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EDITORIAL
Rote Karte für Textklauer!
• Redakteur R. interessiert sich für Bücher. Er schreibt oft Rezensionen, und eitel wie jeder richtige Redakteur prüft er nach, ob und wie sich die Rezension auf den Verkaufserfolg ausgewirkt hat. Dazu eigne sich Amazon.de, glaubt er, denn auf der Netzseite dieses Bücheranbieters kann man den Verkaufsrang ablesen: Je niedriger der Rang, desto besser der Verkauf. Der Bestseller hat Rang 1.
Redakteur K. hingegen, der ebenfalls fleißig Rezensionen schreibt, bezweifelt, dass eine derartige Beeinflussung von Verkaufszahlen möglich ist. Seine Überlegung: Selbst wenn sich fünf Prozent aller Laborjournal-Leser nach einer enthusiastischen Rezension das besprochene Buch kaufen würden - davon ein Drittel bei Amazon -, so wären das nur etwa fünfhundert zusätzliche Buchkäufe, verteilt auf vier Wochen (so. lange ist eine Laborjournal-Ausgabe aktuell). Das Amazon-Ranking wird allerdings täglich neu berechnet. Ob achtzehn pro Tag zusätzlich gekaufte Bücher den Amazon-Rang nennenwert beeinflussen können? K. glaubt das nicht.
Wie auch immer - R. surfte also neulich wieder mal zu Amazon.de und stieß zufällig auf das Buch „Expeditionen ins Reich der Seuchen" von Johannes Grüntzig und Heinz Mehlhorn. Weil ihm das Buch einmal imponiert hatte, schaute er sich die Seite genauer an. Außer ihm schien es nicht vielen imponiert zu haben, denn der Verkaufsrang lag jenseits der 126.000. Woran lag das? Er scrollte auf der Seite nach unten, um die Rezensionen zu lesen (bei Amazon dürfen die Leser die Bücher rezensieren). Die „Expeditionen" hatten drei Leser rezensiert, die ausführlichste stammte von einer gewissen Petra Schale, genannt „Labormäuschen" aus Heidelberg. R. begann zu lesen.
„Donnerwetter, das ist aber gut geschrieben!", dachte er und „Jawohl, ganz meine Meinung!". Dann stutzte er. „Keine mir bekannte Verbindung zum KZ-Arzt Sigmund Rascher" stand da. „Den Rascher kennt die auch, den kennt doch sonst kein Schwein", wunderte sich R. und „In den 70er Jahren war die in Bagamoyo/Ostafrika! Da war ich ja auch".
Mit einem Mal dämmerte ihm, daß er irgendwann selber eine Rezension zu „Expeditionen ins Reich der Seuchen" geschrieben hatte. Er durchsuchte das Laborjournal-Archiv. Tatsächlich: In Laborjournal 05/2005 auf Seite 69 fand er seine Rezension und sie war identisch mit der von dem Labormäuschen Petra. Offensichtlich hatte Frau Schale R.s Text aus unserem Online-Archiv im „Copy und paste"-Verfahren geklaut und bei Amazon.de als eigene Rezension ausgegeben. Dabei hatte sie sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Zwischenüberschriften zu streichen.
Bei den Amazon-Rezensionen gibt es die Funktion „alle meine Rezensionen ansehen", und es stellte sich heraus, dass
Laborjournal 00/2007
„Labormäuschen" schon 153 Renzensionen „geschrieben" hatte. Die meisten stammen aus dem Laborjournal-Archiv, alle im „Kopiere-und-Klebe"-Verfahren geklaut. Geklaut nicht nur von R., sondern auch von all unseren anderen festangestellten und freiberuflichen Rezensenten der vergangenen Jahre.
Kollege K. regte sich auf: „Frechheit, so benimmt sich kein erwachsener Mensch!", und erwog ernsthaft, die Heidelberger Dame wegen Urheberrechtsverletzung anzuzeigen, sie mit Schadenersatzklagen in den Ruin zu treiben oder ihr zumindest am Telefon gehörig die Meinung zu geigen.
R. dagegen zeigte sich bedrückt. Dies nicht wegen des Gedankenklaus, der schmeichelte eher seiner Eitelkeit, sondern wegen der Tatsache, dass das Labormäuschen Schale trotz seiner intensiven „Kopiere-und-Klebe"-Aktivitäten in Amazons Rezensenten-Ranking schlecht abschnitt. Die meisten der geklauten Rezensionen erhielten nur eine einzige „Hilfreich"-Wertung eines Kunden und es darf vermutet werden, dass dieser Kunde Frau Schale selber ist. Daher, so mutmaßte R., stehe Frau Schale und somit gewissermaßen die gesamte Laborjournal-Rezensentenschar beim Amazon-Rezensenten-Ranking nur auf Rang 48.000. Ob das nicht traurig sei?
„Nein", sagte Kollege K. „Das liegt schlicht daran, dass diese Dame „ihre" (sprich: unsere) Rezensionen erst vor kurzem bei Amazon eingestellt hat. Es haben eben bisher nur sehr wenige Amazon-Leser diese Rezensionen entdeckt und beurteilt." Zudem könne man es auch so sehen: „l von l Kunden fanden die folgende Rezension hilfreich" bedeute ja, dass 100 % - also alle eine Wertung abgebende - Amazon-Leser die Laborjournal-Buchrezensionen „hilfreich" finden.
Kollege R. zog getröstet von dannen.
Dennoch: Sie werden verstehen, daß wir auf „Petra Schale" aus Heidelberg gar nicht gut zu sprechen sind. Leider ist sie vorerst nicht greifbar, denn Petra Schale kommt wohl von Petrischale, ist also ein Deckname. Jedenfalls ist in keinem Heidelberger Institut eine Ratte - Entschuldigung, ein Mäuschen - namens Petra Schale tätig. Übrigens: Geld bekommt man bei Amazon.de nicht für's Rezensieren, nicht einmal freie Rezensionsexemplare. Frau Schale klaut also für die Ehre, für eine virtuelle Ehre gewissermaßen. Passenderweise ist sie auch begeisterte Änhängerin von „Second Life", schreibt sie auf ihrer privaten Amazon-Website. Redakteur K. plant, nun ebenfalls eine Existenz in „Second Life" aufzubauen, Frau Schale dort aufzuspüren und dann ...
„Second Life" kann eine ganz schön brutale Welt sein, haben wir neulich irgendwo gelesen.
Die Redaktion
•j
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