https://files.aerztekammer-bw.de/7e75d937a406dfc3/3dab2d59f5d1/2024_02_06_SM_VHP-Streichung-ZWB-Homoeopathie.pdfVerhältnismäßigkeitsprüfung gem. §§ 9a ff HBKG
betr. Streichung der Zusatzweiterbildung Homöopathie
aus der Weiterbildungsordnung
der Landesärztekammer Baden-Württemberg (LÄK BW)
A.
Vorbemerkung
Ablaufplan
Im Juli 2022 hat die Vertreterversammlung der Landesärztekammer mit deutlicher
Mehrheit dafür gestimmt, dass in Baden-Württemberg die Zusatzbezeichnung
Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung gestrichen werden soll. Bevor diese
Änderung in Kraft treten kann, ist zunächst eine Verhältnismäßigkeitsprüfung
durchzuführen, s.u. C)
Die Verhältnismäßigkeitsprüfung geht zurück auf europäische Vorschriften, die
mittlerweile in Baden-Württemberg im Heilberufe-Kammergesetz in geltendes
Landesrecht umgesetzt wurden. Diese Vorschriften verpflichten die Ärztekammer,
bei der Einführung, Änderung oder Abschaffung von Vorschriften, die die
Berufsausübung betreffen, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu prüfen, das
heißt im konkreten Fall für den Arztberuf: für Maßnahmen, die die Aufnahme oder
Ausübung des Berufs oder eine bestimmte Art seiner Ausübung beschränken,
einschließlich des Führens einer Berufsbezeichnung und der im Rahmen dieser
Berufsbezeichnung erlaubten beruflichen Tätigkeiten, ist (zusammengefasst)
darzulegen, dass sie einen legitimen öffentlichen Zweck verfolgen und überdies
geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn („angemessen“) sind.
Die Landesärztekammer veröffentlicht die am 23.07.2022 beschlossene und
vom 8.8.2022 bis 5.9.2022 bereits veröffentlichte, geplante Satzungsänderung
nun zusammen mit der nachfolgenden Verhältnismäßigkeitsprüfung für 21
Tage auf ihrer Website.
Die Kammer dankt für die bereits eingegangenen zahlreichen Rückmeldungen zu
dieser geplanten Satzungsänderung.
Es ist geplant, am 27. März 2024 eine öffentliche Anhörung durchzuführen.
1
Eine abschließende Befassung der Vertreterversammlung der Landesärztekammer
Baden-Württemberg ist für den 20.07.2024 vorgesehen.
Vertreterversammlung am 20.11.2021
Antrag an den Vorstand überwiesen
Vertreterversammlung am 23.07.2022
Befassung der Vertreterversammlung
Abschaffung Zusatzweiterbbildung
Beteiligungsverfahren
08.08.2022 - 05.09.2022
Auswertung der Stellungnahmen
Vorbereitung der Begründung
Beteiligungsverfahren (Fortsetzung)
08.02.2024 - 29.02.2024
Öffentliche Anhörung
27.03.2024
Vertreterversammlung am 20.07.2024
Beschlussfassung
2
B.
Allgemeine Informationen
1. Was beinhaltet die Zusatzbezeichnung, die abgeschafft werden soll?
Ärztinnen und Ärzte können nach ihrer Ausbildung, die mit dem Erhalt der
Approbation abgeschlossen wird, im Rahmen der Weiterbildung ihren
Kenntniserwerb vertiefen und sich spezialisieren. Dazu stehen nach der geltenden
Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg verschiedene
Spezialisierungsstufen zur Verfügung.
Eine abgeschlossene Weiterbildung in einem Gebiet führt zu einer
Facharztanerkennung, beispielsweise „Fachärztin bzw. Facharzt für Chirurgie“. In
manchen Gebieten ist vorgesehen, dass auf die Gebietsweiterbildung aufbauend
noch eine Spezialisierung im Schwerpunkt erfolgen kann, beispielsweise Radiologie,
Schwerpunkt Neuroradiologie.
