Vorsorgeprinzip: Inwiefern besteht bereits heute Handlungsbedarf? Tatsächlich sind
bereits negative Umweltfolgen von Arzneimittelrückständen im Wasser nachgewiesen worden (Kap. 6.3.3)
und es ist zu erwarten, dass weitere Nachweise folgen werden. Auch können Gefahren für die Gesundheit
nicht völlig ausgeschlossen werden (Kap. 6.3.2). Allerdings sind die konkreten Schäden durch Arzneimit-
telrückstände noch nicht so drastisch und augenscheinlich, dass der Handlungsbedarf unzweifelhaft fest-
steht. Vielmehr gilt es, sich vom Vorsorgeprinzip leiten zu lassen, um zu beurteilen, welche Maßnahmen
bereits jetzt angemessen erscheinen. Dabei müssen die Risiken von Schäden durch Arzneimittelrückstände
gegen die finanziellen Kosten und andere negative Begleiterscheinungen von Maßnahmen abgewogen wer-
den.
› Mikroschadstoffstrategie: Eine Strategie gegen Arzneimittelrückstände sollte in eine umfassendere Mik-
roschadstoffstrategie eingebettet werden, unter anderem deshalb, weil Arzneimittelrückstände nur eine
Klasse unter vielen Mikroverunreinigungen sind und weil insbesondere die Aufrüstung kommunaler Klär-
anlagen mit einer vierten Reinigungsstufe eine wichtige Maßnahmenoption ist, die gegen eine große Band-
breite von Mikroverunreinigungen wirkt.
› Umsetzung und Beteiligung: Eine umfassende Mikroschadstoffstrategie muss von mehreren Akteurinnen und
Akteuren getragen werden. Dem Gesetzgeber kommt die Aufgabe zu, Zielvorgaben zu setzen und die recht-
lichen Rahmenbedingungen zu gestalten. Bei der Maßnahmenumsetzung sind jedoch typischerweise neben
den zuständigen Behörden auch Industrien, Verbände, Akteure des Gesundheitssystems, Tierärztinnen und -
ärzte sowie Landwirtinnen und -wirte und – zumindest als Konsumentinnen und Konsumenten – einzelne
Bürgerinnen und Bürger beteiligt. Eine breite Akzeptanz und mehr noch eine aktive Beteiligung möglichst
vieler der genannten Akteurinnen und Akteure sind eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen einer
Gesamtstrategie.
› Maßnahmenkombination: Gesucht wird eine Gesamtstrategie, die verschiedene Maßnahmen gegen Arznei-
mittelrückstände und andere Mikroverunreinigungen in Trinkwasser und Gewässern miteinander kombi-
niert. Bei der Zusammenstellung solcher Kombinationen sollten auch Maßnahmen einbezogen werden, die
nur indirekt wirken, wie beispielsweise Aufklärungsarbeit bei Ärztinnen und Ärzten, Patientinnen und Pa-
tienten sowie Tierhalterinnen und Tierhaltern, ein Monitoring- und ein Vigilanzsystem hinsichtlich Um-
weltwirkungen sowie Forschungsarbeiten zu den Kombinations- und Langzeitwirkungen von Mikroverun-
reinigungen in Gewässern.

Finanzierung: Die Umsetzung einer Strategie gegen Arzneimittelrückstände und andere Mikroverunreini-
gungen in Trinkwasser und Gewässern verursacht Kosten. Es ist zu klären, wie die verschiedenen Maßnah-
men finanziert und wie die Lasten verteilt werden sollen.
Im Folgenden werden die genannten Aspekte zur Entwicklung einer Strategie zur Verringerung der Risiken
durch Arzneimittelrückstände in jeweils einem Kapitel diskutiert. In Kapitel 6.6 wird ein Fazit gezogen.
6.1
Vorsorgeprinzip und Handlungsbedarf –
was ist heute schon zu tun?
Arzneimittelrückstände lassen sich heute fast überall in Gewässern nachweisen. Selbst im Grundwasser konnten
mit den modernen Analysemethoden bereits pharmazeutische Wirkstoffe entdeckt werden (Kap. 4.2.4). Der
Genuss von Trinkwasser gilt derzeit als unbedenklich, aber insbesondere, wenn Trinkwasser aus Uferfiltrat
gewonnen wird, sind Arzneimittel und Metabolite bereits im Rohwasser von Trinkwassergewinnungsanlagen
messbar (LAWA 2016), sodass eine entsprechende Aufbereitung notwendig wird.
Fa
6
– 113 –Drucksache 19/ 16430
– 114 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
6.2
Der Zusammenhang von Arzneimittelrückständen
und weiteren Mikroverunreinigungen
Arzneimittelrückstände im Wasser gehören zu der großen und vielfältigen Gruppe der Mikroverunreinigungen,
die auch Pflanzenschutzmittel, Biozide, Korrosionsschutzmittel, Flammschutzmittel, Waschmittelzusätze,
Schmiermittel, Kosmetika und andere Stoffe umfasst. Da manche Maßnahmenoptionen auf Mikroverunreinigun-
gen insgesamt wirken und auch auf der Wirkungsseite Wechselwirkungen bestehen, ist es naheliegend, eine
Strategie zum Umgang mit Arzneimittelrückständen in eine umfassendere Mikroschadstoffstrategie einzubet-
ten.123 Die Einbettung ist unter anderem deshalb sinnvoll, weil die am stärksten diskutierte Maßnahme, die
123 Eine solche Mikroschadstoffstrategie wird seit 2016 vom BMU(B) in Zusammenarbeit mit dem UBA erarbeitet. In diesem Rah-
men wurde in der Zeit zwischen November 2016 und Juni 2017 die erste Phase eines Stakeholderdialogs (BMUB/UBA 2017)
durchgeführt, dessen Ergebnisse auch in diesen Bericht einflossen (Näheres unter https://www.dialog-spurenstoffstrategie.de/spu-
renstoffe/ [15.9.2019]).
Fa
Von Medikamentenrückständen in Trinkwasser und Gewässern gehen derzeit wohl noch keine akuten Ge-
sundheitsgefahren für den Menschen aus. Mit Blick auf aquatische Lebewesen und Ökosysteme sind allerdings
deutliche Hinweise und sogar erste Nachweise vorhanden, dass Arzneimittelrückstände in Gewässern uner-
wünschte Wirkungen entfalten. Insbesondere unterhalb von Kläranlagenabläufen, aber auch an anderen Stellen
in Gewässern kommen pharmazeutische Wirkstoffe bereits jetzt in Konzentrationen vor, bei denen in Labor-
versuchen beeinträchtigte Fortpflanzungsfähigkeiten von Fischpopulationen, verminderte Bewegungsaktivitä-
ten von Kleinlebewesen oder andere negative Wirkungen festgestellt wurden. Diese subletalen, d. h. nicht direkt
tödlichen, Wirkungen beeinflussen komplexe Gefüge in Ökosystemen und können im Zusammenspiel mit an-
deren Stressoren zum Verschwinden von Populationen führen und Ökosystemdienstleistungen verringern. Ins-
besondere die Kombinationswirkung von verschiedenen Arzneimittelrückständen, weiteren Mikroverunreini-
gungen und anderen Umweltfaktoren beeinträchtigt aquatische Lebensgemeinschaften, wie bei Versuchen im
Freiland beobachtet werden konnte (Kap. 3.3.6 u. 4.2.3).