Mit dem Erwerb von Zusatzbezeichnungen können Ärztinnen und Ärzte zusätzliche
Kenntnisse zu ihrer Facharztanerkennung erwerben. Der Erwerb einer
Zusatzbezeichnung setzt die erfolgreiche Absolvierung einer Prüfung bei der
Ärztekammer voraus. Ärztinnen und Ärzte können eine erworbene
Zusatzbezeichnung gegenüber dem Publikum „ankündigen“.
Zusatzbezeichnungen sind spezielle Qualifikationen, die Fachärztinnen und -ärzte in
zahlreichen (in der Weiterbildungsordnung festgelegten) Bereichen erwerben
können, beispielsweise Betriebsmedizin, Diabetologie, Intensivmedizin,
Handchirurgie oder Geriatrie. Sie stellen jedoch keine Voraussetzung für Diagnostik
und Therapie etc. in diesen Bereichen dar.
Die Ärztekammer hat in ihrer Weiterbildungsordnung für den Erwerb der
Zusatzweiterbildung Homöopathie folgende Voraussetzungen geregelt:
• Facharztanerkennung in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung
• 240 Stunden Kursweiterbildung
• 100 Stunden Fallseminare oder 6 Monate Weiterbildung.
3
Zu den satzungsrechtlich definierten Weiterbildungsinhalten gehört unter anderem
das Erlernen einer homöopathischen Anamnese, die Begleitung von Patienten sowie
die Dosierung und Potenzwahl homöopathischer Arzneimittel.
2. Ist es richtig, dass in vielen anderen Bundesländern diese
Zusatzbezeichnung bereits abgeschafft wurde?
Bisher haben 14 von 17 Landesärztekammern die Zusatzweiterbildung Homöopathie
aus ihren Weiterbildungsordnungen gestrichen. Der 126. Deutsche Ärztetag hatte
Ende Mai 2022 beschlossen, die Zusatzbezeichnung Homöopathie aus der Muster-
Weiterbildungsordnung (MWBO) der Ärzte zu streichen. In Baden-Württemberg,
Sachsen und Rheinland-Pfalz ist die Zusatzweiterbildung Homöopathie noch
Bestandteil der ärztlichen Weiterbildungsordnung.
3.
Wie ist zu erkennen, dass Ärztinnen und Ärzte sich in homöopathischen
Behandlungsmethoden auskennen?
Ärztinnen und Ärzte, die die Zusatzweiterbildung Homöopathie erworben haben,
dürfen sie behalten und auch weiterführen. Führen heißt, gegenüber dem Publikum
als Zusatzweiterbildung ankündigen (also bekanntgeben), beispielsweise auf dem
Praxisschild oder im Internetauftritt.
Wenn der Erwerb einer Zusatzweiterbildung Homöopathie nicht mehr möglich ist,
können Ärztinnen und Ärzte, die sich in der Homöopathie fortgebildet haben, dies
entweder in die Ankündigung ihres Leistungsspektrums aufnehmen oder die
Ausrichtung ihrer Praxis mit der Ankündigung eines sogenannten
Tätigkeitsschwerpunktes charakterisieren. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass
keine irreführenden Angaben gemacht werden dürfen.
4. Dürfen Ärztinnen und Ärzte nach Streichung der Zusatzweiterbildung
Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung Patientinnen und Patienten
dennoch homöopathisch behandeln?
Ja. Die Anwendung homöopathischer Anamnese, Diagnostik und Therapie ist
weiterhin aufgrund der Freiheit der Berufsausübung erlaubt.
Die Frage der Kostenerstattung durch die Krankenkassen ist von der Beschlusslage
der Ärztekammer zu trennen.
4
5.
Wird die homöopathische Behandlung (weiterhin) von meiner
Krankenkasse bezahlt?
Da die Anwendung homöopathischer Anamnese, Diagnostik und Therapie weiterhin
erlaubt ist, können/dürfen die Krankenkassen auch weiterhin die Kosten
übernehmen, soweit sie dies in ihren Satzungen vorsehen. Inwiefern sich eine
Abschaffung der Zusatzweiterbildung auf die tatsächliche Kostenübernahme
auswirkt, ist ausschließlich von den Kostenträgern zu entscheiden.
6. Werden homöopathische Mittel nach der Streichung der
Zusatzweiterbildung weiter in Apotheken angeboten?
Da die Anwendung homöopathischer Anamnese, Diagnostik und Therapie weiterhin
erlaubt ist, können/dürfen Apotheken auch weiterhin homöopathische Mittel
verkaufen.
5
C.
1.Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß § 9 a Heilberufe-Kammergesetz
Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/36 EG
Artikel 2 Absatz 1
•
Der Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/36 EG ist eröffnet.
Gemäß Artikel 2 der Richtlinie 2018/958/EG („Verhältnismäßigkeitsrichtlinie“) gilt
die Richtlinie für die unter die Richtlinie 2005/36/EG fallenden Rechts- und
Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Aufnahme oder Ausübung
eines Berufes oder einer bestimmten Art der Ausübung beschränken,
einschließlich des Führens einer Berufsbezeichnung und der im Rahmen dieser
Berufsbezeichnung erlaubten beruflichen Tätigkeiten. Gemäß Artikel 3 Absatz 1
Buchstaben a und b der Richtlinie 2005/36 EG gelten für die Zwecke dieser
Richtlinie folgende Begriffsbestimmungen:
a) „reglementierter Beruf“ ist eine berufliche Tätigkeit oder eine Gruppe
beruflicher Tätigkeiten, bei der die Aufnahme oder Ausübung oder eine der
Arten der Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- und
Verwaltungsvorschriften an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen
gebunden ist; eine Art der Ausübung ist insbesondere die Führung einer
Berufsbezeichnung, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auf
Personen beschränkt ist, die über eine bestimmte Berufsqualifikation
verfügen. Trifft Satz 1 dieser Begriffsbestimmung nicht zu, so wird ein unter
Absatz 2 fallender Beruf als reglementierter Beruf behandelt;
b) „Berufsqualifikationen“ sind die Qualifikationen, die durch einen
Ausbildungsnachweis, einen Befähigungsnachweis nach Artikel 11 Buchstabe
a Ziffer i und/oder Berufserfahrung nachgewiesen werden.
Gemäß Artikel 3 Satz 2 der Verhältnismäßigkeitsrichtlinie bezeichnet der
Begriff „Geschützte Berufsbezeichnung“ eine Form der Reglementierung
eines Berufs, bei der die Verwendung einer Bezeichnung bei der Ausübung
einer beruflichen Tätigkeit oder einer Gruppe von beruflichen Tätigkeiten
aufgrund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften unmittelbar oder mittelbar
dem Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation unterliegt und bei einer
6
missbräuchlichen Verwendung dieser Bezeichnung Sanktionen verhängt
werden.
Die missbräuchliche Verwendung einer Zusatzbezeichnung nach der
Weiterbildungsordnung kann nach der Berufsordnung der
Landesärztekammer sanktioniert werden.
•
Mit der vorgesehenen Streichung der Zusatzweiterbildung Homöopathie aus
der Weiterbildungsordnung (WBO) der LÄK BW entfällt die Möglichkeit, künftig
– nach dem Ablauf von Übergangsbestimmungen – diese Zusatzweiterbildung
erwerben und anschließend die entsprechende Zusatzbezeichnung führen zu
können. Ärztinnen und Ärzte, die die Zusatzweiterbildung Homöopathie in der
Vergangenheit erworben haben, können diese jedoch weiterführen, weil sie
durch die Zusatzweiterbildung das Recht zur Führung dieser
Zusatzbezeichnung erworben haben; es kann ihnen nach allgemeinen
Rechtsgrundsätzen nicht nachträglich genommen werden
(s. auch unten Ziffer 3).
•
Es entfällt künftig die Möglichkeit, eine führbare Qualifikation nach der
Weiterbildungsordnung zu erwerben. Zugleich wird die Möglichkeit in der
beruflichen Außendarstellung eingeschränkt.
Von der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch eine Zusatzbezeichnung
dem Arzt einen besonderen Patientenkreis zuführt und ihm damit besondere
wirtschaftliche Chancen eröffnet (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 9.3.2000, Az. 1 BvR 1632/97 (juris), Urteil Bundesverwaltungsgericht vom
11.1.2022, 3 BN 6/21, GesR 22, 324, Rn. 12).