Dem Problemfeld wird in Behörden, Fachkreisen und der allgemeinen Öffentlichkeit zunehmend größere
Aufmerksamkeit geschenkt und die Indizien für negative Umweltwirkungen von Arzneimittelrückständen in
Gewässern haben sich in den letzten Jahren verdichtet. Dennoch ist festzuhalten, dass zumindest gegenwärtig
die Datenlage zu Umwelt- und Gesundheitsrisiken noch unzureichend ist und nur wenige Fälle von konkreten
Schäden nachweisbar sind. Die komplexen Wirkungsweisen und die große Zahl der einzelnen Stoffe und mehr
noch der Stoffgemische sind die Ursache dafür, dass das Wissen über deren Wirkungen auf aquatische Orga-
nismen und Menschen noch immer sehr lückenhaft ist. Um in Zukunft mehr Klarheit über den Handlungsbedarf
zu erhalten, wäre es wünschenswert, wenn Maßnahmen zur Verbesserung der Informationsbasis (Forschungs-
arbeiten, Gewässermonitoring, Ökopharmakovigilanz) und zur Bündelung bereits vorhandener Informationen
ergriffen werden.
Inwiefern besteht aber bereits heute, basierend auf den schon vorhandenen Erkenntnissen, Handlungsbe-
darf über die Notwendigkeit von Aktivitäten zur Schließung der Wissenslücken hinaus? Dies ist keine im en-
geren Sinne wissenschaftliche Frage. Ihre Beantwortung basiert zwar auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und
Fakten, ist aber im Kern eine politische Entscheidung, die unter unvollständigem Wissen zu treffen ist und
Abwägungen zwischen verschiedenen Wohlfahrtsaspekten (Gesundheitsschutz, Umweltschutz, Kosten etc.) er-
forderlich machen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die gegenwärtig beobachtete Situation nicht konstant
ist, sondern eine langfristige Tendenz zu steigenden Mengen und Konzentrationen von Arzneimittelrückständen
und anderen Mikroverunreinigungen im Wasser zu verzeichnen ist.
Das Vorsorgeprinzip fordert, Risiken des Nichthandelns gegen Kosten des Handelns abzuwägen. Eine
ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse als Hilfe für diese schwierige Abwägungsentscheidung ist insofern un-
geeignet, als der Nutzen der Maßnahmen bzw. die Kosten des Unterlassens von Maßnahmen aufgrund des be-
stehenden Nichtwissens und der Unsicherheiten nicht klar beziffert werden können. Die Kosten des Nichtstuns
könnten gering, aber auch außerordentlich hoch sein.
Die vorhandenen Indizien auf negative Umweltwirkungen von Arzneimittelreststoffen sprechen für vor-
sorgende Minderungs- und Vermeidungsmaßnahmen, auch über die Informationssammlung hinaus. Die Ver-
brauchsmengen vieler Medikamente und die Reststoffkonzentrationen im Grundwasser und in Gewässern stei-
gen, die Hinweise auf schädliche Wirkungen nehmen zu und die Umsetzung der Maßnahmen braucht Zeit. Für
die Vorsorge spricht auch, dass Arzneimittelreststoffe, sobald sie in den Gewässern, im Boden oder im Grund-
wasser angekommen sind und sich verteilt haben, kaum noch mit vertretbarem Aufwand von dort zu entfernen
sind. Man ist dann auf natürliche Abbauprozesse angewiesen, die im Grundwasser Jahrzehnte und länger dauern
können.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 115 –
Drucksache 19/ 16430



Die Elimination von Arzneimitteln und anderen Mikroverunreinigungen ist durch die vierte Reinigungs-
stufe nicht vollständig. Das gilt insbesondere für Röntgenkontrastmittel (Kap. 5.2.1).
In der Diskussion ist bislang nicht die Ausrüstung aller Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe,
sondern es wird über Nachrüstung der großen Kläranlagen ab Größenklasse 3 oder sogar erst ab Größen-
klasse 5 gesprochen, weil dort die spezifischen Kosten pro m 3 Abwasser, deutlich geringer sind als bei
kleinen Anlagen.
Tierarzneimittelrückstände werden zum weitaus größten Teil nicht über das Kanalsystem in die Umwelt
eingetragen und können daher durch eine vierte Reinigungsstufe auch nicht eliminiert werden. Dasselbe
gilt für einige weitere Mikroverunreinigungen wie Pflanzenschutzmittel und Reifenabriebe.
Aus diesen Gründen ist eine weitergehende Behandlung von Abwässern mit einer vierten Reinigungsstufe si-
cherlich ein wichtiges, aber nicht das einzige Element einer umfassenden Mikroschadstoffstrategie. Für Mikro-
verunreinigungen, die nicht über das Kanalnetz in die Umwelt eingetragen werden, ist es sinnvoll, sie frühzeitig,
also möglichst nahe an der Quelle zu vermeiden oder zu verringern. Mit der Verlegung des Ansatzpunktes für
Maßnahmen an die Quelle verbindet sich auch die Möglichkeit, die Verursacherinnen und Verursacher stärker
in die Pflicht zu nehmen.
Für eine umfassende Mikroschadstoffstrategie kann festgehalten werden, dass für solche Stoffe, die über
kommunale Kläranlagen eingetragen werden, die vierte Reinigungsstufe eine wichtige Rolle spielt und für sol-
che, die über andere Wege eingetragen werden oder nicht in der vierten Reinigungsstufe eliminiert werden
können, dezentrale Maßnahmen und solche an der Quelle eine größere Bedeutung haben.
6.3
Akteure der Maßnahmenumsetzung
Eine Strategie zur Verminderung der Risiken durch Arzneimittelrückstände in Grund- und Oberflächengewäs-
ser sollte in eine umfassende Mikroschadstoffstrategie eingebettet werden und verschiedene, aufeinander abge-
stimmte Maßnahmen miteinander kombinieren, sodass die unterschiedlichen Eintragspfade berücksichtigt wer-
den. Bei der Umsetzung einer solchen umfassenden Strategie sind dementsprechend viele verschiedene Akteu-
rinnen und Akteure beteiligt. Im Folgenden wird ein Überblick über die wichtigsten gegeben.
6.3.1
Staatliche Akteure
Wesentliche Aufgaben kommen auf die Gesetzgeber und die Exekutive auf EU-Ebene, der Bundesebene und
der Landesebene zu:124

EU-Ebene: Die im Dezember 2000 in Kraft getretene Richtlinie 2000/60/EG ist das Fundament des euro-
päischen Gewässerschutzrechts. Aufgrund ihres ganzheitlichen Ansatzes wirkt sie sich auf fast alle Rege-
lungen zum Gewässerschutz aus. In Deutschland wird die Richtlinie 2000/60/EG durch das Wasserhaus-
haltsgesetz (WHG)125 umgesetzt. Sie beeinflusst aber auch das Abwasserabgabengesetz (AbwAG)126 und
zahlreiche nationale Verordnungen. Sie wird durch die Richtlinie 2006/118/EG bzw. die Richtlinie
2008/105/EG ergänzt. Gemäß der Richtlinie 2008/105/EG hätte die EU-Kommission bis September 2015
eine Strategie »gegen die Verschmutzung von Gewässern durch pharmazeutische Stoffe« entwickeln und bis
September 2017 Maßnahmen vorschlagen müssen, »die gegebenenfalls auf Ebene der Union und/oder der
Mitgliedstaaten zu ergreifen sind, um die möglichen Umweltauswirkungen von pharmazeutischen Stoffen ...