Mit einer Streichung der Zusatzweiterbildung aus der WBO wird die
Berufsausübung von Ärztinnen und Ärzten im Verhältnis zum bisher geltenden
Recht in Baden-Württemberg somit beschränkt.
•
Mit der Änderung der WBO werden keine spezifischen Anforderungen an die
Reglementierung eines bestimmten Berufs umgesetzt, die in einem
gesonderten Rechtsakt der Union festgelegt sind, bei dem die Wahl der
genauen Art und Weise ihrer Umsetzung den Mitgliedstaaten nicht überlassen
bleibt.
7
2.Nichtdiskriminierung
Artikel 5
Die Streichung der Zusatzweiterbildung Homöopathie aus der WBO der LÄK BW
betrifft die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit durch Inländer und EU-Ausländer
gleichermaßen. Sie stellt somit weder eine direkte noch eine indirekte
Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes dar.
3.Rechtfertigung durch Ziele des Allgemeininteresses
Artikel 6 Absätze 1 und 2, Erwägungsgrund 17; Artikel 7, Erwägungsgrund 30
Legitime Ziele des Allgemeininteresses sind gem. Artikel 6 Absatz 2
Verhältnismäßigkeitsrichtlinie u.a. die öffentliche Sicherheit, die öffentliche
Gesundheit oder sonstige zwingende Ziele des Allgemeininteresses.
Die Streichung der Zusatzweiterbildung Homöopathie aus der WBO der LÄK BW ist
durch „sonstige zwingende Ziele des Allgemeininteresses“ und das Ziel der
öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt.
Sonstige zwingende Ziele des Allgemeininteresses:
Der 124. Deutsche Ärztetag 2022 in Bremen hat beschlossen, die
Zusatzweiterbildung Homöopathie aus der Muster-Weiterbildungsordnung zu
streichen. Die Muster-Weiterbildungsordnung ist, anders als die
Weiterbildungsordnungen der Ärztekammern in den Ländern, keine Rechtsnorm,
sondern eine Empfehlung an die Ärztekammern in den Ländern, ihre WBO hieran
auszurichten. Es entspricht einer langjährigen Übung der Ärztekammern in den
Ländern, sich an der Muster-Weiterbildungsordnung zu orientieren und nur
ausnahmsweise hiervon abzuweichen, soweit hierfür objektive landesspezifische
Gründe vorliegen.
Die LÄK BW teilt die Auffassung von vierzehn Landesärztekammern, die den Erwerb
der Zusatzweiterbildung Homöopathie in ihrer WBO nicht (mehr) vorsehen bzw.
bereits über die entsprechende Änderung einen Beschluss gefasst haben.
8
Damit besteht in Deutschland überwiegend keine Möglichkeit mehr, diese
Bezeichnung im Rahmen einer reglementierten Zusatzweiterbildung zu erwerben.
Die Streichung der Zusatzweiterbildung Homöopathie aus der Mehrzahl der
Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern zeigt, dass es nicht mehr der
aktuellen medizinischen Entwicklung entspricht, eine entsprechende
Zusatzweiterbildung vorzuhalten.
Der Fortbestand einer entsprechenden Weiterbildungsmöglichkeit ist zur
angemessenen gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung auch nicht
erforderlich.
Die Einführung oder Beibehaltung einer Weiterbildungsmöglichkeit in einem Bereich
ist dann erforderlich, wenn die von diesem Bereich abgedeckten ärztlichen
Leistungen mindestens die Einhaltung des im Zeitpunkt der Beurteilung
bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards gewährleisten. Dies ist
der jeweilige Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und ärztlicher Erfahrungen
in dem betroffenen Gebiet, der zur Erreichung des jeweiligen Behandlungsziels
erforderlich ist und sich in der Erprobung nachweislich bewährt hat, mithin der
allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse, der gesichert und in
der medizinischen Praxis zur Behandlung bestimmter Krankheitsbilder anerkannt ist.
Dies setzt voraus, dass der jeweilige Bereich von der Mehrheit der Ärzteschaft
befürwortet wird.
Über diesen notwendigen fachlichen Konsens hinaus müssen für die Erforderlichkeit
des Bereichs im Hinblick auf die von diesem, abgedeckten medizinischen Leistungen
zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können.
Hierfür muss sich der Erfolg dieser Leistungen aus wissenschaftlich geführten
Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der verwendeten
Methoden ergeben. Beides ist bei der Homöopathie nicht der Fall.
Homöopathische Untersuchungs- und Behandlungsverfahren sind innerhalb der
Ärzteschaft umstritten. Bei der Homöopathie handelt es sich um eine alternative
Heilmethode ohne wissenschaftliche Evidenz. Zahlreiche Studien, die bislang zur
Homöopathie vorliegen, haben keinen Beleg dafür gefunden, dass diese besondere
Therapierichtung eine Wirkung hat, die über einen Placebo-Effekt hinausgeht.
9
So gibt es bislang mehrere größere Übersichtsarbeiten, die die Homöopathie
indikationsübergreifend betrachten, und die alle, zu ähnlichen Ergebnissen
gelangen. 1
Soweit einzelne Studien darauf hindeuten, dass auch die homöopathische
Therapieform kleinere Effekte verzeichnet, die über reine Placebo-Effekte
hinausgehen, ist nach der Einschätzung der Autoren der Reviews die Qualität dieser
Studien so niedrig, dass hieraus keine belastbaren Schlussfolgerungen gezogen
werden können, und zwar weder für die Homöopathie generell noch für irgendeine
Indikation.
Auch die größte bislang veröffentlichte Arbeit zu dieser Thematik (die des
australischen Gesundheitsministeriums von 2015) kommt zu diesem Schluss (siehe
Fußnote 1). Zahlreiche Untersuchungen in systematischen Übersichtsarbeiten
konnten weder für eine individualisierte noch für eine nicht-individualisierte
homöopathische Behandlung konsistente Behandlungseffekte nachweisen, die über
eine Placebo-Wirkung hinausgehen. Es gibt somit bislang keine wissenschaftlichen
Nachweise dafür, dass Homöopathie wirkt.
1 Vgl. insb.: RT Mathie et al, Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treat-
ment: systematic review and meta-analysis, 2014,
https://systematicreviewsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/2046-4053-3-142NHMRC Information paper, Evidence on the effectiveness of Homeopathy for treating health
conditions, 2015
https://www.nhmrc.gov.au/sites/default/files/images/nhmrc-information-paper-effectiveness-of-homeopathy.pdf
nhmrc-statement-on-homeopathy.pdf (Positionspapier des bvmd zur Homöopathie vom 15.6.2020):
https://www.bvmd.de/wp-content/uploads/2021/04/Grundsatzentscheidung_2020-05_Homo%CC%88opathie1.pdf
RT Mathie et al, Randomised, double-blind, placebo-controlled trials of nonindividualised homeopathic
treatment: systematic review and meta-analysis, 2017,
https://system-aticreviewsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13643-017-0445-3RT Mathie et al, Systematic review and meta-analysis of randomised, other-than-placebo-controlled,
trials and individualised homeopathic treatment, 2018,
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0038-1667129Antonelli, Donelli, Reinterpreting homoeopathy in the light of placebo effects to man-age patients who
seek homoeopathic care: A systematic review, 2018,
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30456773/10
Gemäß § 32 Abs. 2 HBKG BW „bestimmen die Kammern die Bezeichnungen für ihre
Mitglieder, wenn dies im Hinblick auf die medizinische, die psychotherapeutische, die
zahnmedizinische, die tiermedizinische oder die pharmazeutische Entwicklung und
für eine angemessene Versorgung der Bevölkerung oder des Tierbestandes
erforderlich ist. Dabei ist das Recht der Europäischen Gemeinschaften und das
Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum zu beachten. Die
Bezeichnungen sind aufzuheben, wenn die in Satz 1 genannten Voraussetzungen
nicht mehr gegeben sind und Recht der Europäischen Gemeinschaften und das
Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum nicht entgegenstehen.“
Das Vorhalten einer Zusatzweiterbildung Homöopathie in der ärztlichen
Weiterbildungsordnung wird von der Mehrheit der Delegierten für nicht erforderlich
gehalten. Es wird – wie vom „Münsteraner Kreis“ - die Gefahr gesehen, dass das
Vorhalten der Zusatzweiterbildung in der Weiterbildungsordnung der
homöopathischen Lehre den Anschein wissenschaftlicher Seriosität verleiht, den
Patienten auch als Beleg für die Wirksamkeit der Homöopathie verstehen können. 2
Die Anerkennungszahlen der letzten Jahre zeigen, dass die Nachfrage nach dem
Erwerb dieser Zusatzweiterbildung gering ist.