anzugehen, Einleitungen, Emissionen und Verluste solcher Stoffe in die aquatische Umwelt unter Berück-
sichtigung der Erfordernisse der öffentlichen Gesundheit und der Kosteneffizienz der vorgeschlagenen
Maßnahmen zu verringern« (Kap. 4.4.3). Zu Beginn des Jahres 2019 steht beides noch aus. Ein weiteres
wichtiges Handlungsfeld im Bereich Arzneimittel im Wasser wird das europäische Arzneimittelrecht sein,
das die Rahmenbedingungen für Maßnahmen im Gesundheitssystem setzt. Insbesondere Veränderungen
124 http://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/wasserrecht#textpart-2 (15.9.2019)
125 Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz – WHG)
126 Gesetz über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Abwasserabgabengesetz – AbwAG)
Fa
vierte Reinigungsstufe für Kläranlagen, nicht nur spezifisch auf Arzneimittelrückstände wirkt, sondern auch auf
eine große Bandbreite weiterer Mikroverunreinigungen. Das Kanalnetz wirkt wie ein Trichter, der die unter-
schiedlichen Mikroverunreinigungen aus verschiedenen Quellen der Abwasserbehandlung zuführt. Dennoch
sollte eine umfassende Mikroschadstoffstrategie aus verschiedenen Gründen nicht allein aus der Maßnahme einer
vierten Reinigungsstufe bestehen:Drucksache 19/ 16430

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
im Zulassungsverfahrenen (G1a) sind auf der EU-Ebene zu beschließen. Nicht für Arzneimittel, aber für
andere Mikroverunreinigungen bietet die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 Ansatzpunkte.
Bund: Die wichtigsten Regelungen zum Gewässerschutz auf Bundesebene finden sich im WHG. Seit der
Föderalismusreform 2006 gilt im Bereich des Wasserrechts die sogenannte konkurrierende Gesetzgebung.
Der Bund besitzt die volle Gesetzgebungskompetenz und kann Regelungen verabschieden, die unmittelbar
wirksam werden. Allerdings können die Länder von den Regelungen des Bundes abweichen, soweit es
sich nicht um anlagen- bzw. stoffbezogene Regelungen handelt. Durch das WHG wird außerdem der
Bund ermächtigt, bundeseinheitliche Verordnungen zu erlassen, wie z. B. die Oberflächengewässerver-
ordnung (OGewV) und der Grundwasserverordnung (GrwV)127. In der Abwasserverordnung
(AbwV)128 werden Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser aus Haushalten, Gewerbe und
Industrie in Gewässer gestellt. Die zulässige Schadstofffracht bestimmt sich nach dem sogenannten Stand
der Technik. Ansatzpunkte für Maßnahmen im Gesundheitsbereich bietet das Arzneimittelrecht. Wenn bei-
spielsweise ein Ökopharmakovigilanzsystem für Human- und Veterinärarzneimittel (G1b, L2) oder ein
Umweltklassifikationssystem für Humanarzneimittel (G6) eingeführt werden sollte, müsste das entspre-
chend im AMG verankert werden. Auch die Entwicklung umweltfreundlicherer Arzneimittel (G2) oder die
Sammlung von Röntgenkontrastmitteln in Urinsammelbehältern wäre auf Bundesebene anzustoßen, durch
Förderprogramme zu unterstützen und gegebenenfalls rechtlich zu regeln.
Länder: Die Länder können von den Vorschriften des WHG mit Ausnahme der stoff- oder anlagenbezoge-
nen Regelungen abweichen und die Regelungen des Bundes konkretisieren oder ergänzen. Vor allem aber
obliegt den Ländern der Vollzug sowohl der bundes- als auch der landesrechtlichen Bestimmungen. Sie
regeln, welche Behörden zuständig sind und wie die Verwaltungsverfahren ablaufen. Im Bereich des Arz-
neimittelrechts spielen die Länder nur eine untergeordnete Rolle.
6.3.2
Nichtstaatliche Akteure
Viele der in Kapitel 5 beschriebenen Maßnahmen greifen auf die eine oder andere Weise bis in das Alltagsleben
vieler Menschen ein. Zu den eigentlichen Trägern der Maßnahmen oder zu den durch sie Betroffenen gehören
im Gesundheitssektor Pharmaunternehmen, Ärzte, Apothekerinnen und Patienten, im Landwirtschaftssektor die
Landwirtinnen und Tierärzte und in der Wasserwirtschaft die Trinkwasserversorger und Abwasserentsorger.
Darüber hinaus sind alle Bürgerinnen und Bürger als Konsumenten von Nahrungsmitteln, Trinkwasser und
potenziell als Patientinnen und Patienten sowie Tierhalterinnen und Tierhalter betroffen. Eine breite Akzeptanz
und eine aktive Beteiligung möglichst vieler Akteure sind eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen einer
Arzneimittelrückstände- und Mikroschadstoffstrategie. In manchen Fällen kann die Initiative für Maßnahmen
von den Akteuren selbst ausgehen. Beispielsweise haben die Berliner Wasserversorger, ohne dass sie gesetzlich
dazu verpflichtet wären, erhebliche Investitionen in die vierte Reinigungsstufe beschlossen. Ähnliche Initiati-
ven, in besonderer Weise vom Land gefördert, gibt es insbesondere in Baden-Württemberg. Sie können eine
Signalwirkung für die Branche haben, auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass ohne gesetzliche Grundlage
eine flächendeckende Einführung der vierten Reinigungsstufe für große und mittlere Anlagen zu erwarten ist.
6.4
Maßnahmenkombinationen zur Reduktion und Vorbeugung von Arzneistoffen in
Trinkwasser, Grundwasser und Gewässern
Eine Strategie gegen die Verunreinigung von Trinkwasser, Grundwasser und Gewässern mit Arzneistoffen
sollte mehrere Maßnahmen miteinander kombinieren und eingebettet sein in eine umfassendere Strategie gegen
Mikroverunreinigungen. In Kapitel 5 wurden verschiedene mögliche Einzelmaßnahmen vorgestellt und disku-
tiert. An dieser Stelle werden verschiedene Optionen betrachtet, wie diese Maßnahmen miteinander zu einer
Strategie verknüpft werden können. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die Wirksamkeit und Kosten
der Maßnahmen, ihre Entwicklungsreife und Umsetzbarkeit, ihre Wechselwirkungen mit anderen Maßnahmen
bzw. ihre Potenziale, sich gegenseitig zu ergänzen.
Bei der Diskussion um die Möglichkeiten zur Reduktion von Human- und Tierarzneimittelrückständen in
der Umwelt gibt es viele Ähnlichkeiten und einige Maßnahmen, die parallel auf beide Arten von Medikamenten
wirken. Es gibt aber auch zwei wesentliche Unterschiede, die beachtet werden müssen, wenn es darum geht,
Maßnahmenkombinationen zusammenzustellen:
127 Verordnung zum Schutz des Grundwassers (Grundwasserverordnung – GrwV)
128 Verordnung über Anforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Abwasserverordnung – AbwV)
Fa

– 116 –
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Krik

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Re: Arzneimittelrückstände in Trinkwasser
« Reply #7 on: January 16, 2020, 05:22:27 AM »

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
– 117 –
Drucksache 19/ 16430
Das Schutzgut menschliche Gesundheit genießt in der Gesellschaft einen sehr hohen Rang. Der Rang ist
typischerweise höher als der der Schutzgüter Tiergesundheit oder Umwelt. Eine Verringerung der Anwen-
dungsmenge von Humanarzneimitteln ist gesellschaftlich nur dann erwünscht, wenn der menschliche Ge-
sundheitsschutz mindestens auf dem derzeitigen Niveau aufrechterhalten werden kann oder wenn der öf-
fentliche Gesundheitsschutz dabei sogar verbessert werden kann (z. B. aufgrund einer Verringerung von
Antibiotikaresistenzen). Eine Verringerung der Anwendungsmengen von Tierarzneimitteln wird hingegen un-
ter Umständen auch dann als gesellschaftlich insgesamt vertretbar angesehen, wenn darunter das Schutzni-
veau leidet. Beispielsweise gab und gibt es Bestrebungen, den Einsatz von Antibiotika bei Tieren einzu-
schränken, um Antibiotikaresistenzen vorzubeugen. Es wurde also in diesem Fall dem Schutzgut mensch-
liche Gesundheit gegenüber dem Schutzgut Tiergesundheit ein Vorrang eingeräumt.