2017: 3
2018: 5
2019: 5
2020: 1
2021: 3
2022: 1
Öffentliche Gesundheit
Die Streichung der Zusatzbezeichnung Homöopathie führt nicht zu einer Gefährdung
der öffentlichen Gesundheit.
2 Manfred Anlauf, Norbert Aust, Hans-Werner Bertelsen, Juliane Boscheinen, Edzard Ernst, Daniel R.
Friedrich, Natalie Grams, Hans-Georg Hofer, Paul Hoyningen-Huene, Jutta Hübner, Peter
Hucklenbroich, Claudia Nowack, Heiner Raspe, Jan-Ole Reichardt, Norbert Schmacke, Bettina
Schöne-Seifert, Oliver r. Scholz, Jochen Taupitz, Christian Weymayr: Münsteraner Memorandum
Homöopathie, Stand 2/2018, S. 4;
https://muensteraner-kreis.de/wp-content/uploads/2020/04/M%C3%BCnsteraner-Memorandum-Hom%C3%B6opathie.pdf
11
Ärztinnen und Ärzte, die homöopathische Behandlungen anbieten möchten, können
dies auch nach der Streichung der Zusatzweiterbildung aus der
Weiterbildungsordnung tun.
Die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Methoden und/oder Mitteln der
Homöopathie wird durch die Streichung der Zusatzweiterbildung aus der
Weiterbildungsordnung weder eingeschränkt noch verboten.
Ärztinnen und Ärzte können unter den berufsrechtlichen Voraussetzungen des
§ 27 Abs. 2 Berufsordnung der LÄK BW in ihrer Außendarstellung auch auf einen
entsprechenden Tätigkeitsschwerpunkt hinweisen. Damit ist für Patientinnen und
Patienten auch in Zukunft erkennbar, wer homöopathische
Behandlungsmöglichkeiten anbietet.
Auch nach Streichung der Zusatzweiterbildung Homöopathie aus der
Weiterbildungsordnung können Fortbildungen zur homöopathischen
Behandlungsweise besucht werden. So bietet z.B. der Deutsche Zentralverein
homöopathischer Ärzte ein Homöopathie-Diplom als Qualitätsnachweis an.
Die Anwendung homöopathischer Behandlungsmethoden ist aus ärztlicher Sicht seit
langem umstritten. Ein wesentlicher Aspekt ist, dass den homöopathischen
Behandlungsmethoden die wissenschaftliche Grundlage fehlt und damit ein
gleichrangiges Verbleiben neben evidenzbasierten Weiterbildungsbezeichnungen in
der WBO nicht gerechtfertigt erscheint. Der Münsteraner Kreis ist ein informeller,
interdisziplinärer Zusammenschluss von Expertinnen und Experten unterschiedlicher
Fachrichtungen, der sich mit Themen aus den Bereichen der komplementären und
alternativen Medizin befasst. Dieser Expertenkreis hat 2018 ein Statement zur
Abschaffung der Homöopathie veröffentlicht. Der Münsteraner Kreis kommt in
seinem Memorandum zu dem Fazit, dass die Abschaffung der Zusatzweiterbildung
Homöopathie dringend geboten ist. 3
3 s. FN 2: Münsteraner Memorandum Homöopathie, Stand 2/2018, S. 9;
https://muensteraner-kreis.de/wp-content/uploads/2020/04/M%C3%BCnsteraner-Memorandum-Hom%C3%B6opathie.pdf
„Auch wenn Homöopathie im Wissenschaftsbetrieb präsent ist, ist sie nicht wissenschaftlich fundiert.
Ihre Grundlagen Potenzieren und Simile Prinzip widersprechen sicheren wissenschaftlichen
Erkenntnissen, die Homöopathie ist demnach der Esoterik zuzurechnen. Auch sieht die internationale
Wissenschaftlergemeinschaft in klinischen Studien keine ausreichenden Belege für eine Wirksamkeit
der Homöopathie. Einer esoterischen Heilslehre mit einer Zusatzbezeichnung einen scheinbar
seriösen Anstrich zu geben, widerspricht der Anspruch der Ärzteschaft auf eine wissenschaftliche
fundierte Versorgung, und schwächt durch eine Verwischung der Grenzen zwischen Wissenschaft
und Glauben das Ansehen der wissenschaftlich begründeten Medizin. Defizite der wissenschaftlichen
Medizin sind intern zu lösen und können nicht auf unwissenschaftliche Heilslehren abgewälzt werden
(Anlauf et al. 2015). Eine Abschaffung der Zusatzbezeichnung ‘Homöopathie‘ halten wir deshalb für
dringend geboten.“
12
Die Gefahr, dass Patientinnen und Patienten, die der Schulmedizin kritisch
gegenüberstehen, sich nach der Streichung der Zusatzweiterbildung Homöopathie
aus der ärztlichen Weiterbildungsordnung nur noch an nichtärztliche Homöopathen
(z.B. Heilpraktiker) wenden, lässt sich nicht völlig ausschließen. Durch Aufklärung
und Information der Öffentlichkeit einerseits und über die weiterhin mögliche
Außendarstellung von Tätigkeitsschwerpunkten andererseits kann dieser Gefahr
jedoch begegnet werden.
Fazit:
Die Satzungsänderung, deren Gegenstand die Streichung der Zusatzweiterbildung
Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Baden-
Württemberg ist, ist gemäß Artikel 6 Absatz 1 und 2 durch legitime Ziele des
Allgemeininteresses, unter anderem die öffentliche Gesundheit, objektiv
gerechtfertigt.
4.Verhältnismäßigkeit
(Geeignetheit/Erforderlichkeit/Angemessenheit (kein milderes Mittel)
Artikel 7
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die von ihnen eingeführten Rechts- und
Verwaltungsvorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren
Ausübung beschränken, und die Änderungen, die sie an bestehenden Vorschriften
vornehmen, für die Verwirklichung des angestrebten Ziels geeignet sind und nicht
über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinausgehen.
Zu diesem Zweck sind u. a. (die übrigen Punkte von Artikel 7 Absatz 2 sind hier nicht
einschlägig) zu berücksichtigen:
•
•
die Eigenart der mit den angestrebten Zielen des Allgemeininteresses
verbundenen Risiken;
die Eignung der Vorschriften hinsichtlich ihrer Angemessenheit zur Erreichung
des angestrebten Ziels und dass sie nicht über das hinausgehen, was zur
Erreichung des Ziels erforderlich ist.
13
Die Streichung der Zusatzweiterbildung greift nicht in die Berufsfreiheit von Ärztinnen
und Ärzten ein, die diese Weiterbildung bereits erfolgreich absolviert haben und
diese Bezeichnung führen dürfen. Auf die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts
wird verwiesen (BVerwG, Beschl. vom 11.01.2022, 3 BN 6/21):
„Die Aufhebung der Zusatzweiterbildung Homöopathie in der WBO einer
Landesärztekammer greift nicht in die Berufsfreiheit von Ärzten ein, die die
Weiterbildung bereits erfolgreich absolviert haben und die Zusatzbezeichnung
weiterführen dürfen; sie kommt einem solchen Eingriff auch nicht funktional gleich“.