› Humanarzneimittel gelangen im Wesentlichen über das Kanalsystem in die Umwelt. Deshalb und aufgrund
der Synergien zur Eliminierung sonstiger Mikroverunreinigungen stellt eine vierte Reinigungsstufe für
Kläranlagen eine zentrale Maßnahme zur Verringerung der Einträge von Humanarzneimittel (und anderer
Mikroschadstoffe im Abwasser) dar. Aufgrund unterschiedlicher Eintragspfade ist diese Maßnahme aber
grundsätzlich ungeeignet, um den Eintrag von Veterinärarzneimitteln zu verringern.
Je nachdem, wie stark die Gefährdungen durch Arzneimittelrückstände eingeschätzt werden, ist es sinnvoll,
Anstrengungen zu unternehmen und mehr oder weniger ambitionierte Ziele für eine Strategie gegen Arzneimit-
telrückstände im Wasser zu verfolgen. Im Folgenden werden beispielhaft einige denkbare Maßnahmenkombi-
nationen beschrieben, die unterschiedliche Ambitionen bzw. unterschiedliche Grade der Vorsorge widerspie-
geln. Ausgewählt wurden solche Kombinationen, deren Elemente sich sinnvoll ergänzen. Die Liste ist aber
keinesfalls abschließend oder vollständig. Es soll damit eine Grundlage für eine Diskussion geschaffen werden,
wie mit dem Themenkomplex Arzneimittelrückstände im Wasser umgegangen werden kann.
Zur besseren Einprägsamkeit werden die Kombinationen mit einem plakativen Namen bezeichnet und es
werden in Klammern die Kürzel der in Kapitel 5.2 vorgestellten Einzelmaßnahmen angegeben, die dazu gehö-
ren. Zu den Maßnahmenkombinationen wird jeweils eine kurze, vorsichtige Einschätzung gegeben, mit der
versucht wird, in der Fachwelt verbreitete Meinungen widerzuspiegeln und einzubeziehen. Diese Einschätzung
kann jedoch nicht die notwendige politische Willens- und Entscheidungsbildung vorwegnehmen.
› Business as usual (keine neuen Maßnahmen): Falls die Auffassung überwiegen sollte, die Wissensgrund-
lage zur Rechtfertigung umfassender Maßnahmen gegen den Eintrag von Medikamentenrückständen sei
noch nicht ausreichend, würde man die Aufmerksamkeit und die finanziellen Mittel darauf konzentrieren,
diese Wissensgrundlage zu verbessern. Im Rahmen dieser Strategie werden also – in ähnlichem Maße wie
bereits in der Vergangenheit – Forschungen zu den Wirkungen, insbesondere zu Kombinations- und Lang-
zeitwirkungen von Mikroverunreinigungen in Gewässern gefördert. Darüber hinaus würden in diesem Sze-
nario aber keine konkreten Maßnahmen gegen Einträge von Medikamentenrückständen in Grundwasser
und Gewässer ergriffen. Auch das Monitoring von Arzneistoffen in Gewässern würde höchstens im Rah-
men von Forschungsvorhaben intensiviert, nicht aber flächendeckend und systematisch verbessert.
Einschätzung: Tatsächlich würde diese Strategie der von politischen Entscheidungsträgern und der Fachöf-
fentlichkeit (BMUB/UBA 2017; Erwägungsgründe der Richtlinie 2013/39/EU; LAWA 2016) geäußerten
Überzeugung widersprechen, dass Arzneimittelrückstände in Gewässern ein ernstzunehmendes Umwelt-
problem darstellen, dem man aktiv entgegenwirken muss. Sie wird daher als nicht sinnvoll angesehen.
› Mehr Information (W4, G1b, G4, G6, G7, L1, L2, L3): Diese Strategie umfasst zum einen Maßnahmen,
die dazu dienen, systematisch mehr Informationen über die Umweltwirkungen von Medikamentenrück-
ständen in Gewässern zu sammeln. Diese Maßnahmen zur Sammlung von Informationen gehen über die-
jenigen von Forschungsvorhaben hinaus und umfassen insbesondere den Aufbau eines Ökopharmakovi-
gilanzsystems sowohl für Human- als auch für Veterinärmedikamente bei einer zentralen Stelle, beispiels-
weise dem UBA. Zum anderen gehören zu dieser Strategie Maßnahmen, die zum Ziel haben, dass die An-
wender von Arzneimitteln (insbesondere Ärztinnen, Patienten, Veterinärinnen und Landwirte) besser über
die (potenziellen) Umweltnebenwirkungen aufgeklärt werden, sodass diese Personen das in ihrem Verant-
wortungsbereich Mögliche tun können, um Gewässerbelastungen zu vermeiden.129
129 Es gibt bereits Plattformen, wo Datenbanken und Ergebnisse eingestellt werden können, wie z. B. die Information Platform for
Chemical Monitoring (IPCHEM) der EUKommission (https://ipchem.jrc.ec.europa.eu/RDSIdiscovery/ipchem/index.html
[15.9.2019]).
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›Drucksache 19/ 16430
– 118 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
› Nur Maßnahmen an der Quelle (W2, W3, G1a, G2, G3, G4, G5, G6, G7, G8, L3, L4): In dieser Strategie
sind diejenigen Maßnahmen zusammengefasst, mit denen versucht werden soll, Mikroverunreinigungen
von Gewässern durch Arzneimittelrückstände möglichst schon an der Quelle zu vermeiden. Es wird das
Ziel verfolgt, die Verunreinigungen zu beseitigen, bevor sie sich in der Umwelt verteilt haben, und zugleich
damit versucht, das Verursacherprinzip zu stärken.
Einschätzung: In öffentlichen Diskussionen kann man häufiger die Forderung vernehmen, dass Maßnah-
men, die an der Quelle ansetzen, bevorzugt ergriffen werden sollten. Für Mikroverunreinigungen, die nicht
über das Kanalnetz verbreitet werden, trifft dies auch zu. Zumindest für Humanarzneimittel ist aber eine
Vermeidung an der Quelle nicht unbedingt wünschenswert und auch nicht kostengünstiger. Zumal mit der
vierten Reinigungsstufe ein Verfahren zur Verfügung steht, das zwar nicht direkt an der Quelle ansetzt,
aber an einem Bündelungspunkt der Eintragspfade und daher Humanarzneimittel und andere Mikroschad-
stoffeinträge über das Kanalnetz wirksam reduzieren kann.
› Vierte Reinigungsstufe solo (W1): Die vierte Reinigungsstufe ist diejenige Maßnahme, die in der fachöf-
fentlichen und öffentlichen Diskussion am häufigsten genannt wird. Wenn gesellschaftlich entschieden
wird, gegen die derzeitigen Einträge von Arzneimitteln und andere Mikroschadstoffe in die Gewässer vor-
zugehen, so hat die vierte Reinigungsstufe eine Schlüsselfunktion, weil sie
– nicht nur gegen Humanarzneimittelrückstände, sondern gegen eine große Bandbreite von Mikrover-
unreinigungen auf effiziente Weise wirkt,
– die für Humanarzneimittelrückstände mengenmäßig wichtigsten Eintragspfade an einem Bünde-
lungspunkt erfasst,
– erprobt, technisch ausgereift und unmittelbar anwendbar ist und
– es auch schon Vorschläge gibt, wie eine Finanzierung organisiert werden könnte (Gawel et al. 2015)
(Kap. 5.2.1).
In der Ausgestaltung sind weitere wichtige Fragen zu klären, etwa ob nur Kläranlagen der Größenklasse 5
oder auch Anlagen der Größen 4 und 3 aufgerüstet werden sollten.
Einschätzung: Grundsätzlich erscheint die vierte Reinigungsstufe als die wichtigste Einzelmaßnahme die
in einer umfassenden Mikroverunreinigungsstrategie enthalten sein sollte. Falls sie aber zugleich die ein-
zige Maßnahme in der Strategie bleiben sollte, ist Folgendes zu bedenken:
– Einige Stoffe werden nur unzureichend durch eine vierte Reinigungsstufe aus dem Abwasser redu-
ziert. Von verschiedenen Seiten wird daher gefordert, oxidative, adsorptive und physikalische Ver-
fahren bei der Reinigung zu kombinieren, was jedoch die Kosten erhöht.
– Nicht alle wesentlichen Eintragspfade von Pharmakarückständen bzw. Mikroverunreinigungen allge-
mein werden erfasst. Insbesondere Tierarzneimittel gelangen nicht über das Abwasser ins Grundwas-
ser und die Gewässer. Dasselbe gilt für Pflanzenschutzmittel, Korrosionsmittel und viele andere
Mikroverunreinigungen.
– Die Konzentration auf die vierte Reinigungsstufe allein verlagert die Verantwortung weg von den
Akteuren im Gesundheits- und im Landwirtschaftssystem und schwächt das Verursacherprinzip.
› Vierte Reinigungsstufe PLUS (W1, W3, W4, G1b, G4, G5, G6, G7, G8, L1, L2, L3, L4): Den Kern dieser
Strategie bildet ebenfalls die vierte Reinigungsstufe, sie wird aber durch eine Reihe von Maßnahmen er-
gänzt, die versuchen, diejenigen Einträge, die durch die vierte Reinigungsstufe nicht eliminiert werden,
ebenfalls zu reduzieren. Bei der Zusammenstellung dieser Strategie wurde darauf geachtet, dass die Maß-
nahmen über die vierte Reinigungsstufe hinaus nicht noch erhebliche weitere Kosten verursachen und auch
nicht sehr stark in die derzeitigen Strukturen des Gesundheits- oder Landwirtschaftssystem eingreifen. Ab-
weichend davon wurde allerdings noch der Aufbau eines Ökopharmakovigilanzsystems hinzugenommen,
um damit auch ein Frühwarnsystem für noch nicht entdeckte Umweltwirkungen zu integrieren.
Fa
Einschätzung: Diese Strategie würde voraussichtlich die Informationsbasis über negative Umwelt- und
Gesundheitswirkungen von Arzneimittelrückständen im Wasser wesentlich verbessern und damit zukünf-
tige Entscheidungen darüber erleichtern, welche konkreten Minderungsmaßnahmen ergriffen werden soll-
ten. Die Strategie enthält aber gerade keine konkreten Maßnahmen, die die Menge der Arzneimittel in der
Umwelt vermindern. Insofern ist von dieser Strategie keine Trendwende in der Umweltsituation zu erwar-
ten, weshalb sie nicht voll befriedigen kann.Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
Einschätzung: Diese Maßnahmenkombination kommt der Forderung nach, die vierte Reinigungsstufe umzu-
setzen und sie zugleich durch weitere Maßnahmen zu ergänzen, die dort ansetzen, wo die vierte Reinigungs-
stufe nicht greift oder nicht ausreicht. Sie erscheint als die umfassendste Gesamtstrategie gegen Mikrover-
unreinigungen, bei der bereits mittelfristig eine Trendumkehr bei den Belastungen erwartbar ist und daher
dem Vorsorgeprinzip Rechnung getragen wird. Gleichzeitig ist sie jedoch auch die kurzfristig kostenin-
tensivste (hierzu auch Kap. 6.5).
Regulative Maßnahmen (W1, W4, G1, G8, L1, L2, Teile von L4): Diese Strategie beinhaltet zwar auch die
technische Maßnahme der vierten Reinigungsstufe, aber mit ihr wird versucht, in erster Linie die gesetzli-
chen Rahmenbedingungen zu verändern, um damit wichtige Akteurinnen und Akteure der Wasserwirt-
schaft, des Gesundheits- und des Landwirtschaftssystems dazu zu veranlassen, Maßnahmen zu ergreifen,
die jeweils in ihrem Entscheidungsbereich stehen.
Einschätzung: Es wird grundsätzlich als sinnvoll und zielführend erachtet, regulative Maßnahmen zu er-
greifen, weil sie wirksam das Verhalten der relevanten Akteurinnen und Akteure beeinflussen und techni-
sche Maßnahmen anstoßen. Es könnte auch als Vorteil gesehen werden, dass der Staat bei regulativen
Maßnahmen nicht auf die proaktive Mithilfe anderer Akteure angewiesen ist.
Es soll noch einmal betont werden, dass weder die Liste der Maßnahmen in Kapitel 5 noch die hier vorgestellte
Liste von Maßnahmenkombinationen vollständig sind. Die Liste der Maßnahmen ist insbesondere mit Blick auf
Maßnahmen zur konkreten Minderung der Einträge von Arzneimittelreststoffen aus der Landwirtschaft noch
unzureichend (Kap. 5.4). Was die Liste möglicher Kombinationen betrifft, wurde beispielsweise darauf ver-
zichtet, eine Maximalstrategie zu beschreiben, die aus allen denkbaren Maßnahmen besteht.
Insgesamt gilt: Wenn gleichzeitig die Einträge von Arzneimittelrückständen und anderen Mikroverunrei-
nigungen aus unterschiedlichen Quellen vermindert werden sollen, dabei eine hohe Effizienz und Kosteneffizi-
enz erreicht sowie zugleich das Verursacherprinzip gestärkt und die Akzeptanz der Maßnahmen gefördert wer-
den soll, kann das nur durch eine geschickte Kombination der verschiedenen Ansätze erreicht werden. Dabei
können die Schwerpunkte unterschiedlich gesetzt werden, je nachdem, in welcher Ausprägung das Vorsorge-
prinzip umgesetzt werden soll. Die vierte Reinigungsstufe (in welcher Ausgestaltung auch immer) ist sicherlich
zentraler Bestandteil, aber nicht das einzige Element einer sinnvollen, ausgewogenen Strategie zur Verringe-
rung der Risiken durch Arzneimittelrückstände im Wasser.
6.5
Finanzierung einer Strategie gegen Arzneimittelrückstände und andere
Mikroverunreinigungen im Wasser
Die Maßnahmen gegen Arzneimittelrückstände im Wasser oder allgemeiner gegen Mikroverunreinigungen in
der Umwelt verursachen teilweise signifikante Kosten, die allerdings durch den möglichen Nutzen gerechtfer-
tigt sein können.130 Einzelne Maßnahmen sind auch mit geringen Kosten umsetzbar. Gleichwohl stellt sich
immer zugleich auch die Frage der konkreten Finanzierung dieser Aufwendungen. Denn wenn klar ist, welche
Maßnahmen ergriffen werden sollen, gehört zu einer erfolgreichen Implementation der Strategie auch eine Vor-
stellung darüber, wer die Kosten der verschiedenen Maßnahmen zu tragen hat.
Weit vorangeschritten ist die Diskussion um die Finanzierung im Kontext der vierten Reinigungsstufe.