Durch eine entsprechende Übergangsbestimmung ist gewährleistet, dass diese Ärzte
die Zusatzweiterbildung auch weiterführen können. Folgende Regelung ist hier in §
20 Absatz 11 WBO vorgesehen:
„Die auf der Grundlage früherer Weiterbildungsordnungen erworbene
Zusatzbezeichnung Homöopathie und die nach Maßgabe des Satzes 2 erworbene
Zusatzbezeichnung Homöopathie, darf weitergeführt werden. Kammerzugehörige,
die sich bei Inkrafttreten dieser Satzung zur Änderung der Weiterbildungsordnung in
der Weiterbildung zum Erwerb der Zusatzbezeichnung Homöopathie befinden,
können diese innerhalb einer Frist von drei Jahren nach den Bestimmungen der
bisherigen Weiterbildungsordnung abschließen und die Zulassung zur Prüfung
beantragen.“
Für Ärztinnen und Ärzte, die künftig darauf hinweisen wollen, dass sie
homöopathische Behandlungsmethoden anbieten, besteht die Möglichkeit, dies unter
den Voraussetzungen des § 27 Absatz 2 der Berufsordnung der Ärztekammer zu
tun.
5. Kohärenz
Es ist die Wirkung der geänderten Vorschriften zu berücksichtigen, wenn sie mit
anderen Vorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren
Ausübung beschränken, kombiniert werden und insbesondere wie die geänderten
Vorschriften kombiniert mit anderen Anforderungen zum Erreichen desselben im
Allgemeininteresse liegenden Ziels beitragen und ob sie hierfür notwendig sind
(Artikel 7 Absatz 3 ff).
14
Für diese Zwecke ist die Auswirkung der geänderten Vorschrift, wenn sie mit einer
oder mehreren Anforderungen kombiniert wird, zu prüfen.
•
Durch die Streichung der Zusatzweiterbildung Homöopathie aus der
Weiterbildungsordnung werden keine Tätigkeitsvorbehalte, geschützte
Berufsbezeichnungen oder sonstige Formen der Reglementierung im Sinne des
Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a) der Richtlinie 2005/36/EG berührt.
•
Auch die Verpflichtung zur kontinuierlichen „beruflichen Weiterbildung“ (damit ist
in Deutschland die Fortbildung gemeint) wird nicht berührt (Artikel 7 Absatz 3
Buchstabe b).
•
Vorschriften in Bezug auf Berufsorganisation, Standesregeln und Überwachung
(Artikel 7 Absatz 3 Buchstabe b) können insoweit betroffen sein, als nach
Streichung der Zusatzweiterbildung aus der WBO auf der Grundlage der
berufsrechtlichen Regelungen in § 27 Absatz 2 der Berufsordnung auf einen
Tätigkeitsschwerpunkt hingewiesen werden kann, wenn Ärztinnen und Ärzte
homöopathische Behandlungsweisen anbieten.
§ 27 Absatz 2 der Berufsordnung sieht vor, dass
1. nach der WBO erworbene Bezeichnungen,
2. nach sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften erworbene Qualifikationen
3. sowie als solche gekennzeichnete Tätigkeitsschwerpunkte und
4. organisatorische Hinweise
angekündigt werden können.
Tätigkeitsschwerpunkte dürfen nur angekündigt werden, wenn diese Angaben
nicht mit solchen nach geregeltem Weiterbildungsrecht erworbenen
Qualifikationen verwechselt werden können. Der Angabe von
Tätigkeitsschwerpunkten muss jeweils der Zusatz „Tätigkeitsschwerpunkt“
vorangestellt werden. Die Angaben nach Nr. 1 – 3 sind nur zulässig, wenn die
Ärztin oder der Arzt die umfassten Tätigkeiten nicht nur gelegentlich ausübt.
Die Verwechslung wäre nach Abschaffung der Zusatzbezeichnung
„Homöopathie“ nicht möglich, weil es diese Berufsreglementierung dann nicht
mehr gibt und diejenigen Ärztinnen und Ärzte, die sie wegen des früheren
15
•
Erwerbs noch führen dürfen, durch Führung der Zusatzbezeichnung deutlich
machen können, dass sie für diesen Tätigkeitsschwerpunkt eine besondere
Zusatzweiterbildung absolviert haben.
Weitere der in Artikel 7 Absatz 3 genannten Auswirkungen sind nicht ersichtlich.
Fazit:
Die Streichung der Zusatzweiterbildung Homöopathie aus der
Weiterbildungsordnung erfolgt in Übereinstimmung mit den Vorgaben der
Verhältnismäßigkeitsrichtlinie.
Stand: 06.02.2024
16