Wie bereits in Kapitel 5 diskutiert, erfordert deren Einführung erhebliche Investitionen. Hillenbrand et al. (2015
u. 2016) schätzen, dass eine Aufrüstung aller Kläranlagen ab Größenklasse 3 ca. 1,3 Mrd. Euro/Jahr kosten
würde. Wenn man diese Kosten auf den m 3 Abwasser bezieht, entspricht das 0,124 Euro/m 3 für Anlagen der
Größenklasse 3 bis 0,051 Euro/m 3 für Anlagen der Größenklasse 5. Die Schweiz hat 2016 die vierte Reini-
gungsstufe bereits an belasteten Gewässern verpflichtend eingeführt. Finanziert wird diese Maßnahme über eine
neu geschaffene Abwasserabgabe (§ 60b GSchG der Schweiz) als reine Finanzierungsabgabe. Die Abgabe be-
lastet alle Einwohner, auch die, die nicht an eine der aufgerüsteten Kläranlagen angeschlossen werden. Für Letz-
tere wird eine Maximalbelastung von 9 Schweizer Franken/Jahr festgelegt. Mit dem Abgabeaufkommen werden
zweckgebunden 75 % der Investitionskosten bezuschusst (Gawel et al. 2015).
Gawel et al. (2015) haben mit ihrem sogenannten Leipziger Modell eine auf die Situation in Deutschland zuge-
schnittenen Vorschlag vorgelegt, der im Kern ebenfalls auf einer Abgabelösung beruht, allerdings die in Deutschland
bereits bestehende Abwasserabgabe als Lenkungsabgabe nutzt, indem deren Aufkommen für die Aufrüstung genutzt
wird. Gawel et al. (2015) schlagen vor, dass für einen Zeitraum von 15 Jahren 75 % der jährlichen Investitionskosten
130 Umgekehrt beeinträchtigt die Unterlassung von Maßnahmen die Umwelt und eventuell auch die Gesundheit von heute lebenden
Menschen und zukünftigen Generationen. Diese Belastungen sind als volkswirtschaftliche Kosten zu betrachten. Eine Abschät-
zung der volkswirtschaftlichen Kosten und Nutzen der verschiedenen Maßnahmen und ihrer Kombinationen kann im Rahmen
dieses Berichts nicht einmal überschlägig vorgenommen werden.
Fa

– 119 –Drucksache 19/ 16430
– 120 –
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

Finanzierungswirkung: Das ist der originäre Zweck von Finanzierungsinstrumenten, nämlich Geld zu be-
schaffen.
› Lenkungswirkung: Die Zahllast übt auf den Zahlungspflichtigen Druck aus, sein Verhalten in der Weise zu än-
dern, dass sie geringer wird. Insofern setzen Finanzierungsinstrumente Anreize, die gezielt genutzt werden kön-
nen, um das Verhalten der Zahlungspflichtigen in eine bestimmte Richtung zu steuern.
› Verteilungswirkung: Weil die Zahllast die Bürgerinnen und Bürger unterschiedlich belastet, haben Finan-
zierungsinstrumente immer auch eine (Um-)Verteilungswirkung.
Darüber hinaus gibt es einige normative Prinzipien, an denen sich die Ausgestaltung der Finanzierung grund-
sätzlich orientieren kann, insbesondere:



Verursacherprinzip: Dass Arzneimittel im Wasser sind, hat viele Ursachen und viele Verursacherinnen und
Verursacher. Das Verursacherprinzip fordert, die verschiedenen Verursacher gemäß ihrem Anteil an der
Finanzierung zu beteiligen. Man kann fragen, wer profitiert von den Arzneimitteln und wer kann Beiträge
zur Minderung ihrer Einträge ins Gewässer leisten. Als (Mit-)Verursacher können dementsprechend sowohl
die Arzneimittelhersteller als auch die Patientinnen und Patienten, an die Mittel verabreicht werden, be-
trachtet werden. Einfluss haben auch die Ärztinnen und Ärzte, die Medikamente verschreiben und aus die-
sen Tätigkeiten ihr Einkommen generieren, also letztendlich auch vom Medikamentenverbrauch profitie-
ren. Bei Tierarzneimitteln können als Verursacher neben den Produzenten, Veterinärinnen und Veterinären,
den Landwirtinnen und Landwirten auch die Verbraucherinnen und Verbraucher angesprochen werden,
weil deren Lebensmittelkonsum letztendlich der Grund für die Tierproduktion ist.
Gemeinlastprinzip: Grundsätzlich ist immer auch eine Möglichkeit, dass der Staat die Finanzierungslast der
Maßnahmen übernimmt. Allerdings entlässt der Staat damit die Verursacherinnen und Verursacher aus ih-
rer Verantwortung, setzt keine Anreize und verteilt die Lasten wenig gerecht. Nicht ohne Grund wird im
Umweltschutz dem Verursacherprinzip daher der Vorzug gegeben.
Umwälzung der Finanzierungslast auf Maßnahmenträger: Unabhängig davon, in welchem Maße der Maß-
nahmenträger das Problem der Arzneimittelrückstände im Wasser mit verursacht hat, kann er durch den
Staat dazu angehalten werden, Maßnahmen auch selbst zu finanzieren – zumindest teilweise. Das könnte
131 Die Bemessung der Abgabe würde aber aus Praktikablitätsgründen wie bisher auf Grundlage der Schadstofffracht vorgenommen,
ohne das Ausmaß der Mikroverunreinigungen zu berücksichtigen (Gawel et al. 2015).
Fa
(Abschreibungen und Zinsen) für die Aufrüstung von Kläranlagen der Größenklasse 5 mit einer vierten Reinigungs-
stufe bezuschusst werden. Finanziert würden diese Zuschüsse aus dem erhöhten Aufkommen einer in ihrer allgemei-
nen Lenkungswirkung in Bezug auf andere Schadstoffe im Gewässer »ertüchtigten« Abwasserabgabe.131 Nach Ein-
schätzungen von Gawel et al. (2015) wären die Belastungen für Abgabeschuldner wie Gebührenzahler verhältnismä-
ßig. Begleitet werden müsste diese Abgabe durch eine Anpassung des Ordnungsrechts hinsichtlich der Anforderun-
gen an eine Elimination von Mikroverunreinigungen, etwa durch eine Anpassung des Stands der Technik in der
AbwV, weil die Zuschüsse nur einen Teil der Kosten abdecken sollen und deshalb als Eigenanreiz nicht ausreichen
würden.
Für die wichtige Maßnahme der vierten Reinigungsstufe gibt es also sowohl Kostenschätzungen als auch
konkrete Finanzierungsvorschläge. Für viele der anderen in Kapitel 5 diskutierten Maßnahmen liegen hingegen
noch nicht einmal grobe Kostenvoranschläge vor. Insofern ist es derzeit auch nicht möglich, einigermaßen ver-
lässliche Hochrechnungen für die Gesamtkosten der verschiedenen Maßnahmenkombinationen zu geben. Das
Beispiel der vierten Reinigungsstufe weckt aber die Hoffnung, dass auch andere aufwändige Maßnahmen fi-
nanziert werden können, wenn ein politischer Wille zur Durchführung besteht. Wegen der ungenügenden In-
formationsbasis wird davon abgesehen, im Folgenden konkrete Finanzierungsszenarien zu diskutieren, sondern
es werden lediglich einige Leitlinien vorgestellt, an denen sich ein Finanzierungskonzept ausrichten kann.
Grundsätzlich ist es eine Aufgabe des Staates, für den Problembereich Arzneimittel in Gewässern Vorkeh-
rungen zu treffen. Darunter fällt auch die Schaffung von Regelungen, welche die Durchführung von Maßnah-
men und deren Finanzierung betreffen. Das bedeutet, dass der Staat einem Maßnahmenträger eine Handlungs-
pflicht auferlegen kann und damit zugleich die Verantwortung für deren Finanzierung weitergibt.
Bei der Beurteilung von Finanzierungsinstrumenten ist zu bedenken, dass sie typischerweise drei Arten
von Wirkungen haben, die es zu beachten gilt:Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Drucksache 19/ 16430
geschehen, etwa weil es die volkswirtschaftlich kostengünstigste Verfahrensweise ist, die Durchführung so
am leichtesten durchsetzbar ist oder der Staatshaushalt geschont werden soll.
Erschwinglichkeit: Bei der Aufbürdung von Kosten und Zahllasten auf private Haushalte, Unternehmen,
aber auch Kommunen sollte deren finanzielle Belastbarkeit in Betracht gezogen werden.
Wenn Maßnahmen staatlich finanziert werden sollen, so sind verschiedene spezifische Quellen für die Refinan-
zierung denkbar, die in der Literatur bereits diskutiert wurden. Einige wichtige davon sind:




Allgemeine Haushaltsmittel: Die Mittel für Maßnahmen können dem allgemeinen Staatshaushalt entnom-
men werden. Der Haushalt speist sich hauptsächlich aus Steuern, aber auch teilweise aus verschiedenen
anderen Einnahmen, wie etwa Unternehmensbeteiligungen des Staates. Wenn die Maßnahmen aus öffent-
lichen Mitteln finanziert werden, stehen sie allerdings in Konkurrenz zu vielen anderen Verwendungsmög-
lichkeiten und hängen zudem von der jeweiligen Kassenlage ab. Ein Bezug zu den Verursacherinnen und
Verursachern würde nicht hergestellt und es würden auch keine Anreize für Verhaltensänderungen gesetzt
(Gawel/Fischer 2017).
Gebühren: Gebühren sind Entgelte für konkrete staatliche oder kommunale Leistungen. Beispielsweise sind
Abwassergebühren das traditionelle Finanzierungsinstrument für die Beseitigung von Gewässerverunreini-
gungen durch Kläranlagen. In der Regel werden zur Berechnung der Gebühren pauschalierte Gebührensätze
verwendet. Die Erhebung von Gebühren muss nicht damit begründet werden, dass die Leistungen dem Ver-
pflichtenden wirtschaftliche Vorteile einbringen. Jemand kann auch zur Gebührenzahlung verpflichtet wer-
den, wenn er oder sie die Leistungserbringung notwendig macht, weil er oder sie sie mit verursacht hat
(Gawel/Fischer 2017).
Abwasserabgabe: Diese Abgabe wird bei denjenigen erhoben, die schädliche Abwässer unmittelbar in ein
Gewässer einleiten, also von Kommunen, Abwasserzweckverbänden, Industrie- und Gewerbebetrieben,
soweit diese direkt einleiten. Das Aufkommen der Abwasserabgabe ist zweckgebunden. Das heißt, es muss
für Maßnahmen verwendet werden, die der Erhaltung oder Verbesserung der Gewässergüte dienen. Die
Höhe des Abgabebetrages richtet sich nach der Schädlichkeit des eingeleiteten Abwassers, gemessen durch
die sogenannte Schmutzfracht. Wie bereits am Beispiel der vierten Reinigungsstufe erläutert, könnte das
Instrument der Abwasserabgabe im Rahmen einer Mikroschadstoffpolitik gezielt weiterentwickelt werden.
Auf diese Weise könnte die Lenkungswirkung der Abgabe in diesem Problembereich verbessert werden,
und es könnte in diesem Zuge auch das Abgabenaufkommen vergrößert werden. Gegenüber einer Steuer-
lösung würden hierdurch spezifisch die Verursacherinnen und Verursachern belastet werden. Neben einer
vierten Reinigungsstufe ließen sich auch andere Maßnahmen gegen Mikroverunreinigungen auf diese
Weise finanzieren.
Abgabe auf Arzneimittel: Infrage kommen grundsätzlich auch Abgaben, die vor der eigentlichen Abwas-
serentstehung ansetzen, etwa im Bereich des Arzneimittelsektors. Gawel et al. (2017) kommen im Rahmen
einer Studie zu dem Ergebnis, dass eine z. B. als Verbrauchssteuer erhobene Arzneimittelabgabe ökono-
misch sinnvoll und rechtlich zulässig wäre, um den Arzneimittelsektor, vor allem die Hersteller als Mitver-
ursacher in die Kostenverantwortung zu nehmen. Anders als Abwassergebühren und die Abwasserabgabe
wird bei einer Arzneimittelabgabe die einseitige Belastung derjenigen Abwassereinleiter vermieden, die an
eine entsprechende Kläranlage angeschlossen sind. Insbesondere könnten durch sie auch die für Tierarz-
neimittel typischen, nicht über Kläranlagen führenden Eintragswege erfasst werden und auf die Tierhalter
eine gewisse Lenkungswirkung ausüben (Gawel et al. 2017).
Diese – sicher wohl unvollständige – Darstellung von Finanzierungsinstrumenten für Maßnahmen soll verdeut-
lichen, dass es bereits verschiedene Ansatzpunkte und Elemente für die Finanzierung einer Strategie zur Ver-
ringerung von Arzneimittelreststoffen und Mikroverunreinigungen im Wasser gibt.
Fa

– 121 –


Drucksache 19/ 16430
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Fazit
In zunehmendem Maße werden die Reststoffe und Abbauprodukte von Medikamenten zur Behandlung von
Menschen und Tieren im Abwasser, in Flüssen und Seen und sogar im Grundwasser und im Rohwasser von
Trinkwassergewinnungsanlagen nachgewiesen. Das liegt teilweise an den verbesserten Analysemethoden, teil-
weise aber auch an den steigenden Verbrauchsmengen von Arzneimitteln. Es ist zu erwarten, dass einige Stoffe
erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten im Grundwasser nachweisbar sein werden, weil die Transportgeschwin-
digkeiten dorthin so langsam sind.
Pharmakologische Stoffe sind typischerweise physiologisch hoch wirksam. Bisher ist nicht festgestellt
worden, dass durch ihre Anwesenheit in Gewässern die Gesundheit von Menschen in Deutschland akut gefähr-
det wird. Allerdings wurden bereits ökotoxische Wirkungen – also Wirkungen auf Lebewesen und Lebensge-
meinschaften – für etliche Arzneistoffe im Labor nachgewiesen und es wurden sogar in Feldstudien negative
Wirkungen von Mikroschadstoffgemischen auf aquatische Lebensgemeinschaften beobachtet.
Tatsächlich gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die verhindern sollen, dass Arzneimittel in die Umwelt
gelangen, oder den Austrag zumindest verringern. Die Bandbreite reicht von Informationsmaßnahmen für Pa-
tientinnen und Patienten sowie Verbraucherinnen und Verbraucher über Maßnahmen zur Verbesserung der
Wissensbasis über Umweltwirkungen und Verbesserungen des Zulassungsprozesses von Arzneimitteln bis hin
zu technischen Maßnahmen zur Verringerung der Einträge von Arzneimittelrückständen in Gewässer. Eine
zentrale Rolle spielt dabei der Ausbau von Kläranlagen, insbesondere der Größenklasse 3 bis 5, mit einer vierten
Reinigungsstufe. Auf diese Weise kann der wichtigste Eintragspfad für Humanarzneimittelrückstände effektiv
abdeckt und es können darüber hinaus auch weitere Mikroverunreinigungen eliminiert werden.
Wenn aus Überlegungen der Vorsorge heraus der politische Wille entsteht, gegen Arzneimittelrückstände in der
Umwelt vorzugehen, so wäre es sinnvoll, die Maßnahmen nicht isoliert umzusetzen, sondern sie in eine umfassende
Strategie zur Verringerung von Mikroverunreinigungen einzubetten. Die vierte Reinigungsstufe wird dabei ein wich-
tiger Pfeiler sein, sollte aber durch weitere Maßnahmen ergänzt werden, damit auch andere Eintragspfade (insbeson-
dere von Tierarzneimitteln) und andere Stoffe (wie z. B. Röntgenkontrastmittel), die durch die vierte Reinigungsstufe
nicht ausreichend entfernt werden können, ebenfalls erfasst werden. Wünschenswert wäre es auch, Maßnahmen zu
integrieren, die die Bemühungen um Eintragsreduktion unterstützen, wie z. B. die Einführung einer einheitlich gere-
gelten, sicheren Entsorgung von Medikamentenresten, oder von Maßnahmen, die daneben weitere positive Effekte
haben, wie z. B. die Vermeidung des Arzneimittelbedarfs durch verbesserte Gesundheitsförderung und Krankheits-
prävention.
An einer umfassenden Mikroschadstoffstrategie sind viele verschiedene Akteurinnen und Akteure zu be-
teiligen. Verantwortung können und sollten dabei diejenigen tragen, die beruflich mit der Gesundheitsförderung
betraut sind (Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker, Pflegekräfte) oder mit Tieren beschäftigt sind
(Landwirtinnen und Landwirte, Veterinärinnen und Veterinäre). Aber auch Patientinnen und Patienten, private
Tierhalterinnen und -halter sowie Nahrungsmittelverbraucherinnen und -verbraucher – also letztlich alle Bür-
gerinnen und Bürger – können Beiträge leisten, indem sie auf den sorgsamen Umgang mit Medikamenten ach-
ten. Impulse können von der Pharmaindustrie, der Nahrungsmittelindustrie, aber auch von Wasserversorgern
und Abwasserentsorgern ausgehen. Eine besonders wichtige Rolle spielt aber die Politik, insbesondere die Bun-
despolitik, denn hier werden die rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen gesetzt. Der Anstoß für
eine Mikroschadstoffstrategie ist bereits aus dem BMU gekommen. Es gilt nun, dass dieser Impuls von den ver-
schiedenen politischen Akteurinnen und Akteuren aufgegriffen und in entsprechende rechtliche Regelungen um-
gesetzt und durch geeignete administrative Maßnahmen begleitet wird. Schließlich sollte auch die EU-Kommis-
sion ihrer Verpflichtung aus der Richtlinie 2013/39/EU nachkommen und »einen strategischen Ansatz gegen
die Verschmutzung von Gewässern durch pharmazeutische Stoffe« entwickeln.
Im Lichte des Vorsorgeprinzips ist zu entscheiden, inwieweit bereits heute Maßnahmen zur Verringerung
der Einträge ergriffen werden sollten. Steigende Verbrauchsmengen von Arzneimitteln sowie wachsende Kon-
zentrationen von Arzneimittelrückständen im Wasser und sich verdichtende Hinweise auf schädliche Wirkun-
gen sind Argumente dafür, nicht nur intensiver und systematischer Informationen über die Rückstände und ihre
Wirkungen zu sammeln, sondern auch zeitnahe Minderungs- und Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen. Das
Ringen um die richtige Maßnahmenkombination sollte nicht auf die Frage reduziert werden, in welchem Um-
fang Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe zu ergänzen sind. Auch wenn die vierte Reinigungsstufe
eine erprobte, wirksame und wohl auch finanzierbare technische Minderungsmaßnahme darstellt, so sind ins-
besondere Informationsmaßnahmen und Maßnahmen, die den Eintrag von Tierarzneimitteln in Böden und Ge-
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Re: Arzneimittelrückstände in Trinkwasser
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Anhang
8.1 Abbildungen
Abb. 2.1
Drucksache 19/ 16430
Meistverbrauchte Arzneistoffe im Humanarzneimittelbereich 2012
(Verbrauch über 80 t/Jahr) 22
Meistverbrauchte Arzneistoffe im Humanarzneimittelbereich 1999
(Verbrauch über 80 t/Jahr) 23
Kassenärztliche Verordnungen und Umsatz 1995 bis 2014;
ab 2002 auch Nettokosten im Fertigarzneimittelmarkt der gesetzlichen
Krankenversicherungen (ab 2001 mit neuem Warenkorb) 25
Entwicklung des Verordnungsvolumens nach definierten Tagesdosen
für den Gesamtmarkt, Generikamarkt und patentgeschützte Arzneimittel 25
Arzneimittelverbrauch in definierte Tagesdosen (DDD) pro Jahr nach
Altersgruppen (Vergleich 2009, 2010, 2013) 26
Abb. 2.6 Veränderung der Verkaufsmengen ausgewählter Arzneistoffe 27
Abb. 2.7 Umsätze auf dem Tierarzneimittelmarkt in Deutschland 2017 28
Abb. 2.8 Umsätze auf dem Tierarzneimittelmarkt in Deutschland aufgeteilt auf
den Marktanteil der Nutztiere und Heimtiere 29
Abb. 2.9 Veränderung der Umsätze für Tierarzneimittel in Deutschland 32
Abb. 2.10 Haupteintragswege für Tier- und Humanarzneimittel 33
Abb. 2.11 Maximal-, 90-Perzentil- und Mediankonzentrationen von Arzneistoffen,
bestimmt in 202 Kläranlagenabläufen 36
Anzahl der Wirkstoffe, die in bestimmten Konzentrationsbereichen in
den aufgeführten wässrigen Kompartimenten gefunden wurden 37
Schematischer Ablauf der Umweltrisikobewertung bei der Zulassung
eines Arzneimittels 44
Abb. 3.2 Wirkkonzentrationen von Arzneimitteln in biologischen Endpunkten 55
Abb. 4.1 Artikel zu Arzneimittelrückständen und Spurenstoffen im Wasser in der
deutschen Presse (Artikel pro Jahr) 75
Thematische Aufhänger der Berichterstattung über
Arzneimittelrückstände im Wasser 76
Abb. 5.1 Verfahren zur Spurenstoffelimination 82
Abb. 5.2 Einfluss der Ozondosis auf die Elimination ausgewählter
Mikroverunreinigungen 84
Spurenstoffentnahme bei unterschiedlichen Dosiermengen in einer
Pulveraktivkohlereinigungsstufe mit nachgeschalteter Filtration im
Klärwerk Mannheim 85
Elimination von Spurenstoffen mit Pulveraktivkohle und Ozon 86
Abb. 2.2
Abb. 2.3
Abb. 2.4
Abb. 2.5
Abb. 2.12
Abb. 3.1
Abb. 4.2
Abb. 5.3
Abb. 5.4
8.2
Tab. 2.1
Tab. 2.2
Tab. 2.3
Tab. 5.1
Tabellen
Anzahl der kassenärztlichen Verordnungen und der definierten
Tagesdosen nach Arzneimittelgruppen 2015 20
Vergleich der Abgabemengen der Wirkstoffklassen von Antibiotika
2011 bis 2016 30
Schätzungen zum Gesamtverbrauch von Tierarzneimitteln und zu
Verbräuchen in der Intensivtierhaltung 31
Spezifische Kosten und berechnete Jahreskosten für einen flächen-
deckenden Ausbau der vierten Reinigungsstufe in Deutschland ab
Größenklasse 3 88
Fa
8
– 139 –Drucksache 19/ 16430
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Aktualisierte Jahreskosten in Euro für einen flächendeckenden Ausbau
der vierten Reinigungsstufe in Deutschland ab Größenklasse 3
differenziert nach Behandlungsmethode
89
Fa
Tab. 5.2
– 140 –
[*/quote*]
Logged
REVOLUTION!
Pages: [1]